51. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 21. September 2006
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns heute gute Beratungen.
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung darf ich Ihnen mitteilen, dass die SPD-Fraktion uns mitgeteilt hat, dass die ehemalige Abgeordnete Gisela Hilbrecht als stellvertretendes Mitglied aus dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt ausgeschieden ist. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Angelika Krüger-Leißner vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Kollegin Angelika Krüger-Leißner als stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2611, 16/2616 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Dr. Wolfgang Gerhardt, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2609, 16/2617 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin und der Fraktion der LINKEN zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2605, 16/2618 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2610, 16/2619 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Rechtsextremismus wirksam bekämpfen - Konsequenzen aus dem Wahlergebnis der NPD in Mecklenburg-Vorpommern
(ZP 1 bis ZP 5 siehe 50. Sitzung)
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Hans-Josef Fell, Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Technologiepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrichten
- Drucksache 16/2621 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Matthias Berninger, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabon-Ziele
- Drucksache 16/2622 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 29)
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Markus Kurth und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anhebung der Vergütung von Berufsbetreuern
- Drucksache 16/2649 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei
- Drucksache 16/2626 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Kersten Naumann und der Fraktion der LINKEN
Erhaltung des Trennungsgebots - Keine Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder
- Drucksache 16/2624 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger, Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz auf dem Telekommunikationsmarkt
- Drucksache 16/2625 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 30 c muss abgesetzt werden. Dabei handelt es sich um den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Unternehmen der Deutschen Bundespost. Zudem soll die federführende Beratung vom Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nunmehr auf den Haushaltsausschuss übergehen. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Auch dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d sowie den Zusatzpunkt 6 auf:
5. a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Hightech-Strategie der Bundesregierung - Neue Grundlage für Deutschlands Innovationspolitik
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Die Hightech-Strategie für Deutschland
- Drucksache 16/2577 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Forschungsprämie zur besseren Kooperation von Wissenschaft und Klein- und Mittelunternehmen (KMU) zügig umsetzen
- Drucksache 16/2628 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innovationen durch Investitionen - Sonderprogramm für die Wissenschaft zur Verbesserung der Kooperation mit der Wirtschaft (Forschungsprämie)
- Drucksache 16/2083 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Hans-Josef Fell, Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Technologiepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrichten
- Drucksache 16/2621 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch darin besteht offenkundig Einvernehmen.
Dann erteile ich nun das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr. Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit der Hightechstrategie für Deutschland legt die Bundesregierung ihre Ziele, Instrumente und Strategien in der Forschungs- und Innovationspolitik der kommenden Jahre vor. Wir stellen uns dem weltweiten Innovationswettbewerb und wir konkretisieren damit eine Leitlinie unserer Politik, die die Bundeskanzlerin genannt hat: die Zukunft nicht zu verbrauchen, sondern verantwortungsbewusst Talente zu nutzen, Technologien weiterzuentwickeln und die Rahmenbedingungen so zu modernisieren, dass eine gute Zukunft für künftige Generationen eröffnet werden kann.
Wo stehen wir heute in diesem Wettbewerb? Mit einem F-und-E-Anteil von rund 2,5 Prozent des BIP liegt Deutschland international auf Platz neun, hinter Ländern wie den USA und Japan, aber auch hinter Ländern wie Israel, Korea oder Schweden. Mit 8,4 Prozent der weltweit anerkannten Fachpublikationen in den Natur-, Ingenieur- und Medizinwissenschaften, mit 12 Prozent aller weltweit relevanten Patente und mit 16,5 Prozent der OECD-Exporte an Technologiegütern sind die Ergebnisse des deutschen Innovationssystems beachtlich. Sie machen Deutschland gar zum Exportweltmeister von Technologiegütern.
Unser Land ist führend im Maschinenbau, erstklassig im Fahrzeugbau und in der Umwelttechnik sowie Schrittmacher in vielen Bereichen der erneuerbaren Energien, der Laser-, Nano- und Medizintechnologie. Diese Leistungskraft wird durch eine exzellente Forschungslandschaft gefördert und von rund 170 000 innovativen Unternehmen getragen.
Die Hightechstrategie für Deutschland ist erstmals eine gemeinsame Strategie aller Ministerien, die ihren Beitrag zur Innovationspolitik leisten. Sie ist verbunden mit einem konsequenten Fokus auf Wege der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie ist verbunden mit einer Betrachtung von technologischen Entwicklungsprozessen und Rahmenbedingungen, mit für jeden technologischen Bereich klar formulierten Zielen auf der Grundlage einer Stärken-Schwächen-Analyse und mit Anreizen für strategische Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Vor allem ist sie verbunden mit einem deutlich erhöhten finanziellen Einsatz von insgesamt rund 15 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010.
Diese Bundesregierung macht also Ernst mit einer umfassenden und neuen Strategie, die die Innovationskraft unseres Landes stärken wird. Damit verbunden ist die Aufforderung an die Länder, jetzt ihre Innovationsstrategien vorzulegen,
über die im Dezember zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten beraten wird.
Hinter der Hightechstrategie für Deutschland steckt ein ungewöhnlich hohes Potenzial: Damit können wir das 3-Prozent-Ziel im Bereich Forschung und Entwicklung erreichen, das die Mitgliedsländer der Europäischen Union für das Jahr 2010 innerhalb der Lissabonstrategie als Zielvorgabe gesetzt haben; damit können wir den lange eingeforderten besseren Technologietransfer in neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren erreichen; wenn alle 17 Innovationsstrategien konsequent und mit dem entsprechenden finanziellen Einsatz der Unternehmen umgesetzt werden, können damit viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Wenn ich sage, dass 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen können, ist das nicht übertrieben, sondern eher untertrieben. In vielen Analysen steckt nämlich folgender Zusammenhang: Im Bereich von Forschung und Entwicklung brauchen wir in den nächsten Jahren rund 90 000 Arbeitsplätze mehr; davon sind circa 60 000 in den Unternehmen anzusiedeln, die - laut Prognosen - je 30 industrielle Arbeitsplätze nach sich ziehen. Damit kämen wir auf 1,8 Millionen neue Arbeitsplätze. Weil wir bescheiden sind, sagen wir: 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze.
Innovationspolitik, die über Ressortgrenzen hinweg als roter Faden unseres Regierungshandelns angelegt ist, bringt Deutschland voran. Es gibt keine wirksame Alternative, die den geistigen und materiellen Wohlstand unseres Landes künftig sichern könnte. Wir verbinden mit dieser Strategie die Vision von einem Land, das Leistung in Wissenschaft und Wirtschaft würdigt und anerkennt. Wir wollen Talente und Begabungen in allen Bereichen fördern, Kräfte bündeln und unsere Konzepte so optimieren, dass aus Deutschland eine der forschungsfreudigsten und im Blick auf den Technologietransfer erfolgreichsten Nationen der Welt wird. Wir spekulieren nicht über Zukunft, wir sorgen vor.
Innovationskonzepte der Vergangenheit waren zu stark auf Forschung konzentriert. Jetzt ist unser Ziel, dass sich Forschungsideen auch auf den Märkten durchsetzen. Es sollen neue Märkte für Produkte, Dienstleistungen und Verfahren entstehen sowie bestehende Märkte zu Leitmärkten ausgebaut werden.
Die Hightechstrategie für Deutschland setzt neue thematische Prioritäten in der Energieforschung, der Gesundheitsforschung, der Nanotechnologie sowie der Informations- und Kommunikationstechnologie und schließlich der Sicherheitsforschung. Zur Neuausrichtung der Projektförderung werden Innovationsplattformen eingerichtet. Seitens des BMBF wird der Prozess der Strategiebildung auf der Ebene der Plattformen unterstützt.
Deutschland, das Land der Ideen, wird zum Land der Taten. Dafür müssen die Wege von der Entwicklung zum Markt kürzer und schneller werden.
Mit der Hightechstrategie für Deutschland werden Forschungsförderung und Rahmenbedingungen erstmals konsequent gemeinsam betrachtet. Dazu nenne ich nur wenige Beispiele.
Die Forschung im Rahmen der Grünen Gentechnik muss ein angemessenes Umfeld für ihre Anwendung erhalten. Wir werden in Kürze Vorschläge dazu vorlegen, die einerseits Kommunikation zur besseren Akzeptanz befördern und andererseits Sorge dafür tragen, dass Forscher nicht nur nicht behindert werden, sondern auch wirklich gut arbeiten können.
Ich nenne die Marktdurchdringung deutscher Technologieprodukte, die durch Normungs- und Standardisierungsprozesse unterstützt werden muss. Die Auswertung von Informations- und Kommunikationslösungen muss durch E-Government im Interesse der Bürgerinnen und Bürger beschleunigt werden. Die Prosperität der Zukunftsbranche Medizintechnik braucht geeignete Vergütungsregelungen für Innovationen im Gesundheitswesen. Die Zukunft der Informations- und Kommunikationsmärkte bedarf einer modernen Medienordnung.
Ein leuchtendes Beispiel der Hightechstrategie ist die OLED-Initiative. Das BMBF fördert Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet organischer Leuchtdioden, so genannter OLED, in den nächsten Jahren mit 100 Millionen Euro. Gleichzeitig werden die beteiligten Unternehmen 500 Millionen Euro investieren. Das ist ein Beispiel für das, was für alle 17 Innovationsstrategien gelten muss: Wir mobilisieren mit öffentlichen Mitteln ein Mehrfaches an Mitteln aus der Wirtschaft. Ich bin davon überzeugt, dass dies eines von vielen positiven Beispielen sein wird, und rufe die Wirtschaft dazu auf, ihren Beitrag zu allen 17 Innovationsstrategien zu leisten.
Eine der zentralen Botschaften der Hightechstrategie für Deutschland ist die neue Priorität für Innovationspolitik als Zentrum unseres Regierungshandelns. Wir unterstreichen diesen Aufbruch für einen neuen Stellenwert der Innovationspolitik durch die deutliche Erhöhung der Investitionen in Forschung und Entwicklung bis zum Ende dieser Legislaturperiode mit insgesamt zusätzlich 6 Milliarden Euro. Einen solchen Anstieg von Investitionen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. Wir investieren in die Zukunft unseres Landes.
Wir leisten eine Innovationspolitik aus einem Guss. Wir setzen Anreize für eine anwendungsorientierte Wissenschaft, eine forschungsfreundliche Wirtschaft und neue strategische Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Wir führen eine Forschungsprämie für Forschungsaufträge kleiner und mittlerer Unternehmen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ein. Sie soll die Wissenschaftseinrichtungen motivieren, sich stärker auf wirtschaftsrelevante Themen und Forschungsaufträge einzulassen. Die Prämie wird an die Hochschulen und Forschungseinrichtungen ausgezahlt.
Wir werden Deutschlands Spitzencluster in einem themenoffenen Wettbewerb - nach dem Grundsatz: Stärken stärken - prämieren und fördern. Durch diese Förderung sind die ausgewählten Cluster imstande, ihr Profil zu schärfen, Entwicklungshemmnisse zu überwinden und zu internationalen Anziehungspunkten zu werden. Auf diese Weise werden neue Märkte für deutsche Technologien, Produkte und Dienstleistungen erschlossen und mehr F-und-E-Direktinvestitionen aus dem Ausland angezogen.
Die Förderung innovativer kleiner und mittlerer Unternehmen durch die Bundesregierung wird im Rahmen der Hightechstrategie prioritär ausgebaut. Das gilt für Aktivitäten des Wirtschaftsministeriums und für mein Haus. Die Förderung von KMU in der Spitzentechnologie über Fachprogramme hinaus wird einheitlich gestaltet und auf diesem Wege ausgebaut. Durch mehr Transparenz wird ein einfacherer Zugang zu den Programmen ermöglicht. Die Mittel zur Förderung von Forschung und Entwicklung der KMU werden bis 2009 um 40 Prozent auf 850 Millionen Euro steigen. Die Finanzierung von Forschungsvorhaben durch Banken und Investoren wird erleichtert. Die Bedingungen für Wagniskapital werden verbessert.
Dies alles betrifft das Stichwort Rahmenbedingungen. Wir wissen das und setzen es in dieser Strategie um.
Fachprogramme sind das eine, gute Rahmenbedingungen, um das, was in den Fachprogrammen an Potenzial steckt, umsetzen zu können, sind das andere.
Kleine und mittlere Unternehmen sind auch deshalb so stark im Fokus, weil wir wissen, dass sie nicht nur die meisten Jobs in Deutschland schaffen, sondern auch besonders kreativ sind. Unsere Strategie hilft den Unternehmen bei Kontakten zur Wissenschaft und bei der Umsetzung ihrer eigenen Forschung in Produkte; Existenzgründern wird der Weg in den Markt erleichtert.
Meine Damen und Herren, wissenschaftlichen Forschungsergebnissen fehlt oft die notwendige Reife für eine wirtschaftliche Verwertung. Zur Schließung dieser Lücke ist es notwendig, mögliche Anwendungen, die erfolgversprechend sind, im Blick auf ihre technische Machbarkeit zu prüfen. Hierzu wird ein einheitliches Förderkonzept in geeignete Fachprogramme eingebaut.
Die Umsetzung der Hightechstrategie für Deutschland schließlich wird von der Forschungsunion Wirtschaft - Wissenschaft begleitet. Hier erarbeiten Vertreter der Wirtschaft und der Wissenschaft unter Beteiligung der jeweiligen Ressorts Empfehlungen für die weitere Ausgestaltung der Hightechstrategie, die in unsere unmittelbare Forschungspolitik einfließen. Ich halte es für ein sehr interessantes Zeichen, dass erstmals auch bei der Konkretisierung von Forschungsförderung Wirtschaft und Wissenschaft von Beginn an zusammenarbeiten. Das wird auch den Prozess der Mobilisierung von finanziellen Investitionen seitens der Wirtschaft befördern.
Die Forschungsunion ist ein deutliches Signal für eine neue Mentalität als Grundlage erfolgreicher Innovationspolitik. Wirtschaft und Wissenschaft haben klar definierte Ziele sowie einen klaren Zeitplan für die Umsetzung, der mit einem jährlichen Fortschrittsbericht verbunden ist, und tragen gemeinsam Verantwortung für einen beschleunigten Technologietransfer.
Mit der Hightechstrategie für Deutschland leisten wir zugleich einen Beitrag zu einer europäischen und internationalen Innovationspolitik. Wir stellen die Weichen so, dass Deutschland ein starker Motor für den Forschungsstandort Europa sein kann. Die EU-Präsidentschaft im kommenden Jahr gibt uns Gelegenheit, wichtige Entscheidungen für den Forschungsstandort Europa zu verwirklichen: Der Europäische Forschungsrat wird seine Arbeit aufnehmen. Das 7. Forschungsrahmenprogramm tritt in Kraft. Wir stehen in den Vorbereitungen für einen möglichen europäischen Exzellenzwettbewerb über neue Wege zum Technologietransfer in Europa. Die Lissabonstrategie ist das Herzstück der europäischen Innovationspolitik. Sie ist Voraussetzung, um im weltweiten Innovationswettbewerb stark zu werden. Sie ist der Motor für eine neue Dynamik in Europa. Hierbei nimmt die Hightechstrategie für Deutschland eine Vorreiterrolle ein.
Gewachsene Forschungs- und Innovationskompetenz in Deutschland steigert auch die Möglichkeiten europäischer und internationaler Kooperationen.
Meine Damen und Herren, die Hightechstrategie für Deutschland ist auf eine überaus positive Resonanz in der Öffentlichkeit gestoßen. Sie ist das Ergebnis gelungener Kooperation zwischen den Ressorts und eines neuen Dialogs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie ist ein Zeichen der Entschlossenheit der Bundesregierung, diese Legislaturperiode zu nutzen, um die Weichen auf Zukunft zu stellen und künftigen Generationen die Basis für geistigen und materiellen Wohlstand zu schaffen.
?Ideen zünden“ steht für Kompetenz und Leidenschaft bei dieser wichtigen Zukunftsaufgabe. Ich danke allen Beteiligten für die hervorragende Arbeit der vergangenen Monate und bin zutiefst davon überzeugt, dass die Hightechstrategie für Deutschland eine innovationspolitische Erfolgsgeschichte werden kann.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion.
Cornelia Pieper (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wachstumschancen und Wohlstand lassen sich nur durch Innovationen erschließen; das ist richtig, Frau Ministerin. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung eine Hightechstrategie vorgelegt hat. Angesichts der globalen Herausforderungen, die Sie in der Hightechstrategie beschreiben, will ich aber daran erinnern: Wir befinden uns nicht nur mit unseren europäischen Nachbarn im Wettbewerb, sondern auch mit anderen Kontinenten.
Die Aufholjagd mancher Länder hat ungeheure Ausmaße. Denken Sie nur an Indien und China: Indien gehört heute zu den Topten der Weltrangliste. China hat dem Rest der Welt mit einem groß angelegten Technologieprogramm den Kampf angesagt. Dabei schreckt man in China nicht vor staatlichen Zwangsmaßnahmen zurück,
durch die der chinesischen Wirtschaft die Auflagen gemacht werden, Hightechimporte beim Staat zu beantragen und einen Plan für ihren Nachbau bzw. ihre Kopie vorzulegen.
Frau Ministerin, es ist erschreckend, dass man in Deutschland - dem Land, in dem der Transrapid erfunden wurde - heute zur Kenntnis nehmen muss: Das Transrapidkonsortium strebt ein Joint Venture mit China an, wenn Deutschland nicht endlich die Transrapidreferenzstrecke in München baut. Was die Hightechstrategie angeht, müssen wir mit dem Schneckentempo aufhören.
Die Bilanz technologischer Dienstleistungen Deutschlands wies im Jahre 2002 einen Negativsaldo von 7,5 Milliarden Euro aus: Deutschland importiert mehr Erfindungen, Patente und Ingenieurleistungen, als es ausführt. Das ist in der Tat ein Problem. Deutschland muss im weltweiten Wettbewerb mithalten. Das wollen wir alle. Deswegen müssen wir schneller, unbürokratischer und besser werden.
Das Bekenntnis der Bundesregierung zum auf EU-Ebene vereinbarten Ziel, 3 Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist richtig, Frau Ministerin. Allerdings müssten, so haben die deutschen Forschungsinstitute, die den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006 erstellt haben, festgehalten, allein Bund und Länder ihre jährlichen Ausgaben um 6 Milliarden Euro steigern, um dieses Ziel zu erreichen. Damit entzaubert man Ihre Hightechstrategie und Ihr 6-Milliarden-Euro-Innovationsprogramm.
So wichtig die Hightechstrategie auch ist, da sie richtige und wichtige Ansätze, die Sie gerade beschrieben haben, enthält, gehört zur Ehrlichkeit auch, zu sagen, dass bei dem 14,6-Milliarden-Euro-Programm laufende und künftige Programme bis 2009 buchhalterisch zusammengerechnet worden sind. Das ist die Wahrheit. Daher ist das, was Sie im Rahmen der Hightechstrategie tun, kein Drauflegen, sondern eigentlich nur ein Zusammenfassen.
Will Deutschland die Herausforderungen der Globalisierung im 21. Jahrhundert annehmen, müssen Sie, Frau Ministerin, und muss die Bundesregierung einen Zahn zulegen. Der Bedarf an akademischen Fachkräften wurde uns durch den OECD-Bericht erneut vor Augen geführt. Die Studienabbrecherquote liegt in Deutschland bei 35 Prozent; das OECD-Mittel beträgt 23 Prozent. Hier ist noch viel zu tun. Dazu gehört für mich das Thema Freiheit und Autonomie an den Hochschulen. Ich denke vor allem an den Hochschulpakt, über den Sie gerade mit den Bundesländern verhandeln. Warum wurden diese Verhandlungen eigentlich verschoben? Auch das verdeutlicht das Schneckentempo aufgrund des Kompetenzgerangels zwischen Bund und Ländern.
Mut und Tatkraft zu mehr Freiheit und Wettbewerb für Innovationen sind notwendig, um in der Champions League der Industrienationen mitspielen zu können.
Herr Tauss, die Europäische Kommission hat jüngst ein Zehnpunkteprogramm zur Innovationsförderung in der europäischen Wirtschaft beschlossen, so genannte Lead Markets, durch die Innovationen für die Wirtschaft erleichtert werden sollen, indem Behörden gezielt günstige Bedingungen für die erfolgreiche Vermarktung innovativer Waren und Dienstleistungen schaffen. Ebenso brauchen wir schnellere, leichtere und unbürokratischere Genehmigungsverfahren für Produkte, die neu auf den Markt kommen. Auch diesem Thema sollte sich die Bundesregierung mehr als bisher widmen.
Sorgen Sie dafür, Frau Ministerin, dass Sie sich von ideologischen Prestigeobjekten verabschieden! Sie wollen Innovationsmotor sein mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr; doch bei der Beratung über das Siebte Forschungsrahmenprogramm der EU haben Sie restriktiv gehandelt: Sie haben die anderen europäischen Länder davon abhalten wollen, weiter embryonale Stammzellforschung zu betreiben und dies von der Europäischen Union fördern zu lassen.
Mit einem Innovationsmotor hat das nichts zu tun. Wer ständig nur auf die Risiken neuer Forschungsfelder hinweist, verspielt Deutschlands Chancen.
Ich finde es gut, dass Sie die Idee der Forschungsprämie, die die FDP schon vor fünf Jahren gemeinsam mit dem BDI und den Wissenschaftsorganisationen erarbeitet hat, auf den Weg bringen. Aber leider ist auch dieses Programm zu kurz gesprungen, es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn Sie wollen nur einen Teil der Unternehmen fördern, nämlich jene 18 Prozent aus dem KMU-Bereich, die heute schon forschen. Sie legen ein finanzpolitisches Korsett an. Wir dagegen wollen ein Programm von 200 Millionen Euro.
Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Wenn diese Bundesregierung in den Haushalt für nächstes Jahr 400 Millionen Euro zur Subvention der Steinkohlenförderung einstellen kann, dann muss es doch möglich sein, für so ein Zukunftsprogramm 200 Millionen Euro aufzulegen. Das wäre ein Innovationsschub für ein Anreizsystem zugunsten eines Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Investieren Sie in die Zukunft in Größenordnungen, die wir im globalen Wettbewerb brauchen! Bewegen Sie sich nicht im Schneckentempo!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion.
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein schöner Morgen in Berlin, ein guter Tag für die Forschung in Deutschland!
Mit der Hightechstrategie legt Frau Ministerin Schavan eine ressortübergreifende, Technologiepolitik koordinierende und bündelnde Strategie vor. Fast wie in einem virtuellen Haus werden Technologien künftig unter einem programmatischen Dach in Themenfeldern zusammengefasst und eine gemeinsame Strategie zu ihrer Umsetzung erarbeitet.
Nun muss ich mich doch ein paar Sekunden mit der FDP aufhalten. Frau Pieper, wenn wir bei dem Bild des Hauses bleiben, muss ich feststellen, dass Sie zum Fundament des Forschungshauses in den letzten Jahren nun wirklich nichts beigetragen haben; insofern sind Ihre Forderungen bemerkenswert.
Im Gegenteil, als Sie noch regiert haben vor zehn Jahren, ist die Baugrube sogar zugeschüttet worden: Bis 1998 sind die Mittel für Forschung und Bildung und Technologie gekürzt worden.
Erst unter Rot-Grün - das kann man an dieser Stelle durchaus einmal feststellen - sind die Mittel für Bildung und Forschung erhöht worden, und zwar um 37 Prozent. Die sozialdemokratische Bildungs- und Forschungsministerin Edelgard Bulmahn hat angefangen, wieder in die Köpfe der Menschen in diesem Land zu investieren.
Sie reden von ?Schneckentempo“. Dabei sind Sie während Ihrer Regierungszeit im Schneckentempo sogar in die falsche Richtung gekrochen.
Wir gehen in die richtige Richtung und wir haben den Gang beschleunigt. Sie haben davon geredet, dass wir nicht genug investieren würden. Dabei waren es Sie, die in den letzten Jahren durch Ihre heftige Blockade im Bundesrat verhindert haben, dass wir althergebrachte Subventionen abschaffen.
Ohne die Eigenheimzulage hätten wir schon jahrelang Hunderte von Millionen Euro mehr in Forschung und Technologie investieren können.
Ich bin sehr froh - damit komme ich zur Hightechstrategie zurück -, dass Frau Ministerin Schavan diesen Kurs hält, weiter in die Köpfe der Menschen investiert, und auf diesem Fundament ein gutes Haus konstruiert. Die Hightechstrategie enthält eine Menge interessanter Technologieansätze, etwa optische Technologie und maritime Technologie. Ich empfehle jedem die Lektüre des entsprechenden Berichtes. Frau Schavan hat ja schon eine Menge ausgeführt. Gesundheitsforschung und Medizintechnik beispielsweise bilden schon heute einen gigantischen Wirtschaftssektor. Trotzdem stecken wir 800 Millionen Euro zusätzlich in diesen Bereich, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil dieser Bereich für viele Menschen, die betroffen sind, hohe Bedeutung hat.
Aus meiner Sicht das zentrale Technologiefeld - der Kollege Dieter Grasedieck wird noch im Besonderen darauf eingehen - ist allerdings die Energietechnologie. Sie muss vordringlich gefördert werden, nicht nur weil es um die Zukunft der kommenden Generationen geht - von denen wir heute eine Menge Gäste auf den Besuchertribünen sehen. Wir dürfen eben nicht alles Öl und alle Rohstoffe, die wir zur Verfügung haben, verschwenden und den künftigen Generationen, unseren Enkeln und deren Kindern, nichts mehr davon übrig lassen, sondern wir müssen bereits heute in Energieeinsparung, in Energieeffizienz, in neue Energietechnologien investieren. Das tut diese neue Bundesregierung. Damit ist sie auf einem guten Weg.
Eine weitere wichtige Komponente der Energietechnologie ist - das merken wir bereits heute; Dieter Grasedieck und ich kommen aus dem Ruhrgebiet, der Stahlregion - das immense Arbeitsplatzpotenzial in diesem Bereich. Ich glaube, dies wird vielfach unterschätzt.
Es gibt aber auch Technologiebereiche, auf die wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten genauer schauen werden; das ist unbestritten. Als Beispiel nenne ich die Grüne Gentechnik. Die Vorfälle und die Debatten in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen bezüglich des ?Genreises“ von Aldi zeigen, dass man noch nicht in der Lage ist, mit dieser Gentechnologie unbedenkliche Produkte auf den Markt zu bringen. Im Gegenteil: Die Verunsicherung bei den Verbrauchern ist sogar gewachsen.
Von daher sehen wir es als unsere Aufgabe an, nicht nur Kosten-Nutzen-Analysen im wirtschaftlichen Sinne einzufordern, sondern auch nachzufragen, was eine Technologie für die Umwelt, die Nachhaltigkeit und die Gesellschaft bedeutet, welche Konsequenzen sie hat und welchen Stellenwert zum Beispiel die im Bericht erwähnten 50 Biotechnologieunternehmen, die sich in Deutschland mit der Grünen Gentechnik befassen, gegenüber den 150 000 Beschäftigten im ökologischen Landbau - Tendenz steigend - einnehmen. Ich glaube, eine solche Abwägung gehört zur Politik.
Was auf Seite 8 dieses Berichts der Bundesregierung steht, ist richtig - ich darf zitieren -:
Die Neugier und Offenheit eines jeden Einzelnen gegenüber Neuem prägen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Zu grundlegenden Erfahrungen zählt aber auch, dass mit dem wissenschaftlich und technisch Möglichem verantwortungsbewusst umgegangen werden muss.
Ich glaube, das zeigt, dass diese Regierung verantwortungsbewusst vorgehen wird.
Die Sicherheitsforschung - dabei geht es auch um Sicherheitstechnologien - ist ein weiterer Bereich, den wir sehr konstruktiv begleiten werden. Frau Schavan, Sie haben am 4. Juli 2006 in Karlsruhe in Ihrer Rede zur Sicherheitsforschung gesagt - ich darf zitieren -:
Die Freiheitsrechte dürfen nicht zugunsten der Sicherheit unter Druck geraten.
Das ist richtig. Sie werden uns auch in diesem Fall an Ihrer Seite haben.
Ich bin froh, dass Sie gestern in den Ausschussberatungen klargestellt haben, dass es sich bei der Sicherheitsforschung nicht nur um ein technologiezentriertes Programm handelt, sondern dass auch die Ursachenforschung wichtig ist. Man ist allerdings durchaus irritiert, dass in der Kapitelüberschrift in diesem Bericht steht:
Sicherheitstechnologien: Keine Chance für Kriminalität und Terrorismus ...
Ich sage ausdrücklich: Es darf keine Verengung des Sicherheitsbegriffs auf Kriminalität und Terrorismus geben. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass allein die Hochwasserkatastrophe an der Elbe im Jahre 2002 nicht nur annähernd 100 Tote, sondern auch materielle Schäden von bis zu 11 Milliarden Euro verursacht hat, dann erkennen wir, dass die Begriffe Gefahr und Sicherheit aufgrund der zunehmenden Zahl von Naturkatastrophen ganz anders definiert werden müssen.
Meine Damen und Herren, zu jedem Technologiebereich gibt es in diesem Bericht auch eine SWOT-Analyse, also eine Analyse der Stärken und Schwächen des jeweiligen Bereiches; Frau Ministerin Schavan erwähnte das. Ein Begriff ist mir dabei sehr häufig untergekommen. Oftmals wird als Herausforderung bzw. Schwäche des jeweiligen Technologiebereiches der Fachkräftemangel genannt. Wir müssen befürchten, dass bereits in einigen Jahren nicht mehr genügend Fachkräfte - sowohl Ingenieure und Wissenschaftler als auch normal ausgebildetes Personal - zur Verfügung stehen. Auf Seite 8 des Berichts steht zu Recht - ich darf zitieren -:
Die Innovationskraft unseres Landes hängt entscheidend von der beruflichen Qualifikation der hier lebenden Menschen ab.
Das ist nicht allein Aufgabe des Staates, sondern liegt in der Verantwortung aller.
Wie viele andere Kollegen beschäftige auch ich nach Beginn des neuen Ausbildungsjahres seit Montag eine Auszubildende für Bürokommunikation in meinem Büro.
Wenn ich durch die vielen Bewerbungsgespräche in den letzten Wochen eines gelernt habe, dann ist das die Tatsache, dass die meisten der jungen Menschen diesen Ausbildungsplatz verdient hätten. Sie sind nämlich besser als ihr Ruf; sie haben einen guten Eindruck auf mich gemacht.
Wir müssen ihnen die Chance geben, Bestandteil dieser Gesellschaft und des Arbeitslebens zu werden. Hightech ist ohne gut ausgebildete Menschen nicht möglich.
Mein Appell an die Wirtschaft ist, nicht nur Hightech zu fördern und Forschung zu unterstützen, sondern sich ebenso an der Ausbildung von Menschen zu beteiligen. Wir als Sozialdemokraten werden darauf achten, dass dies geschieht.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass Sie, Frau Ministerin, eine Hightechstrategie vorgelegt haben, ist unbestritten dringend notwendig. Der methodische Ansatz selbst ist nicht neu. Japan hat ihn erstmals in den 50er-Jahren getestet und danach einen gewaltigen wissenschaftlich-technischen Aufstieg genommen. Die Chinesen haben sich des gleichen Ansatzes bedient: Ihre Wirtschaft boomt derzeit ohne Ende.
- Das höre ich mir nachher noch einmal an.
Der Reichtum intellektueller Ressourcen dieses Landes steht der Knappheit finanzieller Ressourcen des Staates gegenüber. Man muss sich also überlegen, wie man beides in ein optimales Verhältnis zueinander bringt. Aus unserer Sicht muss das mit dem Ziel geschehen, den Nutzen für möglichst viele Menschen zu vergrößern. Ihre Sicht dagegen richtet sich vor allem auf die Kommerzialisierung von Erkenntnissen. Das heißt, mit Steuergeldern geförderte Forschungsergebnisse werden letztlich privatisiert. Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen Ihrem und unserem Herangehen. Wohlgemerkt: Wir sind nicht gegen die Verwertung des Wissens; aber das ist nicht unsere alleinige Priorität.
Nichtsdestotrotz haben Sie sich nun auf der Basis einer Stärken-Schwächen-Analyse vorhandener Potenziale für Förderprioritäten entschieden. Diese Klarstellung macht sicherlich das Hauptverdienst der Hightechstrategie aus. Es ist ein Anfang gemacht; das ist ja schon einmal etwas.
Ich will aber einige Grundprobleme benennen, weil sie wesentlichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg dieser Strategie haben; das haben Sie selber erwähnt.
Erstens. Die EU versucht, Wissenschafts- und Technologieentwicklung sowohl in Inhalt als auch in den Fördermodalitäten zu harmonisieren. Sie betrachtet sich selbst als konkurrierenden Block zu anderen Regionen der Erde. Zeitgleich versuchen alle EU-Länder, sich mittels nationaler Strategien ebenfalls einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern, auch denen der EU, zu verschaffen. Nun haben auch noch die 16 deutschen Bundesländer Innovationsstrategien entwickelt. Dabei ist es kaum gelungen, die Regelungen untereinander zu harmonisieren. Das wird von der Wirtschaft zu Recht kritisiert. Ich komme aus der Region Halle/Leipzig und sehe, dass dort ganz unterschiedliche Regelungen gelten. Die gegenwärtige Situation bedarf also nicht des Aufbaus von Technoblöcken oder eines Leitmarktes Deutschland, wie Sie es bezeichnen, sondern kooperativer Lösungen, die sich langfristig als zukunftsfähig erweisen werden.
Bei Ihrem Ansatz ist immer der Sieg das Ziel. Aber wir alle wissen: Es wird nur wenige Gewinner geben. Das haben wir längst beim Wettbewerb um Industrieansiedlungen erlebt. Auch da hat niemand die Konkurrenzlinie verlassen. Es werden also weiter Unsummen öffentlicher Gelder im Glauben an Markt und Wettbewerb in Fördertöpfe von Einzelstrategien geworfen, ohne dass man es am Ende auch nur plumpsen hört.
Bei der Umsetzung von Erkenntnissen müssen wir uns doch fragen: Was ist gesellschaftlich wirklich sinnvoll? Umgesetzt werden sollte doch das, was vielen Menschen und damit der Gesellschaft als Ganzes Nutzen bringt und eben nicht zu vermarkten ist. Ich will noch einmal daran erinnern: Hier werden Steuergelder eingesetzt. Also sollten doch jene, die diese Steuergelder sozusagen als Absender zahlen, die ersten Adressaten dieser Politik sein.
Zweitens. Die Hightechstrategie begleitet inhaltlich die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Bis 2009 - das haben Sie gesagt - sollen 15 Milliarden Euro ausgegeben werden. Sie finanzieren aber genau genommen nur die Basis einer Förderpyramide. Ich meine, damit ist es längst nicht getan. Wir brauchen mehr Förderebenen. Bislang konzentrieren Sie sich vor allem auf die Gründung von innovativen Unternehmen. Dagegen ist nichts einzuwenden; diesem Ziel dienen der Hightechgründerfonds und die Forschungsprämie. Letztere sollte im Übrigen nicht nur für Wissenschaftseinrichtungen, sondern vor allem auch für kleine und mittelständische Unternehmen erreichbar sein.
Was meine ich mit ?mehr Förderebenen“? Sechstens. Wenn in Zukunft über Internet nicht mehr nur Daten abgerufen, sondern auch Geräte direkt erreicht werden können, stellt sich die Frage nach informationeller Selbstbestimmung und Datensicherheit in einer völlig neuen Qualität. Immerhin eröffnen sich Möglichkeiten der lückenlosen Erfassung menschlicher Bewegung und Aktivitäten. Daher kann es bei diesen Anwendungspotenzialen nicht nur um Forschungsförderung gehen. Gleichermaßen haben wir zu ergründen, wie man unzulässigen Zu- und Eingriff in die Privatsphäre der Menschen verhindern kann.
Ich weiß, dass diese Stichpunkte nur fragmentarisch sind. Niemand kann hier auf Vollständigkeit plädieren. Die vorgelegte Hightechstrategie ist für mich ohnehin nur Auftakt für weitere Diskussionen. Ohne solche Diskussionen besteht das Risiko einer Fehlauswahl. Wenn wir falsch auswählen, nährt man damit am Ende unter Umständen Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit. Ich glaube, das kann nicht in unserem Interesse sein. Im Interesse der Menschen muss am Ende mehr Lebensqualität erreicht werden.
Die Hightechstrategie sollte demzufolge wesentliche Inspiration aus der Frage gewinnen, wie sich Menschen die zukünftige Gesellschaft vorstellen. Wenn es sich lohnt, eine Sache zu machen, dann lohnt es sich auch, sie gut zu machen.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Aigner, CDU/CSU-Fraktion.
Ilse Aigner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität. - Was erkennen wir bei dieser Betrachtung? Nur wenn wir an der Spitze des weltweiten Innovationswettbewerbs mitspielen, hat unser Land eine Chance.
In Deutschland wird Forschung auf Spitzenniveau betrieben. Es hapert aber bei der Umsetzung. Heute wurden schon der Transrapid und der MP3-Player angesprochen. Ich nenne als Beispiel Herrn Professor Grünberg aus Jülich: Er wird als Anwärter für den Nobelpreis gehandelt. 1989 hat er den Riesenmagnetwiderstand entdeckt. Acht Jahre später baute IBM den ersten Lesekopf für dann kleinere Festplatten. Heute wird die Entwicklung von Hitachi weitergeführt. Jülich freut sich zwar über die Lizenzeinnahmen; die Arbeitsplätze sind aber leider anderswo entstanden. - Das wollen wir ändern, das können wir ändern und das müssen wir auch dringend ändern.
Die Grundlage dafür bildet die Hightechstrategie. Daran ist Folgendes wichtig und neu:
Erstens. Die ganze Bundesregierung verpflichtet sich zu innovationsfreundlichem Handeln.
Zweitens. Es gibt über alle Ressorts hinweg 17 abgestimmte Innovationsfelder.
Drittens. Der Schwerpunkt liegt auf der Umsetzung.
Viertens. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition haben - das kann man nicht oft genug sagen - beschlossen, in den nächsten Jahren 6 Milliarden Euro zusätzlich in Forschung und Entwicklung zu investieren.
Eine Hightechstrategie braucht nicht nur Forschungsförderung; sie braucht auch einen innovativen Staat, eine innovative Wirtschaft und insgesamt eine innovative Gesellschaft. Wir brauchen schlicht auf breiter Front einen Kulturwandel in Deutschland.
Wir setzen auf strukturelle Neuerungen, etwa auf die Forschungsprämie; dazu haben wir einen Antrag eingebracht. Was soll mit der Forschungsprämie erreicht werden? Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die Mittel aus der Wirtschaft einwerben, bekommen als Forschungsprämie einen Aufschlag von 25 Prozent. Die Forschungsprämie konzentriert sich auf den Mittelstand. Warum? Die Forschungseinrichtungen müssen und sollen stärker auf den Mittelstand zugehen, um ihn zu mehr Aktivitäten in Forschung und Entwicklung zu bewegen. Der Mittelstand muss mehr in Innovationen investieren.
Die Wirtschaft insgesamt - nicht nur der Mittelstand - muss ihren Beitrag dazu leisten. Um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen, muss die Wirtschaft zwei Drittel aufbringen, ein Drittel der Staat. Wir fordern das von der Wirtschaft ein.
Viel erwarte ich vom Wettbewerb der Spitzencluster. Sie sind auf der einen Seite Leuchttürme und auf der anderen Seite Magnete. Welche Anziehungskraft, welche Sogwirkung eine richtig gemachte Clusterpolitik haben kann, zeigt das Beispiel Dresden. Mit Silicon Saxony existiert in den neuen Bundesländern heute, 16 Jahre nach der Wiedervereinigung, ein Forschungs- und Industriecluster von europäischem Gewicht.
1994 waren 650 Personen in der Halbleiterbranche beschäftigt. Heute sind es 9 000. Infineon rechnete 1994 mit höchstens 1 450 Beschäftigten. 2002 waren es schon 4 400. Alle Prognosen wurden übertroffen. Die Wirkung auf die Region war und ist enorm. Mit jedem direkten Arbeitsplatz waren 1,5 zusätzliche Arbeitsplätze verbunden. Das ist die Umsetzung von Wissen in Arbeitsplätze.
Wir gehen davon aus, dass sich beim Clusterwettbewerb eine ähnliche Dynamik entwickelt wie beim Exzellenzwettbewerb der Hochschulen, der zurzeit läuft. Damit bin ich beim wichtigsten Rohstoff der Hightechstrategie, nämlich bei den Menschen. Seit Jahren warnen uns die Forschungsinstitute - Herr Röspel hat das schon angesprochen - vor einem Fachkräftemangel, der bei anspringender Wirtschaft auf uns zukommen könnte. Die Hightechstrategie weist sechs Querschnittstechnologien auf: Nanotechnologie, Biotechnologie, Mikrosystemtechnik, optische Technologien, Werkstofftechnologien und Produktionstechnologien. Bei vier von diesen sechs Feldern erscheint in der Rubrik ?Herausforderungen“ in der Stärken-und-Schwächen-Analyse das Wort ?Fachkräftemangel“. Deshalb müssen wir alle unsere jungen Menschen optimal ausbilden und ihre Fähigkeiten bestmöglich zur Geltung bringen. Das können wir nur, wenn wir die gesamte Bandbreite unseres Ausbildungssystems nutzen.
Es ist wichtig und richtig: Wir müssen den akademischen Nachwuchs fördern. Es ist aber unredlich, bei der Akademikerquote Deutschland mit anderen Ländern eins zu eins zu vergleichen, wie in der gerade erschienenen OECD-Studie geschehen.
Andere Länder haben nämlich keine echte Alternative zur akademischen Ausbildung. In Amerika heißt es: entweder Studium oder Hilfsarbeiter, um es einmal ganz deutlich zu sagen. Wir haben eine Alternative: die berufliche Aus- und Weiterbildung. Ein Beispiel: In den USA muss man quasi ein Hochschulstudium absolvieren, um den Beruf der Krankenschwester zu erlernen. Ob diese Krankenschwestern für die berufliche Praxis besser ausgebildet sind als unsere Krankenpflegerinnen und -pfleger, ist eine ganz andere Frage.
Das duale System ist ein riesengroßer Vorteil. Andere Länder beneiden uns darum. Gehen Sie einmal in einen Betrieb des Maschinenbaus oder der Automobiltechnik! Sie sehen dann fleißige Menschen an Fünf-Achs-CNC-Fräsmaschinen stehen. Diese werden nicht am Bürotisch ausgebildet, sondern sowohl in der beruflichen Erstausbildung als auch in der Weiterbildung in der Praxis für diesen Beruf bestens qualifiziert. Das ist ein Standortvorteil.
Zur Hightechstrategie gehören selbstverständlich auch die Höchstqualifizierten. Für diese ist der Wissenschafts- und Arbeitsmarkt global. Für Nachwuchswissenschaftler verbessern wir gerade die Bedingungen durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz entscheidend. ?Mehr Chancen für Spitzenkräfte“ ist unser Motto. Von diesen Chancen muss man aber auch erfahren. Wir waren in diesem Jahr in Kalifornien. Die Kolleginnen und Kollegen, die dabei waren, können sich vielleicht an eine Gruppe junger Forscherinnen und Forscher am Cal-Tech erinnern. Eine ihrer wesentlichen Forderungen war eine wesentlich bessere Vernetzung bzw. ein besserer Austausch mit der deutschen Wissenschaft, damit sie wieder Kontakt zu uns haben.
Deshalb ist die angekündigte Internationalisierungsinitiative goldrichtig.
Das Potenzial der Hightechstrategie hat unsere Ministerin Dr. Schavan mit 1,5 Millionen Arbeitsplätzen beziffert. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen alle an einem Strang ziehen. Das Ziel ist hoch gesteckt, aber aller Mühe wert.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine gute Hightechstrategie kann dazu beitragen, dass der Wandel von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft wirklich gelingt, weil durch Stärkung von Forschung und Entwicklung Investitionen in neue Märkte und auch in neue Dienstleistungen möglich werden, weil die Effizienz der Mittel gesteigert werden kann und weil durch Bündelung Transparenz und die Überprüfung der Wirksamkeit von Mitteln möglich werden, was bei öffentlich geförderten Projekten besonders wichtig ist.
Wir freuen uns, dass bewährte Programme in die Hightechstrategie aufgenommen wurden, aber wir haben auch Kritik an Ihrer Strategie, Frau Schavan, nämlich die, dass Sie kein zukunftsfähiges Leitbild haben, an dem Ihre Strategie ausgerichtet ist.
Sie haben in einem Interview festgestellt, dass die Forschungsförderung in Deutschland lange Zeit das Ziel und auch die Zeit hatte, aus Geld Wissen zu machen. Jetzt sei es Zeit, aus Wissen Geld zu machen. Das ist im Zusammenhang mit der Hightechstrategie viel zu kurz gesprungen; denn es geht nicht darum, mit irgendetwas an die Spitze des internationalen technologischen Fortschritts zu gelangen,
sondern es muss darum gehen, eine intelligente Förderpolitik zu betreiben. Dabei müssen sich die technologische Entwicklung und vor allem die Problemlösungen an den drängenden Fragen der Gegenwart ausrichten.
Deswegen muss das Leitbild für die technologische Entwicklung das ressourcenleichte und nachhaltige Wirtschaften sein. Wir brauchen eine Technologieförderung, die im Blick hat, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich gravierend verändert. Wir wollen Antworten auf die Fragen, welche Folgen der Klimawandel hat, wie wir mit den ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Energie- und Ressourcenknappheit umgehen, welche Konsequenzen Wanderungsbewegungen, der demografische Wandel und das Gefühl der bedrohten kollektiven und individuellen Sicherheit haben. Bei Ihnen, Frau Schavan, vermissen wir ein solches Leitbild.
Ihre Hightechstrategie enttäuscht vor allen Dingen deshalb, weil sie einfach Schwerpunkte aneinanderreiht und sich im Wesentlichen auf rein technische und technologische Lösungen bezieht, ohne den Blick auf den gesellschaftlichen und ökologischen Kontext zu richten. Sie haben nur noch über 17 Strategien gesprochen und nicht mehr über diese eine Hightechstrategie.
Bei der Agrogentechnik und der Fusionsforschung bezeichnen Sie Ihre neuen Schwerpunkte als neue Freiheit und Verzicht auf ideologische Scheuklappen; das ist dem Vorwort Ihrer Broschüre zu entnehmen. Das zeigt doch, dass Sie nicht verstanden haben, welches die eigentlich wichtigen Zukunftsfelder vor allen Dingen öffentlich finanzierter Innovationspolitik sind. Da sind Sie ganz im Gestern geblieben und kommen nicht im Morgen an.
Ein zentrales Ziel der Technologieförderung sollte doch zum Beispiel sein, Deutschland zum Leitmarkt für Effizienztechnologien zu machen. Da sollten wir tatsächlich Spitzenreiter in der Welt werden. Da haben wir ein gutes Fundament. Wir brauchen stärkere Anstrengungen bei der Erforschung, Entwicklung und Markteinführung. Das gilt insbesondere für emissionsfreie Technologien, erneuerbare Energien sowie für erneuerbare Ressourcen.
Ihr Vorgehen mit der Aneinanderreihung der 17 Schwerpunkte - finanziell sind noch nicht alle unterlegt - birgt auch eine weitere Gefahr, nämlich die, dass Forschung unter dem Gesichtspunkt der reinen Verwertbarkeit gesehen wird. Natürlich müssen kreative Ideen auch in marktfähige Produkte umgesetzt werden - das ist grundsätzlich wichtig und richtig -,
aber die Forschung hat auch ein eigenes Erkenntnisinteresse und das müssen wir ihr erhalten. Es kann nicht darum gehen, dass Forschung nur noch unter dem Gesichtspunkt betrieben wird: Kann das ein Unternehmen hinterher auch benutzen?
Die angewandte Forschung muss auch möglich sein, wenn Firmen erst hinterher prüfen: Wie können wir das Ergebnis in marktfähige Produkte umsetzen? Auch dann müssen Förderinstrumente greifen.
Insofern ist Ihre Hightechstrategie allerdings noch zu dünn. Es gibt zum Beispiel die Ankündigung für einen Clusterwettbewerb. Er beginnt aber erst im Jahr 2008. Es gibt die Ankündigung für ein Private-Equity-Gesetz. Das kommt aber frühestens im Jahr 2007.
Dabei wäre es für die KMU doch essenziell, dass die Bundesregierung im Bereich Wagniskapital in die Pötte kommt.
Wir Grünen haben einige Ideen dazu, wie es gerade kleinen forschungsintensiven Unternehmen leichter gemacht werden kann. Wir schlagen zum Beispiel vor, dass künftig die Kosten für Patentanmeldungen auf die Bilanzsumme des Unternehmens anrechenbar sind. Damit kann die Kapitalbasis gerade junger Unternehmen bei der Einführung neuer Produkte und Prozesse gestärkt werden. Innovative Unternehmen können so ihren tatsächlichen Wert besser abbilden, was ihre Position gegenüber Kapitalgebern stärkt.
Wir wollen außerdem das Gesetz für Unternehmensbeteiligungsgesellschaften zugunsten besonders investitionsbereiter Unternehmen modernisieren. Dabei müssen die steuerlichen Regelungen verbessert werden, fokussiert auf Wagniskapital. Wir als Grüne wollen, dass Deutschland ein höchst attraktiver Standort für diese Unternehmen wird, damit diese dann zum Erreichen des 3-Prozent-Ziels beitragen können, was wir doch alle gemeinsam schaffen wollen.
Mit Ihrer Forschungsprämie allein, die Sie jetzt einführen wollen, ist das nicht zu machen, auch wenn wir dem Instrument generell positiv gegenüberstehen.
Aus dem Koalitionsantrag ergeben sich mehr Fragen als Antworten. Die Erfahrungen anderer Länder sind gut, was die Einführung einer Forschungsprämie angeht. Allerdings muss man in Betracht ziehen, dass in vielen anderen Ländern die Forschungsprämie den Wirtschaftsunternehmen zugute kommt. Sie haben in Ihrem Antrag formuliert, dass sie nur den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zugute kommen soll.
Das ist richtig. Aber es stellt sich die Frage: Wie kann erreicht werden, dass die Forschungsprämie in den Hochschulen auch tatsächlich bei den Forscherinnen und Forschern ankommt, um so ein Anreizsystem zu schaffen?
Wir fragen uns auch: Wie können eigentlich Unternehmensverbünde davon profitieren? Nur dann nämlich können tatsächlich Cluster entstehen. Nur dann ist die Forschungsprämie als Finanzierungsinstrument eine sinnvolle Ergänzung für die Hightechstrategie.
Die Koalitionsfraktionen fordern, die Bundesregierung solle die Definitionsmerkmale für förderfähige KMU nicht zu eng fassen. Das ist mehr als gummiartig. Wir als Grüne wollen, dass verstärkt die kleineren KMU zum Zuge kommen.
Wenn Sie für die Unternehmen, die profitieren können, die Grenze von 500 auf 1 000 Mitarbeiter hochsetzen, aber weiterhin nur eine Forschungsprämie von 32 Millionen Euro verankern, dann verteilen Sie die Forschungsprämie vor allem auf große Unternehmen. Gerade die kleinen hoch innovativen Betriebe werden nichts davon haben.
Unklar bleibt auch, warum es eigentlich eine Mindestfördersumme geben soll. Wenn das ganze Verfahren unbürokratisch sein soll, fragt man sich doch, warum gerade die Bereiche, die wenig kostenintensiv forschen, nicht zum Zuge kommen sollen. Das macht bei dieser Fördersumme überhaupt keinen Sinn.
Die Forschungsprämie scheint also noch nicht so innovativ zu sein, wie es wünschenswert wäre.
Es gibt aber noch zwei weitere Bereiche, in denen Sie die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt haben. In der Sicherheitsforschung zum Beispiel schimmert nach wie vor durch, dass bei Ihnen die Technikzentriertheit einen hohen Stellenwert besitzt. Gestern im Ausschuss haben Sie, Frau Schavan, ausdrücklich betont, dass es Ihnen bei der Sicherheitsforschung vor allem um ?technologische Schutzmaßnahmen für die zivile Bevölkerung“ geht. Auch der Presse war zu entnehmen, dass sich Ihr Ministerium vor allem auf die Entwicklung von Technologien konzentriert. Wissen Sie, weltweit ist die Sicherheitstechnologie ein so boomender Bereich, dass man da nicht noch gutes öffentliches Geld hinterher werfen muss. Wichtig wäre, dass die Präventions-, Ursachen- und Krisenforschung mit einbezogen wird. Wichtig ist, dass Geistes- und Sozialwissenschaften integriert werden. Wichtig ist auch, dass sich die Sicherheitsforschung nicht nur mit Terrorismus und innerer Sicherheit, sondern auch mit den Folgen des Klimawandels, mit Naturkatastrophen, technischen Katastrophen und deren Bewältigung beschäftigt. Da fehlt es noch an einem innovativen Konzept der Bundesregierung. Wir sind gespannt darauf, wann Sie das vorlegen werden.
Ihre falsche Schwerpunktsetzung wird auch noch in einem anderen Bereich deutlich, nämlich der Dienstleistungsforschung. Der Dienstleistungssektor wird nach einhelliger Meinung aller Fachleute in Zukunft eine immer größere volkswirtschaftliche Bedeutung bekommen. In den letzten 14 Jahren sind hier bereits 4,7 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden. Angesichts dessen ist die Fördersumme der Hightechstrategie von 50 Millionen Euro lächerlich gering; denn gerade an der Schnittstelle zwischen technologischer Forschung und der Entwicklung wissensbasierter Dienstleistungen können sich neue Beschäftigungsfelder und marktfähige Produkte ergeben.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Hightechstrategie lässt noch nicht erkennen, wie Bund, Länder und die Wirtschaft das 3-Prozent-Ziel erreichen sollen. Sie lässt leider noch kein Feuerwerk an Ideen zünden. Vor allem besetzt sie nicht die wichtigen Zukunftsfelder. Die Idee ist gut, die Umsetzung noch ziemlich schlecht.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dieter Grasedieck ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Dieter Grasedieck (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große Koalition steigert den Forschungsetat um 6 Milliarden Euro. Die FDP aber spricht vom Verspielen. Die FDP spricht vom Schneckentempo. Frau Pieper, Sie fordern Wirtschaftsförderung und Hochschulförderung. Wir machen beides. Wir führen das bei der Clusterbildung zusammen. Moderne Berufe werden durch dieses Programm kreiert. Ich meine, das ist der richtige Ansatz. Das ist der Weg in die Zukunft.
- Ja, das auch noch.
Frau Hinz sprach vorhin vom Leitbild. Für uns ist das Leitbild bei diesem Programm: durch Innovation neue Arbeitsplätze schaffen. Da waren wir erfolgreich in den letzten drei Jahren. Da können wir Erfolge aufweisen. So wurden beispielsweise 20 000 neue Arbeitsplätze im Rahmen der CO2-Gebäudesanierung geschaffen. Das ist ein Erfolg.
Wir haben im Bereich der erneuerbaren Energien 25 000 neue Arbeitsplätze hinzugewonnen. Auch das ist ein Erfolg.
Darauf müssen wir immer wieder hinweisen; denn wir wollen an der Stelle weitermachen. Wir wollen weitermachen, indem wir die Zusammenarbeit der Hochschulen mit der Wirtschaft fördern. Die Stärken sollen - auch innerhalb der Wirtschaft - gefördert werden. Das hat die Ministerin vorhin schon erwähnt. Wir wollen die kleinen und mittleren Betriebe in den Vordergrund stellen. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe sollen gefördert werden, weil diese Betriebe kreativ und wirklich flexibel arbeiten. Schauen Sie sich das doch bitte in Brandenburg und in Bremen an. Hier produzieren Mechaniker und Ingenieure Teile für Satelliten und für die Luftfahrt, etwa für die Airbusse A350 und A380 - absolute Spitzentechnologien. Wir brauchen eine Weiterentwicklung in diesen Bereichen, weil wir davon ausgehen, dass es bis zum Jahre 2020 zu einer Verdopplung des Luftverkehrs kommen wird. Dafür brauchen wir in den nächsten Jahren gut ausgebildete Kräfte und Spezialisten. Man sieht das unter anderem daran, dass Airbus in Hamburg 1 000 Ingenieure sucht. Das ist ein guter Ansatz. Wer hätte vor zehn Jahren davon geträumt, dass Airbus Boeing überholt? Das ist seit dem Jahre 2004 der Fall; das war damals eine Schlagzeile wert. Wir ernten die Früchte unserer Forschungspolitik der letzten Jahrzehnte, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir fördern aber nicht nur die Luftfahrt, wir haben unter anderem auch die Satellitenforschung im Blick. Betrachten wir zum Beispiel die Ariane V, die sich jetzt auf dem Weltmarkt etabliert hat. Vor etwa vier Monaten wurden mit ihr 8,3 Tonnen erfolgreich in den Weltraum gebracht. Das war absoluter Weltrekord. Durch unsere Satellitenforschung verbessern wir auch gleichzeitig unser Leben: Es wird sicherer und bequemer - ich erinnere nur an die Möglichkeiten, die das Handy bietet -, auf der anderen Seite natürlich auch ein wenig hektischer.
Sicherer wird das Leben zum Beispiel dadurch, dass Naturkatastrophen schon im Anfangsstadium erkannt werden können und man dann Gegenmaßnahmen planen bzw. sich wie zum Beispiel bei Taifunen darauf einstellen kann.
Satellitentechnik macht das Leben unter anderem auch dadurch sicherer, dass Flugzeuge durch Navigationssysteme gelenkt werden können. Solche Unfälle wie vor einigen Jahren bei Konstanz am Bodensee können dadurch vermieden werden. Die Zahl der Unfälle kann dadurch insgesamt wesentlich reduziert werden. Mit Satellitenhilfe können schließlich Blinde gelenkt werden. Das sind enorme Vorteile, die sich durch diese Entwicklung ergeben. Unser Leben wird also sicherer und bequemer durch Satellitenforschung.
Das ist aber nur ein wichtiger Sektor. Ein weiterer wichtiger Sektor, der im Programm der großen Koalition angesprochen wird, ist die Energieforschung - die Herausforderung des Jahrhunderts. Sie wurde vorhin schon von meinem Kollegen René Röspel angesprochen. Die Energietechnologie stellt eigentlich das Rückgrat unserer Volkswirtschaft dar. Sie müssen wir weiterhin fördern. Bei erneuerbaren Energien und Kraftwerkstechnologie sind wir Exportweltmeister. Hier müssen wir weiter voranschreiten. Bei Windkraftanlagen haben wir eine hervorragende Marktposition: 40 Prozent der Weltproduktion wird bei uns gebaut und 60 Prozent von diesen 40 Prozent führen wir aus. Das ist ein Exportschlager.
Ein weiterer Exportschlager ist natürlich auch unsere Kraftwerkstechnologie. Dadurch, dass der Wirkungsgrad bei Kohlekraftwerken in den letzten Jahren wesentlich verbessert wurde, reduzieren wir den CO2-Ausstoß. Bei Steinkohlekraftwerken liegen wir bei 45 Prozent, bei Braunkohlekraftwerken bei 43 Prozent. Damit halten wir die technologische Spitzenposition in der Welt. Andere Länder erzielen Wirkungsgrade von 25 bis 30 Prozent. Wir sind hier auf dem richtigen Wege und müssen da weitermachen. Deshalb unterstützen wir diesen Bereich durch unsere neuen Innovationsprogramme.
Durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir natürlich den CO2-Ausstoß reduziert, aber nicht nur das; wir haben dadurch auch 20 000 Arbeitsplätze geschaffen. Ich habe darauf hingewiesen. Im Bereich erneuerbare Energien sind insgesamt 170 000 Arbeitsplätze entstanden. Auch das war ein Erfolg unserer Politik. Wir haben aber nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Ausbildungsplätze geschaffen. Das ist gerade in der heutigen Situation von besonderer Bedeutung. Ich nehme als Beispiel einmal aus meinem Wahlkreis die Städte Bottrop und Gelsenkirchen: Dort sind über hundert neue Ausbildungsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen worden.
In einem Kohlekraftwerk dieser Region werden beispielsweise über 400 Ausbildungsplätze pro Jahr zur Verfügung gestellt.
Wir sind also auf dem richtigen Weg. Auf diesem Weg gehen wir mit unserem Programm weiter. Eine neugierige und lernende Gesellschaft schaffen wir nur durch neue, moderne Ausbildungsplätze.
Allein das ist ein Grund, das neue moderne Technologieprogramm der großen Koalition zu begrüßen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
Ulrike Flach (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Hightechstrategie. Daher lohnt es sich, einmal im Lexikon nachzuschlagen, was der Begriff ?Strategie“ eigentlich bedeutet:
Ein längerfristig ausgerichtetes planvolles
- das fällt Ihnen besonders schwer, Herr Tauss -
Anstreben einer vorteilhaften Lage. Strategie zielt auf den richtigen Einsatz bestimmter Mittel in Zeit und Raum ab und ist im Unterschied zur Taktik langfristig angelegt.
Legt man diese Definition zugrunde, dann muss man sagen, dass die Bundesregierung uns keine Hightechstrategie - das muss man ganz nüchtern so konstatieren -, sondern eine Hightechtaktik mit ausgesprochen großen Schwächen vorgelegt hat.
Ihre Taktik ist ein wohl verpacktes Bonbon für den geneigten Wähler - das muss ich zugeben, Frau Schavan - mit dem klaren taktischen Ziel, den Innovationsbegriff politisch zu besetzen. Sie wollen innovativ wirken, ohne sich den Mühen innovativer Politik wirklich zu unterziehen.
Marketingmäßig muss man Ihnen ein Lob aussprechen - ich habe nichts anderes erwartet; es ist die Fortführung der Politik, die die SPD in den sieben Jahren ihrer Regierung gemacht hat -: Sie haben eine bunte Hightechfibel aufgelegt. Politisch gesehen, Frau Schavan, bewegen Sie sich in der Tat auf den Spuren aller Vorgängerregierungen.
- Aller Vorgängerregierungen!
Neu ist die Sicherheitsforschung. Wir haben aber eben erfahren, dass es dazu im Ausschuss heftige Diskussionen gegeben hat. Auch dieser Punkt ist also zwischen den Koalitionspartnern heftig umstritten.
Neu ist auch das Private-Equity-Gesetz. Frau Hinz, wenn es so dringend notwendig ist - auch wir sind dieser Meinung -, dann muss ich Sie fragen: Warum haben Sie es in den letzten Jahren dann nicht gemacht?
Natürlich begrüßen wir, dass in diesem Jahr - das war auch im letzten Haushalt der Fall - mehr Geld für Forschung und Entwicklung zusätzlich ausgegeben wird. Wir haben dies immer gefordert. Herr Röspel, es ist daher ausgesprochen unredlich, gerade Frau Pieper und mir vorzuwerfen, dass wir nicht mehr Geld für Forschung ausgeben wollten.
In den acht Jahren als Mitglieder des Deutschen Bundestages
haben wir Sie Jahr für Jahr angetrieben, mehr Geld für diesen Bereich einzustellen.
Der letzte Minister, der weniger Geld ausgegeben hat, war übrigens kein Liberaler, sondern kam von den Christdemokraten, die jetzt Ihr Koalitionspartner sind. Vielleicht wenden Sie sich einmal an die, um sich zu beschweren.
Nach meinem Wissen gibt es in den Haushalten in Deutschland keinen anderen Etat, der so gut gestellt ist wie dieser. Ich sage für meine Fraktion, dass das gut ist.
Aber unabhängig davon, dass mehr Geld etwas Schönes ist: Sie müssen schon wissen, was Sie mit diesem Geld tun wollen. Wenn man sich Ihre Hightechstrategie anschaut, dann muss man sagen, dass das alles andere als klar ist. Sie verteilen Sahnehäubchen auf alte Kuchenstücke von Edelgard Bulmahn und Sie verkünden dabei gleichzeitig Ziele wie die Schaffung von 1,5 Millionen zusätzlichen Jobs oder die Senkung der Flugunfallrate um 80 Prozent bis 2020. Frau Schavan, an diesen Zielen werden wir Sie in den nächsten Jahren messen.
Wenn Sie diese großen Ziele erreichen, dann beglückwünsche ich Sie. Ich bezweifle aber, dass Sie mit dieser Strategie dabei erfolgreich sind.
Sie legen uns heute zwar die Strategie vor. Wir wissen auch, dass Sie, Frau Schavan, die offizielle Koordinatorin dieses Programms sind. Aber gleichzeitig haben wir vor wenigen Tagen erfahren müssen, dass Ihr Haus nicht in der Lage war, uns zu sagen, wie sich die Mittel für diese Strategie auf die einzelnen Ressorts verteilen. Wir hatten große Probleme, mit Vertretern Ihres Ministeriums darüber zu reden, wo das Geld außerhalb Ihres Hauses eingesetzt wird. Man erkennt deutlich: Sie nennen sich zwar Koordinatorin. Aber Sie sind im Prinzip eine Kaiserin ohne Kleider
und für das Ganze eher formal zuständig, wie uns das Kollege Glos vor wenigen Wochen so schön ins Stammbuch geschrieben hat.
Schauen wir uns die inhaltlichen Schwerpunkte an; von der Sicherheitsforschung habe ich bereits gesprochen. Die Grüne Gentechnik haben Sie eben wieder angeführt. Ich kann Ihnen nur sagen: Auch hier erleben wir bei dieser Regierung nur Luftblasen. Gestern Abend ging über den Ticker, dass Herr Seehofer das Gesetz, das in diesem Zusammenhang beschlossen werden soll, erneut verschieben will. Wo ist denn da eine Hightechstrategie?
Seit der letzten Wahl warten wir bis zum heutigen Tage darauf, dass Sie das Geplante umsetzen.
Das heißt, es hinkt nach wie vor an wichtigen Stellen, an denen dieses Land innovativ nach vorne gehen könnte.
Wie sieht es mit den Leuchttürmen aus? Der Leuchtturm Galileo ist ein wichtiges Projekt. Herr Glos hat der Welt vor wenigen Tagen seine großen Bedenken diesbezüglich mitgeteilt. Es gebe Verzögerungen. Die Kostenaufteilung zwischen Staat und Wirtschaft sei ungeklärt und der Starttermin fraglich. So viel zu dem Thema, das Sie, Herr Grasedieck, eben so ausführlich dargestellt haben.
Zur Gesundheitskarte. Frau Ministerin Schmidt - sie ist immer noch im Amt - geht aufgrund eines Gutachtens offensichtlich von Kostensteigerungen aus, sodass das Projekt dreimal so teuer wird wie ursprünglich geplant. Wie stellen Sie das haushalterisch dar? Ich bin gespannt, was Herr Steinbrück zu diesem Thema sagt.
Zum Transrapid. Frau Pieper hat Ihnen schon erklärt, was Thyssen-Krupp interessanterweise dazu sagt. Aber noch interessanter finde ich natürlich den Brief von Herrn Ude - er ist Mitglied einer der Parteien, die die Koalition bilden -, der uns in diesen Tagen erreicht hat. Er schreibt uns deutlich: Alle Betroffenen lehnen das Projekt ab. Die Finanzierung ist sehr unwahrscheinlich und der geplante zu erzielende Gewinn nicht realistisch. Das Projekt ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht ausreichend untersucht. Neue Entwicklungen lassen höhere Kosten erwarten. Es entstehen für den Bund Mehrkosten.
Da frage ich mich, wie so etwas ein Leuchtturm sein soll.
Das ist eine leicht schimmernde Kerze und sonst nichts.
Frau Ministerin, wir wären froh, wenn Sie eine Strategie gehabt hätten, die wirklich eine wäre. Die von Ihnen vorgestellte ist aus Sicht meiner Fraktion bisher ein Torso. Wir werden Ihnen gerne behilflich sein, eine Strategie zu entwickeln. Das von Ihnen Vorgestellte benötigt noch ein bisschen mehr Inhaltliches.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eberhard Gienger, CDU/CSU-Fraktion.
Eberhard Gienger (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich von der Hightechstrategie auf die spezielle Biotechnologie zu sprechen kommen, die mittlerweile Ausgangspunkt und Motor für zahlreiche Anwendungen geworden ist, und zwar in der Medizin, in der Ernährungs- und Futtermittelindustrie und in der chemischen Industrie. Insgesamt 500 Biotechnologieunternehmen sind mittlerweile in Deutschland angesiedelt, mehr als in jedem anderen Land in Europa.
83 Prozent davon sind in den Bereichen der Roten Biotechnologie, 19 Prozent im Bereich der Tiergesundheit und 10 Prozent immerhin in der Grünen Biotechnologie tätig.
Zu diesem Thema kann ich Ihnen, Frau Flach, sagen, dass Herr Seehofer die Verschiebung des in diesem Zusammenhang zu beschließenden Gesetzes sicherlich deswegen angekündigt hat, weil er zunächst Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung vorliegen haben möchte, bevor in diesem Bereich eine kommerzielle Anwendung stattfindet.
13 Prozent der Biotechnologieunternehmen sind zudem im Bereich der industriellen Anwendung - das ist die Weiße Biotechnologie - tätig.
Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, den Biotechnologiestandort Deutschland europaweit nicht nur hinsichtlich der Zahl der Unternehmen, sondern auch hinsichtlich des Umsatzes und der Beschäftigtenzahlen an die Spitze zu führen. Wir streben an, Wachstumsbremsen zu erkennen und vor allem abzubauen.
Neue Schlüsselfelder wie die Weiße Biotechnologie, also die industrielle Anwendung, und die Nanotechnologie sind weiter zu erschließen.
Um die wissenschaftlichen Grundlagen der Biotechnologie zu erweitern, sind drei Forschungsfelder zentral: erstens die Genomforschung, die die genetischen Baupläne von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren bis hin zum Menschen analysiert, zweitens die Systembiologie, die auf ein quantitatives Verständnis der dynamischen Lebensprozesse durch Modellierung dieser Vorgänge im Computer abzielt, und schließlich drittens die molekulare Medizin, die die molekularen Grundlagen menschlicher Erkrankungen aufklärt.
Die Förderung grundlagennaher Forschungsvorhaben ergänzt die institutionelle Förderung der großen Forschungsorganisationen, um dadurch neue Innovations- und Wertschöpfungspotenziale in den Bereichen Chemie, Ernährung, Landwirtschaft, Medizin sowie - über die Lebenswissenschaften hinaus - in der Informationstechnologie zu erschließen.
Die Biotechnologie führt zu neuen industriell nutzbaren Produkten und macht Industrieprodukte umweltschonender. So arbeiten die Forscher beispielsweise an der Entwicklung von umweltschonenden Biochemikalien, biologisch basierten Materialien für den Kunststoffersatz, Fein- und Spezialchemikalien sowie von Enzymen für die Stoffumwandlung, nicht nur in Waschmitteln. Wirtschaftsexperten rechnen allein im Bereich der Weißen Biotechnologie mit einem Umsatz von circa 50 Milliarden Euro weltweit. Damit Deutschland auf diesem neuen Feld der Biotechnologie auch eine führende Rolle spielt, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Förderinitiative ?Bioindustrie 2021“ ins Leben gerufen, mittels deren der Ausbau von Kompetenzen und Strukturen gefördert werden soll.
Es wird ein Clusterwettbewerb für junge und Start-up-Unternehmen zur Entwicklung neuer Produkte und Verfahren im Bereich der Weißen Biotechnologie gestartet.
Auch die Nanotechnologie hat sich eine Brücke zwischen der belebten und der unbelebten Natur gebaut. Sie treibt die konsequente Vernetzung von Biotechnologie und Nanotechnologie voran.
Beispiele dafür gibt es schon heute: Nanopartikel, die lokal Wirkstoffe freisetzen, nanostrukturierte Oberflächen zur Herstellung von bioaktiven Prothesen, die die Immunabwehr reduzieren, und Nanosensoren, mit denen sich beispielsweise geringfügige Änderungen der Eiweißkonzentration in der Frühphase der Demenzkrankheit Alzheimer erkennen lassen. Somit hat die Nanotechnologie eine hohe Bedeutung für den Standort Deutschland.
Für die Produkte wichtiger Industriezweige wie Automobilbau, Chemie, Pharma, Informationstechnik oder Optik hängt die künftige Wettbewerbsfähigkeit wesentlich von der Erschließung des Nanokosmos ab.
Im Jahr 2006 werden - gemeinsam mit den Ländern - insgesamt rund 162 Millionen Euro an institutionellen Fördermitteln und rund 134 Millionen Euro an BMBF-Projektmitteln in die Nanotechnologie investiert. Zusammen mit den 25 Millionen Euro, die das Bundesministerium für Wirtschaft zur Verfügung stellt, und den circa 11 Millionen Euro, die das Bundesministerium der Verteidigung dazusteuert, kommen wir auf eine Gesamtfördersumme in Höhe von rund 330 Millionen Euro für das Jahr 2006.
Diese Investitionen in die Nanotechnologie lohnen sich: Seit 1995 sind immerhin rund 200 Nanotechnologie-Start-up-Unternehmen mit insgesamt circa 5 000 Arbeitsplätzen gegründet worden. Demnach kann der Nanotechnologie neben der Bedeutung für die Sicherung der Arbeitsplätze durch den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit in fast allen Industriebranchen ein hohes Potenzial bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zugebilligt werden.
Bei der Förderung der Biotechnologie durch das BMBF wird an den Gliedern der Innovationskette angesetzt. Junge internationale Spitzenkräfte in den Lebenswissenschaften werden durch den ?Bio-Future-Wettbewerb“ nach Deutschland geholt bzw. in Deutschland gehalten. Das bietet den Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, sich ein eigenes Forschungsteam zusammenzustellen und kreative Projekte eigenverantwortlich voranzutreiben.
So gab es bei diesem Projekt, das seit 1999 läuft, 51 Preisträger, von denen mittlerweile immerhin 21 an Universitäten im In- und Ausland untergekommen sind und 11 Start-up-Unternehmen gegründet haben, in die sie privates Kapital in Höhe von circa 70 Millionen Euro eingebracht haben. Durch die Förderung wurden 250 Arbeitsplätze geschaffen.
Es gibt weitere Beispiele: Die ?Gründungs-Offensive Biotechnologie“, die Hightechgründerfonds, die die Kapitalbasis schaffen, das Projekt ?Bio-Chance-Plus“, das Forschungsvorhaben von KMU in der Biotechnologie fördert, und viele andere mehr.
Ich habe jetzt vor allem die Vorzüge der Biotechnologie genannt. Ich weiß natürlich, dass es durchaus Kritikpunkte gibt. Aber ich glaube, wir sollten die Risiken nicht überbewerten, sondern vor allem die Chancen nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Denn elementar ist die Frage nach den Risiken für Deutschland auch für den Fall, dass wir die neuen Technologien nicht nutzen. Wie sagte doch gerade unsere Ministerin: ?Wir investieren in die Zukunft unseres Landes.“
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion.
Ute Berg (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Flach, eine Bemerkung zu Ihnen. Sie haben eben auf Herrn Rüttgers verwiesen und zu Recht gesagt, dass er die Forschung als Minister sträflich vernachlässigt und zweimal den Etat zurückgefahren hat. Sie haben dann darauf hingewiesen, dass seine Partei jetzt unser Koalitionspartner ist. Ich verweise nun darauf, dass Ministerpräsident Rüttgers im Moment auch Ihr Koalitionspartner ist. Vielleicht sollten Sie einmal ein Auge darauf haben.
Jetzt zur Hightechstrategie. Wenn sich zwei starke Partner zusammentun und gemeinsam an einem Strang ziehen, dann kann mehr entstehen als nur die Addition der Einzelleistungen. Dann kann eine Dynamik in Gang gesetzt werden, die ein Vielfaches an Leistung erzeugt. Diese Erkenntnis liegt der Hightechstrategie zugrunde. Alle Politikbereiche, die Forschung und Entwicklung berühren, sind eingebunden. Ziel ist es, dass sich insbesondere in den Zukunftsbranchen, die viele neue Arbeitsplätze schaffen, Partner aus Forschung und Wirtschaft, Partner aus Deutschland und der ganzen Welt zusammentun, ihre Kräfte bündeln und ihre Erfolge potenzieren.
Die Zauberworte heißen Vernetzung, Cluster und Wissenstransfer. Vorbilder sind das allseits bekannte Dresdener Silicon Valley - Frau Aigner hat einiges dazu gesagt -, aber auch kleine Innovationsnetzwerke wie Augenoptik Rathenow in Brandenburg. Dort haben sich 15 kleine Firmen der Optikbranche zusammengeschlossen, die mit einem Fraunhofer-Institut und vielen Fachhochschulen der Region zusammenarbeiten und unter anderem Brillengläser und Mikroskope vermarkten. Das tun sie sehr erfolgreich. Dresden und Rathenow ist gemein: Es werden Brücken zwischen Forschung und Zukunftsmärkten geschlagen. Das muss verstärkt geschehen, und zwar überall in Deutschland.
?Vorsprung durch Innovation ist der einzige Weg, um Wohlstand und Beschäftigung am Standort Deutschland zu sichern. Das Gebot der Stunde heißt Erneuerung“, so der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Professor Hans-Jörg Bullinger.
Wir werden dafür innovationsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen. Wir führen im Rahmen der Hightechstrategie ein neues Förderinstrument zur Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft ein, nämlich die Forschungsprämie. Ich muss sagen: Ich verstehe die Kritik, die vonseiten der Grünen und der FDP geäußert wurde, nicht so recht. Denn ich meine, dass es ein sehr effektives Instrument ist, um gerade kleine und mittlere Unternehmen zu fördern, die in der Vergangenheit durchaus hin und wieder zu kurz gekommen sind.
Hochschulen und öffentliche Forschung sollen auch für sie eine Rolle spielen. Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen bekommen eine Prämie, wenn sie Forschungsverträge mit Unternehmen abschließen. Dieser Zuschlag beträgt 25 Prozent des Auftragswertes. Mit der Forschungsprämie unterstützen und motivieren wir Wissenschaftler, gezielt auf Unternehmen zuzugehen und Forschungsaufträge einzuwerben.
- Und umgekehrt.
Die Förderung wird explizit auf die Zusammenarbeit von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit innovativen kleinen und mittleren Unternehmen zugeschnitten. Das hat gute Gründe. Gerade innovative kleine und mittlere Unternehmen sind nämlich besonders geeignet, neues Wissen auf den Markt zu bringen. Sie können schnell und flexibel handeln. Sie können Nischenmärkte erschließen und gezielt auf individuelle Kundenwünsche eingehen. Sie können so zu einer treibenden Kraft des technologischen Strukturwandels werden.
Das ursprüngliche BDI-Modell, das die FDP offenbar vertritt, lehnen wir aus verschiedenen Gründen ab.
Danach sollen Fördergelder sozusagen mit der Gießkanne verteilt werden.
Profitiert hätten davon wohl vor allem große Unternehmen; kleinere wären wegen ihrer geringeren Verhandlungsmacht benachteiligt gewesen. Davon bin ich fest überzeugt.
Das ist definitiv nicht in unserem Interesse. Wir wollen gerade die Kleinen als Innovationsmotoren unterstützen.
Impulse für Innovationen kann aber auch der Staat geben, und zwar als öffentlicher Auftraggeber, indem er innovative Produkte und Dienstleistungen selbst anfordert und damit fördert. So wurde zum Beispiel auf Bundesebene eine innovative Software installiert, um öffentliche Ausschreibungen über eine interaktive Onlineplattform abwickeln zu können. Ein kommunales Beispiel: Die Hamburger Stadtverwaltung hat in öffentlichen Einrichtungen eine moderne Lichttechnik installieren lassen, um Strom zu sparen. Die alten Leuchten wurden durch moderne Systeme, die mit lichtlenkenden Spiegeln und elektronischen Vorschaltgeräten arbeiten, ersetzt. Von diesem öffentlichen Auftrag haben lokale, regionale und europäische Anbieter profitiert.
Aber auch die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt sind am Technologietransfer beteiligt. Sie führen gemeinsam mit Unternehmen Forschungsarbeiten durch. Nur ein Beispiel von vielen: Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt hat gemeinsam mit zwei Unternehmen über drei Jahre spezielle hochleistungsfähige Stromsensoren entwickelt. Diese Sensoren können nun von den Unternehmen erfolgreich vermarktet werden.
In Zukunft wollen wir diese Form der Zusammenarbeit noch stärker auf Projekte konzentrieren, die in unmittelbarem Interesse der beteiligten Unternehmen liegen und die gut und schnell umgesetzt werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist: Wir brauchen eine Auffrischung der Wirtschaftsstruktur durch Unternehmen der Spitzentechnik und der wissensintensiven Dienstleistungen. ?Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein“, hat der Unternehmer und Sozialdemokrat Philip Rosenthal schon vor vielen Jahren gesagt. Recht hatte er.
Mit der Hightechstrategie leisten wir unseren politischen Beitrag dazu, dass der Standort Deutschland gut bleibt und immer besser wird.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor ich nun dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, begrüße ich auf der Besuchertribüne eine Delegation des mongolischen Parlamentes.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns über Ihren Besuch und über das große Interesse, das die Mongolei gerade den Beziehungen zu Deutschland widmet. Ich nutze die Gelegenheit, auf diesem Wege noch einmal zum 800. Staatsjubiläum der Mongolei zu gratulieren, das wir gemeinsam vor wenigen Wochen in Ihrem wunderschönen Land begehen konnten.
Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben das Wort.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegenwärtig wird aus zum Teil durchaus nachvollziehbaren Gründen gefragt, wo denn die große Koalition zukunftsweisende und neue Akzente setze. Bei der Forschungs- und Innovationspolitik ist das wirklich kraftvoll der Fall. Mit der Hightechstrategie wird ein neues Kapitel der Innovationspolitik aufgeschlagen. Zum ersten Mal wird nicht nur richtig analysiert, sondern auch ein in sich richtiges, umfassendes und schlüssiges Gesamtkonzept vorgeschlagen. Die Hürden der Ressortabgrenzung werden eingerissen; die gesamte Regierung hat sich zu innovationsfreundlichem Handeln verpflichtet.
Die Forschungspolitik wird in dieser großen Koalition nicht mehr Steinbruch der Bundesregierung sein. Wenn im Haushalt Mittel fehlen, werden nicht mehr automatisch die Forschungsmittel gekürzt. Bis zum Jahr 2009 wurden belastbar und definitiv 15 Milliarden Euro für die Spitzentechnologie und für technologieübergreifende Querschnittsmaßnahmen bereitgestellt. Eine integrierte Strategie sorgt dafür, dass die Grundlagenforschung und die anwendungsorientierte Forschung im Einklang mit einem klaren Rechtsrahmen und mit klaren Normen verbunden werden. Das schafft Planungssicherheit. Besonders wichtig ist, dass diese Maßnahmen mit einer Markteintrittsstrategie gekoppelt werden, mit der die notwendigen Finanzierungsinstrumente für Start-ups auf dem wachsenden Hightechsektor flexibel zur Verfügung gestellt werden können.
Ich möchte auf zwei Themen etwas vertiefender eingehen: auf den Mittelstand und die Energieforschung. Der Mittelstand wird in allen politischen Sonntagsreden gern bemüht. Er steht im Fokus, da 70 Prozent aller Beschäftigten in mittelständischen Unternehmen arbeiten und er 80 Prozent aller Ausbildungsplätze stellt. Wir machen nun ernst. Im Mittelpunkt der Hightechstrategie stehen neue Ideen für den Mittelstand. Kleine und mittlere Unternehmen werden zielgerichtet gefördert. Dabei stellt die Forschungsprämie das zentrale Element dar.
Um was geht es? Öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die Forschungsaufträge in der Wirtschaft akquirieren, werden mit einer zusätzlichen Prämie von 25 Prozent des Auftragswertes gefördert. Das Ganze ist also zentral auf den Mittelstand zugeschnitten. Diese Prämie wird branchen- und themenoffen gewährt. Das Förderregime soll so ausgestaltet werden, dass es unbürokratisch und schnell funktioniert.
Das wird zu einem Kulturwandel führen. Die Prämie ist geeignet, die Situation im Hinblick auf die Förderung von Forschung und Entwicklung breitenwirksam zu verbessern und die Kooperation der kleinen und mittelständischen Unternehmen mit der Wissenschaft auf vielfältige Art anzuregen.
Nur so wird es möglich sein, den Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft zu beschleunigen, damit aus Forschungsergebnissen schnell Markterfolge werden, damit der Mittelstand nicht nur, was Ausbildung und Beschäftigung anbelangt, das Rückgrat der Wirtschaft bleibt, sondern er auch wieder zur Speerspitze der Innovationen wird, und damit die neuen 1,5 Millionen Arbeitsplätze wirklich möglich werden.
Ein weiteres zentrales Aktionsfeld ist die Energieforschung. In den letzten Jahren - das muss ich leider auch an unseren Koalitionspartner gerichtet sagen - wurde die Energieforschung sträflich vernachlässigt.
Damit wurde ein Stück der Zukunftsfähigkeit Deutschlands verspielt.
Gemessen an unserem Bruttoinlandsprodukt sind unsere Investitionen in die Energieforschung im Vergleich zu den USA, zu Frankreich und zu Japan nur halb so hoch. Nun wird die Energieforschung mit dem Hightechprogramm wieder zu einer zentralen Säule, zu einem wichtigen Eckpfeiler unserer Forschungspolitik. Betrachtet man alle 17 definierten Hightechsektoren, die ein Gesamtvolumen von 12 Milliarden Euro haben, stellt man fest, dass die Energietechnologien mit 2 Milliarden Euro, also mit fast 20 Prozent, einen wichtigen Eckstein bilden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Pfeiffer, darf der Kollege Tauss Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Ja, wenn er will.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Er will ganz offenkundig.
Jörg Tauss (SPD):
Lieber Kollege Fischer, wenn Herr Tauss Redezeit will, dann bekommt er sie auch; keine Sorge. Das unterscheidet uns.
Lieber Kollege Pfeiffer, Sie haben die Energieforschung in den USA angesprochen. Ich teile durchaus die Auffassung, dass wir in dem Bereich Energieforschung mehr tun müssen. Dennoch möchte ich darauf hinweisen: Als wir gemeinsam in den USA waren - auch die Kollegin Aigner war dabei -, haben uns amerikanische Wissenschaftler gesagt, dass sie mit großem Interesse die Situation in Deutschland beobachten und die Leistungen bewundern, die hier im Hinblick auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien erzielt worden sind. Auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Meine Frage lautet: Darf ich Sie bitten, auch das positiv zu würdigen?
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Lieber Herr Kollege Tauss, wenn Sie mich hätten fortfahren lassen,
dann wäre ich zu dieser Würdigung gekommen.
Allerdings bedanke ich mich dafür, dass Sie meine Redezeit durch Ihre Zwischenfrage ein wenig verlängert haben.
Natürlich gehe ich gerne auf Ihre Frage ein: In der Tat haben wir in Deutschland, was die Energieeffizienz anbelangt, große Fortschritte gemacht, nicht erst in den letzten sieben Jahren, sondern in den letzten 20 Jahren.
Ich glaube, das können wir uns alle auf die Fahne schreiben.
Wenn wir es damit ernst meinen, dass wir mit der gleichen Menge Energie doppelt so viel Bruttoinlandsprodukt generieren wollen, und diesen Weg konsequent weiter beschreiten wollen, müssen wir uns allerdings alle Optionen offen halten und dürfen keine Denkverbote erlassen.
Völlig richtig, Herr Tauss: Die erneuerbaren Energien werden eine herausragende Rolle spielen, bei der Stromerzeugung gleichermaßen wie bei der Wärmeversorgung und der Kraftstoffgewinnung. Man braucht sich nur einmal CHOREN in Freiberg/Sachsen anzuschauen, und man muss zugeben - auch da kann ich Sie nur bestätigen -: Bei ?Biomass to Liquid“ sind wir an der Weltspitze der Innovation. Das will ich sehr wohl würdigen. Gleiches gilt für die Kraftwerkstechnologie, auch im Hinblick auf fossile Energieträger wie Kohle oder Gas. Hier können und werden wir die Wirkungsgrade weiter erhöhen. Wir werden auch die CO2-Abscheidung angehen, sodass ein Schuh draus wird. Damit fördern wir nicht nur die Wirtschaft, sondern wir bringen auch die Technologie nach vorne und tun nebenbei etwas für die Umwelt.
Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen, aber ich will in meiner normalen Redezeit fortfahren.
Ich glaube, wir können uns gemeinsam auf die Fahnen schreiben, was im letzten halben, dreiviertel Jahr Herausragendes beim energieoptimierten Bauen erreicht worden ist. Dies gilt es jetzt weiterzuentwickeln.
Es ist richtig, dass die technologische Weiterentwicklung von Heizungs-, Kälte-, Lüftungs- und Klimaanlagen, von Mess- und Regeltechnik, Wärmedämmung, Strom sparender Beleuchtung usw. jetzt angegangen wird.
Die Damen von FDP und Grünen haben gefragt, wo das Gesamtkonzept sei. Es gibt ein Gesamtkonzept: Wir forschen und entwickeln in diesem Bereich weiter, und zwar sehr zielgerichtet und gut ausgestattet. Dieses wird flankiert durch 1,4 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, die über die KfW für Gebäudesanierung im Bestand bereitgestellt werden. Die für dieses Jahr vorgesehenen Mittel dafür sind bereits abgerufen: Plus 200 Millionen Euro aus dem letzten Jahr sind 1,6 Milliarden Euro abgerufen. Dadurch werden Investitionen in der Größenordnung von 8 bis 10 Milliarden Euro ausgelöst. Die entsprechenden Baumaßnahmen werden nicht in Schwarzarbeit ausgeführt, sondern vom mittelständischen Handwerk. Davon profitiert der Bausektor in Deutschland.
Das heißt, es werden neue Arbeitsplätze geschaffen und bestehende Arbeitsplätze erhalten. Hier gehen Forschung und Entwicklung Hand in Hand mit Wirtschaftsförderung und Steuerpolitik, wie die Möglichkeit, den Arbeitslohnteil von Handwerkerrechnungen von der Steuer abzusetzen, zeigt.
Dort sehen Sie ein Gesamtkonzept, wie Forschung und Entwicklung und Energiepolitik, sinnvoll angewandt, in die richtige Richtung zusammenwirken.
Herr Tauss, jetzt müssen Sie leider wieder zuhören!
Bei diesen Maßnahmen darf es allerdings nicht bleiben. Wir sind uns einig, dass wir die Sicherheitsforschung im Hinblick auf kerntechnische Anlagen nicht vernachlässigen dürfen. Wir sind uns auch bei der Fusionsforschung einig. Ich sage aber ebenfalls - ohne Schaum vor dem Mund und ohne zu glauben, dass die Kernenergie der Weisheit letzter Schluss wäre -:
Die Kernenergie ist eine Option. Wir haben im Moment noch die sichersten Kernkraftwerke der Welt. Aber nicht mehr lange; denn die technologische Entwicklung schreitet voran. Ich bin der Meinung, wir können es uns nicht leisten, an der Forschung, die international auf die Entwicklung zukünftiger Reaktorsysteme - der vierten Generation - gerichtet ist, nicht zu partizipieren. Diese Partizipation gehört zu einem technologieoffenen Energieforschungsgesamtkonzept der deutschen Hightechstrategie.
Wir dürfen nicht aus ideologischen Gründen außen vor bleiben. Da muss ich den Kollegen von der SPD manchmal schon sagen - das sei mir noch erlaubt, Herr Präsident -: Wenn ich Ihre Reflexe höre und sehe, muss ich an den alten Witz von dem Autofahrer denken,
der nachts auf der Autobahn fährt, sich über den Gegenverkehr zwar wundert, aber, als er im Radio den Verkehrsbericht hört, auf seiner Strecke sei ein Geisterfahrer unterwegs, laut antwortet: Was heißt da ?einer“? Hunderte!
So komme ich mir vor, wenn ich sehe, wie Sie reagieren, wenn über Kernenergie überhaupt nur gesprochen wird.
Die ganze Welt geht rational an die Dinge heran und beschäftigt sich mit den Themen und wir blenden uns dort aus.
- Herr Tauss, ich setze dort und auch hier auf die Kraft der Vernunft und der Rationalität, sodass wir Deutschland dort nicht abkoppeln werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
In diesem Sinne sind wir mit der Hightechstrategie auf dem richtigen Weg und wir werden mit ihr nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern Deutschland auch nach vorne bringen. Packen wir es an!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion.
Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Pfeiffer, das mit den Witzen ist immer so eine Sache. So veraltet, wie Ihr Witz ist, ist auch das Festhalten an der Kernenergie, das Sie hier immer propagieren.
Wenn man am Ende einer Debatte redet, wie das jetzt bei mir der Fall ist, dann hat man das Privileg, die Argumente der anderen Rednerinnen und Redner aufnehmen zu können. Für ein Mitglied der Regierungskoalition ist es natürlich immer interessant, was die Opposition zu der Arbeit der Regierung zu sagen hat. Vielleicht hat die Opposition ja starke Ideen oder Einwände, die uns zum Nachdenken bringen sollten. Ich muss sagen, dass wir gerade vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken durchaus einige Aspekte gehört haben, die nachdenkenswert sind. Ich werde auf einiges eingehen, soweit es meine Redezeit erlaubt. Ich muss allerdings auch sagen, dass von dem, was die FDP hier mit einer teilweise etwas aufgeblasenen Rhetorik gesagt hat, relativ wenig übrig bleibt. Das ist schade. Eigentlich können Sie das besser.
Insgesamt ist in dieser Debatte deutlich geworden, dass wir auf gutem Wege sind. Die Menschen verbinden mit der großen Koalition die Erwartung, dass sie tatsächlich Großes bewegt. Wenn es ein Existenzrecht, eine Begründung für die große Koalition als parlamentarischen Ausnahmefall gibt, dann doch wohl die Fähigkeit, alle Kräfte zusammenzunehmen. Genau das tun wir in diesem so wichtigen Feld. Wir investieren in die Zukunft und beschreiten damit den richtigen Weg.
Dabei möchte ich betonen - das mag den Koalitionspartner gelegentlich nerven, aber es bleibt wahr -, dass Rot-Grün in den letzten Jahren eine harte und sehr gute Vorarbeit geleistet hat. Dafür danken wir auch unserem früheren Koalitionspartner, den Grünen.
In der großen Koalition ist nun einiges möglich, was vorher noch durch eine Mehrheit im Bundesrat verhindert wurde. Darauf dringen wir. Wir zollen natürlich auch der Ministerin für die erkennbar erreichten Erfolge Respekt. Vielen Dank dafür.
Frau Kollegin Flach, ich muss auf Ihre Rede eingehen. Es ist richtig, dass wir mit der CDU/CSU koalieren. Auch die FDP hat mit der CDU/CSU koaliert. In Ihrer Regierungszeit wurde der Forschungsetat heruntergefahren.
Wir fahren den Forschungsetat jetzt wieder hoch. Nun kommt eine Denksportaufgabe: Was macht den Unterschied? - Die SPD ist in der Regierung. Das ist doch ganz klar.
Wenn wir über die Entwicklung Deutschlands sprechen, dann muss ein spezieller Gedanke immer auch Ostdeutschland gelten. Der Aufholprozess gegenüber dem Westen ist noch nicht beendet. Darum ist es gut, dass die auf Ostdeutschland ausgerichteten Förderinstrumente in der Hightechstrategie weiterhin einen wichtigen Platz haben.
Wir müssen aber aufpassen, dass wir bundesweit wirkende Maßnahmen nicht so gestalten, dass in der Praxis Teile Deutschlands ausgeschlossen werden.
Ich will darum bewusst die geplante Forschungsprämie ansprechen. Das ist ein richtiges und wichtiges Instrument, das ich unterstütze. Wir müssen aber darauf achten, dass wirklich die kleinen und mittleren Unternehmen davon profitieren;
denn wenn wir den Kreis der förderungsfähigen Unternehmen zu weit fassen, dann besteht die Gefahr, dass viele KMU gar nicht teilhaben können. Ostdeutschland ist allerdings aufgrund der spezifischen Entwicklung nun einmal von kleinen Unternehmen geprägt.
Mir ist in diesem Zusammenhang aber genauso wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Situation und die Perspektiven in Ostdeutschland bei weitem nicht so schlecht sind, wie das häufig behauptet wird. Es gibt ungeheuer positive Erfahrungen und Wirkungen gerade der Forschungspolitik der letzten Jahre in den neuen Bundesländern. Darauf werden wir weiter aufbauen.
Die Hightechstrategie besticht natürlich auch durch die große und ansteigende Summe der Ausgaben. Doch es geht der Koalition nicht bloß darum, mehr Geld auszugeben, um die Statistiken zu verbessern. Wir wollen nachhaltig und mit Verstand investieren. Daher müssen wir reflektieren, was wir technologisch können wollen. Darum ist Technikfolgenabschätzung von so großer Bedeutung, etwa bei der Gentechnik.
Ein anderes Beispiel - es ist schon erwähnt worden - ist die Sicherheitsforschung. Sicherheit kann nicht nur technisch erreicht werden. Deshalb ist es so wichtig und richtig, dass wir die Friedensforschung stärken
und dass wir die Mittel für die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften erheblich steigern. Das muss mit der Hightechstrategie verbunden werden. Wir können den Terrorismus nicht nur durch Verbesserungen, etwa bei der Flugsicherheit, bekämpfen, sondern wir benötigen eine Vorstellung davon, warum es Konflikte gibt, wie sie aussehen, wie sie beigelegt und vermieden werden können. Unser Ansatz ist: Wir dürfen nicht nur Technologie produzieren, sondern wir müssen uns auch immer unserer Verantwortung vergewissern.
Schließlich möchte ich noch einen wichtigen Aspekt - vielleicht den wichtigsten von allen - ansprechen, der schon in vorherigen Reden eine Rolle spielte. Die ganze Hightechstrategie hat keinen Sinn, wenn wir nicht gleichzeitig in die Bildung der Menschen investieren.
Wir können unsere Strategie gleich bleiben lassen, wenn wir nicht über die Forscher, die Wissenschaftler, die Akademiker, die Ingenieure und die gut ausgebildeten Fachkräfte verfügen, die das, was wir uns hier so schön ausdenken, wirklich in die Tat umsetzen. Hier haben wir durchaus Probleme.
Bildung für alle jederzeit - das muss unser Ziel sein, das wir aber noch nicht erreicht haben.
Über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt haben wir schon gestern diskutiert. Weiterbildung ist von zentraler Bedeutung. Gleiches gilt für den Hochschulpakt zur Schaffung neuer und guter Studienplätze. In der gestrigen Ausgabe des ?Tagesspiegel“ war ein langer Artikel über die Situation an den Hochschulen zu lesen. Die Überschrift lautete: ?Die Kunst des Einklagens“. Was ist das bloß für eine Situation? Immer wieder wird uns nachgewiesen, dass wir in diesem zentralen Bereich der Bildung der Menschen international zurückfallen. Auch wenn es stimmt, Frau Aigner, dass wir wegen der hohen Qualität der beruflichen Bildung in einer besonderen Situation sind, müssen wir auf dem Gebiet der akademischen Bildung trotzdem mehr machen, wie Sie wissen.
Was aber passiert in vielen Bundesländern? Bildung wird verknappt und verteuert, sodass viele Menschen nur noch mit der Hilfe von Anwälten und mit einem dicken Geldbeutel studieren können.
Viele, die sich bilden wollen und die wir auch brauchen, dürfen oder können es nicht, weil sie es sich nicht leisten können. Diese Situation können wir uns weder volkswirtschaftlich noch gesellschaftlich leisten. Das kann nicht unser Ernst sein.
Ich fordere Sie, liebe Frau Bundesministerin, auf: Wirken Sie engagiert an der Etablierung eines Systems der Hochschulfinanzierung mit, bei dem die Bundesländer und die Hochschulen Anreize erhalten und dafür belohnt werden, zusätzliche Studienplätze in guter Qualität bereitzustellen.
Die Föderalismusreform hat dafür die Grundlage geschaffen. Jetzt müssen Bund und Länder diese Chance ergreifen. Ich setze darauf, Frau Ministerin, dass Sie in dieser Frage ebenso erfolgreich sein werden wie in der Konstruktion der Hightechstrategie.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Fraktion.
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein gewaltiger Kraftakt, wenn diese Bundesregierung in einer Zeit der Haushaltskonsolidierung 6 Milliarden Euro lockermacht und damit ein klares Zeichen für Forschung und Entwicklung für die Zukunft setzt.
Man kann es nicht oft genug sagen: Die Bundesregierung unter Angela Merkel setzt damit wie keine andere Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik ein Zeichen.
Das Ziel ist klar: Deutschland soll seinem Ruf als Land der Erfinder und Ingenieure, aber auch als das der Dichter und Denker gerecht werden. Wir wollen an diese Tradition anschließen, weil wir wissen, dass nur so der Wohlstand, von dem wir heute zehren, in der Zukunft erhalten werden kann. Darum setzt die Hightechstrategie auf die Förderung moderner Entwicklungen wie in den Bereichen Nanotechnologie, Gesundheit, Optik, Weltraumtechnologie und Produktionswesen. Die Chancen für Technologiesprünge liegen in den Grenzbereichen, etwa zwischen Nanotechnologie und Biotechnologie oder zwischen der Textil- und der Automobilindustrie.
Wir machen aber auch Ernst mit der Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaften. Der Mittelansatz für die Geisteswissenschaften wird beträchtlich erhöht, weil sie existenziell sind, um Antworten auf die komplexen Fragen unserer Zeit zu finden.
Die Strategie setzt auch auf die Vervielfachung der eingesetzten Mittel. Um das 3-Prozent-Ziel von Lissabon zu erreichen, müssen wir nicht nur den Anteil der Wirtschaft erhöhen, sondern wir müssen vonseiten dieses Bundestages auch eine Forderung an die Länder richten, ebenfalls ihren Beitrag zu leisten. Gerade nach der Föderalismusreform ist das eine sehr wichtige Aussage.
Wir als Bund werden nicht allein erfolgreich sein, wenn es um das Erreichen des 3-Prozent-Zieles geht. Wir brauchen die Wirtschaft und die Länder. Das ist eine sehr wichtige Forderung.
Nicht nur ich finde diese Ideen gut und richtig, die wir als CDU/CSU in der vergangenen Legislaturperiode entwickelt haben, sondern sie werden auch von der Wissenschaft gelobt. Die Forschungsprämie - ein Vorschlag, den wir entwickelt haben -
richtet sich gerade an die Mittelständler - auch in den neuen Bundesländern - und an die Hochschulen. Sie fördert die Kooperation, die heute in der Tat ein Problem ist. Forschung und Entwicklung findet zunehmend in den Unternehmen oder im Ausland statt. Wir müssen diesen Trend umkehren und die Hochschulen stärker mit einbinden. Deswegen ist die Forschungsprämie notwendig.
Wir setzen auch ein deutliches Zeichen bei der Projektförderung. Ein Aufwuchs von 14,6 Prozent im kommenden Jahr bedeutet, dass neue Ideen eingearbeitet werden. Die Projekte haben eine begrenzte Laufzeit und bei der Projektförderung gibt es einen hohen Eigenanteil. Das ist eine besonders große Innovation. Die Projektförderung ist ein deutliches Signal, dass es der Regierung mit Forschung und Entwicklung ernst ist.
Die Forschungsinstitute können sich im Gegensatz zu der Situation vor einem Jahr unter der Vorgängerregierung darauf verlassen,
dass wir einen kontinuierlichen Aufwuchs haben. Wir erinnern uns an die Diskussion, als die Haushalte überrollt wurden, und sich zum Beispiel die Max-Planck-Gesellschaft oder das Fraunhofer-Institut an uns gewandt haben. Jetzt können wir sagen: Wir halten an dem Aufwuchs von 3 Prozent fest. Darauf können sich die Forschungsinstitute in Zukunft verlassen.
Unterm Strich kann man sagen: Wir sind auf einem guten Weg. Diesen Weg sollten wir fortsetzen. Dahinter steht eine klare Aussage: Dieses Land will wieder etwas. Dieses Land will nach vorne. Es meldet sich zurück im internationalen Wettbewerb in der Wissensgesellschaft.
Diese Bundesregierung macht auch Schluss mit den ideologischen Glaubenskämpfen in der Forschungspolitik. Es ist vielleicht eine der größten Veränderungen, dass nun Schluss ist mit der mutwilligen Verhinderung von Technologien in unserem Land. Unter Rot-Grün wurde die Grüne Biotechnologie bekämpft.
Die deutsche Spitzenstellung in der Sicherheitstechnik der Kernenergie wurde gefährdet. Bei der Kernfusionstechnik sind wir bewusst ins Hintertreffen geraten. Schwerpunkte für die eigene Politik zu setzen ist das eine. Etwas anderes ist es, bewusst Technologien zu verhindern und zu zerstören. Damit vergeht man sich an der Zukunft.
Das ist eine besonders bösartige Form grüner Klientelpolitik, die wir in den letzten Jahren erlebt haben und die nun Gott sei Dank zu Ende geht.
Uns sind Ideen und neue Gedanken wichtiger. Überall im Land merkt man ein Aufatmen, weil die Menschen merken, dass jetzt ein neuer Wind durch dieses Land geht.
Die Diskussion geht heute noch weiter. In dem Antrag der Grünen zur Technologiepolitik ist vieles aufgeführt, was nicht gemacht werden soll. Danach soll kein Geld für Fusionsforschung und Grüne Biotechnologie gewährt werden. Es ist viel vom Gefährdungspotenzial die Rede. Außerdem soll die Raumfahrt überprüft werden und vieles mehr. Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Wir setzen auf Fortschritt und neue Technologien.
Wir wollen den Menschen Mut machen und wir wollen, dass sie sehen, dass etwas vorangeht.
Das Gleiche gilt für die FDP. Es ist zum Teil zum Piepen, auf welch flachem Niveau die Diskussion verläuft,
beispielsweise wenn wir zu hören bekommen, dass die Ministerin uns nicht informiert hat, in welchen Häusern wie viel Geld für die Hightech-Strategie ausgegeben wird. Frau Flach, Sie wissen es. Sie sind Mitglied des Haushaltsausschusses. Ihnen wurde schon vor vielen Wochen die Liste überreicht, in der eindeutig aufgeschlüsselt ist, welches Haus wie viel zur Hightechstrategie beiträgt. Das ist auch richtig so. Die Zahlen sind sehr interessant.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Aber selbstverständlich.
Ulrike Flach (FDP):
Herr Kretschmer, ich freue mich, dass Sie mir Gelegenheit geben, das klarzustellen. Sie wissen, dass es nicht um Summen geht, die irgendwo eingetragen sind. Vielmehr geht es um die Frage der titelscharfen Eingrenzung der einzelnen Positionen in den einzelnen Ressorts. Es wäre schön, wenn Sie Ihre Kollegen von SPD und Union dazu befragten. Dann käme heraus, dass eine titelscharfe Abgrenzung nicht möglich war.
Den entsprechenden Bericht erhalten wir erst in den nächsten Wochen. Die Frage lautet: Wissen Sie das nicht, Herr Kretschmer?
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Liebe Frau Kollegin, Sie haben in der Debatte etwas ganz anderes gesagt. Sie haben gesagt, es sei nicht klar, welches Haus wie viel beiträgt. Darauf bin ich eingegangen.
Alles andere wird sich in den Haushaltsverhandlungen zeigen. Natürlich wird im Haushalt - das wissen Sie - jeder Titel einzeln aufgeführt. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen. Wir sollten diese große Strategie nicht mit Kleinkram kaputtmachen.
Es ist ziemlich klar, dass in der Wissensgesellschaft nicht mehr die Großen die Kleinen schlagen; schon eher gewinnen die Schnellen gegen die Langsamen. Es kommt noch etwas anderes hinzu: Die Mutigen werden die Ängstlichen schlagen. Deswegen müssen wir den Menschen Mut machen. Die Bundesregierung und wir in der Koalition tun das. Wir müssen auf Fortschritt setzen. Wir müssen Ja zu den neuen Technologien sagen. Das muss sich in der Gesellschaft herumsprechen. Wir müssen es in die Gesellschaft - in die Universitäten, in die Schulen, in die Familien - tragen.
Hierbei geht es natürlich auch um die Frage der Ausbildung. Jeder, der ein Studium oder eine Ausbildung beginnt, will wissen, ob das, was er studiert oder lernt, in Zukunft eine Chance hat. Deswegen ist es wichtig, das Signal auszusenden: Wir wollen die neuen Technologien; wir setzen auf den Fortschritt; wir sind wieder im Wettbewerb angekommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/2577, 16/2083, 16/2621 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/2628 - das betrifft Tagesordnungspunkt 5 c - soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/2083 betreffend Tagesordnungspunkt 5 d und zusätzlich an den Finanzausschuss, den Verteidigungsausschuss und den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie Zusatzpunkt 7 auf:
6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Thomas Bareiß, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend, Dr. Angelica Schwall-Düren, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Das Nationale Reformprogramm Deutschland und die Lissabon-Strategie weiterführen - Wirtschaftswachstum und Beschäftigungspolitik zum Erfolg führen
- Drucksache 16/2629 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Nationales Reformprogramm Deutschland 2005 bis 2008
Umsetzungs- und Fortschrittsbericht 2006
- Drucksache 16/2467 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Matthias Berninger, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabon-Ziele
- Drucksache 16/2622 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos.
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lissabonstrategie ist ein ehrgeiziges Reform- und Wachstumsprogramm. Die Fragen lauten: Was tun wir? Was tut Europa? Was können wir im internationalen Kontext gemeinsam tun, damit das Ganze nicht zu einer wirkungslosen Beschäftigung mit sich selbst wird? Alle von uns eingeleiteten Reformen und Einzelmaßnahmen haben ein großes Ziel: mehr Wachstum und Beschäftigung auch in Europa.
Wir in Deutschland gehen voran. Wir sanieren die öffentlichen Finanzen und die sozialen Sicherungssysteme. Die Haushaltskonsolidierung wird dabei überwiegend von Kürzungen auf der Ausgabenseite und dem Abbau von Steuervergünstigungen getragen, so wie es von allen Seiten ständig gefordert wird. Anders als prognostiziert warten wir nicht, bis uns das Wasser bis zum Hals steht. Vielmehr handeln wir rechtzeitig.
Wir nutzen den Aufschwung und kommen wegen konjunkturbedingter Mehreinnahmen schneller voran als erwartet. Davon werden auch die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler durch sinkende Abgaben profitieren. Wir sehen zurzeit nicht nur eine bessere Konjunktur, sondern auch dauerhafte Wachstumsperspektiven. Das haben wir uns immer gewünscht. Das Prognosespektrum für die Konjunktur geht nach oben. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, der nahe am Puls der Bevölkerung ist, spricht bereits von einem Wachstum in Höhe von 2,5 Prozent in diesem Jahr. Für 2007 gibt es erste Wachstumserwartungen, die bis zu 1,7 Prozent reichen. Davon geht beispielsweise das RWI Essen aus. Das heißt, die geplante Mehrwertsteuererhöhung, die wir wegen der finanziellen Konsolidierung leider vornehmen müssen, wird das Wachstum nicht zerstören. Das ist eine gute Nachricht.
Vor allen Dingen ist es eine gute Nachricht, dass die Unternehmungen in Deutschland zusätzliche Arbeitskräfte einstellen, und zwar auch im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Bundesregierung investiert in starkem Maße zusätzlich in Forschung und Entwicklung; darüber haben wir in diesem Haus gerade debattiert. Ich finde, es ist richtig, dass wir als stärkstes Land in der Mitte Europas vorangehen und bei dem, was wir im Jahr 2000 in Lissabon gemeinsam beschlossen haben, eine Vorbildfunktion für andere europäische Länder übernehmen.
Unsere Energiepolitik gibt - das wird ein wichtiges Thema unserer europäischen Ratspräsidentschaft sein - Antworten auf europäische und globale Fragen der Energieversorgung. Bis zur zweiten Hälfte des Jahres 2007 werden wir ein energiepolitisches Gesamtkonzept entwickeln. Dazu gehört vor allen Dingen die Erhöhung der Kraftwerkskapazitäten. Wir lassen uns hier nicht durch Drohungen einschüchtern nach dem Motto ?Wenn ihr diese oder jene Maßnahme ergreift, dann bauen wir nicht“. Das nehmen wir nicht allzu ernst; denn dann werden andere dies übernehmen. Wir werden zudem darauf achten, dass der europäische Energiemarkt besser funktioniert als bislang. Ich halte das für eine wesentliche Aufgabe unserer Ratspräsidentschaft.
Ich bin dafür, dass wir an der strikten Regulierung der Netze festhalten, so wie es beschlossen ist und die Bundesnetzagentur ausführt. Ich bin allerdings gegen eine Verstaatlichung der Netze. Die Diskussion darüber bringt uns nicht weiter. Ich meine, dass eine Verschärfung der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Energieunternehmen ein wichtiges Thema ist, mit dem wir uns beschäftigen sollten. Ich werde deswegen eine Kartellgesetznovelle auf den Weg bringen.
Europa hat beim Thema Wachstum und Beschäftigung zwei Gesichter. Bei der Öffnung der Märkte und der Sorge um industrielle und private Verbraucher ist die Kommission Treiber und Überwinder nationaler Widerstände. Aber jede Medaille hat zwei Seiten. Auf der anderen Seite ist die Kommission für viel bürokratischen Wildwuchs verantwortlich. Insbesondere diesen möchte ich in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft aufs Korn nehmen.
Ein wesentlicher Beitrag aus Brüssel bestünde bereits darin, die zunehmenden Eingriffe in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten zu beenden, vor allen Dingen bei vielen kleinen Dingen. Besonders ärgerlich ist die Tendenz der Kommission, verstärkt in die Verwaltungsstrukturen der Mitgliedstaaten einzugreifen; das sorgt nur für Ärger. Wir lehnen dies ab. Nun soll es noch mehr EU-Kommissare und -Behörden geben. Diese halten die Menschen von Europa in mentaler Hinsicht oft nur ab; denn vieles, was sie tun, verärgert die Menschen. Die EU sollte sich vielmehr im Rahmen des Lissabonprozesses auf ihre originären Zuständigkeiten besinnen.
Verehrter Herr Kollege Brüderle, Sie sprechen nach mir. Ich weiß nicht, was Sie sagen werden. Ich nehme an, wir sind uns in einem einig. Ich bin überzeugt, dass wir beide nichts davon halten, dass man auf Etiketten von Weinflaschen drucken soll, dass Weintrinken der Gesundheit schadet.
Ich bin der Meinung, dass Wein - in Maßen genossen - im Gegenteil die Gesundheit fördert.
Das ist nicht nur ein Beispiel von parteiübergreifendem Konsens in diesem Haus, sondern auch ein Beispiel dafür, welche Verrücktheiten sich die EU-Kommission und bestimmte Kommissarinnen und Kommissare einfallen lassen.
Deswegen werden wir neue Regelungen auf ihren europäischen und nationalen Mehrwert hin prüfen. Ich kann zum Beispiel in einer solchen Maßnahme keinen Mehrwert erkennen.
Trotz allen Ärgers - Mehrwert entsteht, wenn wir den Binnenmarkt weiter vertiefen. Die deutschen Unternehmen wickeln über 60 Prozent ihres Exports im europäischen Raum ab. Deswegen müssen verbliebene Handelshemmnisse abgebaut werden. Auch bessere Rechtsetzung ist ein zentrales Thema. Wir müssen bei neuen Überlegungen Bürokratie durch Rechtsfolgenabschätzung vermeiden. Wir müssen Bürokratie zurücknehmen, wo es überflüssig gewordene Vorschläge gibt. Es ist noch sehr viel in der Pipeline, was früher abgenickt worden ist und jetzt zur Umsetzung ansteht. Hier müssen wir vermeiden, immer noch draufzusatteln und damit zusätzlichen Ärger zu verursachen. Ich könnte Beispiele bringen, aber ich lasse sie wegen der Redezeit und wegen des Friedens in der Koalition weg. Vor allen Dingen müssen wir manche bestehenden Rechtsnormen abschaffen, die kaum jemand braucht. Davon gibt es genug. Die Kommission wäre gut beraten, wenn sie auch das auf den Tisch legen würde.
Auf europäischer Ebene brauchen wir bestmögliche Rahmenbedingungen für eine gesunde, international starke Industrie. Richtig verstandene Industriepolitik kann dazu beitragen. Ich bringe ein Beispiel. Es sind die Ergebnisse, die auf dem Automobilsektor mit der Initiative CARS 21 auf den Weg gebracht worden sind. Hier geht es darum, längerfristig Abgasnormen und andere Standards zu entwickeln, an die sich die europäische Industrie halten muss. Wir wollen während unserer Präsidentschaft auch bei der Raumfahrt, bei der Informations- und Kommunikationstechnologie und beim Maschinenbau ein Stück vorankommen.
Die europäische Gemeinschaft, die Gemeinschaft der europäischen Völker, unsere Kultur- und Wertegemeinschaft, wenn man so will, muss sich international behaupten können. Auch das ist ein Ziel, das wir in unserer Präsidentschaft verwirklichen wollen.
Wir lesen viel - Untergangspropheten haben eine besonders gute Konjunktur in manchen Zeitungen - über auf- und absteigende Wirtschaftsräume. Der unbefangene Bürger muss denken, China und Indien seien inzwischen Musterländer der Produktivität und des Wohlstands. Ich kann nur sagen: Man muss sich das alles einmal genau anschauen. Hier gibt es differenzierte Entwicklungen. Aus jeder Statistik das herauszusuchen, was einem besonders gut oder schlecht gefällt, und uns möglicherweise Ghana als Vorbild hinzustellen, trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei.
Das soll nicht heißen, dass wir uns zufrieden zurücklehnen können und nichts mehr zu tun brauchen, sondern das soll heißen, dass wir in Europa genügend Kraft und Selbstbewusstsein haben, um uns in der Welt behaupten zu können, wenn wir zusammen die Stärken, die in Europa vorhanden sind, nutzen. Dafür, dass wir zwangsläufig absteigen müssen, gibt es weder historische noch wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten. Wir entscheiden durch unsere Leistung und durch unseren Ehrgeiz über unsere Möglichkeiten.
Der Schlüssel zur Gestaltung der Globalisierung, die uns sehr beschäftigt, ist die Europäische Union. Nur gemeinsam bringen wir das notwendige Gewicht dafür auf. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Handelshemmnisse in der Welt abgebaut werden. In der Doharunde gibt es leider im Moment einen Stillstand. Der multilaterale Ansatz des Abbaus der Handelshemmnisse muss erhalten bleiben. Peter Mandelson war diese Woche wieder bei mir. Ich habe ihn aufgefordert, gemeinsam mit uns die Zwischenzeit zu nutzen, um bilaterale Handelsabkommen auf den Weg zu bringen. Aber das soll nicht heißen, dass wir von der multilateralen Lösung Abschied nehmen wollen. Ich hoffe, dass die Runde wieder in Gang kommt.
Wir können uns auch überlegen, möglicherweise stärker mit dem amerikanischen Wirtschaftsraum zu kooperieren; aber das ersetzt nicht alles. Das Richtige ist, multilateral im Rahmen der WTO zu handeln.
Es gibt vieles, was wir nur gemeinsam durchsetzen können. Ich nenne den Schutz des geistigen Eigentums. Ich war letzte Woche sehr lang mit dem Ministerpräsidenten Wen Jiabao zusammen. Die Chinesen sehen ein, dass das notwendig ist; sie sagen es zumindest. Aber es muss dort natürlich auch umgesetzt werden. Das ist etwas, was wir nicht allein erreichen können, was wir nur im Rahmen der WTO und im Rahmen Europas lösen können.
Wir müssen natürlich auch alle kriminellen Machenschaften auf unserem Gebiet bekämpfen. Dabei hilft zum Beispiel der Finanzminister mit seinen Zollbehörden.
Wir wollen unsere europäische Reformagenda entschlossen nutzen und werden Zeichen setzen, wie wir Europa gemeinsam nach vorn bringen - zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger Europas und zum Nutzen der Deutschen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat uns einen Tätigkeitsbericht vorgelegt. Das will ich nicht kritisieren. Sich über seine Tätigkeiten klar zu werden, kann nie falsch sein. Angesichts der Koalitionsstreitereien an allen wesentlichen Reformbaustellen beschränkt sich vieles auf allgemeine Absichtserklärungen. Manchmal wird ein Thema nur angerissen, werden nur Schlagwörter genannt, ohne eine Idee dazu, wie ein Problem gelöst werden soll. Bei allen wirklich wichtigen Reformbaustellen bleibt Ihr Bericht nebulös; manches ist schon wieder Makulatur. Von Umsetzung und Fortschritt ist in diesem Umsetzungs- und Fortschrittsbericht an vielen Stellen nichts zu sehen.
Es ist höchste Zeit, das hinter dem Bericht der Bundesregierung stehende Konzept kritisch zu beleuchten:
die Lissabonstrategie.
Darüber müssen wir an dieser Stelle sprechen. Es hört sich zunächst einmal sehr gut an, dass sich die EU zum Ziel gesetzt hat, bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Dagegen hat selbstverständlich niemand etwas. Entscheidend sind aber die Mittel, die zu diesem Ziel führen sollen.
Was die europäischen Staats- und Regierungschefs im März 2000 in Lissabon beschlossen haben, lässt ganz offensichtlich weite Interpretationsspielräume. Das ist auch an den heute zur Debatte stehenden Anträgen zu erkennen. Man kann die Lissabonstrategie als ein Programm zur Umstrukturierung der EU verstehen, als ein Programm zu mehr Flexibilisierung, zu mehr Freiheit im Binnenmarkt. Das wären hehre Ziele. Dann kann man über einzelne Unterpunkte, Mittel und Maßnahmen trefflich streiten. Man kann den Lissabonprozess aber auch als zentralistischen Aktionismus verstehen, als einen Versuch, die Wirtschaft mit Zielvorgaben zu lenken, als Beitrag zu der Idee, dass man Wachstum zentral planen kann. Die Lissabonstrategie enthält zahllose verpflichtende Leitlinien, zahllose Zielvorgaben, zum Teil auch in sich widersprüchliche Ziele. Ich erinnere etwa an den Kok-Bericht, der nach fünf Jahren eine Zwischenbilanz gezogen hat.
Die Aktionspläne anderer EU-Länder sind ebenso vage wie die der Bundesregierung. Das zeigt: Die Pläne haben in Wahrheit keine politische Bedeutung. Mit Fortschrittsberichten wird kein Wachstum erzeugt. Es kann nicht vorrangige Aufgabe der Politik sein, Beschäftigungsquoten zu definieren, sie dann einzuhalten oder zu verfehlen. Ziel muss sein, unser Land besser, lebenswerter, wohlhabender zu machen.
Das Ziel ist dann erreicht, wenn diejenigen, die arbeiten wollen, auch eine Arbeitsstelle finden. Ich warne davor, zu sehr auf die Quoten zu schauen.
Von Anfang an wurde die Lissabonagenda von politischen Zielsetzungen bestimmt, die das ökonomisch Notwendige vernachlässigt haben.
Deshalb hat die Strategie bisher versagt, so auch der Bericht von Herrn Kok. Sie musste scheitern. Jede derartige Strategie muss an Machbarkeitsillusionen scheitern, die hinter diesem Konzept standen und stehen.
Es haben andere Wirtschaftsräume im 20. Jahrhundert versucht, mit der Festlegung von Wachstumsvorgaben die Vereinigten Staaten an Wirtschaftskraft zu überholen. Wir alle wissen, das ist gescheitert. Es mutet grotesk an, wenn Marktwirtschaften jetzt im 21. Jahrhundert mit quasi planwirtschaftlichen Elementen Ähnliches versuchen.
Die Europäische Kommission lamentiert, die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten sei die Achillesferse der Lissabonstrategie. Am liebsten würden einige Politiker in Brüssel die gesamte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zentralisieren.
Als im vergangenen Jahr jeder einsehen musste, dass die Lissabonstrategie gescheitert war, wurde sie ein bisschen modifiziert, ein bisschen gestrafft. Sie soll jetzt ein bisschen stärker auf Beschäftigung und Wachstum ausgerichtet sein. Andererseits sollen Wachstum und Beschäftigung stärker in den Dienst des sozialen Zusammenhalts gestellt werden. Weiterhin kann also jeder in der Lissabonstrategie sehen, was er gern sehen möchte.
Europa strebt danach, für Forschung und Entwicklung 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugeben und eine Beschäftigungsquote von mindestens 70 Prozent zu erreichen. Diese Vorgaben zu erfüllen, ist im Prinzip nichts Schlechtes. Forschung und Entwicklung können die Voraussetzung für Wachstum schaffen. Hohe Beschäftigung ist das Ziel unserer Wirtschaftspolitik. Aber wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, damit sei es getan.
Zum Beispiel ist die Beschäftigungsquote seit Beginn des Lissabonprozesses in Europa - auch in Deutschland - gestiegen. Der Abstand zu den USA und zu Japan hat sich verringert. Allerdings ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in Europa im gleichen Zeitraum um 5,5 Prozent zurückgegangen. Damit wird der positive Effekt für die Wachstumsstrategie letztlich aufgehoben. Damit haben wir keinen Schub des Wachstums ausgelöst.
Bloße Zahlenvorgaben, ohne die ökonomischen Zusammenhänge zu berücksichtigen, reichen nicht aus. Sie schaffen kein Wachstum. Vorgaben für Beschäftigungsquote, für Jüngere, für Ältere schaffen per se nicht mehr Wohlstand. Ja, wir wollen Jüngeren mehr Beschäftigung bringen. Wir wollen Älteren mehr Chancen geben. Aber damit haben wir es nicht geschafft.
Was Europa nur weiterbringen kann, ist: Wir müssen stärker ein Europa des Wettbewerbs schaffen. Dazu gehört eine Europäisierung der Wettbewerbspolitik. Dazu gehört weniger Bürokratie beim innereuropäischen Güter- und Dienstleistungshandel. Dazu gehört in der Arbeitsmarkt-, Steuer- und Standortpolitik Wettbewerb zwischen den Mitgliedsländern. Aber Wettbewerb ist in der Lissabonstrategie kaum zu sehen. Die dort genannte Methode der offenen Koordinierung - eines der Kernelemente von Lissabon - ist keine offene Diskussion über eine zweckmäßige Wirtschaftspolitik. Sie ist zuallererst Koordinierung und Planung. Das Ziel ist am Ende Harmonisierung. Die Europäische Union drängt sich auf diese Weise in Politikbereiche, für die sie keine Regelungskompetenz hat.
Für die Sektoren Soziales, Forschung und Gesundheit etwa ist sie gar nicht zuständig. Durch die Hintertür wird so eine Standardisierung der Sozialpolitik betrieben. Durch die Hintertür bekommen wir europäischen Wirtschaftszentralismus. Über wissensbasiertes Wirtschaftswachstum können wir uns freuen. Die Lissabonstrategie will den Sektor der Informationstechnologie fördern und das Wachstum stärken. Herr Verheugen als EU-Kommissar hat das präzisiert. Gefördert werden soll die IT-Industrie. Im Klartext heißt das: Industriepolitik für Großunternehmen. So stelle ich mir ein erfolgreiches Europa nicht vor.
Das zeigt auch, wes Geistes Kind die Lissabonstrategie ist. Sie wurde damals von 15 Mitgliedsländern in Lissabon beschlossen, von denen elf sozialistisch oder sozialdemokratisch regiert wurden. Sie wurde von Regierungen beschlossen, die an die Steuerbarkeit der Wirtschaft und an die zentrale Planung von Wachstum glaubten. Das ist aber eine Anmaßung von Wissen. Das funktioniert nicht. Das ist vielleicht ein Stück Wiederbelebungsversuch der Sozialistischen Internationale.
Man hat sich vom Lissabonprozess eine günstige Stimmung für wachstumsfreundliche Reformen versprochen.
Aber in den Bereichen, in denen Europa mehr Wettbewerb schaffen könnte, scheitern die Ansätze kläglich an Nationalprotektionismus. Das Schicksal der Dienstleistungsrichtlinie gleicht einer Beerdigung zweiter Klasse.
Auch sie war zentraler Teil der Lissabonstrategie. Sie war sogar eines der wichtigsten Vorhaben der Europäischen Kommission. Europa hat an dieser Stelle bewusst auf Wachstum verzichtet.
Jeder macht aus der Lissabonstrategie das, was ihm gerade recht ist: viel Prozess, wenig Ergebnis. Wer verstanden hat, wie Marktwirtschaft funktioniert, konnte nicht viel mehr erwarten. Die Lissabonstrategie gilt als Hoffnungsträger für Europa. Wenn der Lissabonprozess zum Ziel hat, Europa wettbewerbsfähiger zu machen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, Wirtschaft und Verbrauchern mehr Freiheiten zu geben, ist das positiv. Dazu muss man sich allerdings von falschen Zielvorgaben verabschieden. Dazu muss man Bürokratie abbauen, statt europäische Erfolgskontrollen einzuführen.
Dazu müssen Märkte aufgebrochen werden, beispielsweise im Energiebereich.
Wir haben es ja aktuell im Fall Eon/Endesa erlebt: Wir sind von einem freien europäischen Energiemarkt noch weit entfernt. Es handelt sich um ein großes Politikum, wenn sich im Energiebereich ein Unternehmen in einem anderen Land engagieren will. Das wird sofort als nationale Herausforderung angesehen. So schaltete sich die spanische Regierung ein und es gab Gipfeltreffen. In diesem Bereich gibt es noch keinen echten Markt in Europa. Hier liegen die Probleme. Es handelt sich um Pseudoliberalisierungen, solange es andere Hemmnisse im grenzüberschreitenden Verkehr gibt. Das müssen wir ändern.
Wir brauchen in Europa einen Steuerwettbewerb und keine einheitlichen Steuersätze. Das Einzige, was vereinheitlicht werden sollte, sind die Bemessungsgrundlagen. Das würde Vergleichbarkeit schaffen.
Wenn man meint, sich alles ersparen zu können und mit immer mehr um sich greifender Koordinierung und Harmonisierung den Wettbewerb in Europa quasi unterdrücken und ihn ein Stück weit von Europa fernhalten zu können, dann kann man gleich auf die Lissabonstrategie verzichten und sie beerdigen.
Wir müssen in Deutschland eine Politik betreiben, die unseren Investitionsstandort stärkt. Wir brauchen endlich eine Steuerreform. Aber diese wurde ja von der großen Koalition auf die lange Bank geschoben. Wir brauchen mehr Flexibilität, damit neue Arbeitsplätze entstehen, betriebliche Bündnisse für Arbeit und eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten.
Dann werden sich unsere Unternehmen auch im Wettbewerb stärker behaupten und mehr Arbeitsplätze schaffen können.
Im Antrag der Koalitionsfraktionen werden Anstrengungen für die Reform der Sozialversicherungen gefordert. Diese soll vorangetrieben werden. Das ist richtig, aber im Gesundheitswesen ist davon weit und breit nichts zu spüren. Im Gegenteil, hier herrscht Rückschritt statt Stillstand. Stillstand wäre dabei noch ein Fortschritt.
Wir müssen die Bedingungen für Bildung und Forschung am Standort Deutschland verbessern. Das ist Voraussetzung für Innovationen.
Für all diese Vorhaben brauchen wir aber keine Koordination auf europäischer Ebene. Europa sollte sich in den wirtschaftsrelevanten Politikbereichen konzentrieren auf die Durchsetzung von Wettbewerb, auf den Stabilitätspakt, auf die Umstellung seines Haushaltes - weg von Subventionen, hin zu Investitionen. Das würde den Rahmen schaffen, damit Europa wettbewerbsfähiger wird. Aber den Wettbewerb zwischen den Regionen und zwischen Konzepten, Ideen und Wegen quasi über Standardisierung und Harmonisierung zu unterdrücken, ist nicht das Konzept, wie Europa an die Spitze der Entwicklung kommt.
Deshalb ist für mich bei einer Debatte über diesen Themenbereich das Zentrale, über die Strategie zu sprechen. Es geht nicht an, zu sagen, weil es sich um Europa handelt, ist das tabu und es reicht aus, uns zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt zu erklären. Damit hat man kein Problem gelöst. Wir haben es oft genug erlebt: Diese visionären, fast theologischen Aussagen bringen keine Lösung unserer Probleme. Zu Hause den Laden in Ordnung zu bringen, seine Hausaufgaben zu erledigen, und zwar im Wettbewerb mit europäischen Nachbarn und anderen Regionen, ist die Aufgabe, die wir angehen müssen. Nur durch einen fairen, offenen Wettbewerb kann sich die bessere Lösung durchsetzen und nicht durch Unterlaufen des Wettbewerbs, indem pseudoeuropäisch standardisiert und harmonisiert wird. Damit wird nur verhindert, dass sich der beste Standard bzw. Lösungsansatz durchsetzen und die beste Steuerpolitik für Europa prägend wird. Viele wollen das jedoch nicht und nehmen Zuflucht zu Wegen, die am Ziel vorbeiführen.
Vor diesem Hintergrund ist es Zeit, über die Grundlagen dieses Prozesses zu diskutieren, statt sie zu tabuisieren und eine Schimäre vor sich her zu tragen. Redlichkeit und Ehrlichkeit bringen Europa voran. Schöne Familienfotos,
tolle Treffen der Regierungschefs und große Deklarationen leisten nur einen Beitrag dazu, dass Europa eher bei den Menschen an Vertrauen verliert als gewinnt.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Doris Barnett für die SPD-Fraktion.
Doris Barnett (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war kein Meisterstück, lieber Rainer Brüderle.
Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas hat den Auftrag, alles zum Gelingen der Vereinbarungen von Lissabon aus dem Jahr 2000 beizutragen. Heute - wir haben es gerade gehört - gibt es viele Skeptiker, die sagen, Lissabon sei gescheitert, wir sollten das Ziel aufgeben, die Europäische Union bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt machen zu wollen. Sie sagen weiterhin, wir seien nicht fähig, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu schaffen. Man brauche mehr Markt und Wettbewerb; das sei das einzige Ziel.
Sicher hätte sich Europa die Frage nach der Erreichbarkeit der ursprünglichen Lissabonziele schon früher stellen können, statt sich damit erst im letzten Jahr zu befassen. Denn die Weltwirtschaft hat sich seit der Beschlussfassung im März 2000 negativ entwickelt. Der 11. September 2001 ist nur ein Faktor von vielen. Sollen wir aber nun aufgeben und die Flinte ins Korn werfen, nur weil wir allzu ehrgeizig waren? Nein, natürlich nicht. Das tun wir doch auch hierzulande nicht. Nur wer sich ehrgeizige Ziele steckt, erreicht am Ende des Tages mehr als der mit nur einer niedrigeren Latte.
Richtig ist, dass eine Neuausrichtung der Lissabonstrategie notwendig ist. Wir steuern mit dem jetzt vorgelegten Reformprogramm das Unsrige dazu bei, weil unsere Anstrengungen der letzten Jahre endlich Wirkung zeigen. Die Konjunkturerholung in Deutschland - wie auch in anderen Teilen Europas - wird endlich spürbar. Nicht zu unterschätzen sind auch die finanzpolitischen Entscheidungen, die niemandem hier leicht gefallen sind. Aber sie werden mithelfen, die Wachstumskräfte der Wirtschaft zu aktivieren und damit neue Beschäftigungschancen zu eröffnen. Immerhin haben bei einer Umfrage in der letzten Woche rund 60 Prozent der befragten Unternehmen angegeben, dass sie bereits in diesem Jahr neue, zusätzliche Arbeitsplätze schaffen werden. Das ist ein Erfolg der schon länger eingeleiteten Reformpolitik in Deutschland.
Diese eingeleitete Wachstums- und Beschäftigungsstrategie wird allerdings umso erfolgreicher sein, je besser es uns gelingt, die verschiedenen Politikfelder optimal miteinander zu verbinden und auf Wachstum und Beschäftigung auszurichten. Schließlich wollen wir, dass die Unternehmen ihr Potenzial voll entfalten und im Wettbewerb bestehen können. Zum Potenzial der Unternehmen gehören ja gerade gut ausgebildete Fachkräfte und die nötige Innovationsfähigkeit. Sie sind - neben der Finanzpolitik, der gezielten Förderung von Forschung und Entwicklung und dem Ausbau der Infrastruktur - wichtige Garanten für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen.
Alle am Wirtschaftsleben Beteiligten wissen, wie sehr es auf gut ausgebildete Fachkräfte in ausreichender Zahl ankommt. Letzte Woche, als ich mit dem Unterausschuss ?Regionale Wirtschaftspolitik“ in Mecklenburg-Vorpommern war, wurde uns nicht vorgejammert. Aber die Unternehmen sagten uns, wie händeringend sie Fachkräfte suchen. Denn in der Zwischenzeit haben sich neben einigen wenigen großen Unternehmen auch viele kleine und mittelständische Firmen dort niedergelassen, die zum Teil Weltmarktführer in ihrem Sektor sind.
Von entscheidender Bedeutung ist hierbei das persönliche Engagement, das durch keine Richtlinie, Verordnung oder Gesetz ersetzt werden kann. Da gibt es den Wirtschaftsförderer, der nicht nur Broschüren druckt, sondern Klinken putzen geht und für Ansiedlungen wirbt. Da gibt es die Bürgermeisterin, die sich mehr um Betriebe und um den Abbau von Bürokratie kümmert. Da gibt es den Wirtschaftsminister, der ständig auf Achse ist, um über persönliche Kontakte zu Firmen rechtzeitig Weichen im Lande zu stellen.
Ich bin froh, sagen zu können, dass der Osten unseres Landes aufholt - nicht mit alter Industrie, sondern mit dem, was Lissabon fordert: wissensbasiert. Dafür brauchen wir allerdings noch eine ganze Weile unsere GA-Mittel und die Mittel aus den EU-Strukturfonds. Wir brauchen aber auch die Anstrengungen vor Ort, um junge Menschen ausbildungsreif ins Berufsleben zu entlassen. Wir brauchen vor allem Unternehmer, die ehrgeizig und risikobereit sind, die gewillt sind und begreifen, dass eine Ausbildung über den derzeitigen Bedarf hinaus die absehbaren Engpässe in wenigen Jahren erst gar nicht entstehen lassen.
Auch das gehört zu Lissabon: Dynamik entsteht mit Weitsicht. Weitsicht und Innovationsfähigkeit haben etwas mit dem Willen zu tun, in Wissen zu investieren. Das müssen die Unternehmen, das müssen die Länder und das müssen die Betroffenen selbst, die Menschen, auch wollen.
Darum strengen wir uns an, das ständige Weiterlernen, das so genannte lebensbegleitende Lernen, zum ganz selbstverständlichen Teil der Arbeitswelt werden zu lassen. Die Anstrengungen, die die Menschen in ihre eigene Beschäftigungsfähigkeit stecken, werden ihnen zum Vorteil gereichen, weil sie ihren Wert im Sinne von Arbeitspreis steigern.
Denn der Mangel an gut qualifizierten Mitarbeitern wird zunehmen, nicht zuletzt wegen der demografischen Entwicklung. Wir müssen und werden uns überall dort besonders anstrengen, wo Ressourcen wichtig, aber knapp sind.
Das ist so bei den Menschen in unserem Land; das ist aber auch so in Sachen effiziente Nutzung der Energie. Mit intelligenten Werkstoffen - in der Debatte zuvor ist dies angeklungen -, die unsere Chemiker, Ingenieure und Laboranten entwickeln und erproben, gelingt es, den Wärmebedarf von Häusern dramatisch zu reduzieren. Das geht herunter bis auf null Energie, ja sogar bis zu Energie plus. Damit aus diesen Forschungsergebnissen und Pilotprojekten, in die wir gerne staatliche Gelder stecken, ein preiswertes Produkt für die Masse wird und damit Arbeitsplätze im Handwerk gesichert und weitere geschaffen werden, unterstützen wir Sanierungswillige - seien es Einzelpersonen oder auch Kommunen - mit günstigen Krediten der KfW. Das waren bisher 1,4 Milliarden Euro für 2006 plus 200 Millionen Euro aus 2005, die allerdings schon im Mai dieses Jahres verausgabt waren. Weil wir mit diesem Projekt einen richtigen Renner initiiert haben - ich muss zugeben, dass die hohen Energiekosten als überzeugendes Argument daran erheblich mitgewirkt haben -, ist es wohl nicht unziemlich, darüber nachzudenken, die Fördersumme beizubehalten bzw. sie ab dem nächsten Jahr sogar anzuheben. Vielleicht entwickeln auch die Bausparkassen Sonderprogramme für CO2-Vorhaben ihrer Sparer.
An diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie die Lissabonstrategie praktisch funktioniert: Wir fördern eine kluge Energiepolitik, die Innovationskräfte in der Forschung und anschließend in Unternehmen freisetzt. Hightechprodukte werden mit gut ausgebildetem, qualifiziertem Personal hergestellt. Unterstützt durch gezielte Finanzhilfen ist es der Bevölkerung möglich, in nachhaltige Sanierungs- und Neubaumaßnahmen zu investieren, was im Handwerk zu Arbeit und Arbeitsplätzen und damit nicht nur zur Stärkung der Steuereinnahmen, sondern auch der Sozialsysteme führt. Der CO2-Ausstoß, der zu 40 Prozent von Privathaushalten verursacht wird, wird reduziert. Das nenne ich nachhaltige Wirtschaftspolitik im Sinne der vereinbarten Lissabonstrategie. Dazu bedarf es aber eines starken Staates. Starke Ellenbogen hätten das nämlich nicht erreicht.
Das jetzt vorgelegte Nationale Reformprogramm gibt ausführlich Auskunft darüber, wie sich die Wirtschaftslage gestaltet und wie der gesamtwirtschaftliche Rahmen ausgestaltet wird, wie der strukturelle Wandel voranzubringen ist und wie der Arbeitsmarkt auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet werden muss. Ich gebe zu: Natürlich kann es von der EU nicht einen Plan für alle Länder geben.
Mit unserem Antrag stellen wir, die Koalitionsfraktionen, klar, welche Themen wir besonders berücksichtigt haben wollen, weil sie unserer Meinung nach für Wirtschaftswachstum und sozialen Zusammenhalt von herausragender Bedeutung sind. Allerdings will ich in der jetzigen Debatte nicht verhehlen, dass die Umsetzung der Lissabonstrategie durch die Kommission auch behindert wird. Es ist ja bekannt, dass wir mit unserem Forschungsprogramm, unserer Förderung von Mittelstandsprojekten, den GA-Mitteln und natürlich auch mit den EU-Geldern die vorgegebenen Ziele der Lissabonstrategie unterstützen. Deshalb ist es für mich umso unverständlicher, dass die Beihilfenkontrolle der EU-Kommission seit langem darauf ausgerichtet ist, den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten im Bereich der Regionalförderung systematisch einzuengen. Denn gleichzeitig drängt die Kommission mit ihrer eigenständigen Regionalförderung im Rahmen der Strukturfonds immer stärker in originäre Zuständigkeitsbereiche der Mitgliedstaaten.
Aus der Kommission ist in letzter Zeit immer häufiger zu hören, dass die Mitgliedstaaten eigentlich kein Recht mehr haben sollten, neben der EU-Regionalförderung eine eigene nationale Förderung zu betreiben. Die neue Strukturfondsverordnung und das Vorgehen der Kommission bei deren Umsetzung verstärken diese zentralistischen Tendenzen; in dieser Beziehung gebe ich Herrn Brüderle gerne Recht.
Am Ende dieses Prozesses könnte nämlich stehen, dass die Förderung schwacher Regionen primär von der EU betrieben wird und die Mitgliedstaaten sich an dieser Politik bestenfalls im Wege der Kofinanzierung beteiligen können. In keinem anderen Bereich verletzt die Kommission zurzeit so eklatant das Subsidiaritätsprinzip wie im Bereich der Regionalpolitik. Damit wird den Mitgliedstaaten ein wichtiges Werkzeug aus der Hand genommen, um die von ihnen zu verantwortende nationale Reformpolitik umzusetzen. Wir können doch jetzt nicht anfangen, für einen Durchgriff der EU-Kommission die integrierten Politikprozesse wieder aufzudröseln.
Bund und Länder bestehen deshalb zu Recht darauf, dass die Mitgliedstaaten ausreichende Möglichkeiten behalten, eine eigenständige Regionalförderung als Teil des Nationalen Reformprogramms zu betreiben.
Es muss weiterhin Sache der Mitgliedstaaten sein, zu entscheiden, wie die in den einzelnen Regionen bestehenden Probleme zu beheben sind. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, ihre eigenen, regionalen Probleme mit eigenen Mitteln zu lösen; denn sie tragen die politische Verantwortung dafür.
Ausgangspunkt und Basis für die Lösung von Regionalproblemen, die in die nationale Problemlösung eingehen, muss der jeweilige Mitgliedstaat sein. Bei besonders gravierenden Regionalproblemen kann die EU die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Lösung dieser Probleme unterstützen, aber nicht umgekehrt. Das Ziel eines einheitlichen Wirtschaftsraums Europa ist kein Freibrief für Bestrebungen der Kommission, das Subsidiaritätsprinzip wo immer es geht zu unterwandern. Deshalb prüfen auch wir die Brüsseler Vorschläge sehr kritisch, zum Beispiel zur Dienstleistungsrichtlinie.
Die Lissabonstrategie ist trotz allem ein wichtiges und brauchbares Instrument. Mit dem vorgelegten Nationalen Reformprogramm wollen wir zu ihrem Gelingen beitragen. Wir laden Sie alle ganz herzlich ein, mitzumachen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Diether Dehm für die Fraktion Die Linke.
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! ?Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabonziele“ beantragen heute die immer noch mit ihrer Oppositionsrolle ringenden Grünen. Die Bundeskanzlerin wollte die Lissabonstrategie im vergangenen Mai mit vollem Herzen unterstützen: Das A und O in einer Welt zunehmender Widersprüche sei wirtschaftlicher Erfolg. Welch eine armselige Schrumpfung menschlichen Glücks auf die Gewinnziffern der Konzerne und Großbanken!
Frau Bundeskanzlerin, werte Regierende, soweit anwesend, wenn Sie weiterhin wollen, dass die Profitdefinition wirtschaftlichen Erfolgs das A und O in dieser Welt ist, werden Sie eine demokratische Revolution bewirken, wie sie in Lateinamerika bereits begonnen hat.
Ihre Strategie wird aber nicht nur an uns scheitern, sondern auch an Ihnen. Die EU sollte bis 2010 - das ist in 40 Monaten - die dynamischste Region der Welt werden, stärker noch als die USA. Herr Glos, Sie lachen da zwar nicht, aber da lachen doch die Hühner.
Mehr und bessere Arbeitsplätze, sogar Vollbeschäftigung und ein gestärkter sozialer Zusammenhalt waren damals als Ziele der Lissabonstrategie formuliert worden. Von alledem ist nichts übrig geblieben. Der Wachstumsabstand zu den USA ist lange Jahre immer größer geworden.
Auf dem Brüsseler Frühjahrsgipfel 2005 wurden die Prioritäten abgespeckt. Die soziale Rhetorik, wie etwa der ursprünglich angekündigte Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung, ist faktisch tot. Lissabon heißt bei uns: Nationales Reformprogramm, Agenda 2010, Hartz IV sowie jede Menge neue Armut, Insolvenzen von Kleinunternehmen und Entlassungen. Die Situation ist für die Betroffenen meist ausweglos.
Als Sie, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, diesen Neoliberalismus noch auf der Regierungsbank verschärfen durften, hat Ihr Herr Friedhoff - Herr Brüderle, vielleicht erinnern Sie sich noch an ihn - öffentlich eine andere Vor-Lissaboner Katze aus dem Sack gelassen. Ich zitiere sinngemäß: Wir werden den Kommunen so lange das Geld streichen, bis sie nichts mehr zu verkaufen haben. Das wurde zum Desaster für unsere Gemeinden.
Aber die Menschen wehren sich. Die Linke konnte bei der Kommunalwahl vor etwa zehn Tagen in Niedersachsen mit 136 Abgeordneten in die Kommunalparlamente einziehen. Bisher hatte sie 13 Kommunalmandate inne. Das ist eine Verzehnfachung. Ähnliches geschah im Frühjahr bei der Kommunalwahl in Hessen.
- Zum Thema: Zeigen Sie mir einmal eine Partei, die bei der Kommunalwahl in Hessen und Niedersachsen so stark gewonnen hat wie die Linke!
Das liegt auch an Ihrer neoliberalen Politik. Das ist für uns ja von Vorteil. Machen Sie weiter mit dieser Politik, stärken Sie uns weiter!
Die Megakoalition von Helmut Kohl bis Gerhard Schröder, von Sabine Christiansen bis Dieter Hundt, von den Wirtschaftsgrünen bis zu den Wirtschaftsliberalen, von der Freihandelskanzlerin bis zum Dieter Bohlen des Verfassungsrechts, Udo Di Fabio, will den Menschen an den Fernsehapparaten Nacht für Nacht einbläuen, es gäbe keine Alternative zum Kaputtsanieren der öffentlichen Haushalte, zu Lohnstreichungen und brutalen Rentenkürzungen. Aber immer mehr Menschen fragen sich und zum Glück auch uns, Gewerkschafter und linke Kirchenleute: Warum ist der Staat nur dort innovativ, wo er die Profite und Aktienkurse der Konzerne und damit die Managergehälter mästet? Warum zieht er sich dort zurück, wo er ein Helfer für die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sein soll? Warum finanzieren überwiegend Lohnsteuerzahler und Handwerksmeister die staatlich vorgehaltenen Netze in diesem Land, mit denen Finanzspekulanten, die Energiekonzerne und die Deutsche Bank dann ihre Profite machen, und zwar ohne sich an der Finanzierung der staatlichen Logistik auch nur halbwegs zu beteiligen?
- Was macht Herr Wolf in Berlin? Ich denke, die verhandeln dort jetzt über die Regierung. Fragen Sie mich in diesem Zusammenhang nicht, was Herr Wolf jetzt in Berlin macht. Ich weiß allerdings, dass er und seine Partei in Berlin oft versucht haben, das abzufedern, was von der Bundesebene den Gemeinden und Ländern aufgebürdet wurde.
Manchmal ist das Verhindern des Schlimmsten schon ein Fortschritt.
Ihr Nationales Reformprogramm will Deregulierung. Das heißt auf gut Deutsch: Gesetzlosigkeit für die Globalplayers. Sie unterbieten die Steuern in anderen Staaten, machen den Staat arm und bewirken damit weitere Steuersenkungen bei den Nachbarstaaten. Aber wo soll denn diese Abwärtsspirale enden? Oskar Lafontaine hat Ihnen oft genug die Auswege gezeigt:
Börsensteuer, Schließung der Steueroasen, Kampf gegen die Hedgefonds und keine Senkung der Unternehmensteuer. Darum gibt es auch die Hasstiraden der Herren Beck und Struck und anderer aus der einstmals dritten Garnitur der SPD.
Es wurde empirisch unwiderlegbar nachgewiesen: Deutschland liegt laut OECD-Statistik satte 6 Prozent unter der durchschnittlichen Steuerquote in der EU. Das Steuerdumping kommt also nicht von der Welt über uns, es kommt vor allen Dingen von uns in die Welt. Es reißt uns und andere in die Tiefe.
- Hören Sie einmal genau hin.
Ich zitiere die ?FAZ“ von gestern zu den wahren Ursachen der gewaltsamen Unruhen in Ungarn - die ?FAZ“ ist ja nicht gerade die Zeitung der Linken -:
Zwar hat das Land bedeutende westeuropäische und amerikanische Investoren angelockt, aber dies mit Steuerbefreiungen bezahlt, so daß der Staatshaushalt nicht konsolidiert werden konnte.
Das zu den Unruhen in Ungarn.
ATTAC, die bedeutende junge Organisation von Globalisierungskritikern, sagt:
Wenn sich Nationalstaaten auf Steuerdumping einlassen, verlieren alle. ... Um diesen ruinösen Wettlauf zu beenden, fordern wir:
In der EU: Einheitliche Bemessungsgrundlagen und Gewinnsteuersätze ... Langfristig: Weltweit einheitliche Konzernbesteuerung auf Basis einheitlicher Bemessungsgrundlagen, ...
ATTAC schlägt vor:
Eröffnet ein EU-Konzern eine Filiale in einem Land mit niedrigem Gewinnsteuersatz, muss die Differenz zum Steuersatz in der EU nachversteuert werden ...
Warum blenden Sie diese Alternativen ständig und so dogmatisch aus?
Eine Politik, die ungerührt den wenigen nutzt, verliert das Vertrauen der vielen. Aber der Widerstand der vielen wächst.
Ich danke für Ihre Geduld.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es so einfach wäre, wie es von der Linken zum Schluss vorgetragen wurde,
und wenn es dann auch noch richtig wäre, dann wären wir froh. Aber so einfach kann man es sich nur machen, wenn man nicht bereit ist, sich mit der Wirklichkeit in der Welt auseinander zu setzen.
Dazu kann man nur sagen: Erhalte mir meine Vorurteile, hilf mir nicht weiter und lass mich meinen Verstand nicht gebrauchen! Da hört es für mich auf. Deswegen will ich mich damit auch nicht weiter beschäftigen.
Es geht darum, dass die Situation, in der wir uns befinden, gegenüber den Vorjahren ernsthaft verbessert ist, dass wir aber diesen Prozess verstetigen müssen, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen.
Ich persönlich habe nichts dafür übrig, dass jetzt bei uns das große Lied von der Sorge gegenüber den Asiaten, China usw. angestimmt wird. Ich empfehle uns allen in dieser Auseinandersetzung ein gesundes Selbstbewusstsein, aber auch Mut.
Um das, was in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, etwa in China, realistisch beurteilen zu können, muss man sich ein bisschen von den Prozentzahlen lösen. Angesichts von 10 Prozent Wachstum in China gegenüber 2 Prozent Wachstum bei uns denkt man erst einmal: Mein Gott, holen die auf! Aber sie holen bisher nicht auf.
Das Pro-Kopf-Einkommen in Westeuropa ist in den letzten 20 Jahren von 11 000 Dollar auf 22 000 Dollar gesteigert worden. Der Abstand zu den Chinesen ist heute weitaus größer als noch vor 20 Jahren.
Die bestehende Situation kann zwar nicht mit Prozentzahlen beschrieben werden, muss aber trotzdem ernst genommen werden, weil es um eine große Masse geht, weil sich in China natürlich etwas tut und weil wir - der Herr Wirtschaftsminister hat dankenswerterweise sehr ausführlich darüber gesprochen - in den WTO-Verhandlungen, zum Beispiel über den Schutz geistigen Eigentums, wirklich ernste Probleme zu bewältigen haben. Aber ich rate uns zu Mut statt zu einer Schneckenhausmentalität. Wir haben in Europa und in Deutschland etwas vorzuweisen. Jetzt gilt es, das zu sichern und auszubauen.
Wir sollten schauen, wo unsere Stärken liegen. Ich fange einmal mit dem Thema Energie an, das der Wirtschaftsminister ja breit behandelt hat. Unsere Stärken lagen in der Vergangenheit sicher darin, dass wir einen guten und nach Risikostreuungsgesichtspunkten ausgewogenen Energiemix hatten.
Diesen gilt es zu erhalten. Dass Stichworte wie Wirtschaftlichkeit und Kosten überhaupt wieder eine Rolle spielen, ist der neuen Koalition zu verdanken. Diese Gesichtspunkte waren in der Zeit der rot-grünen Koalition leider etwas zu stark in den Hintergrund getreten.
Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung ambitionierte Ziele im Energie- und Umweltbereich aufgestellt. Jetzt sollten wir alles daransetzen, diese ambitionierten Ziele auf möglichst effiziente Weise zu verwirklichen.
Deshalb - das sage ich hier für unsere Fraktion ganz klar, auch an die Adresse des Umweltministers - werden Vorhaben, die zusätzliche Kosten verursachen und nicht unbedingt nötig sind, zum Beispiel bezüglich der Wärme in den Haushalten und Energiepass, von uns nicht unterstützt. Hier muss geschaut werden, wie wir unser Ziel möglichst kostengünstig erreichen können. Dabei unterstützen wir den Wirtschaftsminister in seinen Absichten. Wir sollten hier nicht immer noch mehr draufsatteln, sodass das Ganze sehr teuer wird, sondern überlegen, wie man es am effizientesten erreichen kann.
- Weil Sie das gerade sagen, will ich noch einmal unterstreichen: Unser Energiemix ist richtig und sollte nach Möglichkeit in der breiten Streuung, die wir haben, auch erhalten bleiben.
- Aus unserer Sicht mit der Kernenergie. Das ist in dem Zusammenhang einfach eine Frage des Verstandes, was übrigens auch die allermeisten Länder, die sich von der Kernenergie abgewandt hatten, so sehen. Ich bin ganz sicher, dass der Diskussionsprozess zu dieser Frage auch in Deutschland weitergehen wird.
Meine Damen und Herren, die Zementierung unserer Arbeitsmärkte ist durchaus ein Schwachpunkt. Das ist wiederholt festgestellt worden, jetzt wieder von den internationalen Organisationen. Die Frage, über die wir hier diskutieren müssen, ist: Wie bekommen wir - gerade jetzt, wo sich die Konjunktur bewegt und wir Wirtschaftswachstum haben - möglichst viele schneller in den Arbeitsmarkt hinein? Hier geht es auch um die zentrale Frage, ob nicht erst bei 2 Prozent oder 1,5 Prozent Wachstum eingestellt wird, sondern, wie auch in anderen Ländern, schon bei 0,7 Prozent.
Lassen Sie uns schauen, wo in diesem Zusammenhang in Europa die besten Lösungen gefunden worden sind, wo es in Europa vernünftige Steuersysteme und Arbeitsmarktreglementierungen gibt. Ich nenne als Beispiel Dänemark, das hier große Erfolge hatte, und zwar bei sozialer Absicherung und gleichzeitig mehr Freiheit in den Beziehungen am Arbeitsmarkt. Wir sollten über solche Dinge wirklich ohne Scheuklappen reden und nachdenken,
dabei immer die Interessen unserer Beschäftigten im Auge haben und schauen, wie Menschen in Arbeit kommen können. Mehr Arbeit schaffen in Deutschland und den Menschen die Angst nehmen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, das ist für uns nach wie vor die zentrale sozialpolitische Aufgabe, die auch etwas mit Sicherheit zu tun hat.
In diesem Zusammenhang ist die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft von großer Bedeutung. Im Rahmen der Gesundheitsreform müssen wir ernsthaft über dieses Thema diskutieren. Dieser Wachstumsmarkt muss stärker vom Markt gesteuert werden. Die Krankenversicherungen müssen miteinander im Wettbewerb stehen. Auf diese Weise müssen die Kosten in Grenzen gehalten werden.
Darüber hinaus müssen wir die Lohnzusatzkosten senken. Das tun wir zum Beispiel durch die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar nächsten Jahres.
Bei der Energieversorgung in Deutschland müssen wir dafür sorgen, dass nicht funktionierende Märkte besser funktionieren. Dort, wo sie nicht funktionieren, muss der Staat eingreifen und Missbrauch verhindern. Diese Aufgabe hat der Wirtschaftsminister beschrieben. Wir unterstützen ihn und seine Strategie. Gleichzeitig gilt es, alles zu tun, um zusätzlichen Wettbewerb zu fördern: sei es durch neu zu bauende Kraftwerke, sei es durch den Wettbewerb aus dem Ausland. Hier spielen die Kuppelstellen und die anderen Themen, über die hier bereits diskutiert worden ist, eine sehr große Rolle.
Über die Hightechstrategie haben wir heute Morgen gesprochen. Auf diesem Gebiet sind wir vorne. Wir müssen auch in Zukunft vorne bleiben und diese Stärke ausbauen. Das ist eine wichtige Aufgabe. Ich bin froh, dass die Bundesregierung dieses Thema ins Zentrum ihrer Politik gerückt hat, hierfür Geld in die Hand nimmt und die kleinen und mittleren Unternehmen auf diesem Weg mitnimmt.
Stichwort Bürokratieabbau. In dieser Woche haben wir die Einsetzung des Normenkontrollrates erlebt. Wir werden seine Arbeit begleiten. Gleichzeitig werden wir den Bürokratieabbau mit einem zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz fortsetzen. Wir haben ja gesehen, in welchem Umfang der deutschen Wirtschaft durch das erste Bürokratieabbaugesetz Kosten erspart werden konnten.
Bei der Unternehmensteuerreform und der Erbschaftsteuerreform sind wir auf einem guten Weg. Damit setzen wir ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Unternehmen ihre Steuern wieder in Deutschland zahlen, dass die vorhandenen Arbeitsplätze erhalten bleiben und dass die Betriebe fortgeführt werden können. Das sind wichtige Aufgaben.
Hinzu kommen weitere politische Ziele, die wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen. So muss zum Beispiel die verhängnisvolle Fehlsteuerung unseres Steuersystems, dass Fremdkapital besser als Eigenkapital behandelt wird, korrigiert werden. Langfristig müssen wir zu einer Eigenkapitalstärkung kommen, insbesondere im Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist die richtige Richtung.
Wir werden die Rahmenbedingungen für die Förderung von Wagniskapital verbessern, damit Deutschland mit den anderen europäischen Ländern konkurrieren und hierzulande privates Geld für neue, junge und technologieorientierte Unternehmen mobilisiert werden kann.
Lassen Sie mich abschließend noch kurz ein Thema aufgreifen, das uns im Herbst dieses Jahres beschäftigen wird und über das sich insbesondere die PDS einmal Gedanken machen sollte. Es geht um eine Kerngruppe bei den Arbeitslosen. Wir setzen mit unserer Wirtschaftspolitik bei denjenigen an, die am Arbeitsmarkt gegenwärtig keine Chance haben, weil sie keine Berufsausbildung oder keinen Schulabschluss haben.
Wir stehen vor folgender Alternative: Entweder haken wir diese Gruppe endgültig ab, kümmern uns nicht mehr um sie und setzen nur noch auf Sozialtransfers oder wir lassen uns Möglichkeiten einfallen, wie wir diese Menschen durch eine Kombination von niedrigeren Löhnen und staatlichen Sozialtransfers wieder in Arbeit bringen können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Dafür zu sorgen, dass diese Menschen Arbeit bekommen, ist die zentrale Aufgabe, die wir im Herbst dieses Jahres angehen müssen. Deswegen sage ich: Weg mit all dem Unfug und ran an sachliche Lösungen im Interesse der Bürger in Deutschland!
Unser Ziel ist - ich wiederhole es -, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen und den Menschen die Angst zu nehmen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Daran wird unsere Politik gemessen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab ein Wort an Herrn Dehm von der Linken: Ja, Bündnis 90/Die Grünen wollen den europäischen Prozess und wollen das Europa der Zukunft mitgestalten, weil wir nämlich ein soziales und ökologisches und wettbewerbsfähiges Europa wollen.
Deswegen haben wir einen Antrag vorgelegt, mit dem wir von der Bundesregierung mehr Ehrgeiz einfordern, Europa voranzubringen.
Wir sind keine Verweigerer wie Sie, sondern wir wollen mitgestalten und sehen hier erhebliche Handlungsdefizite, auch aufseiten der Bundesregierung.
Die Bundeskanzlerin hat erklärt, dass sie will, dass Deutschland in Europa eine Spitzenposition einnimmt. Das ist ein hehres Ziel, das zu unterstützen ist. Nur, wenn man sich den Bericht über die Umsetzung der Lissabonstrategie ansieht, muss man leider feststellen, dass eigentlich Enttäuschendes präsentiert wird. Es ist einfach so - Sie stehen nicht dazu, Sie thematisieren das nicht einmal -, dass Deutschland auf dem Weg zur Erreichung der Ziele der Lissabonstrategie mit Trippelschritten, wenn überhaupt, vorankommt. Das reicht nicht aus.
In Ihrem Bericht, meine Damen und Herren, ist viel Eigenlob, wenig Konzeptionelles und auch nicht viel Ehrlichkeit enthalten. Wenn man dabei vorankommen will, Europa zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, reicht es eben nicht, lauter ?Wünsch dir was“-Vorschläge zu machen.
Das gilt auch für den Antrag der großen Koalition, für den Frau Barnett hier gesprochen hat. Das ist ein klassischer ?Wünsch dir was“-Antrag, wie ich an den folgenden Beispielen zeigen will: Sie schreiben zu Recht, Sie wollen die Erschließung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungspotenzialen forcieren und damit Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft reduzieren. Das klingt gut. Nur, ich glaube, dass die deutsche Bevölkerung auch wissen will, wie Sie das erreichen wollen.
Denn die Menschen reiben sich im Moment die Augen: Mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte in einem Schritt machen Sie genau das Gegenteil: Sie werden Schwarzarbeit forcieren.
Mit Ihrem Plan, die Möglichkeiten, etwas dazuzuverdienen, für Leute mit kleinen Einkommen zu reduzieren oder ganz zu streichen, machen Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie im Zuge der Umsetzung der Lissabonstrategie machen müssen und was Sie hier versprechen: Sie bereiten der Schwarzarbeit den Weg, Sie machen ein richtiges Konjunkturprogramm für Schwarzarbeit.
In Ihrem Bericht versprechen Sie Brüssel, dass mit dem Ausbildungspakt auch in Zukunft bedarfsgerecht ausgebildet wird. Doch es ist nicht bedarfsgerecht ausgebildet worden. In Ihrem Bericht steht kein einziges Wort darüber, dass zurzeit noch 215 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz suchen. Sie sagen nicht, wie Sie dem abhelfen wollen. Wir fordern in unserem Antrag unter anderem, ein Sonderqualifizierungsprogramm für Jugendliche aufzulegen, weil gehandelt werden muss - der Ausbildungspakt bringt es an dieser Stelle nicht.
Sie sollten die geschönten Berichte, die Sie nach Brüssel senden, zurücknehmen und sich den Problemen zuwenden! Das Problem liegt doch auf der Hand, es ist uns immer wieder bescheinigt worden, etwa mit der PISA-Studie: Deutschland ist mit seinem Schulsystem immer noch versetzungsgefährdet. Wir kommen voran, aber wir verringern den Abstand zu den anderen europäischen Ländern nicht. Wir hatten heute Morgen eine Diskussion über Wissenschaft und Forschung. Wir sind im Hochschulbereich an der Spitze - allerdings mit den Abbrecherquoten. Gerade haben wir von der OECD bescheinigt bekommen, dass wir mindestens doppelt so viel ausbilden müssen. Wir haben einen Braindrain, uns rennen die jungen Leute weg, sie gehen ins europäische Ausland. Hier müssen wir ansetzen. Sie erwähnen dieses Problem in Ihrem Bericht nicht einmal.
Eine Weiterbildungsstrategie für Erwachsene ist nicht zu sehen. Alle skandinavischen Länder haben doppelt so hohe Weiterbildungsquoten als Deutschland. Wir verschwenden in Deutschland gerade bei den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Wissen und Erfahrung - und das trotz einer problematischen demografischen Entwicklung. Sie sagen nichts dazu.
Ich behaupte, dass wir in Deutschland eine viel höhere Erwerbsquote bei Älteren hätten, wenn wir eine konsequente Weiterbildungspolitik während des gesamt Erwerbslebens durchführen würden - Stichwort: lebenslanges Lernen. Ich sage Ihnen: Verrenten Sie Ihr Programm ?Initiative 50plus“ - die Instrumente gibt es sowieso schon - und legen Sie eine Gesamtstrategie und eine Initiative für berufliche Weiterbildung gerade der Älteren auf, die im Job und in den Betrieben sind. Dann können Sie auch auf Ihre Fantasien vom Kombilohn verzichten.
Sie feiern in Ihrem Bericht die Frauenerwerbsquote. Ja, sie ist gestiegen. Nehmen Sie aber doch einmal das ganze Problem in den Blick. Sie ist zwar gestiegen, aber für das Arbeitsvolumen der Frauen gilt das nicht. Die Anzahl der Minijobs und der Teilzeitarbeit ist gestiegen. Arbeitsplätze mit einer auskömmlichen Entlohnung sind rar. Mit einer Differenz zwischen dem Frauen- und dem Männerlohn von ungefähr 28 Prozent - so viel verdienen Frauen in Vollbeschäftigung weniger als Männer - sind wir in Europa wirklich ein Schlusslicht. Hierauf brauchen wir Antworten.
Nirgendwo in Europa stehen Frauen beispielsweise bei der Besetzung von Führungspositionen schlechter da. Hierzu möchte ich Antworten von Frau Merkel, weil ich mir sicher bin, dass Herr Glos, der ja auch nicht mehr hier ist, keine Antworten zu diesem Thema liefern wird.
Die Männerdominanz in den Führungsetagen, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft und am gesamten deutschen Arbeitsmarkt ist ein reales Innovationshindernis für Deutschland.
Diese Lücke müssen wir im europäischen Kontext schließen. Man sieht, dass das mit Selbstverpflichtungen nicht klappt. Hier können wir uns ein Beispiel an den Gesetzen in Norwegen nehmen.
Nirgendwo in Europa fehlen Arbeitsplätze für Geringqualifizierte in so großer Zahl. Gerade bei kleinen Einkommen sind die Lohnnebenkosten das größte Problem. Mit unserem Progressivmodell haben wir ein Konzept dafür vorgelegt; wir wollen Steuergelder eben nicht verschleudern, sondern gezielt für die Senkung der Lohnnebenkosten bei kleinen Einkommen einsetzen. Hier kann man mit Steuergeldern die effektivsten Effekte erzielen. Man darf sie nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern verwenden, wie Sie das tun.
Meine Damen und Herren, über das Thema Lohnnebenkosten muss weiter diskutiert werden. Sie tun das ja selber in Ihrem Bericht. Es ist ganz interessant: In dem Bericht schreiben Sie, dass die Lohnnebenkosten weiter gesenkt werden sollen. Bei Status und Zeitplan steht dann - das haben wohl Ihre Beamten ziemlich ehrlich dort hineingeschrieben -: ?In Vorbereitung“. Ich sage: Noch ehrlicher wäre es, wenn Sie darauf hinweisen würden, dass dank Ihres Murks bei der Gesundheitsreform und der Schwierigkeiten, andere Reformen durchzusetzen, zunächst einmal ein Höhertreiben der Lohnnebenkosten auf Ihrer Agenda steht.
- Das entnehme ich der aktuellen Debatte zur Gesundheitsreform und den Einlassungen der Kassen, die schon darauf hinweisen, dass aufgrund dessen, was Sie hier vorlegen, im nächsten Jahr mit einem Beitragssatz von möglicherweise 15 Prozent zu rechnen ist.
Genau an dieser Stelle trifft frei nach Müntefering der Satz zu: Was ich vor der Wahl verspreche, ist das eine und was ich nach der Wahl tue, ist garantiert das andere.
Es geht weiter - das sprechen Sie in Ihrem Umsetzungsbericht nicht an -: Sie müssen zugestehen, dass Sie eine Aktivierungsquote von nur 13 Prozent bei den Langzeitarbeitslosen haben. Das ist erheblich unter dem, was Ihnen von der EU vorgegeben ist. Sie sagen, wir müssten die Langzeitarbeitslosen stärker fördern. Dies ist richtig. Aus Ihrem Munde ist das aber pure Heuchelei, weil Sie viele Instrumente zur Integration von Langzeitarbeitslosen streichen, weil Sie die Mittel für das Fördern nicht ausgeben, sondern sparen wollen, und weil Sie tolerieren, dass das Fördern in Deutschland viel zu kurz kommt.
Nehmen Sie sich - Herr Meyer, Sie haben es angesprochen; tun Sie es doch endlich! - ein Beispiel an Dänemark. Dort wurden Instrumente aufgelegt, die Sie in Deutschland gerade streichen wollen, beispielsweise die Jobrotation. Reden Sie nicht nur, sondern handeln Sie gemäß den Zielen, die Sie selber formuliert haben.
Eines Ihrer Ziele ist die Erhöhung der Zahl der Unternehmerinnen und Unternehmer. Natürlich brauchen wir mehr Unternehmerinnen und Unternehmer. Aber auch dazu legen Sie widersprüchliche Konzepte vor. Bei der Unternehmenssteuerreform, die Sie vorschlagen, werden die großen Unternehmen mit etwa 8 Milliarden Euro entlastet. Bei der Verwirrung, die Sie hier verbreiten, ist zu vermuten, dass diese Entlastung von den kleinen und mittleren Unternehmen bezahlt werden muss.
Wo sind denn die Konzepte für die Förderung von kleinen Unternehmen und von Selbstständigen? Wo ist denn zum Beispiel ein Konzept zur leichteren Unternehmensgründung in Form einer GmbH? Wo ist denn ein Konzept zur sozialen Absicherung von kleineren Unternehmen? Sie sind doch allein auf die Großkonzerne fixiert, während die mittleren und kleinen Unternehmen sehen können, wo sie bleiben. Sie schaffen Eintrittshilfen für zukünftige Unternehmerinnen und Unternehmer ab, indem Sie zum Beispiel Instrumente wie die Ich-AG einkassieren, die gerade für Frauen und den Osten gut sind. Das ist Ihre Politik.
Sie führen - Herr Glos übt das jedenfalls - eine Politik der modernen Wirtschaftsrhetorik ein, machen aber genau das Gegenteil. Wir sind das einzige Land in Europa, das noch immer ein mittelalterliches Relikt fördert, nämlich den Meisterzwang. Schaffen Sie ihn im europäischen Kontext ab und senken Sie die Lohnnebenkosten! Dadurch werden wir Dynamik in den Arbeitsmarkt bringen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. Herr Glos hat darauf hingewiesen, dass wir demnächst die EU-Präsidentschaft übernehmen werden, und erklärt, dass er gerade im Energiebereich einiges tun will. Aber, Herr Glos - das sage ich zum Abschluss -: Sie haben hier nur einen einzigen Punkt genannt, nämlich die Steigerung von Kraftwerkskapazitäten. Sie sind genau wie Herr Meyer - das wurde in seinem Beitrag deutlich - beim Thema Energieeffizienz blind und taub.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. - Wenn wir Europa nach vorne bringen wollen, dann müssen wir gerade im Bereich der Energieeffizienz Weltmeister werden; denn unter dem Aspekt der Kosten, die Sie, Herr Meyer, selber beklagt haben, ist jede eingesparte Energiestunde die billigste.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Kurt Bodewig für die SPD-Fraktion.
Kurt Bodewig (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgabe der Opposition ist es, anzugreifen. Aber ich habe manchmal den Eindruck, dass hier mit Zerrbildern operiert wird, die von der Wirklichkeit meilenweit entfernt sind. Herr Brüderle machte den Auftakt, indem er die Lissabonstrategie en passant für gescheitert erklärt hat. Werter Kollege, das war eine leicht oberflächliche Analyse. Wir sollten doch einmal beschreiben, was durch die Lissabonstrategie in Europa an realen Veränderungen und Initiativen ausgelöst worden ist.
Ich will ein Beispiel nennen. Das Projekt ?Galileo“ verfügt über eine hohe Technologiequalität und eine hohe Anwendungsdichte. Mit diesem Technologievorsprung werden wir uns weit vor alle anderen technologischen Zentren dieser globalen Welt positionieren.
Wir sollten einmal zur Kenntnis nehmen, dass auch dies ein Teil der Lissabonstrategie ist, nämlich ein wissensbasierter und effizient arbeitender Wirtschaftsraum zu werden.
Gescheitert ist die Lissabonstrategie bei der Festlegung des Zeitpunkts. Die Einschätzung, diese Ziele innerhalb von zehn Jahren zu erreichen, war zu ehrgeizig und nicht realistisch. Aber damit sind die Ziele selber nicht falsch.
Angesichts des Beitrags des Kollegen Dehm, der im Moment nicht da ist, sollten wir doch einmal feststellen, dass die Agenda 2010 Wirkung zeigt. Alle Forschungsinstitute machen deutlich: Die getroffenen Maßnahmen entfalten positive Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Unser Bemühen, soziale Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, ist gelungen. Wir sollten ein bisschen von diesen Zerrbildern wegkommen, weil Europa mit Sicherheit ein lohnendes Projekt ist.
Mit Blick auf die neuen Mitgliedstaaten können wir zurzeit eine Wohlstandsangleichung feststellen, die noch vor vier Jahren niemand für möglich gehalten hat. Die Wohlstandsangleichung findet übrigens nicht nur in diesen Ländern statt, sondern wir sind als deutsche Volkswirtschaft in einem hohen Maße an der Wohlstandsentwicklung beteiligt, und zwar nicht nur durch Input, sondern auch durch Wirtschaftsbeziehungen, die sich in den Exportzahlen sehr deutlich widerspiegeln. Auch das sollten wir an dieser Stelle klar machen.
Aus dem Umsetzungs- und Fortschrittsbericht zum Nationalen Reformprogramm wird deutlich, dass wir durchaus Erfolge erzielt haben. Beispielsweise liegen wir bei der Frauenerwerbsquote mit 59,6 Prozent kurz vor dem im Bericht genannten Ziel von 60 Prozent. Darüber redet zwar niemand, aber ich finde, dass wir auch das berücksichtigen sollten.
Auch bei den älteren Arbeitnehmern haben wir große Fortschritte gemacht.
Es reicht aber nicht aus, stehen zu bleiben. Wir müssen weitermachen. Dazu gehören Bildungsinvestitionen. In den Haushaltsberatungen wurde deutlich, dass die Zahlen sehr gut sind. Sie zeigen, dass wir versuchen, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben große Fortschritte erzielt und zusätzliche Investitionen vorgesehen. Das gilt auch für die Verkehrsinfrastruktur und andere große Strukturbereiche, für die im Bundeshaushalt die Investitionen deutlich aufgestockt wurden. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen: Die Volkswirtschaft springt an.
Ich teile die Auffassung des Bundeswirtschaftsministers. Wir werden auch die Klippe am Beginn des kommenden Jahres überschreiten. Die Dynamik, die sichtbar wird, wird alle Prognosen - die der vergangenen Jahre ohnehin, aber auch am Beginn dieses Jahres formulierten - deutlich überschreiten. Das wird uns gelingen. Wir werden an dieser Stelle weiterkommen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ulrich aus der Fraktion Die Linke?
Kurt Bodewig (SPD):
Gerne. Das machen wir im Ausschuss auch immer gern.
Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Herr Bodewig, Sie haben eben ausgeführt, dass die Wohlstandsvermehrung in Deutschland mit der Agenda 2010 und Hartz IV einhergeht. Ist Ihnen bewusst, dass wir eine zweigeteilte Gesellschaft haben? Gerade gestern wurde veröffentlicht, dass unter Hartz IV die Kinderarmut deutlich angestiegen ist. Glauben Sie nicht, dass der Wohlstandsgewinn in Deutschland sehr einseitig verteilt ist und dass die Masse der Bevölkerung nichts davon hat?
Kurt Bodewig (SPD):
Es gibt mit Sicherheit bestimmte Sektoren in unserer Gesellschaft, die Nachteile erfahren haben. Mir sind aber Berechnungen von Hartz-IV-Empfängern bekannt, nach denen diese - etwa in einer Familie mit drei Kindern - wesentlich besser dastehen als eine allein erziehende Verkäuferin, die ihren Lebensunterhalt aus ihrem Erwerbseinkommen bestreiten kann. Auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen.
Hartz IV wurde von Ihnen als Stigmatisierungsbegriff verwandt. Ich glaube, das ist falsch. Sie sollten sich noch einmal die Instrumentarien und einzelnen Regelungen deutlich machen und auch auf den Einzelfall beziehen.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen. Unser Ziel war es, durch Strukturreformen Impulse zu geben. Die Zahlen zeigen, dass wir eine positive Arbeitsmarktentwicklung und eine aus diesen Strukturreformen resultierende Fortentwicklung zu verzeichnen haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang an eine Bemerkung von Herrn Meyer anknüpfen. Er hat gesagt, wir sollten selbstbewusst auf das in diesem Land vorhandene Potenzial zeigen. Die Strukturreformen waren notwendig, um dieses Selbstbewusstsein in einer positiven Arbeitsmarktentwicklung fortzuentwickeln. Ich glaube, das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Ich will aber auch deutlich machen: Wenn es uns gelingt, technologisch voranzukommen und große Projekte auf den Weg zu bringen, dann ist es die nationale Aufgabe in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, diese Impulse weiter zu verstärken.
Frau Kollegin Barnett hat auf einen Punkt hingewiesen: Wie ist die Arbeitsteilung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten? Ich glaube, es gibt nur zwei Wege. Es gibt entweder das Gemeinschaftsrecht - das füllen wir aus - oder eine gemeinsame Verständigung darüber, dass europäische Initiativen, auch wenn sie nicht durch Gemeinschaftsrecht geprägt sind, fortgesetzt werden.
An dieser Stelle will ich noch einen Punkt erwähnen. Wir leben auch davon, dass wir in dieser globalen Welt mit sich neu entwickelnden Zentren wie Indien, Brasilien und China - das wurde bereits erwähnt - konkurrieren. Die Konkurrenz darf aber nicht bei den Arbeitskosten stattfinden. Denn damit werden wir nicht mithalten. Es handelt sich um Länder, in denen Millionen Menschen keine Tarifverträge kennen. Sie erzielen Einkommen an der untersten Schwelle; eine Krankenversicherung gibt es nicht. Das kann nicht der Maßstab sein. Vielmehr muss es um Kreativität gehen: Wir müssen in Bildung, in Forschung und in Wissenschaft investieren. Wir müssen Impulse geben. Vor allem müssen wir eine Mentalität erzeugen, dass wir als geeintes Europa im globalen Wettbewerb bestehen wollen.
Dazu gehört auch etwas, das wir immer nur am Rande erwähnen: Ein großer Vorteil unserer Volkswirtschaft ist, dass wir das europäische Sozialmodell vertreten. Wir geben den Menschen die Möglichkeit, unter den veränderten Bedingungen der globalen Auseinandersetzung - es gibt globale ökonomische Auseinandersetzungen, Konkurrenzen, Wettbewerbe - individuelle Sicherheit zu finden. Deswegen ist es eine Aufgabe auf der europäischen und der deutschen Agenda, das europäische Sozialmodell in unseren gesamten europapolitischen Vorhaben zu verankern. Das ist ganz entscheidend. Es ist ein wichtiger Aspekt, der zum Erfolg führt. Deshalb ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie zukunftsfest unsere sozialen Sicherungssysteme sind.
Gleichzeitig ist anzumerken, dass sich die europäischen Länder hierbei angleichen werden. Herr Brüderle, Harmonisierung ist keine Absage an den Markt. Harmonisierung heißt, für gleiche Bedingungen bei der Produktion zu sorgen. Es war einer der Kernfehler im ersten Entwurf einer europäischen Dienstleistungsrichtlinie, dass Folgendes nicht beachtet wurde: Wer zu den Bedingungen eines anderen Landes bei uns in Deutschland auf den Markt geht, der wird all diejenigen diskriminieren, die sich an deutsches Recht, an deutsche Vorgaben halten. Das ist nicht sinnvoll. Es ist der richtige Weg, Qualität und den Grundsatz ?Gleiche Arbeit zu gleichen Bedingungen“ innerhalb eines Landes mit innovativen Konzepten zu verbinden.
Deswegen war die Dienstleistungsrichtlinie in diesem Punkt falsch.
Es ist uns gelungen - das zeigt der Fortschrittsbericht -, in wesentlichen Feldern der Ökonomie weltweit präsent zu sein. Eine ganze Reihe von deutschen Unternehmen ist in Marktnischen erfolgreich und ist Weltmarktführer. Die Voraussetzung dafür sind qualifizierte Beschäftigte. Das Mitnehmen der Arbeitnehmer spielte in diesem Prozess eine ganz wichtige Rolle.
Deutschland hatte nach dem Fall der Mauer - wir alle begrüßen ihn -, nach dem Ende der Teilung Europas in Ost und West zwei Lasten zu tragen: Kosten im europäischen Prozess und Sonderbelastungen durch die deutsche Wiedervereinigung. Wären bei den Maastrichtkriterien die Sonderbelastungen einbezogen worden, hätte man nie von der Verletzung der Defizitkriterien sprechen können. Wir haben also eine doppelte Leistung erbringen müssen. Das hat natürlich Einfluss auf das Volumen der Mittel, die wir zur Verteilung und für Initiativen zur Verfügung haben.
In den 16 Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung mussten hohe Aufwendungen erbracht werden; die Mittel wurden erfolgreich eingesetzt. Wir sollten im europäischen Ausland darstellen, dass Deutschland auf doppelte Weise belastet war und trotzdem erfolgreich den Weg vorangeschritten ist. Es gibt überhaupt keinen Grund, dieses Land in den Keller zu reden. Es gibt eine Kontinuität der Politik über die Jahre. Diese Koalition wird den Weg voranschreiten. Der Fortschrittsbericht zeigt sehr deutlich, dass Erfolge erreichbar sind, dass aber noch nicht jeder Schritt gegangen ist. Wir sollten diesen Weg in Europa gemeinsam weitergehen. Ich bin optimistisch, dass dies gelingt. Als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union tragen wir eine besondere Verantwortung.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke.
Ulla Lötzer (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz aller Beschwörung der konjunkturellen Erholung durch Herrn Glos, Herrn Meyer und Frau Barnett müssen wir feststellen, dass die Europäische Union nach wie vor Nachzügler bei der wirtschaftlichen Entwicklung ist und nicht zum weltweit wettbewerbfähigsten Raum geworden ist. Diese Entwicklung beruht maßgeblich auf der italienischen und deutschen Wirtschaftspolitik. Die Wachstumsrate Deutschlands in den letzten fünf Jahren war nicht einmal halb so hoch wie der Schnitt der 25 europäischen Staaten.
Ja, Kollegin Barnett, die Bundesregierung steht in einer besonderen Verantwortung für die europäische Entwicklung und dafür, hier eine Wende einzuleiten. Im Gegensatz zu Ihnen erkennen wir im vorgelegten Bericht und im Antrag keine Neuausrichtung.
Entscheidend für die im EU-Vergleich niedrige Wachstumsrate ist und bleibt die Binnenmarktschwäche. In Deutschland wurde der Anstieg des privaten Konsums auf ein Sechstel der durchschnittlichen EU-Rate gedrückt. Daran ändert die leichte konjunkturelle Erholung nichts. Auch im zweiten Quartal 2006 sank der private Konsum um 0,4 Prozent. Natürlich wird die geplante Mehrwertsteuererhöhung hier als Bremse wirken, Herr Glos. Sie muss deshalb dringend zurückgenommen werden.
Einer der Hauptgründe ist die Entwicklung der Löhne und Gehälter in Deutschland. Während die Reallöhne im Schnitt der 25 EU-Länder 2005 stiegen, sanken sie in Deutschland um 1,8 Prozent. Statt einer Wende steht 2006 eine Fortschreibung dieser Entwicklung bevor. Nach wie vor hinkt Deutschland bei der Lohnentwicklung in Europa hinterher. Nach wie vor hat Deutschland im Gegensatz zu 18 europäischen Nachbarstaaten keinen gesetzlichen Mindestlohn. Diese lohnpolitische Sonderrolle ermöglicht der deutschen Exportindustrie, ihre Marktanteile zulasten der europäischen Nachbarstaaten zu vergrößern. Dieser Faktor schafft allerdings erhebliche Ungleichgewichte in der EU. Dem sehen die europäischen Nachbarn nicht tatenlos zu. Trotzdem heißt es in Ihrem Programm - Herr Meyer hat das heute Morgen wieder gefordert -: Niedriglohnsektor ausbauen. Sie erhöhen die Gefahr eines europaweiten Absenkungswettlaufs um die niedrigsten Löhne und Gehälter. Das wird nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa die Wachstums- und Beschäftigungsdynamik weiter bremsen.
Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist auch aus europäischer Sicht längst überfällig.
Ich komme nun auf die Unternehmensteuerreform zu sprechen. Herr Meyer, schauen wir uns Ihre Forderungen vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklung einmal genauer an. Nach Berechnungen der EU-Kommission liegt die Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland entgegen der von Ihnen gebetsmühlenartig wiederholten Behauptung weit unter dem EU-Durchschnitt. Während die Steuern auf Vermögen und Unternehmenseinkommen im EU-Durchschnitt 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, sind es in Deutschland mickrige 5,6.
Es besteht also kein Anlass, im Namen der Wettbewerbsfähigkeit die Steuern weiter zu senken. Im Gegenteil: Es gibt genügend Spielraum, die Vermögensteuer wieder einzuführen und die Unternehmen endlich wieder an der Finanzierung der Gesellschaft zu beteiligen.
Bei der Marktöffnung konzentrieren Sie sich auf die Fortschreibung der Energiemarktliberalisierung. Sie ignorieren dabei, dass die bisherige Liberalisierung zur Herausbildung marktbeherrschender Energiekonzerne geführt hat und dass sie eine der wesentlichen Ursachen für die gestiegenen Gewinne dieser Konzerne, aber vor allem auch für die gestiegenen Energiepreise für die Verbraucher ist. Deshalb brauchen wir einen Ausbau der Preiskontrolle und eine Besteuerung der Sonderprofite aus dem Emissionshandel. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Glos und Herr Brüderle, sagen wir: Die Strom- und Gasnetze sind in die öffentliche Hand zu überführen.
Nach wie vor setzt die europäische Energiepolitik auf fossile Brennstoffe und Atomtechnologie. Nur 16 Prozent aller mittels Strukturfonds vergebenen öffentlichen Finanzhilfen entfallen auf erneuerbare Energien. Wo ist da der ausgewogene Energiemix, den Sie vorhin forderten, Herr Meyer? Auch hier ist endlich eine Wende durch konsequente Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien notwendig. Mit Ihrem Programm werden Sie die notwendige Kehrtwende allerdings nicht schaffen. Der Fokus ist verfehlt, ob alte oder neue Lissabonstrategie, ob nationale oder europäische Programme. Eine Wende muss im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft den sozialen und den ökologischen Strukturwandel in den Mittelpunkt rücken, damit der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger wirklich im Vordergrund der Lissabonstrategie steht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion.
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland brummt - das war vor wenigen Tagen vom Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds in Singapur zu hören. Daran wird auch das Schlechtreden von Frau Lötzer und ihrer Fraktion nichts ändern.
Wir haben vom Wirtschaftsminister vorhin gehört, dass der IWF für dieses Jahr 2 Prozent Zuwachs erwartet. Das sind 0,7 Prozentpunkte mehr, als noch im Frühjahr dieses Jahres erwartet wurden. Damit ist die Konjunktur in Deutschland, immerhin der größten Volkswirtschaft in Europa, endlich angesprungen und die fast schon zum Scheitern verurteilte Lissabonstrategie gewinnt an Fahrt. Das ist - das muss man heute auch einmal sagen - vor allem dem Vertrauen in die neue Bundesregierung unter Angela Merkel zu verdanken. Sie hat das Nationale Reformprogramm für den Zeitraum 2005 bis 2008 vorgelegt und damit einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Lissabonstrategie geleistet.
Ein wichtiger Bestandteil ist dabei gerade für Deutschland als Exportnation der gemeinsame europäische Binnenmarkt. Die Europäische Kommission schätzt, dass der Binnenmarkt seit 1993 zu 2,5 Millionen Arbeitsplätzen und einem zusätzlichen Bruttosozialprodukt von 877 Milliarden Euro geführt hat. Die Europäische Union ist heute ein Vorbild für viele Regionen. Sie bringt Vorteile, die für alle spürbar sind. Der vergrößerte Markt bedeutet eine Zunahme des Wettbewerbs, einen stärkeren Innovationsdruck, höheres Wachstum, mehr Wohlstand und mehr Arbeitsplätze. Ich sage gerade für die CDU/CSU-Fraktion: Wir stehen in besonderer Weise für mehr Wettbewerb und für mehr Wachstum.
Ein Beispiel für den greifbaren, auch im Geldbeutel spürbaren Nutzen des gemeinsamen Binnenmarkts ist die Liberalisierung der Telekommunikation, die vorhin schon angesprochen wurde. Das Ergebnis sind deutliche Preissenkungen. Aber Mobilfunknutzer im europäischen Ausland bezahlen bisher immer noch erhöhte Preise für Telefongespräche. Die Roaminggebühren sind im Durchschnitt mehr als fünfmal höher als die tatsächlichen Kosten für die Netzwerkbetreiber. Es ist zu begrüßen, dass die Europäische Kommission im Juli einen neuen Verordnungsentwurf vorgelegt hat, wonach die Tarife für Mobilfunkgespräche im Ausland um bis zu 70 Prozent gesenkt werden. Das ist ein Beispiel dafür, dass Europa funktionieren kann und auch für den Menschen greifbare Erfolge hat.
Trotz dieser und anderer Erfolge stehen die Menschen der Europäischen Union misstrauisch gegenüber. Es gibt bei vielen Bürgerinnen und Bürgern in Europa ein Unbehagen gegenüber der EU. Es muss unser aller Anliegen sein, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in Europa haben. Ich habe den Eindruck, dass bei der Europäischen Kommission die Tendenz herrscht, das bisher vielfach mangelnde Engagement der Mitgliedstaaten durch zentrale Kontrolle zu fördern, geradezu durch nicht mehr nachvollziehbare Bevormundung zu ersetzen. Das ist nach meiner Überzeugung der falsche Weg.
Ein Beispiel für die Gefahr von Fehlentwicklungen sehe ich in den gegenwärtigen Verhandlungen über die Erhaltung des Namensrechts der Sparkassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das für Deutschland wichtige dreigliedrige Bankensystem erhalten bleiben muss. Ohne Frage, das Nebeneinander von Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen ist einzigartig in der EU. Aber gerade weil es über 50 Jahre auch ein Garant unseres wirtschaftlichen Erfolges war, dürfen wird das jetzt nicht einer Überregulierung durch die Kommission preisgeben.
Deshalb unterstützen wir auch nachdrücklich die Bemühungen von Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister, in Brüssel die Interessen der deutschen Wirtschaft und der deutschen Verbraucher zu vertreten.
Die Bundesregierung leistet bereits ihren Beitrag zur Umsetzung der Lissabonstrategie. Ich möchte hier nur einige wenige Punkte nennen. Der erste und ein wichtiger Punkt ist die Haushaltskonsolidierung. Auch wenn es anscheinend hier im Haus von vielen nicht als eine politische Verpflichtung angesehen wird - ich halte es vor allem für eine moralische Verpflichtung, die Maastrichtkriterien einzuhalten. Ich bin froh, dass wir es jetzt nach vier Jahren geschafft haben, den EU-Stabilitätspakt wieder einzuhalten.
Zweiter Punkt. Bei der Unternehmensteuerreform würde uns manchmal ein Blick ins benachbarte EU-Ausland guttun. Die Bundesregierung muss eine Unternehmensteuerreform in Gang setzen, die die Attraktivität des Standorts Deutschland deutlich erhöhen wird. Die Steuersätze für Unternehmen sind derzeit international nicht mehr konkurrenzfähig.
Wir alle wissen, dass wir auf einen Steuersatz von unter 30 Prozent kommen müssen. Ich sage aber auch ganz klar: Nicht nur die Steuersätze, sondern auch die Steuersystematik muss eine wichtige Rolle spielen.
Dritter Punkt. Bei den kleinen und mittleren Unternehmen hat Deutschland eine enorm große Verantwortung. Die Mittelstandsinitiative, die die Bundesregierung im Juli 2006 im Kabinett auf den Weg gebracht hat, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sie eröffnet dem Mittelstand neue Perspektiven und nutzt das große Potenzial mittelständischer Unternehmen. Kleinere und mittlere Unternehmen sind und waren Garant unseres wirtschaftlichen Erfolges. Daher müssen sie zukünftig verstärkt auch in der Nachhaltigkeitsstrategie und im Lissabonprozess eine Rolle spielen.
Als letzten und schwierigsten Punkt möchte ich den Umbau der Sozialversicherungssysteme nennen. Die Lissabonstrategie und das damit verbundene Nationale Reformprogramm zeigen, dass wir in Deutschland noch Hausaufgaben vor uns haben. Die freien Reserven der Pflegeversicherung beispielsweise werden spätestens im Jahr 2008 aufgebraucht sein. Deshalb brauchen wir gerade für die jüngere Generation eine grundlegende Struktur- und Finanzreform. In diesem Punkt trägt die große Koalition eine ganz wichtige Verantwortung.
Angesichts der demografischen Entwicklung muss die Umlagefinanzierung um eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt werden. Nur so lassen sich auch in Zukunft eine menschenwürdige Pflege bezahlen, die Lohnnebenkosten stabil halten sowie Wachstum und Arbeitsplätze in unserem Land sichern.
Deutschland übernimmt am 1. Januar 2007 - das wurde schon angesprochen - die europäische Ratspräsidentschaft. Darin liegt eine große Chance für Deutschland und für Europa. Ich würde mir wünschen, dass unsere Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union eine Führungsrolle übernimmt
und die Ziele der Lissabonstrategie kontinuierlich weiterentwickelt. Wir brauchen eine Lissabonstrategie mit klar definierten und erreichbaren Zielen. Der Bürger muss erkennen, welche Chancen mit diesem Prozess verbunden sind.
Wenn Europa neben China und Indien in der Welt zukünftig noch eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen will, darf die Lissabonstrategie nicht bei leeren Worthülsen und bloßen Absichtserklärungen stehen bleiben. Europa kann erfolgreich sein, wenn wir diese Herausforderung gemeinsam angehen. Deshalb wird die CDU/CSU-Fraktion den Prozess der Lissabonstrategie kritisch begleiten und konstruktiv unterstützen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Bareiß, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
Nun hat das Wort die Kollegin Katja Mast für die Fraktion der SPD.
Katja Mast (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen vor großen Herausforderungen, die alle unter das Schlagwort ?demografischer Wandel“ fallen. Es werden weniger Kinder geboren und die Bevölkerung wird älter. Das ist eine Chance für Deutschland. Wir können die Generationenfrage neu stellen. Wir können die Generationen neu zusammenbringen.
Der demografische Wandel zwingt uns bereits heute, entscheidende Weichen zu stellen. Wir brauchen Fachkräfte. Deshalb dürfen wir es uns schon heute nicht mehr leisten, ältere Arbeitnehmer zu früh aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu lassen
und das Erwerbspotenzial von Frauen ungenutzt zu lassen.
Außerdem müssen wir unsere sozialen Sicherungssysteme demografiefest machen.
Mit diesen Herausforderungen steht Deutschland nicht allein da. Der demografische Wandel zeigt seine Spuren in allen europäischen Ländern.
Im Jahr 2000 haben sich auch deshalb die EU-Mitgliedstaaten auf die Lissabonstrategie verständigt. In ihr wurden konkrete Ziele vereinbart. Das ist auch das qualitativ Neue an dieser Strategie: ?Führen durch Ziele“, wie es in Unternehmen üblich ist, nicht ?Führen über Instrumente“, wie Herr Brüderle es hier gefordert hat.
Welche Ziele gibt es für den deutschen Arbeitsmarkt? ?50, 60, 70“ lautet die Zauberformel. Das sind handfeste arbeitsmarktpolitische Ziele für das Jahr 2010.
50: Wir wollen eine Beschäftigungsquote von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von 50 Prozent erreichen. Hierbei haben wir seit 2000 eine Steigerung von 37,5 Prozent auf 45,4 Prozent erreicht.
60: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung von Frauen auf 60 Prozent steigern. Hierbei stehen wir mit 59,6 Prozent schon ganz gut da.
70: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung unserer gesamten Bevölkerung auf 70 Prozent erhöhen. Sie liegt heute bei ungefähr 65 Prozent.
Wir haben diese Ziele noch nicht ganz erreicht. Wir haben aber auch noch vier Jahre Zeit und wir sind auf einem guten Weg.
Es geht uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht nur darum, diese Ziele einfach abzuarbeiten. Wir wollen mehr und bessere Arbeitsplätze, weil nur durch Beschäftigung Teilhabe am öffentlichen Leben möglich ist. Wir wollen den vorsorgenden Sozialstaat, der Chancen eröffnet.
Im Übrigen, wenn wir schon bei den Entwicklungen am Arbeitsmarkt sind: Wir haben es geschafft, dass in Deutschland die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erstmals seit Jahren wieder zunimmt. Im letzten Monat waren es 130 000 Arbeitsplätze mehr als im Jahr davor. Das ist ein Plus von 0,5 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen ist sogar um 426 000 gesunken. Das ist eine knappe halbe Million. Das hätte vor einem Jahr - Sie erinnern sich, wir waren alle im Wahlkampf - keiner gedacht. Das ist das Resultat der größten Arbeitsmarktreform aller Zeiten.
Für mehr Beschäftigung haben wir im Koalitionsvertrag eine solide Grundlage geschaffen. Aber gerade auch die rot-grüne Regierung hat mit der Agenda 2010 sehr mutige Reformen auf die Schiene gesetzt und die Grundlage für unsere heutigen Erfolge gelegt.
Für mich stellt sich die Frage: Wie haben wir das erreicht? Da wir das alle gerne schnell vergessen, rufe ich es mit vier Beispielen in unser Gedächtnis zurück:
Erstens. Die Frauenerwerbsquote steigerten wir durch unsere Strategie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: im Jahr 2000 durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz. 2003 haben wir durch das 4-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm im Bereich der Ganztagsschulen eine kleine Revolution in Deutschland hervorgerufen. 2004 haben wir das Tagesbetreuungsausbaugesetz verabschiedet. Es gibt heute mehr Plätze für unsere Kleinen.
Lassen Sie mich in die Zukunft schauen. Die Einführung des Elterngeldes 2007 steht für einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik.
Zweitens. Rente, Bevölkerungsentwicklung und Staatshaushalt in Einklang bringen - auch das haben wir vorangetrieben. 2001 haben wir die private Altersvorsorge gestärkt. Mit einem mutigen Schritt haben wir die Riesterrente eingeführt. Seit 2004 gibt es den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rente. Im Koalitionsvertrag haben wir die Beitragsstabilität vereinbart. Mit der Rente ab 67 - darauf gehe ich später ein - machen wir die Rente demografiefest.
Drittens. Natürlich, Frau Dückert, kann es uns nicht nur darum gehen, bestehende Jobs zu erhalten; vielmehr wollen wir die Schwarzarbeit zurückdrängen. Deshalb fördern wir private Haushalte als Arbeitgeber: Durch steuerliche Begünstigung werden sie gestärkt. Man kann nun Handwerkerrechnungen, Pflege- und Kinderbetreuungskosten besser oder teilweise erstmals steuerlich absetzen. Mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm machen wir genau dasselbe; denn wir stärken damit das lokale Handwerk und die lokalen Arbeitsplätze. Mit dem 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm stärken wir im Übrigen die Binnennachfrage.
Viertens. Wir haben die Beschäftigungsquote von Älteren erhöht. Mit welchen Schritten? 2002 haben wir die Frühverrentung abgeschafft. Auch das ist eine Tatsache, die nicht in allen Köpfen verankert ist. Arbeitsmarktpolitik findet aber auch vor Ort statt. Seit 2005 fördern wir deshalb regionale Beschäftigungspakte für ältere Arbeitnehmer. Das Spektrum ist bunt. In meiner Heimat Pforzheim und im Enzkreis in Baden-Württemberg nutzen wir die Kompetenz von erfahrenen Arbeitnehmern als ?Silverstars“. Sie beraten Hauptschüler bei der Berufswahl, arbeiten in einem Kompetenzzentrum und generieren neue Geschäftsideen im Ideenbüro. Lokale Akteure wissen besser als wir hier in Berlin, was sie brauchen und wie sie Ältere in Jobs bringen. Ich bin gespannt auf die Vermittlungsergebnisse dieser Projekte.
Wir haben im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in den letzten Jahren sehr viel erreicht. Aber wir sind noch nicht fertig. Wir dürfen uns jetzt nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen; denn trotz unserer Veränderungen verbessert sich die Situation nicht von heute auf morgen. Gerade weil wir öffentlich viel zu selten über die Situation von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern reden, will ich heute ihre Situation betrachten. Häufig bewerben sich arbeitslose Ältere gar nicht mehr auf einen Job; denn sie glauben, sie werden sowieso nicht mehr berücksichtigt. Ein Mentalitätswandel ist notwendig. Aber nicht nur bei den Älteren, sondern auch bei den Arbeitgebern ist dieser Mentalitätswandel notwendig. Es hält sich bei Neueinstellungen Älterer hartnäckig das Vorurteil, dass sie sich nicht weiterbilden, unflexibel seien und einen überdimensionierten Kündigungsschutz hätten. Das stimmt so nicht. Einige Unternehmen haben das auch schon festgestellt.
Lassen Sie mich noch mal zurück zu den Möglichkeiten der Politik kommen. Mit der Initiative 50plus haben wir eine umfassende Strategie entwickelt, die zwei Ziele hat: erstens ältere Beschäftigte länger im Erwerbsleben zu halten und zweitens ältere Arbeitslose schneller wieder in Beschäftigung zu bringen. Für beide Zielsetzungen bündeln wir die Instrumente in der Initiative 50plus. Mit Fördermöglichkeiten bei der Weiterbildung erhöhen wir die Beschäftigungsfähigkeit.
Finanzielle Anreize wie Kombilöhne oder Eingliederungszuschüsse fördern die Einstellungen Älterer.
Wenn ich hier über Arbeitsmarktpolitik für ältere Arbeitnehmer rede, so kann und will ich das Thema Rente nicht aussparen. In den 60er-Jahren hat ein Rentner in der Regel 9,5 Jahre Rente bezogen, heute sind es 17 Jahre. Die Menschen werden älter und sind zum Glück auch länger gesund. Um die Rente auch für künftige Generationen zu erhalten, müssen wir auf diese Entwicklung reagieren. Mit der schrittweisen Erhöhung des Eintrittsalters auf 67 Jahre geht es also darum, dass auch die Enkel der heutigen Rentner am Generationenvertrag festhalten wollen. Erst die heute 42-Jährigen werden davon voll betroffen sein. Das ist eine Lösung auf dem Weg, die Generationen neu zusammenzubringen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Lissabonstrategie wird von uns umgesetzt, weil wir mehr Teilhabe wollen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Umbau der sozialen Sicherungssysteme, das Erschließen neuer Beschäftigungspotenziale und die Beschäftigungsfähigkeit Älterer stehen hierbei exemplarisch für unser Verständnis vom vorsorgenden Sozialstaat, der Chancen eröffnet.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/2467 und 16/2622 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/2629 zu Tagesordnungspunkt 6 a soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/2467 - das betrifft den Tagesordnungspunkt 6 b - und zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuss, an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für Arbeit und Soziales, an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 51. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 22. September 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]