46. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
Beginn: 9.02 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, und wünsche uns gute, intensive, gelegentlich auch fröhliche Beratungen. Ich erinnere daran, dass wir gestern für die heutige Aussprache insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen haben.
- Der Wunsch des Kollegen Kampeter, die Beratungszeit auszudehnen, ist vermutlich nicht mehrheitsfähig.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2007
(Haushaltsgesetz 2007)
- Drucksache 16/2300 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksache 16/2301 -
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Brüderle für die FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie regieren das Land mittlerweile nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: ?Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt!“
Steuererhöhungen heißen bei Ihnen ?Reformen“.
Stillstand verkaufen Sie uns als ?Bewegung in die richtige Richtung“.
Am Anfang haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der Außenpolitik eine gute Figur gemacht. Die Außenpolitik lenkt vielleicht ein wenig von den Problemen ab, die unser Land hat. Nur, das funktioniert nicht auf Dauer. Als Bundeskanzlerin, Frau Merkel, sollten Sie die Richtung vorgeben. Doch Ihre Richtlinienkompetenz ist zu einer Schlangenlinienkompetenz geworden, mit der Sie die Politik betreiben.
Die Koalition hat nach eigenem Bekunden erheblichen Diskussionsbedarf - bei jedem Thema und über Monate hinweg. Doch irgendwann muss selbst diese große Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners Entscheidungen treffen, damit man weiß, was Sie denn überhaupt wollen. Nehmen wir einmal die Gesundheitsreform: Nach Monaten konnte sich die Bundesregierung zu ?Eckpunkten“ durchringen; doch schon diese ließen erheblich zu wünschen übrig. Statt mehr Freiheit und Wahlfreiheit gibt es mehr Gängelung und mehr Bürokratie. Jetzt geht der Streit weiter über Details dieses Kassensozialismus, der da offenbar betrieben wird.
Mit der Rückendeckung der Kanzlerin arbeitet das Gesundheitsministerium an einer Art VEB Gesundheit.
Nur über eines war sich die Koalition erstaunlich schnell klar und einig: Es wird teurer, die Krankenkassenbeiträge steigen. Beim Schröpfen der Bürger herrscht bei Rot und Schwarz schnell Einigkeit. Was sonst noch herausgekommen ist, sind bürokratische Monster, zum Beispiel der Gesundheitsfonds und der Morbiditätszuschlag. Die Morbidität der Bundesregierung schreitet unaufhaltsam voran. Es schreit an jeder Ecke und an jedem Ende nach Knatsch und es kracht in manchen Bereichen. Die Auflösungserscheinungen sind schon mit Händen greifbar. Möglicherweise gibt es die Regierung gar nicht mehr, wenn der neue Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen in Kraft tritt.
In der Politik der Bundeskanzlerin sind weder Linie noch Kompetenz zu erkennen. Die Kanzlerin tritt jetzt als Duo mit dem Vizekanzler auf. Frau Merkel und Herr Müntefering sind am Ende der Sommerpause gemeinsam und in trauter Eintracht vor der Presse erschienen. Es war eine Art Hochamt des neuen politischen Traumpaares der Republik.
Frau Merkel, dabei haben Sie gesagt, die Richtung in Ihrer Regierungsarbeit stimme. Eine Richtung ist aber weit und breit nicht erkennbar. Wo wollen Sie denn wirklich hin?
Wer sich bei Rekordschulden, bei explodierenden Sozialbeiträgen und bei drastischen Steuererhöhungen auf dem richtigen Weg sieht, der lebt in einer anderen Welt.
Die erste Kabinettsitzung nach der Sommerpause kam mir wie ein Treffen von Traumtänzern vor.
Vizekanzler Müntefering findet es unfair, an dem gemessen zu werden, was in den Wahlkämpfen gesagt wurde. Die Bundeskanzlerin sitzt neben ihm und nickt zustimmend. Das steht in der adenauerschen Tradition: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern! Das entspricht aber nicht einem fairen Umgang mit den Bürgern. Deshalb dürfen wir uns über die Politikverdrossenheit nicht wundern.
Woran, wenn nicht an ihren Wahlkampfaussagen, soll die Regierung denn bitte schön gemessen werden? Dafür ist sie ja gewählt worden. Der wenig ambitionierte Koalitionsvertrag ist eben nicht die Messlatte, Herr Müntefering. Die Messlatte für die Bürger ist vielmehr, ob die Regierung eine gute Politik macht. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Das ist keine gute Politik.
Es ist unfair, den Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der private Konsum ist nach wie vor der Hemmschuh für die Konjunkturentwicklung. Wenn man sich einmal die Strukturen unserer Volkswirtschaft ansieht, dann erkennt man, dass er über 60 Prozent der Nachfrage in diesem Land ausmacht. Sie nehmen den Bürgern das Geld weg. Selbst Herr Struck hat eingeräumt, dass man auf die Mehrwertsteuererhöhung hätte verzichten können. Er sagte:
Es wären knallharte Einsparungen in jedem Ressort nötig gewesen, aber es wäre gegangen.
Recht hat Herr Struck! Nur getan haben Sie es nicht. Dazu fehlte Ihnen der Mut.
Nicht nur die Sozialdemokraten üben sich im Geldausgeben, auch einige Ministerpräsidenten der Union machen sich auf die Suche nach neuen Ausgabenprogrammen, um zu sehen, wie man die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit verteilen kann. Machen Sie sich doch endlich ans Sparen! Was tut jeder Bürger, wenn er mehr ausgibt, als er einnimmt? Er streckt sich nach der Decke. Das Auto wird ein Jahr länger gefahren und die Anschaffungen werden ein Jahr hinausgeschoben.
Nur der Staat tut das Gegenteil dessen, weil er sich zwangsweise refinanzieren kann. Er langt bei den Bürgern zu und spart nicht. Sie müssen Vorbild sein. Die Treppe kehrt man von oben nach unten und nicht umgekehrt. Das gilt auch für die Politik.
Den Konzernen wollen Sie dadurch etwas Gutes tun, dass die Körperschaftsteuer kräftig reduziert wird. Eine solche Unternehmensteuerreform nützt den Personengesellschaften und den Einzelunternehmen nichts. Für die Mittelständler und die Arbeitnehmer wäre eine Einkommensteuerreform viel wichtiger.
Ich frage mich: Wie wollen die Sozialdemokraten dies ihren Wählern erklären? Bei höheren Steuern, höheren Energiepreisen, höheren Sozialversicherungsbeiträgen und höheren Krankenversicherungsbeiträgen zu erwarten, dass eigenverantwortlich mehr Vorsorge für das Alter getroffen wird, ist wirklich irreal. Die Bürger aufzufordern, auf den Urlaub zu verzichten, um so Vorsorge treffen zu können, aber selber beim Haushalt nicht zu sparen, ist schon zynisch. So wird man die Probleme nicht lösen können, sondern dazu gehört mehr Mut.
Offensichtlich spielt die Ökonomie in der Regierung keine Rolle. Auf die Idee einer Besteuerung der Kosten von Unternehmen - eine unsinnige Debatte - muss man erst einmal kommen. Der Einfall, Kosten zu besteuern, muss schleunigst vom Tisch. Das ist absoluter Schwachsinn.
Die SPD entdeckt die Leistungsträger und die CDU ist jetzt die Partei der Lebenslüge. Zum 30. Geburtstag der Mitbestimmung haben Sie sich, Frau Bundeskanzlerin, von Reformüberlegungen verabschiedet. Aber die paritätische Mitbestimmung noch heute als große Errungenschaft und Standortvorteil zu feiern, ist eine Lebenslüge und eine völlig falsche Einschätzung, Frau Merkel.
Die Bundesregierung verkündet Fahrpläne zu allen möglichen Bereichen, wie etwa Gesundheit, Unternehmensteuerreform und Arbeitsmarkt. Aber das Ziel dürfen keine Fahrpläne sein, sondern das Ziel muss eine konsistente Politik für die Menschen in Deutschland sein. Sie sprachen auf Ihrer Pressekonferenz vom Gemeinwohl; das ist richtig. Aber das Gemeinwohl ist nicht das Wohl dieser Bundesregierung, sondern das Wohl der Bürger, der Steuerzahler;
sie müssen im Zentrum der Politik stehen.
Die Steuererhöhung hilft vielleicht dem Finanzminister, aber sie hilft nicht dem Bürger im Land. Deshalb ist Ihre Politik grottenfalsch und führt in die falsche Richtung.
Es muss eine Kurskorrektur geben. Sie sind falsch programmiert. Ändern Sie Ihre Politik für die Bürger im Land!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt immer wieder Tage, die unsere Welt verändern. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich jeder Einzelne von uns genau daran erinnern kann, was er an einem solchen Tag gemacht hat. Der 9. November 1989 war ein solcher Tag: Die Mauer fiel und der Kalte Krieg war zu Ende.
Der 11. September 2001, dessen Jahrestag sich in der nächsten Woche zum fünften Mal jähren wird, war ebenfalls ein solcher Tag. Dieser Tag hat die Welt erschüttert und er hat sie auch verändert. Manche haben gesagt: Nach dem 11. September ist nichts mehr so, wie es einmal war. - Ich halte das für falsch. Richtig ist, dass wir mit dem 11. September eine völlig neue Art der Bedrohung kennen gelernt haben - eine asymmetrische Bedrohung, wie wir das nennen -, eine Bedrohung, bei der wir den Gegner nicht richtig fassen können, weil er bereit ist, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Auch ist er als Staat nicht genau erkennbar, obwohl Staaten solche terroristischen Attacken unterstützen.
Daraus hat sich ein neues Verständnis von Sicherheitspolitik ergeben, bei dem mehr als jemals zuvor innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen sind. Das hat uns vor die Aufgabe gestellt, neue Antworten zu finden. Die Bundesregierung hat solche Antworten gefunden. Wir alle in diesem Land sind uns inzwischen einig - das hat der großartige Aufklärungserfolg bezüglich der Kofferbomben gezeigt -, dass Videoüberwachung, zwar nicht flächendeckend, aber dort, wo viele Menschen zusammenkommen, notwendig ist. Ich bin froh, dass dieser Streit ausgestanden ist und dass wir wissen: Videoüberwachung braucht man, um Terroristen identifizieren zu können. Eine solche Maßnahme ist notwendig.
Ich möchte allen danken, zuvörderst dem Bundesinnenminister und auch der Bundesjustizministerin, die daran mitgearbeitet haben, dass wir uns jetzt auf eine Antiterrordatei einigen konnten. Das ist ein riesiger Erfolg, ein Erfolg der großen Koalition und ein Erfolg der Zusammenarbeit mit den Ländern. Es ist eine Antwort auf das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten.
Es ist eben so, dass uns im 21. Jahrhundert Kleinstaaterei alleine nicht mehr voranbringt.
- Das haben wir doch bei der Föderalismusreform gemeinsam besprochen. - Es ist ein riesiger Erfolg, dass die Antiterrordatei jetzt auf den Weg gebracht werden kann. Das erwarten die Menschen von uns.
Ich glaube, der Staat darf niemals den Eindruck erwecken, er könne 100 Prozent Sicherheit garantieren. Aber der Staat darf sich auch niemals dem Vorwurf aussetzen, er hätte nicht alles versucht, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Es geht nicht um Freiheit statt Sicherheit, es geht nicht um Freiheit oder Sicherheit, sondern es geht im 21. Jahrhundert um Freiheit und Sicherheit in unserem Land. Dafür müssen wir uns einsetzen.
Wenn ich sage, wir brauchen neue Antworten, weil wir vor neuen Bedrohungen stehen, warum halte ich dann den Satz ?Nach dem 11. September ist nichts ist mehr so, wie es einmal war“ für falsch? Ich halte ihn deshalb für falsch, weil sich das Motiv, der Grund unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns nicht verändert hat, weder nach dem 9. November gegenüber vor dem 9. November noch nach dem 11. September gegenüber vor dem 11. September. Denn seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist klar: Wir haben eine Verantwortung vor der Geschichte - vor der deutschen Geschichte und der europäischen Geschichte -, einer Geschichte jahrhundertelanger Kämpfe, einer Geschichte von Erbstreitigkeiten, Kriegen, politischem Versagen und Nationalismus. Dass die deutsche und die europäische Geschichte seit 1945 anders gestaltet werden, das gehört zu den großen Leistungen der Vorgänger der jetzt politisch Aktiven.
Der Impuls zur Gründung europäischer Institutionen, von unseren Vorfahren richtig in Gang gesetzt, war, dass man plötzlich zu der Erkenntnis kam - ich kann auch sagen: endlich zu der Erkenntnis kam -, dass man nicht am allerbesten dasteht, wenn man nur an sich denkt, sondern dass man selber besser dastehen kann, wenn man auch an die Interessen anderer denkt. Man hat endlich begonnen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Man hat das, was man früher als Zumutung empfand - sich mit dem Denken anderer auseinander zu setzen, zum Beispiel unserer Nachbarn -, als eigene Bereicherung empfunden. Man hat erkannt: Was dem anderen dient, ist auch richtig und gut für mich. Das war das eigentlich Neue. Das sind die zwei Seiten der Medaille unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat die Europäische Union möglich gemacht. Diesem Motiv und diesem Grund fühlen wir uns weiterhin genauso verpflichtet.
Deshalb haben sich die Ereignisse, die Herausforderungen geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir stehen heute vor völlig neuen Aufgaben. Aber diese Aufgaben sind genauso konkret, genauso fassbar und erfordern genau die gleiche Motivation, wie dies auch vor uns der Fall war.
- Es wird ganz konkret, Herr Kuhn.
Deshalb haben wir uns entschieden: im Kosovo genauso wie in Bosnien-Herzegowina. Es gab in diesem Hause lange Debatten darüber, dass wir nicht tatenlos zusehen können, sondern bei der Lösung dieser Konflikte mitmachen müssen, und zwar weil es besser ist für die Menschen vor Ort genauso wie für uns, die wir mit Flüchtlingen und vergewaltigten Frauen konfrontiert wurden und die wir gefragt wurden: Wie vereinbart ihr mit euren Werten, dass ihr tatenlos zuseht?
So haben wir uns nach dem 11. September - auch in sehr schwierigen Debatten - entschieden, in Afghanistan mit dabei zu sein, Verantwortung zu übernehmen, damit sich ein Volk besser entwickeln kann und gleichzeitig unsere Sicherheit besser garantiert ist.
Wir werden in diesem Herbst über Afghanistan zu sprechen haben. Wir wissen zwar, dass nicht alles so läuft, wie wir uns das wünschen. Aber die Alternative, ein Vakuum zu hinterlassen und Terroristen wieder freie Ausbildungsmöglichkeiten zu geben, ist für mich keine Alternative, weil es weder für die Menschen vor Ort richtig ist noch unseren Sicherheitsinteressen dienen wird.
Wir haben gemeinsam um eine Antwort auf die Frage gerungen, ob wir uns in Afrika engagieren sollen. Wir haben uns mehrheitlich im Bundestag - genauso wie die Bundesregierung - dafür entschieden, Verantwortung im Kongo zu übernehmen, und zwar über die politisch-humanitäre Verantwortung im Rahmen der Entwicklungshilfe hinaus mit einer militärischen Komponente. Auch das halte ich für richtig, weil Afrika der Nachbarkontinent Europas ist. Wer nach Spanien und insbesondere nach Teneriffa schaut, der weiß, dass dorthin jeden Tag Hunderte Flüchtlinge kommen. Wir müssen im Interesse der Afrikaner, aber auch im Interesse derjenigen, die in Europa davon betroffen sind, einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten und Entwicklungsmöglichkeiten, Teilhabe, Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglichen.
Es gibt Fragen, auf die wir noch keine abschließende Antwort haben. Damit müssen wir uns befassen. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China dem Iran ein Angebot gemacht. Wir erhofften uns von diesem Angebot, aus dem Kreislauf von nuklearen Aktivitäten und zunehmenden Verhärtungen herauszukommen. Die Antworten des Iran sind aber nicht zufriedenstellend. Wir werden zwar die Tür zu Verhandlungen nicht zumachen. Aber wir werden als internationale Staatengemeinschaft nicht tatenlos zusehen können, wie der Iran Regeln der Internationalen Atomenergiebehörde verletzt. Es geht hierbei nicht darum, dem Iran nicht das zuzugestehen, was ihm zugestanden werden muss. Vielmehr geht es darum, dass der Iran immer wieder Regeln verletzt hat. An dieser Stelle ist für uns, die Bundesregierung, ganz wichtig, die Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft zu erhalten. Die militärische Option ist keine Option im Iran. Deshalb geht es um Entschlossenheit und Geschlossenheit. Aber ich sage auch: Nichtstun kann nicht die Antwort auf die Ablehnung des Iran sein. Das stellt uns vor große Herausforderungen.
Wir haben erlebt, auf welche Art und Weise die Fragen den Iran betreffend mit der Situation im Nahen Osten zusammenhängen. Wir haben im Sommer dieses Jahres eine Situation erlebt, in der plötzlich schreckliche, gewalttätige Auseinandersetzungen auftraten und in der die internationale Staatengemeinschaft vor der Frage stand, wie man eine Waffenruhe erreichen und Stabilität in dieser Region herstellen kann. Daraus ist die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates entstanden. Die Bundesregierung ist - genauso wie wir alle - vor die Frage gestellt, was wir tun wollen und können, um bei der Umsetzung dieser Resolution mitzuhelfen. Wir haben sehr schnell gesagt: Insbesondere aus historischen Gründen steht für uns die Frage nach der Stationierung deutscher Kampftruppen an der libanesisch-israelischen Grenze nicht zur Debatte.
Es muss verhindert werden, dass deutsche Soldaten auf Israelis schießen, und sei es nur ungewollt. Wenn es aber zur Staatsräson Deutschlands gehört, das Existenzrecht Israels zu gewährleisten, dann können wir nicht einfach sagen: Wenn in dieser Region das Existenzrecht Israels gefährdet ist - und das ist es -, dann halten wir uns einfach heraus. Wenn wir uns an dem notwendigen humanitären und politischen Prozess beteiligen wollen, dann wird es sehr schwer sein, zu sagen: Die militärische Komponente sollen bitte schön andere übernehmen.
Deshalb haben wir ein Angebot unterbreitet. Bei diesem Angebot kommt es für uns darauf an, dass wir ein robustes Mandat haben, mit dem wir das Ziel, den Waffenschmuggel zu beenden, erreichen können. Es kommt des Weiteren für uns darauf an - über diesen Punkt verhandeln wir nun bzw. verhandelt der Libanon mit der UN -, dass dieses Mandat gewollt ist. Das ist wieder Teil des politischen Prozesses.
Es ist besser, zwei Tage zu warten und das Mandat im Einvernehmen mit allen Akteuren und sorgfältig vorzubereiten, als auf Schnelligkeit zu setzen. Wir werden unsere Soldaten nicht unnötigen Risiken aussetzen. Das macht keine Bundesregierung; das wird auch diese Bundesregierung nicht tun. Wir werden aber alles daransetzen, dass das Mandat in der Region gewollt ist. Dazu werden die entsprechenden Schritte im Augenblick eingeleitet.
Es wird in der Öffentlichkeit diskutiert, in welcher Reihenfolge die Maßnahmen zu treffen sind: Sollen erst das Embargo zur See und die Blockade des Flughafens Beirut aufgehoben und dann die UNIFIL-Truppen stationiert werden? Wir brauchen noch etwas Zeit. Wir sollten uns die Zeit nehmen. Die Gründlichkeit der Entscheidung geht vor Schnelligkeit. Ich bitte auch um Verständnis für die Urteilsfindung der Akteure in der Region. Wir können uns manchmal nur schwer in die Lage im Libanon und in Israel versetzen. So wie wir von anderen Respekt erwarten, wenn sie über uns urteilen, sollten wir anderen Respekt zukommen lassen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die Gespräche mit den Vertretern der einzelnen Fraktionen bedanken. Wir informieren Sie und sind miteinander im Gespräch. Wir werden selbstverständlich intensiv diskutieren, wenn es um die parlamentarische Zustimmung geht.
Es wird im Augenblick in Bezug auf den Nahen Osten zu wenig über den politischen Prozess und zu viel über die militärischen Aktionen gesprochen.
Deshalb ist die Parallelität der Aktionen von äußerster Wichtigkeit. Der Bundesaußenminister und ich und viele andere wie zum Beispiel die Bundesentwicklungshilfeministerin, wir alle werden Initiativen ergreifen und sind zum Teil in Vorgesprächen, um den politischen Prozess wieder in Gang zu bringen. Wir dürfen nicht wegschauen. Im Zusammenhang mit den Resolutionen 1559 und 1680, als es darum ging, ob die libanesische Armee die Gewalt über ihr gesamtes Territorium bekommt, haben wir uns nicht genug darum gekümmert. Wenn ich ?wir“ sage, dann meine ich die gesamte internationale Staatengemeinschaft. Das Ergebnis haben wir gesehen. Deshalb darf man keinesfalls denken, mit der Stationierung von UNIFIL-Truppen sei das Problem gelöst. Wir müssen das Existenzrecht Israels sichern und wir müssen eine Zweistaatenlösung erreichen, die einen palästinensischen Staat einschließt. Wir müssen auch für ein gutes Verhältnis zwischen Israel und Libanon sorgen.
Ich unterstütze ausdrücklich die Bemühungen des Bundesaußenministers, auch mit Syrien Kontakte zu pflegen, wenn auch nicht um jeden Preis. Er hat neulich eine vollkommen richtige Entscheidung getroffen. Es ist aber wichtig, alle Akteure in der Region zu berücksichtigen, damit wir sehen, was wir dazu beitragen können, um einen Friedensprozess in Gang zu bringen.
Auch wenn es noch so schwierig erscheint: Es gibt keine Alternative. Deshalb muss es versucht werden: mit Leidenschaft und aus Überzeugung.
Nun fragen viele: Ist das nicht ein Fass ohne Boden? Wo sollen wir uns noch überall engagieren? Was sind die Kriterien, nach denen wir das tun? - Dazu will ich eine Bemerkung machen: Wir können so lange, wie wir wollen, nach Kriterien suchen, die Welt wird sich nicht danach richten, welche Art von Konflikten auftritt. Vor der Sommerpause hat keiner von uns gewusst, dass wir uns heute mit UNIFIL und mit der Resolution 1701 auseinander setzen. Trotzdem wäre es unverantwortlich, zu sagen, wir beschäftigen uns nicht damit, weil wir das nicht auf dem Plan hatten. Wir müssen uns der Realität stellen und gleichzeitig nach unseren Möglichkeiten schauen.
Wir haben uns für ein Engagement im Kongo entschieden und wir leisten beispielsweise in Darfur Logistikhilfe. Ich sehe aber im Augenblick keine Möglichkeit, dass wir neben unserem Engagement im Kongo ein zusätzliches Engagement in Darfur übernehmen.
Wir müssen schauen, was die Welt tut. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der europäischen Kooperation. Es zeigt sich: Wenn wir unseren Interessen dienen wollen, dann können wir alleine sie nicht bedienen; das schaffen wir nicht. Deshalb ist es gut und richtig, in Sicherheitspartnerschaften, in Gemeinschaften, in der Europäischen Union und in der NATO, gemeinsam Aktivitäten zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen und sich Verantwortung zu teilen.
Anders werden wir unsere Interessen nicht mehr durchsetzen können. Auch das ist eine Lehre aus den Bedrohungen und Gefahren der heutigen Welt.
Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit einer handlungsfähigen, einer starken Europäischen Union. Deutschland wird im ersten Halbjahr 2007 die Präsidentschaft haben. Wir werden darüber diskutieren. Aber eines kann man schon voraussagen: Die außen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten eines gemeinschaftlich agierenden Europas haben in den letzten Jahren zugenommen und nicht abgenommen. Wenn man eine Begründung für Europa jenseits des Binnenmarktes braucht, dann ist es das gemeinsame europäische Interesse an Frieden und Freiheit, an Stabilität und Wohlstand auf der Welt.
Dieses Europa kann und wird nur stark sein, wenn es nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich stark ist. Deshalb ist es gut, dass der haushaltspolitische Befund zu dieser Debatte uns ermöglicht, zu sagen: Deutschland macht seine Hausaufgaben. Wir können zum ersten Mal seit Jahren wieder die Maastrichtkriterien erfüllen. Der Bundesfinanzminister hat gestern darüber Bericht erstattet. Wir haben gute Wachstumsraten. Ich möchte die prognostizierten Kurven von hoch gelobten Wirtschaftsinstituten jetzt nicht aufzeigen. Man weiß nie, ob in acht Wochen alles nicht wieder ganz anders ist. Wir sollten darauf nicht zu viel vertrauen. Aber es ist so, dass wir sagen können: Es geht im Augenblick in die richtige Richtung. Es gibt keinen Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mehr, es gibt weniger Insolvenzen und zum ersten Mal seit 1988 gibt es einen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit.
Das zeigt nicht mehr und nicht weniger, als dass es aufwärts geht. Aber das zeigt natürlich auch, dass wir uns mit 4,3 Millionen Arbeitslosen, mit vielen jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz haben, nicht zufrieden geben können. Wir dürfen auf gar keinen Fall die Hände in den Schoß legen; vielmehr müssen wir die richtigen Lehren auch aus den Fehlern vieler - ich betone: vieler - vergangener Jahre ziehen.
Diese Lehre heißt für mich: Wir haben in den vielen letzten Jahren die Dimension der Zukunft zu sehr in den Hintergrund gedrängt. Wir haben uns immer wieder damit abgefunden oder wir haben es zumindest nicht thematisiert, dass wir von der Substanz leben. Deshalb ist diese Bundesregierung ganz bewusst angetreten, um das Leben von der Substanz schrittweise zu beenden. Das ist genau das, was man mit dem sperrigen Begriff der Nachhaltigkeit beschreibt. Deshalb sage ich es etwas anders, nicht ganz so sperrig: Es ist ganz einfach so, dass wir unsere Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Das ist die Leitlinie, das ist der Maßstab, an dem wir unsere gesamte Politik ausrichten.
Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Das leitet uns bei all unseren Entscheidungen. Deshalb sanieren wir den Haushalt.
Ich möchte den Bundesfinanzminister ausdrücklich unterstützen. Kaum dass eine Steuermehreinnahme verkündet wird - unbeschadet der Frage, ob sie im Haushaltsansatz nicht schon längst eingepreist ist -, gibt es eine breite Debatte darüber, was man damit machen könnte. Lassen Sie uns erst einmal Geld haben! Wenn das der Fall ist, können wir über Schuldenabbau reden. Die Neuverschuldung in diesem Jahr ist sehr hoch. Lassen Sie uns dann diskutieren, ob wir noch Spielräume haben! Ich sehe das im Augenblick nicht. Wir wollen sanieren. Wir wollen dafür sorgen, dass wir die Zukunft nicht verbrauchen. Dem müssen wir uns verpflichtet fühlen.
Wir könnten über Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit nur reden, wenn sie auf Nachhaltigkeit ausgerichtet wären.
Dazu brauchen wir erst einmal eine Endabrechnung. Man muss sich anschauen, was im nächsten Jahr anfällt. Auch an diesem Punkt bin ich der Meinung: Man soll nicht über neue Programme diskutieren, sondern erst einmal verfolgen, was im Hinblick auf Nachhaltigkeit passiert.
Weil wir die Zukunft nicht verbrauchen wollen, reformieren wir. Wir reformieren im Sinne der Gesundheitsreform. Jeder, der sich einmal mit Gesundheitspolitik beschäftigt hat - hauptsächlich macht es die Bundesgesundheitsministerin; aber viele andere tun es auch - -
- Sie versuchen hier, das der Lächerlichkeit preiszugeben. Aber die Frage, ob die überwiegende Mehrzahl der Menschen in Deutschland den Eindruck hat, dass sie an dem medizinischen Fortschritt teilhaben kann, wird zu der entscheidenden Frage werden. Es geht darum, ob die soziale Marktwirtschaft und das Gerechtigkeitsempfinden in einer hoch entwickelten Gesellschaft überhaupt noch einen Platz haben. Deshalb ist das aller Mühe wert. Ich sage das aus voller Überzeugung, weil das die schwierigste Aufgabe ist. In vielen anderen europäischen Ländern können Sie sehen, dass es auch dort eine schwierige Aufgabe ist.
Weil das so ist, sollten wir diese Diskussion mit großer Ernsthaftigkeit führen, aber ohne die Interessen der einzelnen Besitzstandsgruppen im Auge zu haben; es gilt, im Interesse der Versicherten zu handeln.
Wir sind nämlich dem Gemeinwohl verpflichtet
und nicht den Krankenkassen oder den Ärzten allein. Wir sind natürlich jedem einzelnen Akteur mit seinen Interessen, aber zum Schluss eben dem Gemeinwohl verpflichtet. Genau daran wird sich die Bundesregierung orientieren.
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, darf sich einmal fragen, ob die Selbstverwaltung der Krankenkassen immer so prima funktioniert hat und wie viel Besitzstandswahrung in dem ganzen System ist. Es geht darum, den Menschen das zu geben, was sie brauchen. Daran werden wir uns ausrichten.
Deshalb werden wir die Eckpunkte umsetzen. Darüber wird es natürlich Diskussionen geben. Wenn Neuland betreten wird, gibt es immer Diskussionen. Aber eine solche Reform ist notwendig - genauso wie im nächsten Jahr eine Reform der Pflegeversicherung, genauso wie eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern mit einer Föderalismusreform II, nachdem die Föderalismusreform I jetzt in Kraft getreten ist.
Wir führen Strukturreformen wiederum deshalb durch, weil wir die Zukunft nicht verbrauchen, sondern gestalten wollen.
Dazu gehört die Unternehmensteuerreform. Auch das ist ein Vorhaben für den Herbst. Es geht uns nicht darum, langfristig Unternehmen per se zu entlasten. Es geht uns darum, Unternehmen in Deutschland zu halten. Deshalb wird es am Anfang ein Entlastungsvolumen geben. Aber Ziel ist, die Unternehmen in Deutschland auf Dauer wieder zu Steuerzahlern zu machen.
Das muss auch so sein. Es hat keinen Sinn, zuzusehen, wie Unternehmen in einer globalen Welt woandershin gehen, weil sie dort besser dastehen. Wir müssen ein wettbewerbsfähiger Standort sein - mit dem Ziel, dass auch der Staat von den Gewinnen der Unternehmen profitiert. Dabei darf nicht die Substanz der Unternehmen, sondern muss der Gewinn der Unternehmen besteuert werden. Es darf nicht so sein, dass der woanders verrechnet wird.
Wir werden Bürokratie abbauen. Es gibt bereits ein Mittelstandsentlastungsgesetz. Es wird an einem zweiten gearbeitet. Wir werden im Bereich der Hartz-IV-Reformen zu überlegen haben, wie wir angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen Anreize so setzen, dass unser Grundziel wieder erreicht wird: Wir wollen die Menschen in Arbeit bringen. Wir wissen, das gelingt nur, wenn wir sicherstellen, dass jemand dann, wenn er arbeitet, mehr hat, als wenn er nicht arbeitet.
An diesem Grundsatz werden sich alle Entscheidungen orientieren müssen. Wir wollen, dass sich Arbeit lohnt, dass die, die in dieser Gesellschaft etwas leisten wollen, sehen: Die Leistungsanstrengung trägt auch ihre Früchte. Daran müssen sich alle Diskussionen - das geht von Kombilohn über Hartz IV und Organisation von Hartz IV bis hin zu Niedriglohn und Mindestlohn - orientieren.
So werden wir weitere Beschäftigungspotenziale freilegen können. Der Bundesarbeitsminister hat hierfür die notwendigen Arbeitsgruppen eingesetzt und die Arbeit begonnen. Wir werden natürlich alle Sachverständigengutachten und Weiteres mit Interesse zur Kenntnis nehmen und einbeziehen. Aber ganz zum Schluss wird die Politik ihre Entscheidung fällen müssen. Den Grundsatz und die Linie habe ich genannt.
Um die Zukunft nicht zu verbrauchen, investieren wir. Wir investieren zum Beispiel mit der Hightechstrategie. In dem Rahmen stehen in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Die Mittel werden aber nicht einfach an die verschiedenen Akteure verteilt, sondern mit einem Ziel vergeben: In Deutschland müssen aus Ideen wieder verstärkt Produkte werden.
Es hat keinen Sinn, wenn wir ein schönes Patent haben und anschließend das Geld mit dem Produkt irgendwo in der Welt verdient wird. Unser Anspruch lautet: von der Idee bis zum Produkt. Dafür sind die Weichen gestellt.
Wir werden deshalb vor allem die Forschungsaktivitäten mittelständischer Unternehmen stärken; denn der Mittelstand in Deutschland forscht zu wenig, insbesondere der in den neuen Bundesländern. Die entsprechenden Maßnahmen sind in dieser Hightechstrategie enthalten.
Wir werden ein nationales Energiekonzept entwickeln. Das wird eine anstrengende Aufgabe sein. In einzelnen Fragen gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen innerhalb der Koalition; aber die große Koalition würde versagen, wenn sie sich dem zentralen Thema Energie nicht widmen würde. Wir werden das auch in der EU-Präsidentschaft in ganz besonderer Weise mit Blick auf die europäische Dimension miteinander diskutieren.
Wir haben uns dem Thema Integration gestellt, weil wir wissen, dass Deutschland nur eine Zukunft hat, wenn die, die dauerhaft bei uns leben, auch dauerhaft die gleichen Chancen haben. Wenn Menschen die deutsche Sprache nicht beherrschen oder Schüler nicht am Sportunterricht in der Schule teilnehmen, wenn wir keine Gemeinsamkeiten im Zusammenleben entwickeln, sondern Parallelgesellschaft zulassen, dann werden wir das Ziel der Chancengleichheit nicht erreichen. Deshalb ist das Thema Integration eines der zentralen Themen. Ich bin froh, dass wir hier über alte Gräben hinweggekommen sind.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Gestaltung der Zukunft ist auch das Elterngeld ein wichtiges Projekt. Es wird am 1. Januar 2007 in Kraft treten. Dieses Elterngeld ist die Konsequenz aus der Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Unterstützung der Entscheidung für Kinder durch die Gesellschaft soll stärker in den Mittelpunkt gestellt werden.
Ich sage, weil darüber eine breite Debatte stattfindet, ausdrücklich: Wir schreiben den Menschen nicht vor, wie sie leben sollen. Für uns ist jeder Lebensentwurf richtig und wichtig. Die Menschen sollen das alleine entscheiden. Aber wenn wir der Wahlfreiheit nahe kommen wollen, dann müssen wir für diejenigen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, auch die entsprechenden Bedingungen schaffen. Darum geht es; es geht nicht um das Richten über Lebensentwürfe, sondern um das Ermöglichen von gewünschten Lebensentwürfen.
Wir haben uns damit auseinander zu setzen, wie wir in einer globalen Welt, die immer mehr zusammenwächst, in der einzelne Regionen gar nicht mehr unterschieden werden können, Menschen Vertrauen in einen vernünftigen Verbraucherschutz geben können. Ich spreche das angesichts der Fleischskandale an. Meine Damen und Herren, der Bundestag - insbesondere die Bundesregierung, die in die Verantwortung genommen werden wird, und in ganz besonderer Weise der Bundeslandwirtschaftsminister,
der für Verbraucherschutz zuständig ist - wird sich dazu äußern müssen, wie wir in einer vernetzten Gesellschaft, einem vernetzten Land vorgehen wollen. Wir brauchen, auch wenn die Länder zuständig sind, allgemeine, gleiche Standards für die gesamte Bundesrepublik Deutschland; an dieser Stelle kann man heute nicht mehr lokal agieren.
Das heißt nicht, dass die Bundesregierung die Kontrollen übernimmt. Aber es hieße schon, dass sich die Länder bereit erklären müssten, auf einer gemeinsamen Informationsplattform die vorhandenen Informationen auszutauschen. Es kann nicht sein, dass jeder sein Wissen für sich behält und sich anschließend wundert, wenn flächendeckend Verfehlungen auftreten. Ich plädiere ausdrücklich für eine solche Informationsplattform und unterstütze den Bundeslandwirtschaftsminister in dieser Forderung.
Meine Damen und Herren, ich fordere die Länder auch von dieser Stelle aus auf, das Verbraucherinformationsgesetz jetzt endlich zu verabschieden.
Es hat keinen Sinn, länger darauf zu warten. Wir haben dieses Gesetz im Kabinett verabschiedet und jetzt soll es im Bundesrat verabschiedet werden. Ich glaube, die aktuellen Diskussionen sind ein guter Grund, das zu fordern. Wenn in dieser Hinsicht Einvernehmen zwischen uns besteht und wir mit den Ländern reden, dann kann das Gesetz auch im Bundesrat verabschiedet werden.
Wir werden uns in diesem Herbst im Rahmen des Ausbildungspaktes noch einmal sehr intensiv damit auseinander setzen müssen, wie wir den jungen Menschen in diesem Lande eine Chance auf einen Ausbildungsplatz geben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich halte nichts von dauernd neuen Ausbildungsprogrammen. Erst müssen wir - da hat die Bundesregierung vieles gemacht - die Rahmenbedingungen für den Mittelstand so gestalten, dass dort die notwendigen Entscheidungen für Lehrlinge und Auszubildende gefällt werden können. Wenn sich die Bedingungen dadurch verbessern, dass das Wachstum verstetigt wird, dass Bürokratie abgebaut wird, dass durch die Hightechstrategie Forschung und Entwicklung in den Betrieben ermöglicht werden, dann werden die Betriebe auch wieder stärker an ihre Zukunft glauben und Auszubildenden wieder eine Chance geben.
Ich glaube, die Bundesbildungsministerin, der Wirtschaftsminister und der Bundesarbeitsminister werden noch einmal - auch mit den Ländern - darüber reden müssen, ob die vielen kleinen Zwischenprogramme zielführend sind oder ob sie nicht letztlich zu praxisfern sind. Deshalb treten wir dafür ein, dass wir durchaus mit den Ländern reden, aber nicht sofort wieder neue Programme auflegen, sondern versuchen, die Mittel, die wir haben, effektiv im Sinne der jungen Leute einzusetzen; denn wir wollen jedem jungen Menschen eine Chance geben, auf dem Ausbildungsmarkt einen Platz zu bekommen. Das ist entscheidend für seine persönliche Zukunft.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat eine Vielzahl von Entscheidungen gefällt. Die Folgen vieler dieser Entscheidungen sind für die Menschen nicht einfach.
Wir haben erlebt, dass Sparen - der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, dass 60 Prozent unserer Haushaltsveränderungen auf Sparen zurückzuführen sind - nicht einfach für die Menschen ist, sondern zum Teil sehr schmerzhaft. Dies können wir den Menschen nur zumuten, weil wir uns davon leiten lassen, dass wir glauben, alle sind zum Schluss davon überzeugt: Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Wir werden diesen Konsolidierungskurs fortsetzen. Wir werden dabei Erfolge haben.
Ich muss feststellen: Von der Opposition ist wenig bis gar nichts zu hören.
Realitätsverweigerung, Einfallslosigkeit, ein großes Stück Selbstgerechtigkeit und ein Hang, dieses Land negativ zu reden: Das halte ich nicht für verantwortbar.
- Frau Künast, wenn Sie, was unsere Oppositionstätigkeit betrifft, der Meinung sind, die Sie gerade geäußert haben - ich teile diese Meinung ausdrücklich nicht; denn wir haben im Bundesrat bei der Agenda 2010 viele, viele Entscheidungen mitgetragen und ihnen eine Handschrift gegeben, die wirklich in richtige Richtung gewiesen hat -,
dann gibt es nun gar keinen Grund, in die gleichen Fehler zu verfallen, meine Dame. Das ist nämlich der Punkt: Zeigen Sie doch, dass Sie besser sind, als Sie denken, dass wir es waren. Diesem Anspruch werden Sie doch nicht gerecht.
Wir als Regierung sagen nicht, dass wir unsere Ziele schon erreicht haben; das wäre vollkommen falsch. Aber ich bin der festen Überzeugung: Wir haben die Grundlage für eine dauerhafte Entwicklung nach oben gelegt. Nach außen hat die Koalition das Ansehen Deutschlands in der Welt gemehrt. Deutschland ist wieder in der Mitte und Deutschland hat Gestaltungsspielräume, bei den großen Konflikten dieser Welt wieder mithelfen zu können.
Nach Innen haben wir die Wende zum Besseren eingeleitet.
Wir nehmen uns bei allen Entscheidungen - auch das will ich sagen - die Zeit, die wir brauchen.
Wir lassen uns nicht treiben, sondern wir durchdenken die Konzepte vernünftig. Wir handeln mit Entschlossenheit für das, was wir für richtig und wichtig halten, für das, was den Menschen dient, für das, was endlich damit Schluss macht, dass wir die Zukunft verbrauchen.
Wir haben das Ziel, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren wieder unter die ersten drei kommt bei Wachstum, bei Beschäftigung und bei Innovation. Das steckt in den Menschen dieses Landes. Das sind wir diesem Land schuldig. Auf diesem Weg werden wir uns nicht beirren lassen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Fragen beschäftigen derzeit die deutsche Öffentlichkeit: zum einen die Frage, ob die Außenpolitik der Bundesregierung geeignet ist, die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen, und zum anderen die Frage, ob die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geeignet ist, Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen und zu fördern. Zu beiden Fragen möchte ich für die Fraktion Die Linke Stellung nehmen.
Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Außenpolitik ihrer Regierung zu rechtfertigen, und ist, was nicht überrascht, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Außenpolitik sehr wohl geeignet ist, die Sicherheit in diesem Lande zu verbessern. Das Urteil der Öffentlichkeit fällt aber ganz anders und sehr differenziert aus. Auch aus den eigenen Reihen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungsbank, werden in der Öffentlichkeit Aussagen getroffen, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, zumindest hätten ansprechen müssen, wenn Ihr harsches Urteil über die Opposition irgendeine Grundlage hätte haben sollen.
Ich will mit einer Aussage beginnen. Wenn der Innenminister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solch gravierenden Vorwurf einfach übergehen und so tun, als sei alles in bester Ordnung und als müsse überhaupt nicht über die Außenpolitik diskutiert werden.
Hätte er nämlich mit dieser Feststellung Recht, wäre dies ein vernichtendes Urteil über Ihre Außenpolitik.
Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wieder angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engagement am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignet ist, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu mindern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch dieses militärische Engagement die Gefahr, dass terroristische Anschläge auch hier in Deutschland unternommen werden, immer weiter steigt.
Wir kommen also zu einem ganz anderen Ergebnis. Wir glauben, dass die Außenpolitik Deutschlands sich schon seit vielen Jahren auf einen Irrweg begeben hat. Schwerpunktmäßig auf militärische Einsätze zu setzen und die klassischen Traditionen der deutschen Außenpolitik, mit denen sie jahrzehntelang Erfolg hatte, zu vernachlässigen, ist ein Irrweg, der nicht zu mehr Sicherheit in Deutschland führt, sondern die Unsicherheit der Bevölkerung eher erhöht. Damit handeln Sie eklatant gegen Ihren Auftrag.
Ich hatte schon mehrfach die Frage aufgeworfen, ob es nicht notwendig sei, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie, wenn Sie den Terrorismus bekämpfen wollen, einmal sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Sie sind dazu nicht in der Lage; ich wiederhole diese Feststellung hier im Deutschen Bundestag. Eine Kanzlerin, die nicht in der Lage ist, zu definieren, was sie unter Terrorismus versteht, ist ihren Aufgaben nicht gewachsen, weil sie nicht fähig ist, eine Politik zu formulieren, mit der der Terrorismus bekämpft werden kann.
Dass dies schwierig ist, hat zuletzt die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes dargelegt, als sie auf das Gesetz zur Antiterrordatei zu sprechen gekommen ist. Ich zitiere:
Der Gesetzentwurf offenbart, wie schwer es ist, jene Personen hinreichend klar zu bestimmen, die sich in einem terroristischen Kontext bewegen: wenn zum Beispiel darin von Personen die Rede ist, ?die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“.
So lautet also im Gesetzentwurf die Definition des Terrorismus.
Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes sagt hierzu weiter:
Gewiss, es geht hier nicht um Sprachästhetik. Aber was kann man nicht alles unter ?international ausgerichteten politischen oder religiösen Belangen“ begreifen? Lässt sich darunter nicht auch ein Krieg subsumieren, der die Absetzung eines Diktators zum Ziel hat?
Ich wiederhole: Es ist wirklich nicht möglich, eine in sich konsistente Außenpolitik zu formulieren, wenn man nicht in der Lage ist - Frau Bundeskanzlerin, Sie sind es nicht -, zu definieren, was Terrorismus eigentlich ist. Ich wiederhole: Terrorismus ist für viele, die sich auf internationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Töten von Menschen zum Erreichen politischer Ziele. Etwa so lautet auch die Definition in dem angesprochenen Gesetzentwurf.
Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentat auf das World Trade Center und Selbstmordattentate, an die Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch die Kriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldiger Menschen ums Leben bringt.
Für die Linke erkläre ich hier: Man kann Terrorismus nicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen, ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen Politik
und es ist an der Zeit, dass Sie sich bereit finden, zu erklären, wie Sie Terrorismus definieren und wie Sie diesen Terrorismus bekämpfen wollen.
Der Terrorismus kann nicht bekämpft werden, wenn man das Völkerrecht ignoriert. Sie tun das in ununterbrochener Folge. Dass Sie das tun, ist keine Erfindung der Linken. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich hier einmal zum Völkerrecht geäußert hätten. Eine deutsche Außenpolitik, die das Völkerrecht ignoriert, kann nicht erfolgreich sein. Dies galt nicht nur für den Jugoslawienkrieg, wo das unstreitig ist; das gilt nicht nur für den Afghanistankrieg, wo das mehr und mehr unstreitig ist; das gilt vielmehr auch für den Irakkrieg, der mit Lügen und dem Bruch des Völkerrechts begonnen wurde und der so immer weiter geführt wird. Ich erinnere daran, dass das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, dass wir durch die Bereitstellung von Flughäfen, das Einräumen von Überflugrechten, durch Waffenlieferungen usw. mittelbar am Bruch des Völkerrechts beteiligt sind. Das ist keine Grundlage für eine erfolgreiche Außenpolitik und man kann darüber nicht hinweglächeln und hinwegreden.
Neben der Tatsache, dass Sie nicht in der Lage sind, zu sagen, was Terrorismus ist, und neben der Tatsache, dass Sie eine Politik fortsetzen wollen, die das Völkerrecht bricht, ist festzustellen, dass Sie bei Ihrem Handeln im Vorderen Orient nicht konsistent sind. Wir hören mit großem Interesse, dass wir ein robustes Mandat brauchen - so haben Sie das hier wieder formuliert - und dass dieses robuste Mandat angewendet werden soll, um Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden. Bis dahin könnte man dieser Argumentation ja noch etwas abgewinnen. Wenn aber gleichzeitig die Bundesrepublik Deutschland Israel Waffen liefert - und zwar U-Boote, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nuklear bewaffnet werden können -, dann ist das so widersprüchlich, dass eine solche Außenpolitik schlicht und ergreifend niemals Erfolg haben kann.
Grundlage für die Veränderung der letzten Jahre ist, dass sich die deutsche Außenpolitik mehr und mehr auf das Militärische verlegt hat. Dies ist mit der Aussage begründet worden: Wir können uns in der Welt nicht heraushalten; wir haben eine größere Verantwortung und diese größere Verantwortung müssen wir wahrnehmen. - Diese Redensarten, die zu dieser Fehlentwicklung geführt haben, beinhalten eine Verkennung der Erfolge der deutschen Außenpolitik nach dem Kriege. Ich möchte hier sagen, dass für mich die Westintegration Adenauers sehr wohl ein wichtiger Beitrag zu einer Weltaußenpolitik war, der weit über die deutschen Belange an der Nahtstelle des Kalten Krieges hinausreichte. Ich möchte ferner natürlich sagen, dass die Ostpolitik Willy Brandts, die nicht darauf angewiesen war, Soldaten in alle Welt zu schicken, sehr wohl ein ganz wesentlicher Beitrag Deutschlands zum Frieden in der Welt war. Auch diese Politik war nicht auf deutsche Belange begrenzt. Ich möchte weiterhin erwähnen, dass die Politik Helmut Schmidts, Weltwirtschaftsgipfel zu initiieren, um auf diese Art und Weise zum Frieden in der Welt beizutragen, sehr wohl ein politischer Ansatz war, der durchaus in den Geschichtsbüchern erwähnt werden wird. Schließlich möchte ich sagen, dass Helmut Kohls europäische Integration ebenfalls ein politischer Ansatz war, der eine Bedeutung weit über die deutschen Belange hinaus hatte.
Diese erfolgreichen Epochen der deutschen Außenpolitik heben sich wohltuend von einer Ära ab, in der immer mehr auf das Militär gesetzt worden ist und solche konzeptionellen Ansätze, wie ich sie eben erwähnt habe, nicht verfolgt wurden.
Ich habe etwas zum Völkerrecht gesagt. Dazu noch zwei weitere Bemerkungen.
Es ist für uns wohltuend, wenn ein Mitglied der Bundesregierung, Frau Wieczorek-Zeul, etwas zum Einsatz von Streubomben im Libanon sagt. Es verstößt gegen das Völkerrecht, wenn Streubomben über Wohngebieten abgeworfen werden, und es ist gut, dass wenigstens ein Mitglied der Bundesregierung an diesen Bruch des Völkerrechtes erinnert.
Es wäre ebenfalls gut, wenn die Politik, die Sie gegenüber dem Iran verfolgen, einmal auf eine einigermaßen rational nachvollziehbare Grundlage gestellt würde. Wir haben es hier schon mehrfach erwähnt: Man kann keine Politik der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen nach dem Motto betreiben: Wir brechen den Atomwaffensperrvertrag; er interessiert uns im Grunde genommen nicht. Aber Teile des Atomwaffensperrvertrages wenden wir an, um gegenüber dem Iran Politik zu betreiben. - Was meine ich damit? Der Atomwaffensperrvertrag hat nur eine Ratio; sie lautet: Wir wollen keine Nuklearwaffen in der Welt haben.
Das heißt, dass die Staaten, die keine haben, keine bauen sollen, aber das heißt auch - das wird weitgehend vergessen -, dass die Staaten, die Nuklearwaffen haben, verpflichtet sind, abzurüsten. Das haben sie unterschrieben.
Und wenn sie nicht abrüsten, dann brechen sie diesen Vertrag in Permanenz.
Dieser Punkt ist eine Grundlage des Vertrages und muss berücksichtigt werden, andernfalls hätte dieser Vertrag überhaupt keinen Sinn. Man kann doch nicht sagen: Wir, die guten Nationen in der Welt, verfügen über Nuklearwaffen, aber die bösen Nationen dürfen keine haben.
Auch in diesem Punkt ist die Anlehnung an die amerikanische Politik völlig widersprüchlich und überhaupt nicht akzeptabel. Wenn Amerika beispielsweise sagt, es möchte dazu beitragen, dass der Iran keine Atomwaffen produziert, dann ist doch zunächst einmal die Frage aufzuwerfen, warum die amerikanische Politik weiterhin neue Nuklearwaffen entwickeln lässt, die sogar schon einsatzfähig sein sollen. Es stellen sich beispielsweise auch die Fragen, warum die Aufrüstung Indiens mit Nuklearwaffen von Amerika unterstützt wird, warum man Pakistan erlaubt, Nuklearwaffen zu besitzen, und warum selbstverständlich auch Russland Nuklearwaffen für sich beansprucht. Wie kann man da sagen: ?Einem Staat verwehren wir den Besitz von Nuklearwaffen“? So wird man eine nuklearwaffenfreie Welt niemals erreichen können und so wird man nicht zum Frieden beitragen.
Es tut mir Leid: Die gesamte Außenpolitik dieser Koalition hat keine rationale Grundlage. Im Vergleich zur Außenpolitik früherer Jahre kann man von einer Fehlentwicklung sprechen; denn in den letzten Jahren - auch schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition - wurde immer mehr auf militärische Interventionen gesetzt, weil man glaubte, man könne damit etwas Gutes bewirken.
Wie gefährlich militärische Interventionen sind, haben nicht zuletzt die drei Ehrenvorsitzenden der FDP kürzlich in einem Schreiben an Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Ausdruck gebracht. Darunter sind zwei ehemalige Außenminister, Herr Genscher und Herr Scheel, die an der deutschen Außenpolitik beteiligt waren, die ich vorhin erwähnt habe. Es ist ein Irrtum, deutsche Soldaten in alle Welt zu schicken. Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Es ist ebenfalls ein gravierender Irrtum, Kampftruppen in den Libanon zu schicken. Dort haben wir nun wirklich nichts zu suchen.
Die Tatsache, dass die Soldaten nur auf See tätig werden, ist kein Argument. Sie werden in Auseinandersetzungen verwickelt werden.
Diejenigen haben gute Argumente, die darauf hinweisen, dass die Libanonkrise im Zusammenhang mit Planungen zu sehen ist, ebenfalls den Iran anzugreifen. Es ist zwar gut, wenn Sie festgestellt haben, dass die Bundesregierung keine militärischen Optionen gegen den Iran unterstützt. Aber man kann in einen Krieg auch hineinschlittern. In den letzten Monaten konnte man beobachten, dass von den Mitgliedern der Regierung unter Einschluss der Bundeskanzlerin, die das Gespräch offensichtlich sehr liebt, immer wieder über Truppenentsendung schwadroniert wurde, sodass am Ende überhaupt keine Klarheit darüber herrschte, in welcher Stärke und in welchem Auftrag - wenn überhaupt - Truppen in dieses Gebiet entsandt werden sollen. Das ist so unprofessionell, dass es einfach nicht mehr nachvollziehbar ist.
Ich fasse zusammen. Es mag ja sein, dass Ihrer Außenpolitik gute Absichten zugrunde liegen. Wer würde das bestreiten und wer würde sich anmaßen, zu sagen, es gebe keine guten Absichten, die zu diesen Entscheidungen führen? Aber wenn man nicht in der Lage ist, Terrorismus zu definieren, wenn man nicht in der Lage ist, zu sagen, ob das Völkerrecht in Zukunft respektiert werden soll, wenn man den Atomwaffensperrvertrag einseitig interpretiert und wenn man die guten Traditionen der deutschen Außenpolitik zugunsten einer Außenpolitik verlässt, die immer mehr auf militärische Lösungen setzt, dann ist man auf dem falschen Weg und wird nicht zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Insofern hat die schlichte Einsicht des Herrn Beckstein viel für sich: Wer sich überall einlässt - und zwar so einlässt wie Sie hinsichtlich des Libanon -, der erhöht die Gefahr für Terroranschläge in Deutschland und verletzt den Eid, den Sie hier geleistet haben, nämlich Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Ich möchte mich nun der zweiten Fragestellung zuwenden, ob Ihre Wirtschaftspolitik geeignet ist, den beginnenden Aufschwung zu unterstützen. Natürlich werden die Regierenden für sich immer in Anspruch nehmen - das kennen wir ja und das ist wohl unvermeidlich -, der Aufschwung sei ihr Werk. Amüsiert haben wir den Streit verfolgt, ob der Aufschwung ein Aufschwung Schröders oder ein Aufschwung Merkels ist. Es wäre allerdings gut, einmal in die deutsche Presse zu schauen. Auch heute kann man darüber Kommentare lesen, in denen eine andere Meinung vertreten wird und in denen darauf hingewiesen wird, dass die Wirtschaftspolitik der jetzigen Regierung überhaupt nicht geeignet ist, den Aufschwung zu unterstützen. Das ist die Wahrheit.
Ein einfacher Blick auf die Zahlen zeigt, dass Ihre Wirtschaftspolitik nichts mit dem Aufschwung zu tun hat. Im zweiten Quartal gibt es gegenüber dem ersten Quartal 2006 folgende Bilanz: Die Bauinvestitionen - überwiegend Wirtschaftsbauinvestitionen - wachsen um 4,6 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen mit einem Wachstum von 2,5 Prozent machen den Löwenanteil des Aufschwungs aus. Die Exporte wachsen nur noch schwach. Unter Berücksichtigung des Vorquartals sind es 0,7 Prozent. Die Importe sind um 0,5 Prozent gestiegen. Aber dann kommt das Entscheidende: Die Staatsausgaben sinken um 0,2 Prozent und der private Konsum um 0,4 Prozent.
Die beiden Schwachpunkte des Wirtschaftsaufschwungs sind also die Staatsausgaben und der private Konsum. Wer in einer solchen Situation die Mehrwertsteuer erhöht und soziale Leistungen kürzt, zeigt, dass er das Einmaleins der Wirtschaftspolitik nicht verstanden hat.
Es ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, sich die Statistiken anzusehen. Dann stellt man nämlich fest, wo wir Schwächen haben. Und wir müssen genau dort etwas tun. Es ist aber völlig unverständlich, dass diese Regierung sich alle Mühe gibt, diese Schwächen weiter zu verschärfen.
In größeren Industriestaaten ist - in kleineren kann das anders sein - in den letzten Jahren kein Aufschwung beobachtet worden, der nicht wesentlich vom privaten Konsum gestützt wurde. Sie hingegen geben sich große Mühe, den privaten Konsum abzuwürgen. Das ist der Strukturfehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bald werden Sie sich streiten können, wem der Abschwung zu verdanken ist: der Vorgängerregierung oder der jetzigen Regierung. Für die Betroffenen ist das aber irrelevant. Angesichts der hohen Zahl an Arbeitslosen und der vielen jungen Menschen, die keine Lehrstelle finden, handeln Sie schlicht und einfach falsch.
Die Behauptung, die Arbeitsmarkreform sei die Grundlage des Aufschwungs, wird durch die Statistiken widerlegt. Es gibt keinen Aufschwung, der nicht mit einer besseren Situation auf den Gütermärkten unterlegt ist. Der jetzige Aufschwung basiert auf einer besseren Situation auf den Gütermärkten. Das ?Fummeln“ am Kündigungsschutz, am Arbeitslosengeld II oder an den Tarifverträgen führt überhaupt nicht zum Aufschwung. Es ist nun einmal so - das zeigen die aktuellen Zahlen -, dass der Aufschwung von den Gütermärkten und nicht vom Arbeitsmarkt induziert wird. Deshalb muss man alles tun, damit der Aufschwung auf den Gütermärkten erhalten bleibt. Das geht nur durch die Stärkung des privaten Verbrauchs. Die Bundesregierung hat das offensichtlich nicht verstanden.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt - -
- Vielleicht sind Sie ja gerade dabei, die Ministerin zu unterstützen; dann will ich gerne innehalten. Das wäre sicherlich etwas Gutes.
Sie haben gesagt, dass in Deutschland derjenige, der arbeitet, mehr Geld zur Verfügung haben müsse, als derjenige, der nicht arbeitet. Sie handeln aber eklatant gegen diesen Grundsatz. Ihre Regierung sagt, sie wolle keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das zeigt, dass Sie nicht begriffen haben, was Sie hier vortragen.
In der Praxis liegt der Mindestlohn - zumindest in Ostdeutschland - bei 3 Euro. Sie sagen, dass derjenige, der arbeitet, so viel verdienen müsse, dass ihm mehr Geld zur Verfügung steht als demjenigen, der soziale Leistungen bezieht. Sie haben nicht verstanden, was das bedeutet. Wenn Sie das wollen, müssen Sie zumindest - ebenso wie andere europäische Staaten - einen angemessenen Mindestlohn einführen, damit sichergestellt ist, dass die fleißige Arbeit nicht schlechter entlohnt wird als der Bezug von sozialen Leistungen. Das ist eine Dimension des Mindestlohns, der Sie sich nähern sollten.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zwar sehr schöne Worte gefunden, Sie wurden aber nicht konkret. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht verstanden haben, was Sie hier eigentlich vorgetragen haben.
Sie haben gesagt: Wir müssen die Zukunft sichern. Was tun Sie aber für die Sicherung der Zukunft? Wer klatscht denn nicht Beifall, wenn jemand hier sagt: ?Wir müssen die Zukunft gewinnen“? Es gibt zwei Zahlen, die Sie widerlegen: Die öffentliche Investitionsquote Deutschlands ist - das gilt auch für diesen Haushalt, Herr Bundesfinanzminister - nur halb so hoch wie die der europäischen Nachbarstaaten. Das ist schon seit vielen Jahren so. Wie soll dieser moderne Industriestaat denn die Zukunft gewinnen, wenn Sie nur halb so viel investieren wie die Konkurrenz? Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen. Dieses Versäumnis ist ein gravierender Fehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Was nützt all das schöne Gerede über das Gewinnen der Zukunft, wenn wir bei den Bildungs- und Forschungsausgaben nach wie vor - das zeigt die OECD-Statistik - weit zurückliegen? Sie offenbaren einen Widerspruch: Sie haben hier zwar hehre Absichten verkündet, aber keinen Ansatz vorgetragen, wie dieses Land, das eine französische Dichterin früher einmal ?das Land der Dichter und Denker“ nannte, auf dem Gebiet der zukunftsentscheidenden Investitionen gewinnen kann.
Früher hatten wir einmal hervorragende Forscher und ein Bildungssystem, das beispielhaft in der Welt war. Diese Situation können wir aber nicht wieder erreichen, wenn die öffentlichen Haushalte, insbesondere die der Länder, weiterhin unterfinanziert sind und wir keinen Weg aufzeigen, wie die Höhe der Bildungsausgaben an das internationale Niveau angeglichen werden kann.
Ich möchte einige kurze Ausführungen dazu machen, wie man den privaten Konsum unterstützen kann. Die Situation der Haushalte, die durch die seit vielen Jahren stagnierende Lohnentwicklung ohnehin schlecht ist, wurde durch die Entwicklung der Energiepreise weiter verschärft. Durch die Deregulierung der Energiemärkte haben Sie wesentlich dazu beigetragen.
Mittlerweile müssen Haushalte bis zu mehrere Monatsmieten aufbringen, um die höheren Energiepreise bezahlen zu können. Deswegen wäre es eine erstrangige Leistung, zu erreichen, dass die Energiepreise in Deutschland nicht weiter so steigen können und dass auf Monopolmärkten nicht weiter so abgezockt werden kann, wie es derzeit geschieht.
Wir haben zwar gehört, Sie hätten irgendein Konzept im Kopf, mit dem Sie in diesem Bereich etwas verändern wollen. Aber wie sieht es denn aus, Frau Bundeskanzlerin? Haben Sie irgendeinen Ansatz, wie Sie die steigenden Energiepreise in den Griff bekommen wollen? Mittlerweile haben einige Länderregierungen den Vorwurf der Linken aufgegriffen, die schon mehrfach vorgetragen hat, dass es ein Fehler war, die staatliche Energiepreiskontrolle auslaufen zu lassen. Jawohl, bei monopolartigen Märkten hat das Gerede über Marktwirtschaft wenig Sinn. Dort muss es eine staatliche Energiepreiskontrolle geben. Ich begrüße es, dass drei CDU-geführte Länder das jetzt erkannt haben, entsprechende Initiativen machen wollen und unseren Ansatz insoweit aufgreifen.
Dasselbe gilt - damit bin ich wieder beim geschätzten Bundesfinanzminister - hinsichtlich der Entwicklung der Mietpreise. Sie beglücken die deutsche Öffentlichkeit immer wieder mit der Absicht, die REITs auch in Deutschland zuzulassen, also private Immobilienfonds, die hohe Renditen erwirtschaften. Verehrter Herr Bundesfinanzminister, glauben Sie mir, die hohe Renditen kommen nicht vom lieben Gott. Sie kommen woanders her,
und zwar von den Mieterinnen und Mietern. Anders ist das nicht zu machen. Irgendjemand muss für diese hohen Renditen zahlen. Das heißt, Ihre Kritiker in der eigenen Fraktion und die ehemalige Ministerin Anke Fuchs haben völlig Recht, wenn sie sagen, dass die Einführung solcher Fonds nur dazu geeignet ist, die Mietpreise ansteigen zu lassen, was insbesondere für sozial schwächere Schichten unakzeptabel ist.
Wenn man also diese Kombination sieht - auf der einen Seite stagnierende Löhne, auf der anderen Seite steigende Energiepreise und steigende Mietpreise; alles verursacht durch das Handeln dieser Regierung -, dann stellt sich tatsächlich die Frage, welche Vernunft der Arbeit dieser Regierung zugrunde liegt.
Ein Letztes. Wenn ich jetzt wieder lese, dass zum 1. September gemeldet worden ist, dass die Zahl der jungen Menschen, die noch keine Lehrstelle haben, weiter im Anstieg ist, dann komme ich zu dem Schluss, dass das ein eklatantes Versagen Ihrer Regierung ist.
Es hat doch keinen Sinn, über Zukunft zu reden, wenn wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen.
Nun mögen die Ansätze für Lösungen, die hier vorgetragen werden, natürlich da oder dort auf Einwendungen stoßen. Die Lösung, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen - sie wurde jahrzehntelang in der SPD mit großen Mehrheiten befürwortet -, funktioniert ja beispielsweise in der Bauwirtschaft und auch in den nordischen Staaten. Warum sind wir nicht in der Lage, auch in Deutschland eine solche Lösung zu finden? Ich plädiere im Namen meiner Fraktion nachhaltig für eine solche Lösung.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass ein Ministerpräsident der CDU, Herr Koch aus Hessen, sagt: Wenn die Situation so eng ist, wie sie derzeit ist, dann braucht es ein öffentliches Programm zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Auch dieser Ansatz wird von unserer Fraktion nachhaltig unterstützt.
Ich fasse zusammen. Die zwei Fragen, die ich aufgeworfen hatte, lauteten: Trägt die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung dazu bei, die Sicherheit in unserem Lande zu erhöhen? Trägt die Wirtschaftspolitik dazu bei, das Wachstum zu fördern und die Arbeitslosigkeit abzubauen? Ich komme zu dem Ergebnis, dass beide Fragen verneint werden müssen.
- Ich an Ihrer Stelle wäre hier sehr vorsichtig.
Die Außenpolitik erhöht in nicht verantwortbarer Weise die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland.
Und die Wirtschafts- und Finanzpolitik verschärft die Ungleichheiten und ist nicht dazu geeignet, einen dauerhaften Aufschwung zu initiieren, den wir brauchen, um die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.
Dr. Peter Struck (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie haben eine Rede gehalten, die ich für beschämend halte für das Hohe Haus.
Was die Außenpolitik angeht, will ich Ihnen klar sagen: Wer solche außenpolitischen Positionen vertritt wie die, die Sie gerade vorgetragen haben, darf niemals Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland erlangen. Niemals!
Das Entscheidende, Herr Lafontaine, ist doch nicht die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland nutzt. Das Entscheidende ist die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Welt nutzt. Das tut sie zweifellos. Gehen Sie doch einmal nach Afghanistan! Sie halten hier Reden über Afghanistan, waren aber noch nie dort. Fragen Sie einmal die Mädchen in Afghanistan, die endlich zur Schule gehen und studieren dürfen, wem sie das zu verdanken haben! Das haben sie uns, der internationalen Staatengemeinschaft, zu verdanken, aber nicht solchen Sprüchemachern wie Ihnen.
Herr Lafontaine, wir kennen uns schon lange. Wir waren sogar einmal über unsere politische Zusammenarbeit hinaus befreundet; das ist bekannt. Aber ich halte es für unglaublich, was für eine politische Entwicklung Sie genommen haben. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.
Meine Damen und Herren, die Attentate von London, Madrid und Ankara und natürlich auch der 11. September 2001 sind zu Synonymen für die Verletzbarkeit der westlichen Demokratien durch Angriffe von Terroristen geworden. Kein Land der Welt ist, was diesen verblendeten Terror verstockter Ideologen betrifft, eine Insel der Seligen. Das wird man auch nicht, indem man sich aus der Weltverantwortung völlig heraushält. Das zu denken, ist ein grundsätzlicher Irrtum. Glauben Sie denn, es bestünde in Deutschland keine Gefahr durch Terrorismus, wenn es auf der Welt keine Bundeswehr gäbe? Glauben Sie das ernsthaft? Das kann doch nicht wahr sein! Das ist absoluter Unsinn, Herr Lafontaine, und völlig bescheuert.
Schon damals, im Jahre 2001, haben Bund und Länder mit der Optimierung der Sicherheitsmaßnahmen begonnen. Diese Maßnahmen sind von den Innenministern immer wieder angepasst worden, zuletzt in dieser Woche, und zwar durch Einführung der Antiterrordatei, als Reaktion auf die Kofferbombenattentate und andere potenzielle Gefährdungen.
Selbst wenn man alles tut, um ein möglichst hohes Maß an Sicherheit herzustellen, muss eines gesagt werden - darüber sollten wir uns alle im Klaren sein -: Eine hundertprozentige Sicherheit wird es in einer freiheitlichen Demokratie nie geben. Keine Antiterrordatei der Welt, keine Videokamera und keine Sammlung von Fingerabdrücken können hundertprozentigen Schutz gewährleisten. Das dürfen wir den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht vorgaukeln.
Hundertprozentige Sicherheit vor zum Selbstmord entschlossenen Attentätern wäre nicht einmal zu gewährleisten, wenn man die Prinzipien einer liberalen Demokratie zugunsten derer eines Überwachungsstaates aufgeben würde. Wir dürfen die freiheitlichen Prinzipien unserer westlichen europäischen Demokratien im Kampf gegen diesen Terrorismus nicht opfern. Genau das ist nämlich das Kalkül der Terroristen.
Wir müssen uns gegen das Klima von Angst und Hass wehren, das sie schüren wollen.
Die Weltgemeinschaft hat den Kampf gegen den Terror im Herbst des Jahres 2001 aufgenommen. Für uns, das Parlament, war es ein weit reichender und schwieriger Schritt, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Ich erinnere mich - auch damals war ich Vorsitzender der SPD-Fraktion -, wie schwer wir uns in dieser Debatte getan haben, alle anderen Fraktionen selbstverständlich auch.
- Ja, alle.
Fünf Jahre später hat sich diese Entscheidung als richtig erwiesen. Sie war notwendig, um die Kräfte zu stärken, die nicht länger mit ansehen wollten, dass Afghanistan weiterhin Brutstätte des internationalen Terrorismus bleibt. Diese Entscheidung war auch notwendig, um den Aufbau zivilgesellschaftlicher und demokratischer Strukturen in diesem Land zu sichern.
Der Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan ist gefährlich. Die Taliban sind auch nach fünf Jahren noch längst nicht zerschlagen und al-Quaida ist nach wie vor im Nachbarland Pakistan präsent. Eine Beendigung der Mission ist nicht abzusehen. Deswegen wird der Bundestag dieses Mandat in den nächsten Wochen um ein weiteres Jahr verlängern; dafür plädiere ich. Allerdings bin ich dafür, meine Damen und Herren, das Mandat unverändert zu verlängern. Eine Ausweitung des deutschen Einsatzgebietes auf den Süden des Landes lehne ich ab.
Die Bundeswehr, die im Rahmen von ISAF das größte Kontingent stellt, hat die Verantwortung für den gesamten Norden übernommen. Für den Westen, den Süden und den Osten sind jeweils andere NATO-Partner verantwortlich. Das war die Vereinbarung. Dabei sollte es auch bleiben.
Ich halte es übrigens für unerträglich, dass die PDS behauptet - auch Herr Lafontaine hat das eben wieder getan -, durch unseren Einsatz in Afghanistan würden wir den Terror nach Deutschland holen.
Die Damen und Herren Populisten sollten sich einmal anschauen, welch verantwortungsvolle Arbeit unsere Soldatinnen und Soldaten dort leisten.
Sie sollten auch wissen: Das Recht auf Freiheit in unserer Demokratie verteidigt man nicht dadurch, dass man ungezügelte Angriffe auf die Grundfesten der Demokratie zulässt.
Ich habe übrigens genauso wenig Verständnis für die Haltung der FDP in der außenpolitischen Frage. Ich denke dabei an die Zeiten, in denen die FDP außenpolitisch große Verantwortung wahrgenommen hat, und halte es für einen schlechten Weg, den die FDP mit dem Nein zu den Auslandseinsätzen gegangen ist. Über den Libanon werden wir noch reden. Ich glaube, dass sie sich nicht auf dem richtigen Weg befindet.
Die Ablehnung der FDP beim Auslandseinsatz im Kongo, bei der Verlängerung des Mandats in Afghanistan und möglicherweise jetzt bei dem Mandat im Libanon ist falsch.
Eine Ablehnung würde uns im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in der internationalen Gemeinschaft isolieren. Sagten wir Nein, wäre Deutschland isoliert und spielte keine verantwortungsvolle Rolle in Europa. Die Wahrnehmung einer verantwortungsvollen Rolle wird von Deutschland allerdings erwartet.
Wir sind außenpolitisch ein starkes Land in Europa.
Wir werden in den nächsten Tagen und möglicherweise auch Wochen - niemand weiß es genau; die Frau Bundeskanzlerin hat soeben dargelegt, worüber im Libanon entschieden werden muss - um Hilfe gebeten werden. Die Vereinten Nationen bitten uns um Hilfe. Es war immer die Position der SPD, dass unter Obhut der Vereinten Nationen solche Mandate wahrgenommen werden. Darüber hinaus bitten uns der Libanon und Israel um Hilfe. Es wird in der Tat - das ist wahr - ein robustes Mandat, vermutlich wird es das robusteste werden, das es für unsere Soldatinnen und Soldaten gibt.
Es soll ein Frieden stiftendes Mandat sein, das nach den Kämpfen der vergangenen Wochen eine belastbare Waffenruhe garantieren soll. Wir bieten Hilfe für diese Mission an, weil wir wissen, dass es von einem labilen Waffenstillstand bis zu einer wirklichen Befriedung ein sehr weiter Weg ist, der ohne die Unterstützung der Weltgemeinschaft nicht gelingen wird.
Meine Partei und Fraktion haben ausführlich über unsere Hilfe debattiert. Dabei ist die humanitäre Hilfe in der Region vorrangig. Libanon wird wieder zu einem Partnerland unserer Entwicklungshilfe werden. Es kommt auf den Wiederaufbau von Wohnungen und die Eindämmung der Ölpest vor der libanesischen Küste an. Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein militärischer Beitrag nur dann dauerhaft helfen kann, wenn ernsthaft nach politischen Lösungen in Nahost gesucht wird. Entscheidend wird die Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes sein. Ohne sie wird es keine Beruhigung im Nahen Osten geben.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich in den letzten Wochen unermüdlich für Gespräche mit allen Seiten eingesetzt. Wir danken ihm ausdrücklich für seine Arbeit und unterstützen ihn nachhaltig.
Der Außenminister trägt mit seiner intensiven Diplomatie maßgeblich dazu bei, dass Deutschland als wichtiger und vertrauensvoller Partner von allen Konfliktparteien im Nahen Osten wahrgenommen wird.
Einige Kollegen aus meiner Fraktion haben in den letzten Wochen Israel und Palästina, Libyen und Syrien besucht. Sie sind mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass der Einsatz der Deutschen von allen Partnern gewollt wird. Sie sind aber auch mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass die Nachbarn Israels Erwartungen haben, die für das Gelingen des Friedensprozesses unabdingbar sind.
Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul hat eine UN-Untersuchung des Einsatzes israelischer Streumunition gefordert und ist dafür vom Zentralrat der Juden kritisiert worden. Im Namen meiner Fraktion weise ich diese Kritik zurück.
Eine Untersuchung kann für alle Seiten in der Krisenregion von Nutzen sein. Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hat die große Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern hervorgehoben und gesagt, es gebe zurzeit keine Nation, die sich freundschaftlicher gegenüber Israel verhalte. Das ist so und soll auch so bleiben, aber: Freunde müssen auch wahrheitsgemäß miteinander umgehen.
Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist beunruhigend. Sie bereitet den Menschen hier Sorgen, weil wir von ihren Auswirkungen unmittelbar betroffen sind.
Die Krisenregion ist drei Flugstunden von uns entfernt. Der Irak kommt nicht zur Ruhe. Von Frieden ist dieses Land weit entfernt, es ist zu einer Zufluchtsstätte für Terroristen des al-Qaida-Netzwerks geworden. Fast täglich gibt es dort Tod und neue Attentate. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, diesen Krieg nicht zu befürworten, war und bleibt richtig, zu jeder Zeit.
Wir sind in der Iranfrage - Sie haben das angesprochen, Frau Kanzlerin - strickt für Diplomatie und Gespräch und schließen eine militärische Option aus; da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.
Ich halte nichts davon, wenn immer öfter Begriffe wie ?gut“ und ?böse“ Eingang in die internationale Debatte finden. Eine solche Sicht ist fatal. Wenn ich im Gegenüber nur das Böse erkennen will, kann ich nicht ernsthaft Lösungen prüfen, kann ich keinen Ausgleich suchen. Lassen Sie es mich mit einem historischen Vergleich deutlich machen: Willy Brandt hat seine Entspannungspolitik nur entwickeln können, weil er die Kategorien von Gut und Böse der 50er- und 60er-Jahre beiseite gelegt und den zähen Dialog mit den Kommunisten gesucht hat. Es war ein mühsamer, umstrittener, aber erfolgreicher Weg.
- Mit Walter Scheel, selbstverständlich. - Seine Entspannungspolitik war gut für unser Land, für unsere Nachbarn und für Europa insgesamt. Nicht zuletzt Willy Brandts Verzicht/Walter Scheels Verzicht auf die damals zwischen den Blöcken weit festgeschriebenen Kategorien von Gut und Böse verdanken wir, dass heute Feinde von gestern Partner und Freunde geworden sind.
Für den Nahen und Mittleren Osten heißt das nicht, dass wir die Augen und Ohren vor unakzeptablen Handlungen und Äußerungen verschließen. Wenn beispielsweise das Existenzrecht Israels geleugnet wird, wenn der Antisemitismus darüber den deutschen Sumpf erreicht, sagen wir klipp und klar: Nein!
Unsere israelischen Freunde können sich auf uns verlassen; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, im Namen meiner Fraktion und auch der Koalition.
Lassen Sie mich nur einige kurze Bemerkungen zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitspolitik machen, weil Redner meiner Fraktion auf diese Themen ausführlicher eingehen werden.
Zum Arbeitsmarkt. Der Knoten ist geplatzt, eindeutig. Deutschland ist im Aufschwung, die wirtschaftliche Dynamik gewinnt weiter an Fahrt. Nachdem die Wirtschaft gut in das laufende Jahr gestartet war, hat sich die Erholung im zweiten Quartal eindeutig fortgesetzt. Der Konjunkturfunke ist endlich vom Export auf die Binnenkonjunktur übergesprungen, vor allem in der Bauwirtschaft; das haben Sie, Herr Lafontaine, zu Recht vorgetragen, korrekt diesmal - ausnahmsweise. Verstärkte Investitionen tragen zum Aufschwung bei.
Die Zahl der Arbeitslosen ist im August um 14 000 auf 4,3 Millionen gesunken. Seit Februar 2006 ist die Zahl der Arbeitslosen von 5,0 auf 4,37 Millionen gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Zahl der Arbeitslosen um mehr als 400 000 gesunken. Die Zahl der Erwerbstätigen ist gestiegen: Im Vergleich zum Vorjahreswert ergab sich im Juli eine Steigerung von 306 000 Erwerbstätigen. Das ist ermutigend, meine Damen und Herren, auch deshalb, weil sich die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt aus dem Zusammenspiel von konjunktureller Entwicklung und dem Greifen arbeitsmarktpolitischer Instrumente der Bundesregierung ergibt.
Ganz sicher ist, dass das in Genshagen beschlossene 25-Milliarden-Euro-Wachstumsprogramm seine Wirkung jetzt entfaltet, langsam, aber sicher. Vor allem das darin enthaltene CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist schon jetzt ein Erfolg auf ganzer Linie. Es wird bis 2009 ein Investitionsvolumen von 28 Milliarden Euro entwickeln. Bereits im letzten Monat, also im August, waren die Mittel für dieses Jahr - für das ganze Jahr - bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau ausgeschöpft. Seit Frühjahr hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Bereich der energetischen Gebäudesanierung ein Darlehensvolumen von 7 Milliarden Euro bewilligt. Das Programm hat einen erheblichen Anteil an dem spürbaren Aufschwung der Bauwirtschaft. Um diesen Erfolg nicht abzubremsen, werden wir für dieses Jahr 350 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Das belegt, dass das Gebäudesanierungsprogramm ein großer Renner ist, ein großer Erfolg.
Dass sich der Arbeitsmarkt entspannt, liegt aber auch daran, dass die Vermittlung und die Betreuung des einzelnen Arbeitslosen maßgeblich intensiviert worden sind. In ihrer Breite greifen jetzt die Arbeitsmarktreformen, die von der Regierung unter Gerhard Schröder eingeleitet worden sind. Insofern profitiert die große Koalition von diesen mutigen Reformschritten ihrer Vorgängerregierung, an der wir auch beteiligt waren, wie man weiß.
- Dass der Beifall des Koalitionspartners dafür etwas verhalten ist, kann ich verstehen. Trotzdem ist es wahr.
Ich bin mir sicher, dass wir diesen Weg mit Arbeitsminister Franz Müntefering erfolgreich weitergehen werden. Im Herbst wird er mit seinen Vorschlägen Ordnung in den Niedriglohnsektor bringen und damit auch dem Arbeitsmarkt weitere Impulse geben. Wir sollten diesen Bereich in Ruhe und gemeinsam angehen.
Es ist jetzt wichtiger, die Chancen wahrzunehmen, als jetzt schon die Risiken zu beschreiben und das Vorhaben nicht weiter zu verfolgen.
Ebenso wie die Kanzlerin möchte ich für meine Fraktion ein Wort zu den Überschüssen der Bundesagentur sagen. Wir haben in der Koalition vereinbart, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2007 um zwei Punkte auf 4,5 Prozentpunkte zu senken. Ich unterstütze Franz Müntefering bei seiner Forderung, es dabei zu belassen, und warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt eine weitere Absenkungsdebatte zu führen.
Jeder weiß doch, dass sich der erwartete Überschuss der Bundesagentur zu einem Drittel aus einem Einmaleffekt ergibt, dass dieser Effekt in den nächsten Jahren nicht wieder auftreten wird und dass wir für die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags allein von der Agentur rund 7 Milliarden Euro erwarten. Das heißt, wir können nicht über weiteres Geld verfügen, weil es nicht vorhanden ist.
Lassen Sie uns die Entwicklung in Ruhe abwarten. Legen wir das Thema auf Wiedervorlage für das nächste Frühjahr, bis wir einen Überblick darüber haben, wie sich die Finanzen der Bundesagentur gestalten. Auch hier sollten wir es halten, wie es in der Koalition eigentlich immer gelten sollte: Solidität vor Schnelligkeit.
Zu zwei Punkten möchte ich noch etwas sagen, nämlich zur Gesundheitsreform und zur Unternehmensteuerreform. Es war ein schwieriges Unterfangen, die Eckpunkte für die Gesundheitsreform zu vereinbaren. Die Expertinnen und Experten und auch die so genannten Spitzenkreise haben lange darüber beraten. Es ist jetzt eine Vereinbarung über die Eckpunkte der Gesundheitsreform beschlossen worden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird diese Eckpunkte einhalten. Ich erwarte das von der anderen Koalitionsfraktion natürlich auch. Es macht jetzt also keinen Sinn, die vereinbarten Eckpunkte an einzelnen Stellen jeweils von der einen oder anderen Seite infrage zu stellen.
Es ist auch klar, dass diese Eckpunkte auf heftigen Widerstand fast aller stoßen. Das war uns aber bereits vorher klar, als wir die Debatte begonnen haben. Wer unser Gesundheitssystem in Deutschland erhalten will - es ist das beste Gesundheitssystem der Welt, weil durch dieses System dafür gesorgt wird, dass jeder, ob Arm oder Reich, ob Alt oder Jung, die gesundheitliche Versorgung erhält, die er benötigt -, der muss das System reformieren. Es kann nicht sein, dass die Krankenversicherungsbeiträge immer weiter steigen und dass für viele Dinge immer mehr Geld ausgegeben wird, von dem wir aus strukturellen Gründen eine ganze Menge sparen könnten.
Weil wir hier im Bundestag zum ersten Mal über die Eckpunkte reden, will ich für meine Fraktion sagen: Ich hätte mir bei manchen Punkten natürlich mehr Entgegenkommen vom Koalitionspartner gewünscht, zum Beispiel bei der Einbeziehung der privaten Krankenversicherung, den Strukturänderungen und vielen anderen Dingen. Ich weiß, dass es vergebliche Liebesmüh ist, das anzusprechen, ich denke aber nicht, dass wir in Deutschland 250 oder 260 Krankenkassen brauchen. Das muss nicht sein.
Es war aber nicht zu erreichen, dass an diesen Punkten etwas geändert wird. Ich stehe zu den Eckpunkten. Es geht jetzt um die Formulierung des Gesetzentwurfes. Ich gehe davon aus, dass wir damit Ende September/Anfang Oktober beginnen werden. Wir alle gemeinsam müssen damit rechnen - das ist so; den Experten muss ich das nicht erklären -, dass es nach wie vor Widerstand dagegen geben wird.
Aber Politik kann nicht darin bestehen, dass man einer großen Zeitung mit großen Buchstaben folgt oder die Interessen irgendeiner Lobbyistengruppe bedient, sondern dass man das macht, was man für richtig hält. Das werden wir bei der Gesundheitsreform tun.
Die Kollegin Elke Ferner, die für uns verhandelt, wird dazu noch nähere Ausführungen machen.
Ein letztes Wort zur Unternehmensteuerreform. Es ist wahr, dass unsere nominalen Sätze zu hoch sind. Die Kanzlerin und auch der Finanzminister haben Recht, wenn sie sagen, dass sie im europäischen Vergleich eindeutig einen Wettbewerbsnachteil darstellen. Diesen Wettbewerbsnachteil werden wir zu beseitigen versuchen. Aber für mich ist auch klar, dass wir als Staat mittelfristig nicht auf Milliarden von Steuereinnahmen verzichten können. Wir haben angesichts der Aufgaben, die anstehen, nichts zu verschenken.
Das heißt, eine Lösung muss mittelfristig aufkommensneutral sein. Mittelfristig aufkommensneutral heißt nach meiner Auffassung auch - ich richte mich ?to whom it may concern“, nicht an meine Fraktion, aber vielleicht an eine andere -, dass wir die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Zusammenhang mit der Unternehmensteuer durchsetzen müssen.
Darüber haben wir geredet. Das werden schwierige Verhandlungen werden. Aber wozu ist dann Politik da? Wenn alles so einfach wäre, dann könnten es auch andere machen. Aber wir machen es besser. Wir machen unsere Arbeit weiter. Deutschland kann sich auf die SPD verlassen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun deren Vorsitzender Fritz Kuhn.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit der Außenpolitik beginnen und für meine Fraktion klar sagen, dass wir in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr weder in einer Position des pauschalen Jas noch in einer Position des pauschalen Neins sind und jemals sein werden. Es kommt auf die genaue Prüfung der einzelnen Umstände an. Deswegen habe ich, Herr Westerwelle, Ihren Weg und auch den von Herrn Lafontaine in den letzten Wochen nie nachvollziehen können.
Herr Lafontaine, eines ist erstaunlich: Die deutsche Sicherheit wird doch nicht mehr wie in den 60er- und 70er-Jahren an der deutschen Grenze verteidigt. Ob im Nahen Osten eines Tages Frieden sein kann oder ob dort Krieg herrscht oder ob in einem ?Failing State“ wie Kongo die Menschenrechte verletzt werden und der Terror gedeiht, ist eine Frage auch unserer Sicherheit. Ich finde, hier vertreten Sie einen sehr rückwärts gewandten, der heute globalisierten Realität nicht gerecht werdenden Begriff von Sicherheit.
Wir werden deswegen, Frau Merkel, genau hinschauen, was Sie aus der Anfrage der Libanesen in New York und der Bitte um Hilfe in Ihrem Kabinettsbeschluss machen. Die Aufteilung in eine Zone, in der auf See nur die Libanesen kontrollieren, und eine andere Zone, in der auch die Deutschen tätig werden sollen, macht es nicht einfacher, zuzustimmen. Da kommt es wirklich aufs Detail an; das will ich klar sagen. Aber alle, die Nein sagen, müssen wissen, dass wir allmählich in eine Situation geraten, bei der der deutsche Einsatz direkt mit der Frage verbunden ist, ob und wie schnell die Israelis die Seeblockade aufheben werden, was für den Wiederaufbau und die humanitäre Hilfe, die im Libanon so dringend notwendig sind, außerordentlich relevant ist. Diese Abwägung müssen wir alle zusammen vornehmen und wir werden uns nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben richtigerweise gesagt: Diskutiert nicht nur über Militäreinsätze, sondern fragt nach dem politischen Rahmen, den ein Militäreinsatz notwendiger- und sinnvollerweise haben muss. - Darin wollen wir Sie ausdrücklich unterstützen. Aber wir wollen in Zukunft konkretere Angaben, als dies in der Vergangenheit und auch heute in Ihrer Rede der Fall gewesen ist.
Ich glaube, dass Sie noch immer Schwierigkeiten haben, die ganze Situation im Nahen Osten von der Vergangenheit her zu analysieren; denn Sie waren davon überzeugt, dass die Haltung der rot-grünen Regierung unter Schröder und Fischer, den Irakkrieg abzulehnen, völlig falsch war. An diesen Punkt müssen Sie zurückgehen, wenn Sie die heutige Situation beschreiben: Es gibt nicht mehr Sicherheit in der Region, sondern die Situation ist, wie von uns vorausgesagt, extrem instabil. Es herrscht Bürgerkrieg. Es ist sehr schwierig, in dieser Region zu einer friedlichen Lösung zu kommen.
Jetzt kommt der für mich wichtige Punkt: Ich verlange von der deutschen Bundesregierung - und zwar nicht nur vom Außenminister, sondern auch von der Bundeskanzlerin - ein klares Konzept für die friedliche Entwicklung im Nahen Osten und vor allem für den möglichen deutschen und europäischen Beitrag dazu.
Ich habe nichts dagegen, wenn Sie gute Beziehungen zum amerikanischen Präsidenten haben. Aber Sie müssen - darauf kommt es an - diese jetzt auch in die richtige Richtung umsetzen. Das heißt beim Iran, dass man nur dann mit Sanktionen drohen kann, wenn man auch bereit ist, die Sanktionen zu verhängen, und wenn man die gestellten Ultimaten richtig begründet und es zeitlich richtig befristet hat. Das heißt, dass Sie das Wahrnehmungsmuster, das bei Bush und noch stärker bei seinem Verteidigungsminister vorherrscht - nämlich dass jedes Problem auf der Welt irgendwie mit der Jagd gegen al-Qaida-Terroristen in Verbindung steht -, brechen müssen. Sie werden der Realität in Palästina bzw. zwischen Palästinensern und Israelis nicht gerecht, wenn Sie sie nur in Bezug auf den internationalen Terrorismus sehen.
Sie werden auch dem Hisbollah-Konflikt im Libanon nicht gerecht, wenn Sie ihn nur im Zusammenhang mit dem Kampf gegen al-Qaida sehen. Eine politische Lösung heißt, dass Sie die Konflikte zwischen Syrien und Israel wie auch zwischen Syrien und dem Libanon Schritt für Schritt konstruktiv angehen müssen. Sie müssen darauf achten, dass es wirklich zur Zweistaatlichkeit kommt. Dabei kommt es sehr auf die Amerikaner an. Unsere Empfehlung ist, dass Sie diese Beziehungen nicht nur in Ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern für Sommeraktivitäten nutzen, sondern wirklich darauf drängen, dass mehr getan und verstärkt Druck zugunsten von politischen Lösungen ausgeübt wird.
Dass die Rolle der EU gestärkt wird, ist die entscheidende Aufgabe, die Ihnen beim Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr zukommt. Dabei erwarten wir Konzeptionen statt wie bisher nur allgemeine Absichtserklärungen.
Ich möchte noch etwas zur aktuellen Situation anmerken. Das Auftreten und Agieren des Verteidigungsministers hat uns sehr gestört. In einer Situation - das war schon im Zusammenhang mit dem Kongo der Fall -, in der Ruhe, Klarheit, Besonnenheit und Reflexion statt Geschwätzigkeit gefragt waren, ist der Verteidigungsminister wie die größte Plaudertasche der Republik aufgetreten. Das hat immer wieder zu neuen Verunsicherungen geführt und auch unseren Soldaten geschadet, die sich eine klare Orientierung wünschen.
Der frühe Jung erinnert mich an den späten Scharping. Sie sollten aufpassen, dass es in der kritischen Situation, die wir heute haben, nicht so weitergeht wie in den vergangenen Wochen.
Ich möchte jetzt zur innenpolitischen Situation kommen, Frau Merkel. Übrigens ist Ihre Redestruktur nicht nachhaltig.
Ich will das einmal darstellen. In der Regierungserklärung war das große, strukturprägende Motto ?Mehr Freiheit wagen“. Heute ist davon nicht mehr die Rede.
Es ist noch nicht lange her, als Sie öffentlich vom ?Sanierungsfall Deutschland“ gesprochen haben. Jetzt werfen Sie der Opposition vor, wir würden alles schlechtreden. Das ist ein starkes Stück. Nach dem, was Sie von der Union in den letzten sieben Jahren über Deutschland gesagt haben, sollten Sie besser nicht von Schlechtreden sprechen.
Ich will Ihnen erläutern, wie wir die Situation sehen. Die Konjunktur hat sich stark gebessert, aber - Lafontaine hat damit Recht - noch nicht wirklich in Bezug auf den Binnenmarkt. Wir haben große Sorge, dass mit der Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Januar diese Verbesserungen wieder geschliffen und gefährdet werden.
In der gegenwärtigen Situation, die positiv ist und in der sichtbar wird, dass die Agenda 2010 inzwischen an der einen oder anderen Stelle greift, gibt es eine Anforderung an die Regierung, nämlich klug und vernünftig weiter zu reformieren und den Menschen im Land zu erklären, was sie als Nächstes machen will. Unser Vorwurf an Sie ist, dass Sie genau das nicht tun.
Lassen Sie mich dafür Beispiele anführen. Das sind zunächst einmal die Eckpunkte - das Wort Eckpunkte wird sicherlich auch noch mit einer neuen Bedeutung in den deutschen Sprachschatz eingehen -: Nach wochenlangen gemeinsamen Diskussionen beschließen Sie nach einer Nachtsitzung Eckpunkte, die Sie müde und lächelnd vor den Kameras verkünden. Die Eckpunkte sind aber solcher Art, dass sich schon ein Tag später niemand mehr in Ihrer großen Koalition daran hält oder sie für irgendwie relevant hält.
Das war bei der Gesundheitsreform der Fall und ist auch bei der Unternehmensteuerreform nicht anders.
Frau Merkel, das, was Sie und die große Koalition machen, ist nicht kluges Reformieren, sondern organisierte Verunsicherung. Ich will es mit einem Bild sagen. Sie lassen nicht wie Klinsmann erfrischenden Angriffsfußball spielen, sondern spielen Querpässe und Rückpässe oder hauen den Ball ins Aus. Gelegentlich gibt es auch ein Eigentor wie beim Gesundheitsfonds, an den niemand mehr in der Regierung glaubt. Ich kenne niemanden, der sagt: Der Gesundheitsfonds ist toll. Ich habe noch keinen Kollegen getroffen, der dies zu Protokoll gegeben hat. Alle sagen vielmehr draußen in der Kantine: Das ist der größte Mist, den es jemals gegeben hat. Aber das müssen wir vielleicht machen, weil sonst alles noch viel schwieriger wird. - So können Sie den Aufschwung nicht voranbringen.
Ich möchte konstruktive Vorschläge machen, was zu tun ist; denn Herumjammern ist nicht Sache der Grünen. Als Erstes sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie bei der Stabilisierung der Konjunktur den richtigen Weg gehen oder vielleicht etwas anders machen müssen. Aufgrund der politischen Zwänge können Sie die angekündigte 3-prozentige Anhebung der Mehrwertsteuer nicht mehr zurücknehmen. Übrigens sollten Sie Sturheit nicht mit Entschlossenheit verwechseln, Herr Steinbrück. Die Steuereinnahmen des Staates haben sich schließlich massiv verbessert. Aber warum, Frau Merkel, strecken Sie die geplante 3-prozentige Anhebung nicht auf drei Jahre?
Das Konjunkturrisiko würde dadurch deutlich gesenkt. Warum verwenden Sie die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung nicht konsequent zur Senkung der Lohnnebenkosten? Sie wollen stattdessen die Senkung der Lohnnebenkosten mit dem Aufkommen aus nur einem Mehrwertsteuerpunkt finanzieren. Das Aufkommen aus zwei Mehrwertsteuerpunkten wollen Sie zum Stopfen von Haushaltslöchern verwenden. Diese Frage ist nicht sauber beantwortet.
Wenn Sie mit Vertretern von Firmen und insbesondere mit Vertretern von kleinen Handwerksbetrieben sprechen, dann sehen Sie doch, was los ist. Die Auftragsbücher sind jetzt voll. Aber alle Auftraggeber bestehen darauf, dass die Renovierungen noch 2006 abgewickelt werden und dass auch die Rechnungen im gleichen Jahr gestellt werden. Für 2007 haben die Firmen bislang keinen einzigen Auftrag. Ein Wirtschaftsminister, der seinen Namen verdient, muss darauf reagieren und etwas für die konjunkturelle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland tun. Aber Wegtauchen, wie es bei Herrn Glos die Regel ist, hilft uns nicht mehr weiter.
Frau Merkel, eine Senkung der Lohnnebenkosten werden Sie nicht erreichen. Hier gehe ich jede Wette ein, egal was Sie einzusetzen bereit sind; denn der Rentenversicherungsbeitrag wird voraussichtlich um 0,4 Prozentpunkte steigen. Der Beitragssatz in der Krankenversicherung wird sich wahrscheinlich um mehr als 1 Prozentpunkt erhöhen. Auch in der Pflegeversicherung besteht das Risiko von Beitragssatzanhebungen. Sie können sich das Ziel abschminken, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken. Dafür ist Ihre Politik zu inkonsequent. Ich fordere noch einmal, das Aufkommen aus der 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung konsequent zur Senkung der Lohnnebenkosten einzusetzen, vielleicht nach dem von uns vorgeschlagenen Progressivmodell, das eine stärkere Senkung der Lohnnebenkosten bei den unteren Einkommensgrößen vorsieht. Das brächte viel mehr Arbeit aus der Schwarzarbeit in den legalen Erwerbsarbeitssektor. Das ist die Hauptaufgabenstellung, vor der Sie stehen.
Was der Finanzminister Steinbrück vorgelegt hat, ist - darüber haben Sie in Ihrer Rede elegant hinweggesehen - kein Konsolidierungshaushalt. Wer 20 Milliarden Steuereinnahmen zusätzlich hat, die Nettokreditaufnahme aber nur um 16 Milliarden Euro senkt, der kann uns nicht weismachen, dass er gerade konsolidiert. Das tun Sie in der Tat nicht.
Schauen Sie sich einmal die Finanzplanung an! Daraus geht hervor, dass Sie in den Folgejahren die jährliche Nettokreditaufnahme um 500 Millionen Euro senken wollen. Weil heute ?Nachhaltigkeit“ Ihr Lieblingswort ist: Mit der von Ihnen betriebenen nachhaltigen Politik werden wir im Jahre 2051 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Großartig! Das soll nach Auffassung der großen Koalition nachhaltige Politik sein. Ausgerechnet 2051, wenn wir schon lange die größten demografischen Probleme haben werden, wollen Sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
Wir müssen stattdessen mehr einsparen. Wir unterstützen ausdrücklich den Vorschlag, dass zusätzliche Steuereinnahmen zur Einsparung verwendet werden. Wir müssen das Thema Subventionsabbau wieder in der Breite angehen. Wir müssen zudem eine antizyklische Haushaltspolitik systematisch betreiben. Das heißt, dass wir in Zeiten, in denen die Konjunktur gut läuft, mehr sparen als in Zeiten, in denen sie schlecht läuft; denn in den schlechten Zeiten müssen wir mehr investieren. Sagen Sie klipp und klar - bislang ging es hin und her -, dass die Unternehmensteuerreform aufkommensneutral sein muss.
Wenn Sie es bei der Frage der Finanzneutralität, also der Gleichbehandlung von Fremdfinanzierung und Eigenkapitalfinanzierung, ablehnen, die Zinsen einzubeziehen, über die die großen Gewinne ins Ausland transferiert werden, dann müssen Sie sagen, was Sie stattdessen machen wollen. Gegenwärtig sind wir in folgendem Spiel: Einer schlägt etwas vor, die anderen lehnen es ab. Dann passiert gar nichts und das Problem ist nicht gelöst. Ich sage noch einmal: Es werden Milliardengewinne im Ausland erzielt, die hier nicht versteuert werden. Dieses Verfahren muss geändert werden. Das ist organisierter Betrug am deutschen Steuerzahler, der mit dem Bündnis 90/Die Grünen nicht zu machen ist. Darauf haben Sie, Frau Merkel, heute keine Antwort gegeben. Ich finde aber, Sie sollten das tun.
Ich will einen dritten Vorschlag machen, und zwar zum Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit wird bei denen abgebaut, die nur kurz arbeitslos sind. Das ist gut, aber den Langzeitarbeitslosen ist noch nicht wirklich geholfen. Da nützt auch das ganze Gerede von den Leistungsbereiten nicht. Die Menschen wollen arbeiten, aber sie können es aufgrund der langen Arbeitslosigkeit bislang nicht tun. Wir sagen, dass wir für diese Menschen gezielte neue Programme und gezielter eingesetzte Fördermittel als in der Vergangenheit brauchen. Herr Müntefering will Arbeitslose ab 50 Jahren besser fördern. Ich sage, das muss für alle gelten. Das 50-Plus-Programm hat einen Grundfehler: Es wird so getan, als sei die Wirtschaft nicht mehr dafür verantwortlich, Menschen ab 50 einzustellen, und als müsse daher der Staat einspringen. Das ist eine völlig falsche Grundkonstruktion. Wir vom Deutschen Bundestag müssen verlangen, dass Beschäftigte aller Altersgruppen das Anrecht haben, auf dem normalen Erwerbsarbeitsmarkt eingestellt zu werden.
Ich sage Ihnen, Frau Merkel: Das Fördern kommt zu kurz. Der Fördertitel bei der Bundesagentur für Arbeit ist die Sparkasse und er wird nicht extensiv dazu verwendet, Menschen, die lange arbeitslos waren, eine neue Chance zu geben. Deswegen will ich mehr fördern. Nur dann ist das Fordern legitim. Das Paket der Hartz-Gesetze umfasste ja die Kombination von beidem. Übrigens ist der Vorschlag von Herrn Koch, jetzt, da 50 000 Jugendliche noch keine Lehrstelle haben, aus den Überschüssen in Sonderprogrammen für diese etwas zu tun, nicht so schlecht. Wir halten den für richtig. Sie haben ihn weggebissen, weil er parteischematisch nicht in das passt, was Ihnen gerade konveniert, aber es ist doch richtig, den Jugendlichen jetzt eine Chance zu geben. Sie haben in Ihrer Rede keine Antwort auf die 50 000 Jugendlichen ohne Lehrstelle geliefert. Es gibt aber eine Antwort auf die Frage, was zu tun ist. Sie können den Streit einstellen. Es würde 600 Millionen Euro kosten. Sie brauchen nicht vier Monate lang zu diskutieren. Wir hätten vielmehr damit die Möglichkeit geschaffen, dass jeder Jugendliche eine Chance auf eine Lehrstelle oder eine weitere Qualifikation hat. Das wäre eine gute, konkrete Antwort einer Bundeskanzlerin gewesen und nicht nur eine allgemeine.
Ich will etwas zur Gesundheitspolitik sagen. Frau Merkel, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen - da hilft auch das Getuschel mit der Justizministerin nichts -, dass Sie hier reinen Murks auf den Tisch gelegt haben. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, einen Gesundheitsfonds mit kleiner Kopfpauschale einzurichten, wenn er nicht das technokratische Problem hätte, er solle eine Bürgerversicherung und eine Kopfpauschale irgendwie zu einem schwankenden arithmetischen Kompromiss führen.
- Sie haben es begriffen. Lassen Sie es doch patentieren, wenn Sie es begriffen haben!
Es ist doch Unsinn, was Sie dazwischen rufen.
Sie bauen ein bürokratisches Monster auf, Sie lösen kein Problem, die Beiträge steigen, Sie schaffen nicht mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem, Sie tun nichts für Prävention und dann sagen Sie, wir hätten es nicht begriffen. Zeigen Sie mir den, der in Ihrer Koalition für den Gesundheitsfonds ist! Zeigen Sie mir die Schnittmenge, die besteht!
Ich kann nur sagen: Unser heutiges Gesundheitssystem ist schlecht, weil es den Wettbewerb nicht fördert und weil es nicht effektiv ist. Es hat ein Qualitätsproblem. Die letzten Milliarden, die wir hineinstecken, führen nicht zu einer Steigerung der gesundheitlichen Wohlfahrt.
Was Sie machen, ist nichts anderes als eine Verschlimmbesserung. Sie machen es noch schlechter. Deswegen sage ich Ihnen klipp und klar: Lassen Sie den Gesundheitsfonds! Das ist Murks. Verfolgen Sie das Projekt nicht weiter! Kümmern Sie sich um die Wettbewerbsseite und um die Prävention! Machen Sie das Gesundheitssystem qualitativ besser! Sie müssen eigentlich abwickeln. Alle merken, dass die große Koalition dieses Thema nicht verlupft. Sie machen Murks. Ich finde, dass nicht nur wir in diesem Hause, sondern in erster Linie die Bevölkerung dieses nicht verdient haben. Also stellen Sie das ein!
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Frau Merkel, eigentlich fehlt Ihrer Politik ein vernünftiges Ziel. Eine große Frage - Sie waren einmal Umweltministerin - interessiert Sie gar nicht. Die ganze Welt diskutiert über die Klimaschäden, über die globale Erwärmung und über die Notwendigkeit, viel mehr zu tun, als in Kioto festgelegt wurde, Stichwort ?Erreichung der Kioto-plus-Ziele“. In Ihren Grundsatzreden, auch auf Ihrem Strategiekongress spielte dieses Thema überhaupt keine Rolle.
Ich sage Ihnen: Die deutsche Politik, die Technologiepolitik, die Wirtschaftspolitik, die Ordnungspolitik, sollte sich diesem zentralen Thema widmen; sie sollte es zu einer Art Leitplanke machen. Ich fordere Sie eindringlich dazu auf.
Zu all dem gehört auch, dass wir mehr für den Wettbewerb tun. Dieser Regierung ist der ordnungspolitische Kompass in der Marktwirtschaft vollständig verloren gegangen. Es tut mir wirklich Leid, dass ich Ihnen das sagen muss; das kann ich Ihnen nicht ersparen. Ihre Vorschläge, im Bereich des Stromnetzes mehr Wettbewerb herbeizuführen, wurden bislang nicht gehört. Bei der Telekommunikation - Stichwort ?Hochgeschwindigkeitsnetz“ - haben Sie versagt, weil Sie im Bundesrat wieder eine dreijährige Sonderregelung für die Telekom in Anspruch genommen haben. Was Sie vorhatten, hat nicht funktioniert.
- Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln.
Jetzt komme ich zu einem aktuellen Thema, nämlich zum Thema Bahn. Wir stehen vor einer entscheidenden Frage, nämlich dem Börsengang. Frau Merkel, Sie haben sich bisher nicht - auch in dieser Diskussion nicht - dazu geäußert, was Sie wirklich wollen. Ich sage Ihnen: Mehr Verkehr auf der Schiene ist nur möglich, wenn es insgesamt mehr Wettbewerb im Bahnsektor gibt.
Deswegen ist ein integriertes Modell vollkommen falsch und vollkommen verkehrt.
Übrigens, die sich abzeichnende Lösung ?kleines Eigentumsmodell“ - der Bund überträgt der Bahn 30 Jahre lang vertraglich volle Nutzungsrechte bei der Bewirtschaftung des Netzes - ist natürlich nichts anderes. Da soll sich die SPD nichts vormachen. Wenn man die Bahn für 30 Jahre beauftragt, dieses Netz zu betreiben, dann wird sich beim Wettbewerb nichts ändern. Ich fordere Sie auf, hier zu einem echten Trennungsmodell zu kommen. Kollege Struck, ich verstehe übrigens überhaupt nicht, warum Sie sich von der Bahngewerkschaft und deren politischer Streikdrohung so beeindrucken lassen, dass Sie von dem, was Ihre Verkehrspolitiker formuliert haben, abrücken.
Frau Merkel, im Klartext: Eine gute marktwirtschaftliche Ordnungspolitik sorgt auf allen Ebenen, also auch bei den Apotheken, für mehr Wettbewerb und sie versteckt sich nicht hinter den Lobbys, die für die Aufrechterhaltung des Bestehenden kämpfen.
Was den Immobilienstreit bei der Bahn angeht, will ich hier eine klare Ansage an den Verkehrsminister machen.
Sie haben in der Haushaltsausschusssondersitzung nicht richtig aufgeklärt. Immobilien, die eigentlich zum Bereich Bahnnetz gehören, sind falsch zugeordnet worden. Eine falsche Zuordnung hätte auch für den Bund gravierende Auswirkungen. Wenn Sie dies nicht bis nächste Woche aufklären, dann werden wir in der übernächsten Woche einen Untersuchungsausschuss beantragen; denn das Parlament darf sich durch Ihr organisiertes Vernebeln bei solchen Punkten nicht länger an der Nase herumführen lassen. Ich sage klipp und klar: Wenn sich das nicht ändert, dann wird es einen Untersuchungsausschuss geben. Es liegt an Ihnen, ob sich zeigt, dass er nötig ist oder nicht.
Frau Merkel, das, was Sie zum Verbraucherschutz gesagt haben, war nicht komplex genug. Wir finden die Politik, die die Bayern da gemacht haben, schlicht zum Kotzen; das darf man bei diesem Thema wohl so sagen.
Jetzt kommt plötzlich der Herr Seehofer und sagt: Das Verbraucherinformationsgesetz muss jetzt her; das ist wunderbar und löst alle Probleme. Die Union und die FDP haben einen entsprechenden grünen Gesetzentwurf - er ging übrigens weiter als der, den Seehofer mittlerweile vorgelegt hat - im Bundesrat vier Jahre lang blockiert und kaputtgemacht.
Hätten sie dies nicht getan, wären wir jetzt schon weiter und das, was in Bayern insgesamt geschehen ist, wäre nicht möglich gewesen.
Ich kann zu Seehofer nur sagen: Herr Seehofer, man hat Ihnen angemerkt, dass Sie der Verbraucherschutz gar nicht interessiert. Ich finde, dass wir keinen Verbraucherschutzminister brauchen, der Gesundheitsminister sein will; vielmehr muss er das, was seiner Aufgabenstellung entspricht, wirklich mit Herz und Verstand tun.
Für die Kinderpolitik, Frau Merkel, gilt: Die Betreuung muss verbessert werden. Das Elterngeld ist das eine; aber die Situation der Betreuung von Kindern unter drei hat sich dadurch nicht verbessert. Ich sage Ihnen: Schauen Sie sich unser Konzept der Kinderkarte und des Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz für Kinder unter drei an! Nur wenn es eine bessere Betreuung für diese Kinder gibt, werden wir es schaffen, auf diesem Gebiet nicht mehr Entwicklungsland zu sein, sondern voranzuschreiten.
Unser letzter Vorschlag betrifft die Einwanderungspolitik.
Wer sich die internationale Forschung darüber anschaut, wo auf der Welt wirtschaftlich erfolgreiche Standorte sind, wird feststellen: Überall da auf der Welt, wo Immigration von qualifizierten Menschen, aber auch von solchen Menschen, die in Not sind, gewollt ist, wo also bewusst gewünscht wird, dass fremde Menschen kommen und etwas Neues aufbauen, sind erfolgreiche Standorte. Ihr Einwanderungsgesetz müssen Sie in wichtigen Punkten dringend ändern, nämlich dort, wo Sie blockiert haben. Ich nenne die Punkteregelung und die Frage, wie viel Geld diejenigen mitbringen müssen, die hier einen Betrieb eröffnen wollen. Da haben Sie ein Modernisierungsdefizit. Wenn Sie das Gesetz nicht anpassen, dann werden Sie Deutschland eben nicht im Sinne unseres Mottos ?Klug reformieren“ nach vorn bringen, sondern der Entwicklung insgesamt schaden.
Damit komme ich zum Schluss. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie waren erschreckend unkonkret. Sie haben hier sehr viel allgemeines Zeug erklärt,
aber nicht dargestellt, wie Sie Deutschland klug reformieren wollen. Das verlangen wir von Ihnen; denn wir müssen weiterkommen. Der zarte Aufschwung, den wir heute haben, reicht da nicht.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder.
Volker Kauder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Am 21. Juni, als wir den Haushalt 2006 beraten haben, habe ich hier gesagt: Wir legen mit dem Haushalt 2006 ein Konzept vor, wie wir unser Land voranbringen wollen. Bei den Beratungen zum Haushaltsplan 2007 gehen wir diesen Weg konsequent weiter.
In den Beratungen zum Haushaltsplan 2006 im Juni dieses Jahres und auch jetzt hat die Opposition herumgemeckert und herumgemäkelt, es sei alles nicht in Ordnung und man könne bei dem, was in diesem Lande geschehe, gar nicht erkennen, wohin es gehe.
Ich habe noch sehr gut in den Ohren, was Sie, Herr Brüderle, hier vorgetragen haben. Was Sie heute, etwa zehn Wochen später, gesagt haben, hat sich von dem, was Sie im Juni dargelegt haben, eigentlich überhaupt nicht unterschieden.
Aber jetzt liegen die Fakten auf dem Tisch. Die hätten Sie sich einmal anschauen sollen, bevor Sie an dieses Pult im Deutschen Bundestag getreten sind.
Es gibt 426 000 Arbeitslose weniger als noch vor einem Jahr. Zum ersten Mal seit vielen Jahren korrigieren die Sachverständigen die Wachstumsprognose, die sie im Januar und Februar gegeben haben, im Herbst nicht nach unten, sondern nach oben. Wann hat es das schon einmal gegeben?
Wir legen einen Haushalt 2007 vor, der die Stabilitätskriterien von Maastricht nicht nur einhält, sondern unterschreitet. Das hat uns niemand von Ihnen zu Beginn des Jahres zugetraut. Es ist aber die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren erleben wir in diesem Sommer, dass darüber gestritten wird, was wir mit Überschüssen und zusätzlichen Steuereinnahmen machen sollen.
Alles das, was wir jetzt an positiver Entwicklung erleben, hat etwas mit dieser großen Koalition zu tun, hat etwas mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel zu tun und hat etwas damit zu tun, dass die Union in diesem Land wieder regiert.
Lieber Kollege Struck, ich habe am Schluss Ihrer Rede aus Überzeugung geklatscht, als Sie nämlich gesagt haben, Deutschland könne zuversichtlich sein, denn auf die SPD-Fraktion sei Verlass. Dem stimme ich zu. Solange Sie mit uns in einem Regierungsboot sitzen, stimmt diese Aussage.
Aber als Sie mit den Grünen regiert haben, sahen die Dinge bei weitem anders aus.
Herr Kuhn, zu Ihnen muss ich Folgendes sagen:
Wenn Sie während Ihrer Regierungsbeteiligung solche Wirtschaftsdaten erreicht hätten, wie wir sie in diesem Sommer haben, dann hätten Sie sich mehrere Tage lang besoffen oder, wie ich Sie kenne, sich besoffen geredet, Herr Kuhn.
Wir bleiben aber ganz nüchtern, weil wir genau wissen, dass wir den Weg, den wir uns vorgenommen haben, noch eine ganze Zeit lang gehen müssen.
Man muss der Frau Bundeskanzlerin und der ganzen Bundesregierung dafür danken, dass wir einen Teil der Ziele, die wir uns in der Koalitionsvereinbarung gesetzt haben, erreicht haben. Neun Monate sind noch nicht einmal ein Viertel der Zeit, die wir uns dafür gesetzt haben. Ich bin überzeugt, dass der Weg richtig ist. Wenn wir so weitermachen, gestaltet sich die Zukunft für Deutschland besser als in den vergangenen Jahren.
Wir stellen in diesen Tagen aber schmerzlich fest, dass die Zukunft unseres Landes nicht mehr ausschließlich davon abhängt, was wir hier in Deutschland tun, sondern ganz stark auch von den Krisenherden in der Welt beeinflusst wird. Wenige Tage vor dem traurigen Jahrestag des 11. September müssen wir uns wieder daran erinnern, was Ausgangspunkt für das Engagement der Bundeswehr in verschiedenen Teilen der Welt war. Wir müssen uns daran erinnern, dass es in Afghanistan kräftige Entwicklungen gegeben hat, die den internationalen Terrorismus gespeist haben.
Natürlich, Herr Kuhn, übersehen wir nicht, dass es in der Welt auch andere Entwicklungen gibt. Darüber können wir gerne noch miteinander reden. Aber alles hat nun einmal seine Zeit. Im Augenblick werden wir in erster Linie vom internationalen Terrorismus bedroht. Darauf müssen wir eine Antwort geben und wir haben eine Antwort gegeben. Was über viele Jahre hinweg nicht gelungen ist, ist jetzt Wolfgang Schäuble gelungen und dafür sind wir ihm dankbar. Er hat hinsichtlich der Bekämpfung des Terrorismus eine gemeinsame Linie von Bundesregierung und allen 16 Bundesländern erreicht. Das ist eine großartige Leistung. Herzlichen Dank, Herr Innenminister!
Das ist natürlich auch ein Ergebnis der Föderalismusreform. Vorhin wurde darüber etwas gelächelt. Aber im Rahmen der Föderalismusreform haben wir - das hat vielleicht mancher überhaupt nicht so richtig wahrgenommen; da muss er einmal nachlesen; ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung und die Tatsachenfindung, Herr Kuhn - nicht nur Kompetenzen an die Länder gegeben, sondern auch für den Bund eine neue Kompetenz der Terrorismusbekämpfung geschaffen. Deswegen ist diese Föderalismusreform in beiderlei Hinsicht - Stärkung der Länder und Stärkung des Bundes dort, wo es notwendig ist - eine richtige Entscheidung gewesen.
Diese Föderalismusreform ist übrigens einer der ganz großen Erfolge in der kurzen bisherigen Regierungszeit der großen Koalition.
Aber wenn wir uns ernsthaft an der Terrorismusbekämpfung beteiligen wollen, dann ist auch völlig klar, dass wir in diesem Herbst, wenn es um die Verlängerung des Mandates in Afghanistan geht, ganz genau prüfen müssen: Was haben wir in diesem Land erreicht? Was haben wir in Bezug auf die Sicherheitslage erreicht? Da hat Peter Struck doch völlig Recht: Natürlich sind wir nicht mit allen Entwicklungen in Afghanistan zufrieden. Aber was in diesem Land erreicht wurde, ist großartig, vor allem für die Menschen, die dort leben. Da kann ich nur sagen, Herr Lafontaine: Wer mit einem moralischen Anspruch antritt, aber glaubt, die Menschenrechte in der Welt seien teilbar, der hat keinen moralischen Anspruch.
Deutschland hat ein Interesse daran, dass aus Afghanistan nicht wieder terroristische Entwicklungen kommen. Deswegen werden wir, wenn die Verlängerung des Mandates ansteht, ganz genau prüfen, was wir tun.
Aber von einem bin ich schon jetzt überzeugt, ohne meine Fraktion hier vorab binden zu wollen: Wir werden die Menschen in Afghanistan nicht sich selbst und Afghanistan nicht den Taliban überlassen dürfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Jetzt kommt der Einsatz im Nahen Osten, im Libanon, auf uns zu und es wird die Frage gestellt: Wo will sich Deutschland noch überall beteiligen? Darauf muss ich die Antwort geben: Wir suchen uns das ja nicht aus. Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die Realität ist manchmal grausamer, als sich das der eine oder andere vorstellen kann. Wir haben erlebt, was im Nahen Osten passiert ist. Jetzt kommt es darauf an, dass wir dort den Beitrag leisten, den wir leisten können.
Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für die Umsicht und Sensibilität, mit der Sie dieses Thema angegangen sind.
Ich beziehe in diesen Dank den Bundesaußenminister mit ein. Aber auch unser Verteidigungsminister macht in einer schwierigen Situation eine ausgezeichnete Arbeit.
- Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, seien Sie ganz ruhig; ich komme gleich auf Sie zu sprechen.
Ich zitiere noch einmal einen meiner Lieblingslehrsätze: Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die Realität ist doch, dass wir, was die Situation im Nahen Osten betrifft, vor außerordentlich schwierigen Entscheidungsvorgängen stehen. Diese Entscheidungsvorgänge spiegeln das Problem wider, das wir schon immer im Nahen Osten hatten: An einem Tag bekommt man die eine Antwort und am nächsten Tag eine andere Antwort. Die Regierung im Libanon hat es in der jetzigen Struktur auch nicht leicht. Deswegen muss der Bundesverteidigungsminister, muss die Bundesregierung ganz präsent sein. Sie muss wissen: Heute kann es so kommen, morgen anders.
Bis jetzt sind wir noch gar nicht mit einer Entscheidung konfrontiert worden. Ich bin gestern Abend gefragt worden - die Medien fragen ja so viel und wollen immer eine Antwort, und zwar möglichst über Dinge, die noch gar nicht anstehen -: Was glauben Sie denn, welchen Antrag die Bundesregierung vorlegen wird, und wird die Bundesregierung ein robustes Mandat verlangen? Da kann ich nur sagen: So wie ich diese Bundesregierung im Umgang mit diesem Thema erlebt habe, bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass sie uns einen Antrag vorlegen wird, der genau das ermöglicht, was in der konkreten Situation gefordert wird. Über diesen Antrag werden wir dann beraten.
Heute, Frau Bundeskanzlerin, kann ich Ihnen eines schon sagen: Wir werden die Details natürlich ganz genau prüfen, aber das Angebot, das Sie und die Bundesregierung gemacht haben, kann unsere grundsätzliche Zustimmung finden. Wir wollen unseren Beitrag zur Lösung der Probleme im Nahen Osten leisten.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, jeder ist natürlich für sein Verhalten selbst verantwortlich.
Ich habe eine Fraktion der Grünen in der rot-grünen Koalition erlebt, die, was außenpolitische Verantwortung anbelangt, in einem Maße gelernt hat, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte, Herr Kuhn - von der Demonstration auf der Straße gegen ?Kriegseinsätze“ bis hin zur ersten Entsendung der Bundeswehr in ein Krisengebiet. Bei der FDP erlebe ich im Augenblick etwas anderes. Sie macht zwar den Eindruck, verantwortungsbewusst zu handeln; ich habe aber die Sorge, dass das Gegenteil passiert. Das kann für die FDP und für die Klientel, die Sie vertreten, nicht gut sein, Herr Westerwelle.
Aber eines sage ich auch - in aller Ruhe, aber auch in allem Ernst -: Man kann nicht ständig - was richtig ist - das Existenzrecht Israels im Munde führen, dann aber, wenn es ernst wird, zur Seite treten. Das kann nicht funktionieren.
Wir werden einen solchen Einsatz sehr gewissenhaft prüfen. Wir wissen natürlich sehr genau - auch Peter Struck hat dies formuliert -, dass wir die Soldatinnen und Soldaten mit jedem Auftrag, den wir der Bundeswehr übertragen, in eine Situation bringen, in der ihr Leben gefährdet sein kann. Deswegen prüfen wir ganz genau, was wir tun. Es wird aber kein Weg daran vorbeiführen, dass wir als großes Land in der Mitte Europas unseren Beitrag zur Sicherheit leisten müssen.
Wolfgang Schäuble hat einmal formuliert, innere und äußere Sicherheit seien nicht mehr voneinander zu trennen. Da die Bundesregierung den Auftrag hat - das ist die vornehmste Pflicht eines Staates -, für die Sicherheit der Menschen in diesem Land zu sorgen, und da die Erkenntnis wächst, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen sind, müssen wir schon im nationalen Interesse der Menschen in unserem Land, die innere Sicherheit zu erhalten, etwas für die äußere Sicherheit tun. Deswegen sind unsere Beiträge, so wie wir sie leisten, im deutschen Interesse.
Wir werden mit dem Haushalt 2007 den Weg, dieses Land voranzubringen, konsequent weitergehen. Wir haben gesehen, dass wir mit einem Teil der Maßnahmen, die wir umgesetzt haben, Erfolg haben. Peter Struck hat das CO2-Gebäudesanierungssprogramm angesprochen. In den neun Monaten, in denen dieses Programm nun aufgrund unseres gemeinsamen Beschlusses umgesetzt wird, ist mit einem Mitteleinsatz der KfW von rund 250 - bis 300 -Millionen Euro ein Auftragsvolumen von etwa 8 -Milliarden Euro in diesem Land auf den Weg gebracht worden. Ein Auftragsvolumen von 1 -Milliarde Euro sichert bzw. schafft 100 -000 -Arbeitsplätze, vor allem im gebeutelten Handwerk. Dort sind diese 8 -Milliarden angekommen. Herr Lafontaine, einen größeren Quatsch als Ihre Behauptung, der Staat investiere nicht - eigentlich sollte man sich mit den Unwahrheiten, die Sie hier verbreitet haben, gar nicht auseinander setzen -, habe ich noch nicht gehört.
Wir werden die positive konjunkturelle Entwicklung in unserem Land durch entsprechende Maßnahmen konsequent weiter unterstützen, zum Beispiel durch die Unternehmensteuerreform. Wir wollen, dass die Unternehmen mit Steuersätzen antreten können, die zwar nicht mit denjenigen in Rumänien und Bulgarien, aber mit denjenigen in der Schweiz und Österreich wettbewerbsfähig sind, damit sie hier Arbeitsplätze schaffen.
Wir wollen vor allem den Mittelstand unterstützen. Deswegen muss eine Erbschaftsteuerreform durchgeführt werden, die den Mittelstand stärkt und durch die die jeweilige Erbschaft bei Fortführung eines Unternehmens von der Erbschaftsteuer befreit wird. Dies sichert Arbeitsplätze und ist deswegen im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der mittelständischen Unternehmen.
Wir wollen eine Unternehmensteuerreform, die einen neuen Anreiz schafft, in diesem Land zu investieren. Dabei ist für uns völlig klar: Wir wollen nicht - darüber müssen wir noch reden -, dass in die ertragsabhängige Körperschaftsteuer substanzbesteuernde Elemente aufgenommen werden.
Denn dies ist ein völlig falscher Weg.
Dass wir natürlich dafür sorgen müssen - Peter Struck, Sie haben das angesprochen -, dass wir den Kommunen ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stellen, ist völlig klar. Das werden wir tun.
Ich habe mit großem Interesse vernommen, was der neue Parteivorsitzende Kurt Beck zur Situation der Politik in Deutschland gesagt hat: Leistung solle sich wieder lohnen und es solle für Hartz-IV-Empfänger eine Leistungsverpflichtung geben. Solche Sätze haben wir in unserem Programm schon vor langer Zeit formuliert. Die Äußerung von Kurt Beck macht mich im Übrigen zuversichtlich, dass wir in dieser großen Koalition noch mehr erreichen und tun können als bisher.
Es ist richtig, denjenigen, die Leistung erbringen, etwas zu geben. Wenn feststeht, dass bei der Bundesagentur für Arbeit Spielraum besteht, da ein Teil der Beiträge nicht für die Bezahlung von Leistungen benötigt wird,
dann sollte dieser Teil der Beiträge meiner Meinung nach - vergleichbar der Situation, dass die Beiträge, wenn die Anforderungen nicht reichen, erhöht werden - den Beitragszahlern zurückgegeben werden.
Das sollten wir uns aber erst einmal anschauen. Im Grunde genommen sind wir uns darin einig. Auch Kurt Beck hat formuliert, dass wir das tun können. Es kommt jetzt auf die Entwicklung bei der Bundesagentur an. Sie muss nachhaltig sein; das ist völlig richtig.
Zur Gesundheitsreform kann ich nur sagen: Wir sind jetzt dabei, die Eckpunkte umzusetzen. Das werden wir gewissenhaft machen. Wenn ich daran denke, dass Sie in der rot-grünen Koalition noch nicht einmal Eckpunkte hatten, sondern dass Sie aus einem Palaver heraus Gesetze gemacht haben, Herr Kuhn, dann kann ich nur sagen: Furchtbar, furchtbar. Deswegen lassen Sie uns in aller Ruhe unsere Eckpunkte umsetzen. Wir werden den Gesetzentwurf einbringen und dann werden Sie sehen, dass das, was Sie jetzt sagen, Unsinn ist. Es wird mehr Wettbewerb geben. Das, was wir mit Fonds und Prämie machen, dient doch dem Wettbewerb. Es soll der Wettbewerb angekurbelt werden. Sie haben uns mit Ihren Konzepten, die Sie in Ihrer Regierungszeit umgesetzt haben, diese Situation hinterlassen. Da war von Wettbewerb überhaupt keine Rede. Sie hätten ja in den sieben Jahren etwas in puncto Wettbewerb machen können.
Ich sehe diese große Koalition auf einem guten Weg. Die große Koalition hat bereits jetzt mehr erreicht, als ihr viele zugetraut haben. Sie ist im Übrigen viel besser, als mancher in der Öffentlichkeit und in den Medien über sie redet.
Wir sehen sehr wohl, welche Aufgaben noch vor uns liegen; wir sehen sehr wohl, dass da noch das eine oder andere gemacht werden muss. Wir haben aber noch nicht einmal die erste Halbzeit dieser Legislaturperiode hinter uns. Was wir in den ersten neun Monaten vorgelegt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und von Union,
rechtfertigt noch einmal, dass wir im Herbst vergangenen Jahres diese Regierungskoalition eingegangen sind. Sie bringt Deutschland voran.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie mir einen Augenblick lang Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten? Es redet jetzt Ihr Wunschpartner.
Frau Bundeskanzlerin, ich stelle mir vor, wir hätten die Bundestagswahl zu dem ursprünglich geplanten Zeitpunkt durchgeführt, also in drei Wochen. Wir hätten hier eine Debatte. Sie würden zu diesem Zeitpunkt an diesem Platz sprechen, unmittelbar vorher hätte der Bundeskanzler gesprochen; heute hat ja zu diesem Zeitpunkt Herr Kauder gesprochen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hätte der Opposition vorgeworfen - er hat das oft genug getan -: Sie reden das Land schlecht. Das haben ja auch Sie am Schluss Ihrer Rede an die Adresse der Opposition formuliert. Deswegen meine ich: Es ist ja ein richtiges Déjà-vu, wie sich die Dinge wiederholen. Ich habe noch das Fernsehduell im Kopf. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr standen Sie gegeneinander im Fernsehduell. Schröder: Sie reden das Land schlecht; das ist falsch und gefährlich. Merkel: Das ist der blanke Hohn.
Offensichtlich hat sich die Betrachtungsweise geändert. Sie sind keine absolutistische Herrscherin. Wenn wir Sie kritisieren, reden wir das Land nicht schlecht. Wir lieben unser Land, aber wir finden Ihre Regierung schlecht. Das haben wir mit der Mehrheit der Deutschen gemeinsam.
Es ist erstaunlich, mit welchen Reflexen Sie hier kommen. Sie reden mittlerweile wie Herr Schröder. Das Problem ist nur: Sie handeln auch so. Und das ist viel gefährlicher.
Ich habe gerade davon gesprochen, wie das vor einem Jahr gewesen ist. Wir waren fast auf den Tag vor einem Jahr - ein paar hundert Meter von hier - zu dritt und haben darüber gesprochen, dass Deutschland einen Politikwechsel braucht. Wir wollten einen Politikwechsel. So sind wir damals angetreten; wir haben für einen Politikwechsel geworben. Einen Regierungswechsel hat es gegeben. Auf den Politikwechsel wartet dieses Land immer noch, und zwar vergeblich.
Das Problem ist, dass Sie weitermachen wie unter Rot-Grün.
- Ehre, wem Ehre gebührt. Das Antidiskriminierungsgesetz ist doch von euch gemacht worden. Jetzt wird es eins zu eins umgesetzt. Seid doch stolz auf das, was ihr geleistet habt. Freut euch darüber, dass euer Geist immer noch über dieser Regierung schwebt.
Sie wechseln jetzt wiederholt die Überschrift Ihrer Agenda. Das hätte Schröder - er wechselte die Überschriften jedes Jahr - nicht besser gekonnt. Vor einem Jahr sprachen Sie nach der Bundestagswahl in Ihrer ersten Regierungserklärung von ?mehr Freiheit wagen“. Etwas später hieß es dann: ?Deutschland ist ein Sanierungsfall.“ Heute liefern Sie die dritte Überschrift: ?Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“
Reden wir doch einmal über die Fakten, die im Haushalt, den Sie heute in dieser Haushaltsdebatte eigentlich hätten verantworten müssen, enthalten sind. Frau Bundeskanzlerin, die Steinkohlesubventionen - das zu Ihrer Überschrift ?Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“ - steigen nach dem Haushaltsansatz Ihrer Regierung vom Jahr 2006 auf das Jahr 2007 um 400 Millionen Euro. Sie verlängern die Vergangenheit mit Subventionen und sprechen trotzdem davon, dass wir die Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Die Zukunft wird dann verbraucht, wenn bei der Bildung gespart und wenn das Geld in den Schächten versenkt wird.
Reden wir nun über die mittelfristige Finanzplanung - darüber sollten wir eigentlich debattieren; viele von Ihnen und nicht nur die Vertreter der Oppositionsparteien, die natürlich nichts anderes im Kopf haben, als das Land schlecht zu reden,
sehen es genauso -: In der mittelfristigen Finanzplanung von 2007 bis 2010 - es handelt sich nur um eine Planung; die Sondereinnahmen sind darin noch nicht enthalten - wird von Steuermehreinnahmen in Höhe von 16,6 Milliarden Euro ausgegangen. Im selben Zeitraum sieht die mittelfristige Finanzplanung einen Abbau der Neuverschuldung um 1,6 Milliarden Euro vor. Das Verhältnis ist also wie folgt: Sie nehmen in den nächsten Jahren zehnmal mehr an Steuern ein, als Sie für die Rückführung der Neuverschuldung einsetzen möchten. Da kann von einem echten Schuldenabbau überhaupt nicht die Rede sein. Wer Schulden macht, verbraucht die Zukunft. Sie verbrauchen die Zukunft in unserem Land.
Das sind die Fakten, an denen Sie nicht vorbeikommen können. Wenn Sie es uns nicht glauben, hören Sie doch auf die Vertreter der entsprechenden Institutionen in Deutschland. Es ist doch keine oppositionelle Kritik, wenn Vertreter sämtlicher Wirtschaftsinstitute, auch die Sachverständigen der Bundesregierung und der Präsident der Deutschen Bundesbank davor warnen, dass die jetzige Chance auf einen Aufschwung - jeder freut sich darüber, dass sie da ist - durch die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik zerstört wird. Sie wollen durch die Mehrwertsteuererhöhung etwa 19,5 Milliarden Euro mehr einnehmen. In diesem Jahr betragen allein die außerplanmäßigen Mehreinnahmen aufgrund der guten Konjunktur mehr als 20 Milliarden Euro.
Die Mehrwertsteuererhöhung ist nicht nur ökonomisch falsch, sondern sie ist auch unsozial. Sie ist außerdem für die Staatsfinanzen gar nicht nötig.
Wenn Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie einmal in Ihren eigenen Wahlkampfreden nach, meine Damen und Herren von der SPD.
Aber das wollen Sie ja nicht; denn Sie wollen nicht mit dem konfrontiert werden, was Sie im Wahlkampf zur Bundestagswahl gesagt haben. Sie tun so, als ob sie im vorletzten Jahrhundert stattgefunden hätte. Herr Müntefering, der Vizekanzler dieser Regierung, vertritt allen Ernstes die Auffassung: ?Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair.“ Kann sich noch irgendjemand in Deutschland über Politikverdrossenheit wundern, wenn der Vizekanzler dieser Republik der Meinung ist, dass das, was in Wahlkämpfen gesagt wird, durchaus gelogen sein kann und dass man die Bürgerinnen und Bürger betrügen kann? Es ist egal, was wir da gesagt haben! Wenn ihr uns jetzt daran messt, dann ist das unfair! - Unfair ist nicht, wenn die Bürger Sie an dem messen, was Sie im Wahlkampf gesagt haben; unfair ist, wenn Sie das Gegenteil von dem tun, was Sie im Wahlkampf gesagt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen doch nichts anderes als das, was viele, zum Beispiel der Bundesbankpräsident - das wird heute von den Agenturen gemeldet -, sagen: Die Chance auf einen Aufschwung, die wir jetzt in der Tat haben, sollten wir nicht durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, weiterer Steuern und Abgaben zum 1. Januar des nächsten Jahres zerstören. Wir müssten doch alle ein Interesse daran haben, dass sich aus der Chance auf den Aufschwung - mehr ist es noch nicht - im nächsten Jahr ein wirklich nachhaltiger Aufschwung entwickelt, der zu einer wirklichen Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt führt, damit sich die Situation der Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen oder um ihren Arbeitsplatz fürchten, verbessert.
Das, was wir vorschlagen - das wissen Sie -, machen uns andere Länder vor. Muss ich Ihnen denn vorlesen, was Herr Clement in der letzten Woche gesagt hat? Herr Clement saß bis vor einem Jahr als Wirtschaftsminister auf der Regierungsbank. Sie haben ihm übrigens jedes Mal zugejubelt, wenn er hier gesprochen hat. Herr Clement sagt, dass Sie sich in die Zeit vor der Agenda 2010 zurückentwickeln. Der alte Wirtschaftsminister sagt Ihnen: Sie predigen zwar ?Mehr Freiheit wagen!“; das Problem Ihrer Regierung ist aber, dass Sie das genaue Gegenteil tun.
Der alte Wirtschaftsminister Clement schreibt das auch den Sozialdemokraten ins Stammbuch.
Deswegen sage ich: Das ist kein Teufelszeug! Andere Nachbarländer - auf die wird ausdrücklich hingewiesen - machen es uns vor, wie durch niedrigere Steuern, durch ein einfacheres und gerechteres Steuersystem Arbeitsplätze geschaffen werden können. Die Rahmenbedingungen für Investitionen müssen verbessert und die Kaufkraft gesteigert werden. Das ist der zwingende Zusammenhang. Das ist das Problem, das wir in Deutschland gemeinsam angehen sollten.
Hier im Hause haben wir einen bemerkenswerten Streit erlebt. Ich meine damit nicht die kleinen Petitessen am Rande. Es ist ein Aufschwung da, so heißt es zumindest. Ich bin der Meinung, das ist bisher nur die Chance auf einen Aufschwung. Ich hoffe, dass sich daraus ein Aufschwung entwickelt. Sofort geht es los: Herr Kauder sagt: Das ist der ?Merkel-Aufschwung“. Herr Struck sagt: Das ist der ?Schröder-Aufschwung“.
Sie haben noch gar nicht verstanden, dass der Aufschwung in Wirklichkeit von den Menschen gemacht wird. Ihre Regierung hat am allerwenigsten damit zu tun.
Wenn es ein Aufschwung ist, dann ist es mit Sicherheit kein ?Merkel-Aufschwung“ und auch kein ?Schröder-Aufschwung“. Wenn, dann wurde die Situation durch die Fußballweltmeisterschaft aufgehellt. Das ist die Wahrheit. Bei der echten Kaufkraft, bei der Binnenkonjunktur, bei dem, was unser Land nach vorne bringen könnte, passiert leider immer noch gar nichts. Es wird noch schlimmer, wenn Sie die Binnenkonjunktur jetzt noch weiter schwächen und bei den Leuten abkassieren.
- Herr Kollege Kampeter, bitte! Noch so ein Zuruf, und das Wort ?Flaschengeist“ bekommt eine ganz neue Bedeutung.
Wir wollen noch einmal auf den Punkt aufmerksam machen, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist. Wir haben keine Verbesserung der Binnenkonjunktur. Die Binnenkonjunktur wird im Gegenteil zur Jahreswende noch weiter beschädigt. Das muss man auf den Punkt bringen und übersetzen: Eine vierköpfige Familie mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Höhe von 40 000 Euro wird im nächsten Jahr allein durch die Steuererhöhungen dieser Regierung im Schnitt um etwa 2 000 Euro mehr belastet. Dieses Geld können die Leute nicht mehr ausgeben, weder für den privaten Konsum noch für die Altersvorsorge. Darauf antwortete der Finanzminister in diesem Sommer: Wenn die Leute mehr fürs Alter vorsorgen müssen, können sie halt nicht mehr in Urlaub fahren. - Es ist übrigens besonders unappetitlich, wenn Politiker, die keinen einzigen Euro in ihre eigene Altersversorgung einzahlen müssen, so etwas sagen. So viel zum Thema ?Eigenverantwortung“. Das sei an dieser Stelle einmal gesagt. Das muss in den Ohren der Bevölkerung wie Hohn klingen.
Als Finanzminister sollten Sie, wenn Sie sich diese Gedanken schon machen, eine ganz andere Konsequenz ziehen. Die Konsequenz müsste lauten: Wenn man den Bürgern mehr Eigenverantwortung für das eigene Alter abverlangen muss, dann muss der Staat auch für steuerliche Entlastungen sorgen,
indem er sich bei den Ausgaben zurücknimmt, sonst haben die allermeisten Familien nämlich gar keine Chance, eigenverantwortlich fürs Alter vorzusorgen.
Das ist der zwingende Zusammenhang.
Sie haben heute keinen Ton zu den Fragen, die eigentlich von Ihnen hätten angesprochen werden müssen, gesagt. Hinsichtlich der Unternehmensteuerreform bleibt alles sehr nebulös. Was wird denn jetzt aus der Unternehmensteuerreform? Kommt sie? Ich wäre sehr dafür.
Aber was wird dann mit dem Vorschlag aus dem Finanzministerium gemacht, der besagt, dass man für die Zinsen demnächst quasi Steuern zahlen muss, weil man sie als Betriebsausgabe nicht mehr berücksichtigen kann?
Wird das die Gegenfinanzierung oder nicht?
- Sie sagen Nein. Halten wir das einmal fürs Protokoll fest.
Dann können Sie meine zweite Frage, Herr Kollege Kauder, auch sofort beantworten.
- Ich stelle Ihnen, wenn Sie möchten, gerne lauter Fragen. Das gehört sich für eine bescheidene Opposition so.
Die Frage bezieht sich auf die Erbschaftsteuer: Was passiert denn hinsichtlich der Erbschaftsteuer? Wir sind uns doch alle darüber einig, dass die Übergänge von Betrieben auf die nächste Generation erleichtert werden müssen; das ist sinnvoll. Aber was ist dann aus dem Vorschlag, der aus dem Finanzministerium und aus der SPD ohnehin gekommen ist, geworden, der lautet, man könne die Stundung der Erbschaftsteuer - jedes Jahr 10 Prozent weniger, wenn der Betrieb fortgeführt wird - durchaus machen, allerdings nur dann, wenn dieser Betrieb eine Arbeitsplatzgarantie für die nächsten zehn Jahre gibt? Ich kenne keinen Mittelständler in Deutschland, der in der Lage wäre, schon jetzt eine Garantie dafür zu geben, dass er dieselbe Anzahl an Arbeitsplätzen in zehn Jahren hat.
So macht man den Mittelstand pleite, statt ihn nach vorn zu bringen.
Sie hätten dazu eine Menge zu sagen.
Sie haben von der Gesundheitspolitik gesprochen. Auch das ist ein Punkt, den man nur kurz streifen muss. Sie reden hier übrigens gegen die Meinung von 80 Prozent der Bevölkerung und auch gegen die Kritik, die in Ihren eigenen Kreisen ausgesprochen wird. Sie loben die Gesundheitsministerin. Das müssen Sie als Bundeskanzlerin wahrscheinlich tun. Ich glaube nicht, dass Sie dafür schon eine Mehrheit auf Ihrem eigenen Parteitag hätten.
Aber das ist Ihre Angelegenheit; das werden Sie mit sich selber ausmachen müssen.
Beim Gesundheitsfonds geht es um etwas ganz anderes. Nur dieser Bereich soll einmal erhellt werden. Der Gesundheitsfonds soll künftig zum Teil dafür zuständig sein, Beiträge einzusammeln, und ist damit eine zweite Bürokratie für Beitragszahlungen. Das heißt, die Kassen müssen eine Bürokratie unterhalten, um Beiträge einzunehmen, und der Gesundheitsfonds muss das künftig auch tun. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass zwei Bürokratien preiswerter sind als eine. Das kann nicht funktionieren.
Sie haben das Thema innere Sicherheit zu Recht prominent angesprochen. Alles, was Sie über die Entwicklung der Welt in diesem Bereich und vor allen Dingen auch über die Bedrohungsszenarien gesagt haben, ist doch Konsens. Das alles sehen wir genauso.
Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass es nicht so ist, als käme die Videoüberwachung an neuralgischen Punkten oder die Antiterrordatei jetzt plötzlich gegen Widerstände in diesem Haus zustande. Wir wollen einmal auf Folgendes aufmerksam machen: Die Antiterrordatei kommt deshalb zustande, weil die unionsgeführten Länder auf ihre Maximalposition der Volltextdatei verzichtet haben, übrigens deshalb, weil ihnen die Praktiker gesagt haben, dass man mit Datenmüll die innere Sicherheit am Schluss überhaupt nicht mehr überwachen kann.
Sie haben das doch vor allen Dingen in Bayern ausgebremst.
Wir wollen nun noch einmal über das Thema Außenpolitik sprechen und darüber diskutieren, was Sie dazu gesagt haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, und auch Herr Kollege Kauder haben sich hinsichtlich der Außenpolitik große Sorgen um die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Freien Demokraten gemacht.
Wissen Sie, mir persönlich können Sie gern alles unterstellen. Aber wenn Sie Persönlichkeiten wie Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel und Otto Graf Lambsdorff die außenpolitische Erfahrung und den inneren Kompass absprechen, wird es meiner Meinung nach nur noch albern.
Ich möchte gern noch einmal die Gründe für unsere Haltung nennen. Wir haben in diesem Hohen Hause die allermeisten Auslandseinsätze der Bundeswehr unterstützt. Ich will Ihnen aber sagen: Angesichts der Tatsache, die gestern veröffentlicht wurde, dass 92 Prozent der Weltproduktion von Opium derzeit aus Afghanistan kommen, erlauben Sie mir bitte die Frage, ob wir nicht einmal in diesem Hohen Hause darüber reden müssten, was dort wirklich stattfindet und passiert. Diese Fragen werden wohl noch gestellt werden dürfen.
Wie es im Augenblick aussieht, schützen wir diese Produktion.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Kongoeinsatz, den wir bei der Abstimmung in der Tat abgelehnt haben. Den Afghanistaneinsatz hingegen haben wir unterstützt. Übrigens sind alle Bedenken, die die Fraktion der Freien Demokratischen Partei gegen den Kongoeinsatz vorgetragen hat, in den letzten Wochen bestätigt worden. Sie waren der Überzeugung, die bloße Anwesenheit von europäischen Soldaten, darunter auch deutschen, reiche aus, um demokratische Wahlen in einem stabilen Umfeld stattfinden lassen zu können. Wir haben Ihnen damals gesagt, was passieren wird, wenn es wirklich zu Gefährdungen oder sogar Kampfeinsätzen kommen sollte.
Genau das ist nach den ersten Wahlen bzw. vor der Stichwahl geschehen. Unsere Befürchtungen sind eingetreten, und das - nebenbei bemerkt -, während der deutsche Botschafter bei einem Außentermin war, von dem er nur unter dem Schutz von Truppen in seine Residenz zurückgebracht werden konnte, und während der zuständige Kommandeur im Auslandsurlaub in Schweden war. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Viel schlimmer aber ist, dass der Verteidigungsminister der Republik nichts davon wusste. Sie sind in Ihrem Amt noch nicht angekommen, Herr Verteidigungsminister. Das ist das Problem.
Nun will ich auf die Diskussion über den Nahen Osten zu sprechen kommen. Frau Bundeskanzlerin, Herr Kauder, Sie sprachen heute Vormittag von der Staatsräson. Es war richtig, dass Sie die Staatsräson angesprochen haben. Die Staatsräson ist für das gesamte Hohe Haus unverändert. Sie beinhaltet sowohl das Existenzrecht Israels und das Recht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen zu leben, als auch das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Niemand in diesem Hause wird auch nur ansatzweise Zweifel daran haben, dass Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel ein Verbrechen sind und dass die Völkergemeinschaft sich hierzu klar und eindeutig äußern und handeln muss.
Nur: Bis zum Sommer dieses Jahres gehörte zur Staatsräson der Bundesrepublik auch - das gilt für alle Bundestage, alle Regierungen und alle Parteien, die bisher in diesem Hause vertreten waren -, dass es keinen Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Nahen Osten geben sollte.
Eines möchte ich festhalten: Nicht die Freien Demokraten stellen etwas infrage, sondern Sie. Sie ändern einen Kurs, der in diesem Lande jahrzehntelang unumstritten war.
Ich käme nie auf die Idee, Ihnen unlautere Motive zu unterstellen oder die Entscheidung von Kollegen, die diesem Einsatz zustimmen, im Menschlichen oder im Politischen zu attackieren. Ich habe davor Respekt, wenn Sie zu einem anderen Ergebnis kommen als ich. Aber ich erwarte denselben Respekt gegenüber denjenigen, die sagen, es sollte bei der Staatsräson bleiben, die bisher in Deutschland gegolten hat: keine bewaffneten deutschen Soldaten im Nahen Osten.
Daher, Herr Kollege Kauder, verbitte ich mir Hinweise auf irgendeine Art von Wankelmütigkeit oder Unzuverlässigkeit in der Außenpolitik der FDP.
Eines möchte ich im Hinblick auf die Bedenken, die wir geäußert haben, feststellen: Ich persönlich habe ganz grundsätzliche historische Bedenken gegen einen Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die weniger aus historischer Perspektive argumentieren, kritisieren vor allen Dingen die Undeutlichkeit des Mandates. Das Mandat der Vereinten Nationen ist nicht eindeutig.
Ich stelle nur folgende Fragen: Wer soll eigentlich die Hisbollah entwaffnen?
Wie soll die Entwaffnung durchgeführt werden? Was geschieht, wenn die Bundeswehr auf See zum Einsatz kommt und auf diesem Wege vielleicht das eine oder andere verhindern kann, wenn sich aber die Situation auf dem Lande nicht ändert? Ist nicht die Gefahr viel zu groß, dass wir selbst im Nahen Osten zu einer Art Kriegspartei werden könnten? Ist damit nicht auch die Gefahr viel zu groß, dass es tatsächlich zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommen könnte? Wäre das nicht eine furchtbare Vorstellung?
Es handelt sich auch dann um einen Kampfeinsatz, wenn er auf dem Wasser stattfindet. Deswegen benutzt der Verteidigungsminister den Begriff ?Kampfeinsatz“. Ob es zu einem Kampfeinsatz auf dem Boden oder zu einem Kampfeinsatz auf der See kommt, das ist wahrlich nicht der entscheidende politische Unterschied, übrigens auch nicht für die Soldaten persönlich, die im Nahen Osten eingesetzt werden.
Frau Bundeskanzlerin, angesichts dessen, was wir wissen, werden wir diesem Einsatz nicht zustimmen, und zwar aus voller außenpolitischer Überzeugung und Verantwortung. Wir sind der Auffassung, dass es, was den Einsatz deutscher Soldaten betrifft, bei der Staatsräson bleiben sollte, die in Deutschland bisher gegolten hat.
Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen, wie sich die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen verhalten haben oder, besser gesagt, sich nicht verhalten haben, als es um den Verteidigungsminister ging. Von dieser Kritik, die nicht nur von der Opposition geäußert wird, kann man auch Sie nicht ausnehmen.
Meine Damen und Herren, die Diskussion über bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten ist nicht vom Ausland an uns herangetragen worden, die haben wir selber angefangen.
Es muss einfach zur Kenntnis genommen werden, dass der Verteidigungsminister schon im Juli über den Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten spekuliert hat. Er hat dabei offensichtlich nicht bedacht, dass seine Reden jetzt anders als in seinem vorherigen Amt im Hessischen Landtag internationale Konsequenzen haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, hätten diese Debatte im Sommer nicht laufen lassen dürfen, Sie hätten sie sofort beenden müssen.
Das sage ich nicht - das wissen Sie auch - aus irgendwelchen pazifistischen Grundüberlegungen. Ich bin ein Anhänger der wehrhaften Demokratie. Dennoch bleibt festzuhalten: Das ist nicht gut gelaufen.
Jetzt hören wir immer mehr dazu, welche Briefe die libanesische Regierung jetzt schreiben will. Das, was in diesem Zusammenhang bekannt ist, bestärkt uns noch mehr in unserer Skepsis. Wie soll der Einsatz vonstatten gehen? Wie soll die Einhaltung einer Siebenmeilenschutzzone wirklich funktionieren? Wie sollen eigentlich heikle Situationen verhindert werden? In der Siebenmeilenschutzzone soll die libanesische Seite zur Entwaffnung der Hisbollah eingesetzt werden und Waffenschmuggeleien unterbinden. Wie sollen wir uns aber verhalten, wenn das nicht geschieht und dann beispielsweise die israelische Seite eingreift? Wollen wir es den Israelis wirklich übel nehmen, dass sie verhindern wollen, dass Waffen an die Hisbollah geschmuggelt werden? Wie wollen wir uns in solchen Situationen verhalten?
Ich sage Ihnen: Wir müssen nicht bei jedem Einsatz der Vereinten Nationen dabei sein.
Bei diesem Einsatz der Vereinten Nationen sollten wir nicht dabei sein. Es ist kein guter Vorgang, dass Sie behaupten, Sie werden gerufen, obwohl Sie jetzt drei Mal in der Woche im Libanon anrufen müssen, um nachzufragen, wann denn endlich der Ruf an Deutschland kommt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elke Ferner das Wort.
Elke Ferner (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst auf ein paar Äußerungen von Herrn Westerwelle eingehen,
weil ich denke, dass man sie so nicht stehen lassen kann.
Richtig ist: Die Rahmenbedingungen sind besser geworden, wir haben im August dieses Jahres über 400 000 Arbeitslose weniger als im August des vergangenen Jahres verzeichnet. Es gibt wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und auch die Steuereinnahmen der öffentlichen Hände steigen. Wer aber so tut, als könne man jetzt sofort Steuersenkungsprogramme auflegen und die Verluste durch Ausgabenkürzungen kompensieren, greift nicht nur zu kurz, sondern belügt auch die Menschen.
Das, was Sie heute gesagt haben, ist der blanke Populismus, Herr Westerwelle.
- Zur Mehrwertsteuer komme ich auch noch, Herr Koppelin.
Sie, Herr Westerwelle, haben gerade von Déjà-vu gesprochen. Wenn Sie in der Opposition sind, fordern Sie Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen, sagen aber nicht, wo genau gekürzt werden soll, ob es die Renten sein sollen oder ob andere Leistungen gekürzt werden sollen. Sie führen immer wieder die Steinkohlebeihilfen an, obwohl Sie genau wissen, dass es rechtsverbindliche Zuwendungsbescheide gibt und man nicht einfach kürzen kann. Das, was Sie betreiben, ist blanker Populismus.
Wenn Sie aber in der Regierung sind, Herr Westerwelle, dann tragen Sie Steuererhöhungen mit. Herr Steinbrück hat gestern vorgerechnet, dass es 20 Steuererhöhungen in Ihrer Regierungszeit gegeben hat. Ich habe noch einmal nachgeschlagen: Fünf von acht Mehrwertsteuererhöhungen sind mithilfe der FDP im Deutschen Bundestag beschlossen worden.
- Herr Koppelin, wir haben uns nie verweigert, wenn es darum ging, sicherzustellen, dass dem Staat Einnahmen zufließen.
Nur durch Einnahmen kann die öffentliche Daseinsvorsorge auf Dauer gesichert werden. Was Sie wollen, ist im Prinzip, dass es keine oder deutlich weniger öffentliche Daseinsvorsorge gibt. Das geht in den Bildungsbereich hinein, das geht in den Bereich der Infrastruktur, das geht in den Bereich der Forschung und, wenn es nach Ihnen geht, auch in den Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Deshalb ist es gut, dass Sie nicht regieren.
- Herr Koppelin, hat irgendjemand in diesem Haus aus irgendeinem Land, in dem die FDP mitregiert, den Vorschlag gehört, dass man dort auf den Anteil aus der Mehrwertsteuererhöhung verzichten wolle?
Ich habe nichts dergleichen gehört. Wenn die drei Länder, in denen Sie noch mitregieren, auf ihren Anteil verzichteten, könnten wir vielleicht auf einen Teil der Mehrwertsteuererhöhung verzichten - tun Sie es doch!
- Herr Koppelin, ich gehe davon aus, dass Sie in dieser Haushaltsdebatte noch Gelegenheit bekommen, das Wort zu ergreifen; Sie brauchen sich im Protokoll nicht mit Zwischenrufen zu verewigen.
Wir haben mit dem Investitionsprogramm den Grundstein dafür gelegt, dass das, was an Wachstumsdaten jetzt vorhanden ist, noch besser wird. Wir haben bewusst darauf verzichtet, in diesem Jahr drastische Einsparungen vorzunehmen, um mit dem Investitionsprogramm - die Union hat das etwas anders gesehen; aber ich bin froh, dass wir uns an dieser Stelle durchsetzen konnten -
die Beschäftigung voranzubringen und zu sichern. Gerade das CO2-Gebäudesanierungsprogramm macht das sehr deutlich. Es ist nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, es sichert - das darf man an dieser Stelle nicht vergessen - auch Beschäftigung: beim lokalen und regionalen Handwerk, weil es sich hier um private Investitionen handelt. Das, was wir an staatlichem Geld einsetzen, bewirkt ein Vielfaches an privaten Investitionen.
Ich glaube, man darf nicht so pessimistisch sein, was das Jahr 2007 anbelangt. Es ist nicht ohne Gefahr, das wissen wir auch, aber wir hoffen, dass der Aufschwung trägt und vor allen Dingen dass die Investitionen nicht nur beim Bund auf sehr hohem Niveau, sondern auch von den Ländern und Kommunen auf höherem Niveau getätigt werden; denn die Investitionseinbrüche, die wir haben, liegen nicht am Bund - der Bund hat wirklich ein sehr hohes Investitionsniveau -, sondern es sind die Länder und Kommunen, wo die Investitionen nicht in dem Umfang gemacht werden, wie es eigentlich notwendig ist.
Wir haben nicht nur im Bundeshaushalt das Problem, dass die Einnahmen nicht so sind, wie wir sie eigentlich brauchen. Wir haben in den vergangenen zwei Wahlperioden einiges an Vorschlägen zum Abbau von Steuersubventionen gemacht. Diese Vorschläge sind im Bundesrat leider immer hängen geblieben. Wäre das nicht so gewesen, würden wir heute besser dastehen. Wir haben ein Einnahmeproblem auch bei den sozialen Sicherungssystemen, insbesondere bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich habe mir die Zahlen einmal heraussuchen lassen bzw. das Gesundheitsministerium hatte sie der Koalitionsarbeitsgruppe zur Verfügung gestellt: Wenn die Pflichtbeitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sich von 1980 bis 2000 parallel zum Bruttoinlandsprodukt entwickelt hätten, hätte im Jahr 2000 ein durchschnittlicher Beitragssatz von 11,6 Prozent ausgereicht, um die Ausgaben zu decken. Das ist das eigentliche, strukturelle Problem der gesetzlichen Krankenversicherung.
Wir haben in den Verhandlungen über die Gesundheitsreform versucht, da ein Stück weit Abhilfe zu schaffen. Es ist leider nicht so gekommen, wie wir uns das als SPD gewünscht hatten. Wir hatten vorgeschlagen, mit bis zu 24 Milliarden Euro eine zusätzliche, steuerfinanzierte Säule des Gesundheitssystems aufzubauen - nicht um dieses Geld sofort wieder auszugeben, sondern um ein Potenzial für Beitragssatzsenkungen zu bekommen. Das ist mit der Union leider nicht möglich gewesen.
Auch wenn das in dieser Wahlperiode wohl nicht umgesetzt werden kann, bleibt es für uns nach wie vor auf der politischen Tagesordnung.
Wir haben zum Zweiten versucht, zu erreichen, dass die Solidarität im Gesundheitssystem nicht nur zwischen gesetzlich Versicherten organisiert wird, sondern dass die doch sehr unterschiedlichen Einkünfte der privat Versicherten mit in den Einkommensausgleich einbezogen werden und dass die unterschiedlichen Krankheitsrisiken - die in der PKV Versicherten haben bekanntlich viel günstigere Krankheitsrisiken - zwischen diesen beiden Systemen ausgeglichen werden. Auch das ist leider nicht möglich gewesen; aber auch das bleibt nach wie vor politisches Ziel der SPD.
Wir haben uns natürlich auch mit der Ausgabenseite beschäftigt. Im Moment diskutiert ja die ganze Welt über den Fonds, den Beitragseinzug und alles Mögliche bezüglich der Finanzen. Niemand würdigt aber das, was die Koalition vereinbart hat, um Strukturreformen durchzuführen. Wir sind hier deutlich weiter gekommen, als wir selbst und viele andere das zu Beginn gedacht haben. Herr Kuhn, es stimmt nicht, dass kein Wettbewerb stattfindet. Mit der Gesundheitsreform werden wir es den Kassen ermöglichen, mehr Wettbewerb zu organisieren. Nach unserer Auffassung hätte dies noch mehr sein können. Im Vergleich zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz sind wir aber ein gutes Stück weiter gekommen. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen:
Die Kassen werden künftig die Möglichkeit haben, einzelne Arzneimittel und auch Wirkstoffe auszuschreiben und dafür günstigere Preise bei den Pharmaherstellern zu erzielen. Diese werden Eingang in die besonderen Versorgungsformen haben. Das bedeutet ein Stück mehr Wettbewerb, der zur Kostensenkung beiträgt, ohne dass es zu Einschränkungen bei den Patientinnen und Patienten kommt; denn wir haben mit dieser Reform sichergestellt, dass es nicht zu Erhöhungen der Zuzahlungen und zu Leistungsausgrenzungen kommen wird. Alle werden auch künftig am medizinischen Fortschritt teilhaben und die medizinische Versorgung bekommen können, die notwendig ist, egal, bei welcher Krankenkassen sie versichert sind und wie hoch ihr Einkommen ist. Das ist das oberste Ziel dieser Reform gewesen.
Im Gegenzug haben wir den Leistungskatalog sogar noch erweitert. Wir haben die Palliativversorgung, die geriatrische Reha, die Eltern-Kind-Kuren und die Impfungen, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung hineingenommen. Das ist das Gegenteil von dem, was bei vielen anderen Gesundheitsreformen gemacht worden ist: Leistungen, die notwendig sind und auch Geld kosten, sind aufgenommen worden.
Trotz all dieser Maßnahmen haben wir es geschafft - auch durch die Organisation des Wettbewerbs -, ein Einsparpotenzial von 1,9 Milliarden Euro zu mobilisieren. Das hätte an einigen Stellen mehr sein können. An einigen Stellen wird es wahrscheinlich auch mehr sein, weil wir vorsichtig gewesen sind, nur das beziffert haben, was man seriöserweise beziffern konnte, und keine Luftbuchungen durchgeführt haben.
Dennoch kommen wir im nächsten Jahr nicht um eine Beitragssatzanhebung herum. Das liegt einfach daran, dass es uns nicht gelungen ist, die Einnahmebasis zu verbreitern. Man muss aber auch bedenken, was passieren würde, wenn wir jetzt nichts täten. Wenn wir jetzt nichts täten, dann würden die Beitragssätze höher steigen. Niemand hat versprochen, dass die Beitragssätze durch die Verwirklichung der Eckpunkte nicht steigen werden. Kurt Beck und Frau Merkel haben nach der Runde, in der die Einigung erzielt worden ist, ja deutlich gesagt, dass es Beitragssatzanhebungen geben muss; denn eines ist klar: Die Einnahmen müssen die Ausgaben beim Fondsstart decken und die Kassen müssen entschuldet sein. Das haben wir in der Koalition vereinbart. Die Details werden derzeit von einer kleinen Arbeitsgruppe der Koalition besprochen.
Für uns ist dabei wichtig, dass der Fonds erst dann starten kann, wenn der Risikostrukturausgleich bezüglich der Krankheitsrisiken, wie in den Eckpunkten vereinbart, so organisiert ist, dass er deutlich zielgenauer als das ist, was wir heute haben.
Das ist nämlich auch eines der Probleme, die wir haben: Seit die Versicherten von Kasse zu Kasse wechseln können, gibt es natürlich sehr unterschiedliche Situationen. Die einzelnen Kassen zahlen sehr unterschiedliche Prämien an die Kassenärztlichen Vereinigungen, unabhängig davon, wie groß oder wie klein sie sind. Früher ging das alles nach Größe. Daneben sind die Krankheitsrisiken sehr unterschiedlich verteilt. Es ist eben nicht egal, ob man junge oder alte Frauen oder Männer versichert, ob sie gesund oder krank sind und ob sie Leistungen von der Krankenkasse brauchen oder nicht. Deshalb bestehen wir darauf, dass der so genannte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, also der bessere und zielgenaue Ausgleich der Krankheitsrisiken, mit dem Fondsstart gewährleistet ist. Sonst kann der Fonds aus unserer Sicht nicht starten.
Ein zweiter Punkt - darüber wird im Moment sehr heftig diskutiert - ist die Frage des Beitragseinzuges. Eigentlich hatte ich an dieser Stelle in meinem Manuskript vermerkt, dass ich den Fonds nicht mehr erklären muss, weil sich alle damit beschäftigt haben. Aber offenbar gibt es auch hier im Haus einige, die Äpfel mit Birnen vergleichen. Der Beitragseinzug hat mit dem Fonds zunächst einmal überhaupt nichts zu tun. Der Fonds ist Bestandteil der neuen Finanzarchitektur für die gesetzlichen Krankenversicherungen. In Teilen gibt es diesen Fonds schon heute, nämlich in Form des Risikostrukturausgleichs, der über das Bundesversicherungsamt abgewickelt wird.
Bezüglich des Beitragseinzugs haben wir vereinbart, dass dieser weiterhin dezentral erfolgen soll, damit die Arbeitgeber vor Ort einen Ansprechpartner haben. Es soll keine zentrale Mammutbehörde aufgebaut werden. Die Frage ist natürlich: Wie soll die Zielstruktur für den Beitragseinzug aussehen? Das wird derzeit zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Arbeits- und Sozialministerium besprochen; denn es geht hier nicht nur um den Einzug der Krankenversicherungsbeiträge, sondern um den Einzug aller Sozialversicherungsbeiträge.
Dafür bestehen mehrere Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist, die Kompetenz für den Einzug dort zu lassen, wo sie jetzt ist, und dann von dort aus die Gelder für den Fonds einzuziehen. Auch über diese Möglichkeit wird im Moment diskutiert. Eines aber ist klar: Das muss dezentral organisiert werden. Zu jeder Zeit, also auch zu jeder Sekunde, muss sichergestellt sein, dass der Beitragseinzug funktioniert und das Geld pünktlich auf den Konten der Sozialversicherungsträger landet.
Ebenso muss sichergestellt werden, dass der vorhandene Sachverstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beitragseinzugsstellen weiterhin genutzt wird. Das bezieht sich nicht nur auf den Beitragseinzug, sondern auf alle Aspekte, die mit den Arbeitgebern zu tun haben. Insofern werden wir sehr genau darauf achten, wie das ausgestaltet wird, damit es hier nicht zu Brüchen kommt, die niemand verantworten kann und die auch niemand will.
Natürlich gibt es auch Kritik. Wir haben Probleme mit dem Zusatzbeitrag. Es wäre falsch, das hier zu verschweigen. Aber eines ist klar: Wir haben dafür gesorgt, dass der Zusatzbeitrag niemanden überfordert; er darf - analog zu der Chronikerregelung - nicht mehr als 1 Prozent des Einkommens betragen. Auch haben wir dafür gesorgt, dass der Fonds ausreichend gefüllt sein wird, um den medizinischen Fortschritt weiterhin finanzieren zu können. Ebenso ist sichergestellt, dass dann, wenn die Beitragseinnahmen und die vorgesehenen Steuermittel nicht ausreichen, die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in gleichem Maße angehoben werden. Es gibt keine Festschreibung der Beiträge auf Dauer. Für die Menschen ist wichtig, zu wissen: Sie werden auch in Zukunft mit den wachsenden Kosten als Folge der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts nicht alleine gelassen.
Wir werden über die Gesundheitsreform in diesem Jahr mit Sicherheit noch öfter debattieren: bei der Einbringung des Haushalts, in den Ausschussberatungen, bei der Anhörung und in der Schlussberatung. Ich bin mir aber sicher, dass wir das Ziel erreichen können, die Reform zum 1. Januar 2007 in Kraft treten zu lassen. Wer bessere Vorschläge hat, möge sie auf den Tisch legen. Ich habe bisher noch keinen Vorschlag gehört, der eine vernünftige Regelung für bezahlbare Krankenversicherungsbeiträge enthält und gleichzeitig den medizinischen Fortschritt für alle - nicht nur für diejenigen, die über ein gut gefülltes Portemonnaie verfügen - bezahlbar macht.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Max Straubinger das Wort.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der Kollege Westerwelle hat zum Schluss seiner Rede, die ich aufmerksam verfolgt habe, den Eindruck zu vermitteln versucht, dass sich die Bundesregierung und die Fraktionen, die die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, Friedenseinsätze aufgrund ihrer internationalen Verantwortung zu begleiten, aufdrängen würden. Ich möchte dies ausdrücklich zurückweisen.
Die Bundesregierung und die sie in dieser Frage unterstützenden Fraktionen im Haus handeln in Verantwortung der außenpolitischen Gegebenheiten, auch der entstandenen außenpolitischen Fragen und Herausforderungen, und vor allen Dingen in Verantwortung für Frieden und Freiheit in gefährdeten Regionen dieser Welt. Das ist meines Erachtens eine großartige Leistung der Bundeskanzlerin und des Außenministers, die sie in den vergangenen Wochen und Monaten zustande gebracht haben. Dies sollte nicht in ein schiefes Licht gerückt werden, Herr Kollege Westerwelle.
Ich gebe unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder Recht: Man kann nicht große Reden darüber halten, dass das Existenzrecht Israels zu unterstützen ist, aber dann, wenn es möglicherweise gefährdet ist, keinen Beitrag leisten. Ich glaube, wir sind in der Verantwortung, die nötigen Beiträge zu leisten. Darüber, wie diese im Einzelnen aussehen sollen, kann man diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung bisher eine großartige Leistung vollbracht hat und auch für die zukünftigen Entscheidungen dem Parlament die richtigen Vorschläge unterbreiten wird, die wir dann sicherlich unterstützen werden.
Ich glaube, die bisherige Haushaltsdebatte zeigt sehr deutlich, dass die Menschen der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen, der CDU/CSU und der SPD, Vertrauen entgegenbringen können. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nimmt zu und die Haushaltssanierung schreitet voran. Wer hätte sich das vor einem Jahr vorstellen können? Ich glaube, das konnten viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht.
Das aber sind die wichtigen Botschaften und Signale, die die Politik der großen Koalition nach zehnmonatiger Regierungstätigkeit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zu vermitteln vermag. Für die Menschen in unserem Land wird sichtbar, dass wir den Koalitionsvertrag - und damit auch den Koalitionsauftrag - in die Tat umsetzen. Das Investieren, Sparen und Reformieren wird angegangen und punktgenau und zielorientiert umgesetzt.
Auch der Haushalt 2007, der jetzt eingebracht worden ist, ist Ausdruck der Umsetzung des Koalitionsvertrages und er hat bereits großartige Erfolge vorzuweisen. Dass die Maastricht-Kriterien bereits in diesem Jahr eingehalten werden - das wurde bereits erwähnt, aber man kann es nicht oft genug darlegen -, ist ebenfalls Ausdruck der Regierungspolitik.
Dass sie auch 2007 eingehalten werden, weil die Grundlage dafür heuer gelegt worden ist, ist wiederum ein großartiges positives Signal.
Auch dass nach mehreren Jahren, in denen der Haushalt nicht verfassungskonform war, jetzt ein verfassungskonformer Haushalt eingebracht worden ist und die Nettoneuverschuldung geringer ist als die Investitionen, ist der neuen Bundesregierung, die seit Oktober im Amt ist, zu verdanken.
Dass die Mehreinnahmen nicht nur über Steuern, sondern vor allen Dingen auch durch erhebliche Einsparungen erzielt werden, ist auch Ausdruck des Haushaltes, den wir heute beraten.
Für mich ist aber auch entscheidend, dass in diesem Haushalt zum Ausdruck gebracht wird, dass die soziale Sicherheit der Menschen in unserem Land nicht aus dem Blickfeld geraten ist. Im Gegenteil: Die soziale Sicherheit der Menschen wird weiter gestärkt. Auch das ist Ausdruck der Koalition von CDU/CSU und SPD.
Das alles sind Kennzeichen einer soliden Finanzpolitik, der die Regierung Vorrang eingeräumt hat. Vielleicht kann Bayern, das erstmals einen ausgeglichenen Haushalt verabschieden konnte,
als Vorbild für unsere Politik dienen, um das auch auf Bundesebene zu erreichen.
- In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, wo Sie mitregieren, zeitigen sich ja die Ergebnisse. Wir wissen auch, was die CDU in Sachsen-Anhalt aufzuräumen hat. Das ist doch das Entscheidende.
Die Elemente des Dreiklangs ?Investieren, Sparen, Reformieren“ bedingen einander. Ohne Investitionen gibt es kein Wachstum. Ohne Sparen gibt es keinen Spielraum für zukünftige Investitionen in unserem Land. Ohne die Reform der sozialen Sicherungssysteme gibt es keine Senkung der Lohnnebenkosten. Das zeigt sehr deutlich: Wachstum ist - früher gab es Parteistrategen, die von Nullwachstum oder einem qualifizierten Wachstum gesprochen haben; das meine ich aber nicht - die Grundlage für mehr Arbeitsplätze in unserem Land. Das nun vorhandene positive Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent - vielleicht gilt das sogar für das ganze Jahr; im Süden Deutschlands ist es noch intensiver und besser - ist also eine gute Voraussetzung für das Entstehen von Arbeitsplätzen.
Wir werden diese Entwicklung mit dem Bundeshaushalt unterstützen. Wir fördern beispielsweise mit dem 25-Milliarden-Euro-Programm Innovationen. Die Forschungsförderung hat ein Volumen von 6 Milliarden Euro bis zum Jahr 2009. Das dient der Innovationsförderung sowie der Stärkung des Wissenschaftsstandortes Deutschland und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Entscheidend ist ebenfalls, dass der Mittelstand weiterhin in die Lage versetzt wird, große Investitionen zu tätigen und dementsprechend die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu stärken. Die große Koalition hat bereits entscheidende Wegmarken gesetzt. Die verbesserten Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter sind ein entscheidender Faktor. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass die teilweise steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen nichts anderes als ein Impulsprogramm ist und dafür sorgt, dass wir uns nun Gott sei Dank an einer besseren Auftragslage bei unseren Handwerksbetrieben erfreuen dürfen.
Ich bin zudem überzeugt, dass der Abbau von bürokratischen Hemmnissen ein Erfolg sein wird. Ich danke ausdrücklich unserem Bundeswirtschaftsminister Michael Glos für seinen Einsatz zugunsten der mittelständischen Wirtschaft und unseres Wirtschaftsstandorts insgesamt.
Der Herr Fraktionsvorsitzende und Parteivorsitzende der FDP hat vorhin das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz kritisiert. Wir geben unumwunden zu, dass wir mit diesem Gesetz nicht ganz glücklich sind. Aber ich möchte herausstellen, dass wir im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf für entscheidende Änderungen gesorgt haben, damit der bürokratische Aufwand bei den Betrieben massiv minimiert wird bzw. erst gar keiner entsteht.
Der Kollege Westerwelle hat des Weiteren kritisiert, dass die Kohlesubventionen nicht in ausreichendem Maße abgebaut werden. Das mag sein. Aber in den Bundesländern, in denen die FDP in der Regierung ist, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, tritt man zwar für den Abbau der Kohlesubventionen ein, um aber zugleich darauf hinzuweisen, dass ein Ausgleich aus dem Bundeshaushalt zu erfolgen hat. Wenn das eine ehrliche Politik im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und wenn das Subventionsabbau sein soll, dann habe ich möglicherweise den Begriff ?Subventionsabbau“ nicht verstanden.
Auf vielfältige Weise wurde heute schon die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dargelegt. Wir freuen uns natürlich über den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Steigerung der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um 130 000. Davon sind 40 000 in Bayern entstanden. Das zeigt sehr deutlich, woher die wirtschaftlichen Impulse kommen.
Ich freue mich insbesondere über den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ist um fast 100 000 zurückgegangen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung Jugendlichen großartige Zukunftschancen eröffnet.
Wir haben vielfach über die Korrektur der Hartz-Gesetze gestritten. Ich glaube, dass die Hartz-Gesetze mehr Dynamik in die Vermittlung der Arbeitslosen gebracht haben und dass der Umbau der Bundesagentur für Arbeit, der bisher durchaus positive Effekte mit sich gebracht hat, weiter voranschreiten muss. Es wurden in vielen Bereichen Korrekturen vorgenommen. Ich erinnere an die Ich-AG und andere Dinge. Eines ist für mich entscheidend: Wir sind ein sozialer Staat und wir treten für die ein, die der sozialen Unterstützung bedürfen. Es gilt aber auch, dem Missbrauch von sozialen Leistungen massiv entgegenzutreten.
Am 30. August gab es in der Sendung ?ZDF-Reporter“ einen Bericht über zwei Sozialdetektive, -
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Straubinger, die Geschichte können Sie jetzt nicht mehr zu Ende erzählen. Ihr Fraktionsvorsitzender hat Ihnen schon Zeit überlassen.
Max Straubinger (CDU/CSU):
- die 150 Missbrauchsfälle mit einem Volumen von über 500 000 Euro in kürzester Zeit aufgedeckt haben. Das zeigt sehr deutlich, dass die Verwaltungen noch effektiver arbeiten müssen. In diesem Sinne lasst uns die Arbeit angehen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Schwall-Düren für die SPD-Fraktion.
Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit mehr als 50 Jahren ist Deutschland in die Europäischen Gemeinschaften eingebunden. Das prägte die Politik der Bundesregierungen und das prägt die Politik auch dieser Regierung. Bundeskanzlerin Merkel hat das heute Morgen eindrucksvoll dargelegt.
Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeutet Chancen, aber auch Herausforderungen. Die Chancen haben sich schon zu Beginn der Mitgliedschaft ergeben. Es ist uns allen bekannt, dass wir Frieden und Sicherheit, kulturelle Vielfalt und Reichtum dieser Mitgliedschaft zu verdanken haben, aber auch einen unglaublich gesteigerten Wohlstand. Ich darf nur die eine Zahl nennen, dass wir allein in den Jahren 1992 bis 2002 900 Milliarden Euro zusätzlichen Wohlstand in Deutschland erreicht haben. Das bedeutet 6 000 Euro pro Haushalt. Das ist sehr viel und das sollte von uns immer wieder betont werden. Das war der Bevölkerung in früheren Jahren bewusster. Aber in den letzten Jahren ist die Wahrnehmung der Chancen der Europäischen Union zunehmend schwächer geworden, und zwar einmal, weil die Errungenschaften selbstverständlicher sind, und zum anderen, weil es in Mode gekommen ist, Kritik an der EU zu üben.
Brüssel wird schnell als Geldvernichtungsmaschine abqualifiziert, es wird Brüssel vorgeworfen, sich in nationale Angelegenheiten einzumischen oder ein Bürokratiemonster zu sein. Auch wir Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestages sind nicht ganz unschuldig. Wenn Entscheidungen in Brüssel getroffen werden, an denen wir über den Rat mitgewirkt haben, dann schieben wir manchmal gern die Schuld auf Brüssel und behaupten, an der Entscheidung nichts ändern zu können, weil das die Entscheidung von Brüssel sei. Da ist es kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger verunsichert sind.
Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren immer stärker die soziale Dimension infrage gestellt wird. Die Bürger mussten den Eindruck gewinnen, dass die Kommission bei der Umsetzung des gemeinsamen Marktes immer stärker von so genannten neoliberalen Vorstellungen geleitet wurde. Ein uns allen bekanntes Beispiel ist die Dienstleistungsrichtlinie, die den positiven Effekt bringen soll, dass der Dienstleistungsmarkt in der Europäischen Union mehr Dynamik bekommt und damit Arbeitsplätze geschaffen werden, die aber gleichzeitig die Gefahr mit sich bringen könnte, dass Sozial- und Qualitätsdumping betrieben wird. Aber glücklicherweise haben wir Einfluss auf diese Dinge. Gemeinsam, mit dem Europäischen Parlament und der deutschen Regierung, ist es hier gelungen, im Rat ein gutes Stück voranzukommen.
Jetzt steht im Parlament die zweite Lesung an. Wir sind auf einem guten Weg, damit sich in Europa das Prinzip ?gleicher Lohn und gleiche Standards für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ wirklich durchsetzt. Wenn das nicht erreicht wird, dann sind die Bürger enttäuscht und verunsichert und dann haben wir in unseren jeweiligen Nationalstaaten die Konsequenzen zu tragen.
Wir dürfen uns allerdings nicht der Illusion hingeben, dass diese Problematik allein mit einer veränderten Dienstleistungsrichtlinie gelöst wird. Wir müssen auch unsere Hausaufgaben machen. Damit spreche ich das Thema ?Entsenderecht und Mindestlohn“ an. Wir sind gerade dabei, die Entsenderichtlinie für das Gebäudereinigerhandwerk in nationales Recht umzusetzen. Ich bin aber sicher: Das kann nicht das Ende sein. Wir müssen hier weiterkommen
und in diesem Herbst die Frage der Mindestlöhne nicht nur sehr ernsthaft diskutieren, sondern auch entscheidend beantworten.
18 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union haben Mindestlöhne. Ich will darauf aufmerksam machen, dass ein Land, das wir hier immer wieder wegen seiner wirtschaftlichen Dynamik positiv hervorheben, nämlich Großbritannien, in diesem Zusammenhang sehr gute Erfahrungen gemacht hat.
Leistungsträger, über die im Augenblick wieder sehr viel gesprochen wird - auch in meiner Partei -, sind auch diejenigen, die als Geringqualifizierte täglich ihrer Arbeit nachgehen. Auch diese Menschen müssen für ihre Arbeit einen anständigen, existenzsichernden Lohn bekommen. Deswegen kann ich auch dem Vorschlag des Sachverständigenrates, das Arbeitslosengeld II zu kürzen, um so für eine geringe Anzahl von Personen Arbeitsplätze zu schaffen, überhaupt nicht zustimmen.
Die Chancen, die die EU in der Vergangenheit mit sich gebracht hat, müssen natürlich auch in der Zukunft genutzt werden. Die EU ist für uns Impulsgeber und sie gibt uns eine Leitorientierung. Ich möchte hier noch einmal das Beispiel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes anführen. Dieser Pakt wurde vor allen Dingen durch deutsche Politiker gestaltet. Zwischenzeitlich war er für uns zu einer Last geworden. Letztendlich aber hat er dazu beigetragen, dass der Druck, unseren Haushalt zu konsolidieren, aufrechterhalten wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr, aber auf alle Fälle im kommenden Jahr wird es gelingen, das 3-Prozent-Defizit-Kriterium zu erfüllen.
Damit sichern wir die Chancen der zukünftigen Generationen. Gleichzeitig haben wir durch die Reform des Stabilitätspaktes ermöglicht, dass in diesem Land wieder Investitionen getätigt werden können und wir das von der Koalition beschlossene 25-Milliarden-Euro-Programm umsetzen.
Wir haben in diesem Herbst vor dem Hintergrund der Lissabonstrategie noch das nationale Reformprogramm zu verabschieden. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Bericht in Brüssel vorlegen. Wir haben nämlich erkannt - Frau Bundeskanzlerin hat das heute Morgen schon ausgeführt -, dass die Globalisierung kein Erfolg wird, wenn man nur die nationalen Interessen vertritt und wenn man sich bei Löhnen, Steuern und Standards gegenseitig unterbietet. Im Gegenteil. Was wir tun müssen, ist: Standards sichern, Qualität produzieren, Innovationen umsetzen. Das wird mit der Lissabonstrategie und in dem Rahmen mit dem nationalen Reformprogramm angepackt. Dabei ist natürlich auch die weitere Modernisierung unserer Sozialsysteme zu nennen. Das haben wir im Bereich der Alterssicherung und des Arbeitsmarktes schon angepackt und das müssen wir im Bereich der Gesundheitspolitik weiter vorantreiben.
Ganz entscheidend ist neben dieser Reform aber die Investition in die Köpfe. Die Lissabonstrategie hat uns aufgegeben, 3 Prozent unserer Mittel in Bildung und Forschung zu investieren. Genau das tun wir. Trotz Haushaltskonsolidierung wird diese Regierung bis zum Jahr 2010 dafür sorgen, dass die 3 Prozent in dem Bereich erreicht werden.
Ich möchte an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass wir bei der Weiterbildung noch mehr tun müssen, das stärker in den Blick nehmen müssen und diese Herausforderung ebenfalls annehmen müssen. Dazu brauchen wir aber auch die Unternehmen und dazu brauchen wir die Gewerkschaften, die ich ausdrücklich auffordere, sich dieser Aufgabe zu stellen.
In der ersten Hälfte des Jahres 2007 steht die deutsche Ratspräsidentschaft an. Wir wollen uns wie 1999 auch bei dieser Ratspräsidentschaft wieder als gute Europäer zeigen. Das ist eine große Herausforderung. Wie Sie alle wissen, ist der Verfassungsprozess ins Stocken geraten. Das ist ein Prozess, den wir aber unbedingt voranbringen müssen, nicht um eines abstrakten Textes willen, sondern weil wir diese Verfassung brauchen, damit in der Europäischen Union mehr Bürgernähe, mehr Transparenz und mehr Effektivität erreicht werden können.
Um hierbei voranzukommen, ist sehr viel Verhandlungsgeschick notwendig. Aber ich bin ganz zuversichtlich, dass wir es in der deutschen Ratspräsidentschaft schaffen werden, einen Weg, wenn auch noch keine endgültige Lösung aufzuzeigen. Dieses Verhandlungsgeschick haben die Vertreter unserer Regierung schon eindrucksvoll bewiesen. Frau Merkel hat es seinerzeit geschafft, das ins Stocken geratene Verfahren zur finanziellen Vorausschau zu einem guten Abschluss zu bringen. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat inzwischen ein unerhört hohes Ansehen als guter Verhandlungspartner erreicht, was man auch an der positiven Rolle, die er im Nahostkonflikt spielt, ablesen kann. Er wird von allen Seiten respektiert.
Deutschland wird eine hohe Kompetenz zugeschrieben, etwas zur Friedenssicherung zu erreichen. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Diese hohe Kompetenz im Bereich der diplomatischen Verhandlungen ist nur dann weiter akzeptiert, wenn es auch die Bereitschaft Deutschlands gibt, sich aktiv, auch durch Zurverfügungstellung von Bundeswehrkräften, an der Friedenssicherung zu beteiligen. Der Kollege Peter Struck hat sehr deutlich gesagt, dass wir das natürlich nur unter ganz klaren Bedingungen tun werden.
Hierbei ist das Zusammenspiel mit den europäischen Partnern ebenfalls sehr wichtig. Auch die UN-Friedensresolution 1701 trägt sehr deutlich die europäische Handschrift. Das ist ein großer Erfolg, den wir mit unseren europäischen Freunden erreicht haben.
Lassen Sie mich noch einmal auf die Verfassung zurückkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben hier nicht nur eine schwierige Situation mit den beiden Ländern, in denen die Verfassung durch ein Referendum abgelehnt wurde - Frankreich und die Niederlande -, sondern wir haben auch Probleme mit anderen Partnern - da kann man Großbritannien nennen, aber auch Polen -, mit denen es im Augenblick sehr schwer ist, zu gemeinsamer Politik zu kommen. Bei allem Verständnis für die polnischen Freunde, die besonders kritisch auf die deutsche Politik schauen, ist dort auch eine gewisse Unfähigkeit bezüglich einer Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft mit der deutschen Politik zu erkennen. Nichtsdestotrotz müssen wir immer wieder ein Dialogangebot machen; denn die Bevölkerung und auch die wirtschaftlichen Akteure sehen die Beziehungen in keiner Weise kritisch. Im Gegenteil, das Ansehen Deutschlands ist in Polen in den letzten Jahren immer weiter gestiegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Verfassungsthema wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auch von wichtigen wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Themen geprägt sein. Es wird um Fragen der neuen Nachbarschaftspolitik gehen und darum, dass wir mit Russland unsere Kooperation optimal fortsetzen.
Am 25. März 2007 blicken wir auf die europäische Erfolgsgeschichte zurück, die mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 50 Jahren ihren Anfang nahm. Frieden, Stabilität und Wohlstand wurden hart erarbeitet und erstritten. Der Jahrestag bietet die Möglichkeit einer europäischen Standort- und Zielbestimmung. Angesichts des historisch Erreichten sind wir in der Pflicht, uns im weltpolitischen Maßstab neu zu verorten, alte Denkmuster vielleicht zu erneuern und den Blick auf die politische Verantwortung Europas nach innen und außen zu schärfen. Die von Außenminister Steinmeier ?Generation Europa“ genannten jüngeren Menschen erwarten zu Recht Klarheit über den zukünftigen politischen Rahmen des europäischen Gesellschaftsmodells.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Schwall-Düren, ich mache Sie nur darauf aufmerksam, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer Kollegen sprechen.
Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Ich komme zum Schluss. - Diese Klarheit können wir nur gemeinsam mit unseren Partnern erreichen. Deswegen gilt auch heute noch das Wort von Willy Brandt am Ende seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969:
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn ... werden im Inneren und nach außen.
Das werden wir mit dieser Regierung auch bleiben.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Beauftragte für die Angelegenheiten der Kultur und Medien, Herr Staatsminister Bernd Neumann.
Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung wird der besonderen Stellung der Kultur in unserer Gesellschaft und ihrer Verantwortung für die europäische Kulturnation auch mit dem diesjährigen Kulturetat gerecht. Für uns gilt: Kulturförderung ist keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft. So haben wir es in den Koalitionsvertrag geschrieben und so handeln wir.
Die Bundesregierung hat den Kulturhaushalt für das Jahr 2007 im Vergleich zu den im Vorjahr zur Verfügung stehenden Mitteln erneut erhöht.
Sie hat damit deutlich gemacht, wie ernst sie die Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland auch angesichts der schwierigen Haushaltslage nimmt. Dies kann im Übrigen vielen Bundesländern und Kommunen, die ihre Haushalte kürzen, als Beispiel dienen.
Meine Damen und Herren, ich sehe es als meine besondere Aufgabe an, trotz der Notwendigkeit drastischer Sparmaßnahmen im Gesamthaushalt positive Rahmenbedingungen für Kultur und Medien zu sichern und sie dort, wo sie ungenügend sind, zu verbessern. Hier konnte die Bundesregierung in den vergangenen Monaten Beträchtliches erreichen. Ich erinnere an die Beibehaltung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Kulturgüter, an das Folgerecht für den Kunsthandel, an die Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut, an die Beseitigung der unseligen Bagatellklausel im Urheberrecht, daran, dass wir die Deutsche Nationalbibliothek zukunftsfähig gemacht haben, an den Neubau des Literaturmuseums der Moderne in Marbach und nicht zuletzt an den Haushalt 2006, in dem wir für den Kulturbereich im Verhältnis zu 2005 ebenfalls eine Steigerung zu verzeichnen hatten.
Mit diesem Haushaltsentwurf 2007 und dem Finanzplan 2010 setzt die Bundesregierung insgesamt - Herr Steinbrück hat das gestern ausgeführt - ihren Haushaltskonsolidierungskurs fort. Gleichwohl konnte ich den Umfang des Kulturhaushalts steigern.
In einigen Bereichen konnten wichtige Erfolge erzielt werden. Nicht immer lassen sie sich so konkret beziffern wie bei der Förderung des deutschen Films, die das Kabinett vor der Sommerpause beschlossen hat. Wie im Koalitionsvertrag festgelegt, werden unter dem Titel ?Anreiz zur Stärkung der Filmproduktionen in Deutschland“ ab 2007 für die Dauer der Legislaturperiode jährlich 60 Millionen Euro für ein neues Konzept zur Filmfinanzierung zur Verfügung gestellt. Das ist ein fantastischer Erfolg für den Erhalt der Filmkultur und für die Filmwirtschaft in Deutschland.
Hier bedanke ich mich ausdrücklich bei Finanzminister Peer Steinbrück, der mich nicht gehindert hat, dies zu erreichen, sondern der mich dabei unterstützt hat. Das ist ungewöhnlich.
Damit erfüllt die Bundesregierung den im Koalitionsvertrag formulierten Auftrag, international wettbewerbsfähige, mit anderen EU-Ländern vergleichbare Bedingungen für unsere Filmwirtschaft zu schaffen. Unsere Maßnahme ist ein Bekenntnis zum deutschen Film. Erfolg und Qualität deutscher Filme in der letzten Zeit rechtfertigen, so denke ich, dieses Bekenntnis.
Ein weiteres Bekenntnis der Bundesregierung gilt der Deutschen Welle. Für sie ist die Zeit der unverhältnismäßigen Sparauflagen vorbei. Der Auslandssender ist für die Bundesregierung nach wie vor Deutschlands wichtigster Kulturbotschafter in der Welt.
Der Sender kann sich jetzt, wie der Haushalt 2007 beweist, auf eine aufgabengerechte Finanzierung durch die Bundesregierung verlassen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat eine weitere wichtige Haushaltsentscheidung für die Kultur getroffen, die ab 2008 und in den Folgejahren wirksam werden kann: Der Bund wird sich mit bis zu 50 Millionen Euro an der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden in Berlin beteiligen. Diejenigen, die den Zustand des historisch wertvollen Gebäudes kennen, wissen, dass hier dringend gehandelt werden muss. Berlin sieht sich allein nicht in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen.
Der Bund kommt damit seiner Mitverantwortung für die kulturelle Ausstrahlung seiner Hauptstadt wie auch der Verpflichtung für die Kulturnation Deutschland vorbildlich nach.
Meine Damen und Herren, ich habe nur drei Beispiele wegen ihrer besonderen finanziellen Dimension herausgehoben. Unser Haushalt hat im Regierungsentwurf 2007 einen Gesamtumfang von rund 1,1 Milliarden Euro. Wir haben zwar als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung eine globale Minderausgabe von rund 17 Millionen Euro zu erbringen, aber der Gesamtrahmen des Haushalts stellt sicher, dass wir auch in Zukunft unser finanzielles Engagement bei Einrichtungen und Projekten von gesamtstaatlicher Bedeutung fortsetzen können. Das gilt für die kulturellen Leuchttürme in den neuen Bundesländern ebenso wie für die bedeutenden Museen, die Gedenkstätten und die vielen innovativen Projekte in Literatur, Musik, darstellender und bildender Kunst.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschließend ein Wort zu einem Vorgang, der mich auch persönlich sehr beschäftigt. Ich bedauere außerordentlich die durch eine deplacierte Rede meines Abteilungsleiters bei der Eröffnungsveranstaltung des Kunstfestes Weimar ausgelösten Irritationen und die Betroffenheit, insbesondere bei den Opfern des KZ Buchenwald. Es war unverzichtbar, bei einem solchen Anlass in jedem Falle der Opfer von Buchenwald würdig zu gedenken. Dies ist Herrn Professor Schäfer klar; sein Versäumnis war ein großer Fehler. Wer Herrn Professor Schäfer und seine Arbeit als Historiker und langjähriger erfolgreicher Direktor des Hauses der Geschichte kennt, kann allerdings keinen Zweifel an seiner politischen und moralischen Integrität haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus dieser Rede eine inhaltliche Veränderung der Gedenkstättenpolitik des Bundes im Hinblick auf die Bewertung und Aufarbeitung der NS-Diktatur abzuleiten, ist völlig abwegig.
Hier steht die Bundesregierung in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierung.
Die NS-Diktatur und der durch sie verursachte Holocaust sind in ihrer Menschen verachtenden, grausamen Dimension einzigartig und durch nichts zu relativieren. Die Erinnerung hieran wach zu halten, bleibt eine herausragende Aufgabe unserer Gedenkstättenpolitik. Hier gehe ich von Ihrer aller Unterstützung aus.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Jochimsen das Wort.
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank, Herr Staatsminister, dass Sie die Gelegenheit hier genutzt haben, auf die Vorfälle und Vorgänge anlässlich des Kunstfestes in Weimar einzugehen. Allerdings muss ich sagen: In der Weise, wie Sie das getan haben, ist genauso wenig Klärung herbeigeführt worden wie durch Ihr Bedauern, das Sie nach den Äußerungen und der Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer zum Ausdruck gebracht haben. Wieder mussten wir hören, dass vor allen Dingen bedauert wird, dass Überlebende des Holocaust durch Äußerungen, wie sie Herr Professor Schäfer gemacht hat, verletzt wurden. Sie haben kein Wort zum Grundsatzthema ?Gedächtnis Buchenwald“ gesagt,
gegen das Herr Professor Schäfer in Weimar angeredet hat. Für das Verfehlen, nicht darauf eingegangen zu sein, hat er sich bisher nicht entschuldigt.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich klarstellen: Auch wenn auf dieser skandalösen Veranstaltung in Weimar kein einziger Überlebender anwesend gewesen wäre, wäre die Rede von Professor Schäfer genauso provozierend und nicht hinnehmbar gewesen, wie sie es war.
In einigen Jahren werden wir die Situation haben, dass leider niemand mehr da ist, der zu den Überlebenden zählt. Deswegen ist es so wichtig, uns mit dem Thema ?Gedächtnis Buchenwald“ auseinander zu setzen und uns auch dann zu entschuldigen, wenn wir gegen das Gedenken an Buchenwald verstoßen, und nicht nur dann, wenn wir Menschen, die betroffen sind, verletzen. Darum geht es.
Die Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer, die Worte des Staatsministers bisher und eben zu diesem Thema waren dem nicht angemessen.
Jetzt möchte ich mich mit dem Kulturetat und den Kulturinvestitionen auseinander setzen. Kultur sei eine Investition in die Zukunft. Von diesem Grundsatz der Bundeskanzlerin, die leider nicht mehr da ist
- ach, da ist sie -, ausgehend, den der Staatsminister gerade wiederholt hat, möchte ich die Haushaltsdebatte nutzen, um Regierung und Parlament
einen Kulturinvestitionsvorschlag zu machen, der bitter notwendig ist.
Gestern hat der Finanzminister von diesem Pult aus verkündet, alle zurückfließenden Milliarden müssten um unserer Kinder und deren Zukunft willen zum Abbau unserer staatlichen Schuldenlast verwandt werden. Das ist ein richtiger Satz. Trotzdem kann ich ihn nicht mehr hören, wenn ich bedenke, was den Kindern dadurch in zunehmendem Maße in unserem Land vorenthalten wird:
wahrhafte Teilhabe und Teilnahme an der großartigen, vielfältigen Kultur unseres Landes. Die kulturellen Defizite der Kinder und Jugendlichen sind beängstigend; alle Untersuchungen bestätigen dies. Dem muss endlich etwas entgegengesetzt werden.
Deshalb mein Vorschlag: Nehmen Sie 1 Milliarde Euro aus den zurückfließenden Geldern
und setzen Sie ein Programm ?Kultur für Kinder“ auf,
so wie die Vorgängerregierung dies für Ganztagsschulen getan hat.
Geben Sie den Kindern, die zu Hause keine Bücher, keine Möglichkeiten zum Musizieren und Gestalten haben, die Chance, in ihrem unmittelbaren Umfeld Musik- und Malschulen, Theater- und Tanzgruppen zu finden, ebenso wie Bibliotheken mit Lesezirkeln und -wettbewerben, Film-, Video- und Computerclubs unter kreativer Anleitung, Museen als ständige Erfahrungsorte und Kunsthandwerksstätten.
- ?In Berlin haben wir das“; der Einwurf kommt sehr zu Recht.
Kultur für Kinder überall und überall in gleichen Maßen - auf dem Land, in den Städten und in den Problemvierteln: Darum geht es.
Dort, wo es das gibt - wie in Berlin, Frau Kollegin -, muss es erhalten bleiben; wo es immer weniger wird - wie in Thüringen zum Beispiel -, muss es wiederhergestellt werden; wo es fehlt - das ist vielerorts in unserem Land der Fall -, muss es endlich eingerichtet werden.
Das wäre eine Investition in die Zukunft.
Verweisen Sie jetzt bitte nicht auf die Kulturhoheit der Länder.
Die Landesregierung möchte ich nämlich sehen, die da Geld vom Bund ablehnt.
Die Eltern und die Kinder werden das nicht mitmachen;
die Wählerinnen und Wähler werden das nicht mitmachen. Sie werden es einfordern.
Denken Sie auch daran, dass Sie damit Arbeit schaffen würden, kostbare, kreative Arbeit. So viele junge qualifizierte Fachleute für Musik, Theater, bildende Kunst, Film, Kunsthandwerk warten auf Aufgaben und die Chance, mit ihrem Können auch ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Frau Kollegin Jochimsen, die Debatte darüber müssen wir in die Ausschüsse verweisen. Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
Ein Programm für Kinder, Jugendliche und junge kreative Frauen und Männer wäre ein nationales Signal, das unser Land als wahre moderne Kulturnation auszeichnen würde.
Zum Schluss folgender Satz:
Man kann mit Politik keine Kultur machen, aber vielleicht mit Kultur Politik.
Erinnert sich noch jemand, wer das gesagt hat? - Es war Theodor Heuss, der erste Bundespräsident. Das wäre auch eine Verpflichtung für uns heute.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Monika Griefahn das Wort.
Monika Griefahn (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltstitel für Kultur und Medien ist mit einem Anteil von 0,4 Prozent am Gesamthaushalt sehr klein.
Deswegen müssen wir umso sensibler mit den einzelnen Posten umgehen, gerade wenn uns - das haben Sie, Herr Staatsminister, angekündigt - die globale Minderausgabe trifft. Denn die vielen kleinen Projekte wären vielleicht gar nicht mehr lebensfähig, wenn die Mittel gekürzt würden. Gerade diese vielen kleinen soziokulturellen Projekte, die Erziehungsprojekte, die musikalischen Projekte - Sie haben sie erwähnt, Frau Jochimsen - sind nämlich besonders wertvoll.
Das müssen wir uns noch anschauen.
Wir werden uns im Bundestag und auch im Kulturausschuss sehr intensiv mit den politischen Schwerpunkten beschäftigen. Auch da müssen wir schauen, wie die Kürzungen umgesetzt werden.
Herr Staatsminister Neumann hat aber auch auf positive Aspekte hingewiesen. Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank sowohl an den Staatsminister als auch an den Finanzminister dafür richten, dass die zusätzlichen 60 Millionen Euro für die Filmförderung im Haushalt eingeplant worden sind. Das ist nicht nur eine Chance für das Kulturgut ?deutscher Film“, sondern auch für das Wirtschaftsgut ?deutscher Film“. Damit werden ja auch Arbeitsplätze gesichert. Ich finde es prima, dass wir hier diese Kombination hinbekommen haben.
Diese Chance bietet sich auch an anderen Bereichen. Ich denke da an die Computerspiele. Vor zwei Wochen ist die Computerspielmesse ?Games Convention“, die einen riesigen Ansturm erlebt hat, zu Ende gegangen. Es kamen nicht nur mehr Menschen, als erwartet worden ist; es kamen im Durchschnitt auch ältere Besucher und mehr Mädchen und Frauen als in den letzten Jahren.
Inzwischen kann keiner die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung von Computerspielen ignorieren. Auch die wirtschaftliche Bedeutung ist wesentlich. Der Umsatz der Computerspielindustrie beträgt 1,5 Milliarden Euro - das ist einer der größten Märkte in Europa - und übersteigt sogar den Umsatz der Filmindustrie. Es werden aber weniger als 10 Prozent der Spiele von deutschen Herstellern entwickelt, obwohl gerade diese häufig qualitativ besonders gut sind. Das muss man auch einmal hervorheben. Deswegen sollten wir dies unterstützen. Das heißt, wir müssen von der Killerspieledebatte wegkommen. Es steht außer Frage, dass geltende Kinder- und Jugendschutzregeln eingehalten werden müssen. Dafür haben wir uns auch eingesetzt. Ich glaube, dass die USK, die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, insgesamt sehr gut funktioniert. Von insgesamt 2 686 geprüften Spielen wurde nur 30 wegen Jugendgefährdung keine Altersfreigabe erteilt. Ich finde es auch gut, dass die Bundesregierung klargestellt hat, dass momentan kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Strafgesetzbuch gesehen wird.
Das gibt uns die Möglichkeit zu schauen, wie wir diese Branche unterstützen und welche Marktanreize wir geben können. Ich denke zum Beispiel daran, dass ein Preis für die besten Computerspiele ausgelobt werden kann.
Herr Neumann, Sie haben auch die Deutsche Welle angesprochen. Ich freue mich, dass Sie sich dafür eingesetzt haben, dass im Kernhaushalt des Senders keine weiteren Einsparungen erfolgen sollen. Ich glaube aber, dass die Verringerung der Investitionen um 3 Millionen Euro schmerzhaft sein wird. Denn Investitionen in modernste Technik sind in diesem Bereich sehr wichtig.
Wenn wir über politische Schwerpunktsetzungen sprechen, muss auch die Frage der Integration, die in den letzten Wochen intensiver diskutiert wurde, behandelt werden. Da leisten Kultur und Medien einen besonders wichtigen Beitrag. Ich erwähne das Projekt an der Rütli-Schule - dieses Projekt gibt es auch an vielen anderen Schulen, aber es ist durch die Rütli-Schule bekannt geworden -, das durch den Einsatz von Musik, Tanz und Theater zu einer wesentlich besseren Stimmung in der Schule beigetragen hat.
Es gibt auch türkische Rapgruppen, die eine gute Vermittlerrolle spielen. Das sind Projekte zur Integration, die wir sehr stark fördern müssen.
Zu einem funktionierenden Zusammenleben gehört das wechselseitige Verstehen kultureller Unterschiede. Eine gezielte Förderung von interkultureller Kulturarbeit und der Kulturarbeit von Migrantinnen und Migranten sowie - das ist das Wichtigste, was aber noch zum Teil fehlt - die Einbindung der Migrantinnen und Migranten in bestehende Strukturen ist eine wichtige bundespolitische Aufgabe. Da müssen wir noch stärker Kultur und Medien mit einbeziehen; wir dürfen nicht nur über andere Bereiche diskutieren, wie das häufig der Fall ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die soziokulturellen Zentren hinweisen. Für diesen Bereich gibt es eine Bundesförderung. Wir sollten hier einmal anerkennen, dass mit wenigen Mitteln vor Ort viel geleistet wird.
Zu nennen ist auch die Kulturstiftung des Bundes, die eine wichtige Bedeutung für die Vermittlung zwischen den Kulturen hat. Aus Mitteln des Fonds Soziokultur, der Stiftung Kunstfonds und des Deutschen Literaturfonds werden viele Projekte gefördert, die einerseits innovativ und von gesamtstaatlicher Bedeutung sind, die andererseits im internationalen Kontext wesentlich zu einer weltoffenen Vermittlung von Kunst und Kultur beitragen.
Auch die Finanzierung von Einzelprojekten ist wichtig - wie die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom, das Deutsche Studienzentrum in Venedig oder die Villa Aurora in Los Angeles und in Berlin -, weil diese dialogfördernd sind: Verschiedene Künstler aus verschiedenen Ländern kommen zusammen, tauschen sich aus und sind hinterher Multiplikatoren in ihren Ländern. Diese Zusammenarbeit zu verstärken und mit den anderen deutschen Institutionen, die wir im Ausland haben, zu vernetzen, ist eine wichtige Aufgabe und wird jetzt angegangen. Zwischen Goethe-Institut und der Villa Aurora wird beispielsweise eine ganz enge Kooperation angestrebt.
Die Verständigung über Zukunft - das ist in den letzten Wochen deutlich geworden - ist abhängig von dem Wissen über Vergangenheit. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, welche Einrichtungen wir haben, die uns die Vergangenheit deutlich machen, und welche pädagogische Arbeit dort geleistet wird. Vor diesem Hintergrund müssen wir Gedenkstätten, Gedenkorte, Museen, Institutionen und Projekte, die Geschichte veranschaulichen und die Erinnerung plastisch machen, ausreichend finanziell ausstatten. Ich glaube, wir haben mit unserem Gedenkstättenkonzept dafür eine sehr gute Grundlage geschaffen. Wir haben wichtige Einrichtungen für das Gedenken an die NS-Diktatur, die wir ausreichend finanzieren müssen. Ich danke in diesem Zusammenhang Staatsminister Neumann, der auch in diesem Hohen Hause klargestellt hat, dass das ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist.
Hinzu kommen neue Projekte. Wir diskutieren über die Frage, wie man die SED-Diktatur am besten aufarbeiten kann. Diese Frage wird uns im nächsten Jahr sicherlich sehr intensiv beschäftigen.
Der Berliner Senat hat uns ein Konzept zum Gedenken an die Mauer vorgelegt, das auf eine Initiative von Abgeordneten aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zurückgeht. Es entstand sozusagen im Auftrag des Bundestages. Deswegen müssen wir uns daran beteiligen und gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Projekt professionell umgesetzt wird. Das Gedenken an die Mauer sollte nicht von irgendwelchen Initiativen wild realisiert werden.
In den nächsten Jahren werden wir viel zu tun haben. Kunst und Kultur sollen im Bundestag einen festen Platz haben. Sie sind nicht nur ?Lebensmittel“; sie haben auch eine wichtige Funktion für das Verstehen und Verständigen. Vor allem in viel ärmeren Ländern ist der Wunsch sehr groß, andere Kulturen kennen zu lernen und sich über kulturelle Fragen auszutauschen. Das Goethe-Institut hat diese Erfahrung in Afghanistan gemacht. In vielen Ländern, in denen die Not sehr groß ist, ist der Wunsch, sich über Kultur auszutauschen, sehr stark. Ich denke, der Bundestag sollte das aktiv unterstützen. Darüber sollten wir konstruktiv diskutieren.
Danke schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich ist es gut, dass die kulturellen Projekte in einem ersten Schritt mehr Geld bekommen. Dazu kann man ihnen nur gratulieren. Auch die Erhöhung der Bundesfördermittel für den deutschen Film um 60 Millionen Euro ist sehr erfreulich.
Auf der anderen Seite muss man trotzdem sagen - das sollte nicht verschwiegen werden -, dass dem auch Kürzungen gegenüber stehen. Ich denke beispielsweise an die Leuchttürme Ost, das Bachhaus in Eisenach oder die Ernst-Barlach-Stiftung, denen am Ende ein Drittel weniger Geld zur Verfügung steht.
Neben den Aufwüchsen muss meines Erachtens ein anderer Aspekt, der im Koalitionsvertrag steht, ins Blickfeld geraten, nämlich das, was Sie den Künstlerinnen und Künstlern bezüglich ihrer Existenzgrundlage versprochen haben. Auf diesem Gebiet hat sich bisher nichts getan. Wir stehen kurz davor, wieder von ?brotloser Kunst“ reden zu müssen. Es hilft nichts, wenn sich die Künstler in einzelnen Projekten wieder finden. Es geht um die Frage der sozialen Absicherung.
Man weiß, dass Künstlerinnen und Künstler, die vom Arbeitslosengeld II leben, nicht auf der Suche nach irgendeinem Arbeitsplatz sind, sondern üben, Kunst machen, sich selbst managen und versuchen, Aufträge zu bekommen. Sie passen nicht in das Konzept der Bundesagentur für Arbeit. Wir müssen dringend eine bessere Lösung finden. Sie haben das im Koalitionsvertrag versprochen. Das steht aber leider ?nur“ im Kulturteil. Wenn man - wie ich es getan habe - beim Arbeitsministerium nachfragt, dann bekommt man von verschiedenen Seiten gesagt, man könne hier keinen Handlungsbedarf erkennen. Ich finde, darüber sollten Sie sich mit dem Arbeitsminister unterhalten. Hier muss sich tatsächlich etwas ändern.
Das Gleiche gilt für die Frage der Standortschließungen bei Künstlerdiensten und der Zentralen Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit. Für was, wenn nicht für die Vermittlung von Jobs, ist sie eigentlich zuständig und mit welchem Recht sagt sie: Das streichen wir jetzt!? Herr Neumann, auch dazu hätte ich heute gerne etwas von Ihnen gehört. Denn dies ist ein Punkt, an dem Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag versprochen haben, endlich in die Tat umsetzen müssen.
Ich will an dieser Stelle auf die Ereignisse beim Kunstfest Weimar zu sprechen kommen, die mich in den letzten Wochen sehr beschäftigt haben. Dabei geht es mir nicht nur um die Rede von Herrn Schäfer, sondern vor allem um das, was danach passiert ist. Herr Neumann, das bezieht sich übrigens auch auf Ihre heutigen Einlassungen.
Sich hier nur hinzustellen und zu sagen, man bedaure die Irritationen, ist mir zu wenig. Ich bedaure die Rede, die dort gehalten wurde.
Ich will genau wissen, welche Schlussfolgerungen Sie eigentlich daraus ziehen. Sich hier nur hinzustellen und zu sagen, dass Sie nichts anders machen, das reicht mir nicht. Frau Jochimsen hat darauf hingewiesen. Die Entschuldigungen wurden von Mal zu Mal immer schlimmer. Dem Ganzen die Spitze aufgesetzt hat, dass Herr Schäfer dann gesagt hat: Ja, wenn ich gewusst hätte, dass Überlebende anwesend sind, hätte ich eine andere Rede gehalten.
Wir werden bald in einer Zeit leben, in der es keine Überlebenden mehr gibt und niemanden, der aus seiner eigenen Erfahrung heraus über die Zeit des Holocaust berichten kann. Genau deswegen ist es so dringend und wichtig, dass wir uns um eine neue Erinnerungskultur und neue Schritte bemühen. Dazu haben Sie nichts gesagt. Das halte ich für einen riesigen Fehler, Herr Neumann.
Man muss sich auch ansehen, welche Reaktionen von anderer Seite diese Rede provoziert hat. Herr Neumann, Herr Schäfer hat in einer Pressemitteilung der NPD Unterstützung bekommen.
Die laufen in Mecklenburg-Vorpommern damit herum und wollen deutlich machen, dass sich in der Bundesrepublik zum Glück etwas ändern wird. Ich will, dass wir in diesem Haus alle sehr deutlich sagen: Nein, daran ändert sich nichts. Nein, wir haben unsere Verantwortung für die Zukunft in die Hand genommen, aus der machen wir etwas, und gehen weitere Schritte, gerade was die Jugendlichen und die Kinder betrifft.
Die Fragen, die wir stellen müssen, lauten: Wie machen wir das, wenn niemand mehr da ist, der aus eigener Erfahrung berichten kann?
Wie machen wir das, wenn wir über angebliches Nichtwissen und Mitläufertum reden? Wie können wir damit umgehen, sodass Kinder und Jugendliche das heute für ihre eigene Zukunft erfahren?
Herr Neumann, ich möchte, dass wir unsere Geschichte mit all ihren Aspekten weiter ernst nehmen. Dazu gehören auch die Vertreibungen. Aber ohne eine Erinnerung in die Zukunft, ohne Klarheit, ohne Sensibilität und übrigens auch Wissen und Weitergabe von Wissen über die nationalsozialistischen Gräueltaten verlieren wir Zukunft.
Vor allem verlieren wir einen ganz wichtigen Teil unseres eigenen Selbstverständnisses und unserer eigenen Identität.
Das bedeutet weit mehr als fröhliche Fähnchen am Auto und vor allem ist es weit wichtiger.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion.
Olaf Scholz (SPD):
Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Schluss ein paar kurze Bemerkungen machen, damit wir gleich in die nächste Debatte einsteigen können. Ich will Bezug auf die Debatte, die wir bisher geführt haben, nehmen.
Ich glaube, es war ein sehr berechtigter Vorwurf an die FDP, den Herr Kauder hier erhoben hat und der auch in anderen Reden vorkam.
Es wurde gesagt: Passen Sie auf, dass Sie die durchaus großen und wichtigen außenpolitischen Traditionen Ihrer Partei nicht verspielen!
- Ich meine Herrn Scheel, Herrn Genscher und Herrn Kinkel. Das waren Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, die als Außenminister eine sehr verdienstvolle Politik gemacht haben, übrigens in mehreren Koalitionsregierungen, an denen Sie beteiligt waren.
Es ist etwas schwierig. Man kann sich vorstellen, dass in ein paar Jahren Herr Scheel, Herr Genscher und Herr Kinkel als Außenpolitiker und Außenminister dieser Republik zwar noch in Erinnerung sein werden, dass man sie aber nicht mehr mit der FDP in Verbindung bringen wird.
Daher glaube ich, dass Sie da ein wenig aufpassen müssen. Ich denke nämlich, dass sich in den letzten Monaten bei den verschieden außenpolitischen Debatten, die wir geführt haben, immer wieder etwas abgespielt hat, das man, wenn man Zeitung gelesen und hier im Haus diskutiert hat, wie folgt wahrnehmen konnte: Die Fachpolitiker entwickelten eine durchaus konstruktive politische Haltung und dann kam Herr Westerwelle dazwischen. Damit muss man sich auseinandersetzen. Bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich des Libanonmandates ist Ähnliches zu beobachten. Ich jedenfalls habe schon abgewogenere Gedanken gehört als diejenigen, die nun für die Freie Demokratische Partei gelten sollen.
Im Übrigen glaube ich, es ist, wenn man eine Rede mit der Erinnerung an gemeinsame Oppositionszeiten beginnt, ganz gut, sich die Frage zu stellen, ob man nicht vielleicht auch gemeinsam mit dem ehemaligen Oppositionspartner etwas lernen kann. Hier wende ich mich an Herrn Brüderle, der einen Spruch aus der gemeinsamen Oppositionszeit von FDP und Union wiederholt hat, von dem die Union heute weiß und sogar sagt, dass er nicht stimmte.
Ich rufe Sie dazu auf, sich dieser Erkenntnis anzuschließen.
Die Behauptung, die nicht stimmt, die aber in gewisser Wiederholung immer wieder auftaucht, lautet, dass die Einzelunternehmen bzw. die Personenunternehmen die Gebeutelten der Steuerreformen der Vergangenheit gewesen seien, dass sie nicht entlastet worden seien und dass nun zuallererst für diese Gruppe etwas getan werden müsse.
Heute wissen wir alle: Durch die Einkommensteuersenkungen der letzten Jahre und die verbesserte Berücksichtigung der Gewerbesteuer haben vor allem die Einzelunternehmen bzw. die Personenunternehmen und der Mittelstand eine ganz deutliche Entlastung erfahren. Auf dieser Erfahrung und Gesetzgebung können wir heute aufbauen.
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass es auch für Sie gut wäre, sich mit der neuen Wirklichkeit auseinander zu setzen, die Erfolge der rot-grünen Koalition zur Kenntnis zu nehmen und sich damit zu beschäftigen, wie wir die Steuerpolitik weiterentwickeln können, statt über etwas zu reden, was sich so, wie Sie es darstellen, gar nicht ereignet hat.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?
Olaf Scholz (SPD):
Ja.
Rainer Brüderle (FDP):
Lieber Kollege Scholz, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich von der beabsichtigten Unternehmensteuerreform der Koalition und nicht von der Vergangenheit sprach?
Olaf Scholz (SPD):
Sie haben die Vergangenheit nie zur Kenntnis genommen und eine falsche Bewertung der geplanten Unternehmensteuerreform vorgenommen. Denn Sie haben sowohl unberücksichtigt gelassen, dass wir auch für die Personenunternehmen noch etwas tun werden - das ist übrigens in allen Beschlüssen der Regierung bzw. der Koalition zu diesem Thema nachzulesen -, als auch außer Acht gelassen, dass die Steuersatzsenkungen der Vergangenheit insbesondere dem Mittelstand große Entlastungen gebracht haben.
Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer ist von 52 Prozent auf 42 Prozent gesunken,
der Eingangssteuersatz ist ebenfalls gesunken und die Anrechnung der Gewerbesteuer wurde neu geregelt und verbessert. Darum glaube ich, dass es richtig ist - vor allem für eine Partei, die sich dem Mittelstand verpflichtet fühlt -, zu sagen: Der Mittelstand steht zu Recht im Mittelpunkt der Politik der Regierung. Das gilt für die Politik der vorigen Regierung wie auch für die Politik dieser Regierung.
Meine Damen und Herren, ich will nicht lange auf die Ausführungen von Herrn Lafontaine eingehen.
Aber ich will etwas zu der Idee sagen, dass vonseiten der Regierung etwas unternommen werden müsse, um den Konsum auf irgendeine Weise zu fördern. Das alles klingt nach groß angelegten Konjunkturprogrammen.
Wenn man über solche Fragen diskutiert, macht es schon Sinn, sich zu überlegen, was man eigentlich will. Wir haben im Zusammenhang mit der Gebäudesanierung neue Möglichkeiten geschaffen, die sich massiv ausgewirkt haben, und die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen eingeführt. Dadurch wollten wir die Menschen dazu bringen, von der Schwarzarbeit zugunsten legaler Arbeit Abstand zu nehmen,
und darüber hinaus die wirtschaftliche Belebung unterstützen.
Das waren wirksame Programme, durch die der Mittelstand, die Wirtschaft, die Konjunktur und der Konsum in Deutschland gefördert wurden.
Im Zusammenhang mit der Körperschaft- und Unternehmensteuerreform diskutieren wir darüber, wie wir dafür sorgen können, dass die Gemeinden dabei ordentlich wegkommen.
Auch das ist für unsere Konjunktur sehr wichtig. Denn in den Gemeinden werden die für unser Land zentralen Investitionen getätigt.
Die abstrakte Forderung nach einem Konjunkturprogramm kann man sich leicht ausreden.
Ich empfehle Ihnen, einmal den Hamburger oder den Bremer Hafen zu besuchen und sich die Planungen für den neuen Hafen in Wilhelmshaven anzuschauen. Im Wesentlichen sind es nämlich die großen Häfen in Deutschland, die von konsumfördernden Konjunkturprogrammen profitieren. Mit der Frage, ob wir Arbeitsplätze in Taiwan, Südkorea oder Vietnam schaffen sollten, muss sich Herr Lafontaine schon auseinandersetzen, wenn er solche Forderungen in den Raum stellt.
Es wurde nicht dadurch klüger, dass die letzte Rednerin der PDS diese eigenwilligen Vorstellungen mit einer Milliarde, die sie sich heute Morgen beim Frühstück ausgedacht hat, gestalten will. Sie hat gefordert, diese eine Milliarde zusätzlich für Kulturleistungen auszugeben. Ich glaube, der geringe Ernst einer solchen Debatte ist offensichtlich und muss nicht weiter vertieft werden.
Es ist bereits viel geschafft worden. Ich nenne das Stichwort Föderalismusreform. Für manchen Kritiker unerwartet haben wir ein schwieriges Gesetz zustande gebracht.
Wir haben aber auch bereits viel im Zusammenhang mit dem Abbau von Steuersubventionen erreicht.
Sie lassen das in Ihren Reden immer außer Acht, weil Sie sich ausschließlich auf die Steinkohle beziehen. Haben Sie denn nur Steinkohle vor den Augen? Tatsächlich gibt es über die Kohlesubventionen hinaus seit Jahren eine ganze Reihe von Steuersubventionen, die nicht abgebaut wurden, weil es nicht möglich war, Mehrheiten dafür zu finden, die sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat gehalten hätten.
Ich bin daher froh, dass wir es bereits geschafft haben, zahlreiche Steuersubventionen, die fast jede Partei in diesem Hause hin und wieder einmal abschaffen wollte, abzubauen. Wir haben damit das getan, was die Bürgerinnen und Bürger von der großen Koalition erwarten. Sie erwarten von uns, dass wir die Dinge, über die wir uns einig sind, auch wirklich umsetzen. An dieser Stelle ist uns das gelungen.
Deshalb ist es schlecht, wenn Sie an der Idee vom Beginn dieses Jahres, zur Mehrwertsteuer reden zu wollen, festhalten, obwohl das diesbezügliche Gesetz bereits beschlossen worden ist.
Diese Idee ist nicht gut; denn die schwierigen Veränderungen, die wir gemeinsam vornehmen wollten, haben wir bereits eingeleitet. Man wird Ihnen nicht zuhören, wenn Sie weiterhin Ihre alten Reden halten.
Schönen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05.
Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 46. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 7. September 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]