Blickpunkt
September 03/1998
Festakt zum 50. Jahrestag des Parlamentarischen RatesBundespräsident Herzog: "Nichtwählen ist verantwortungslos"In einer Feststunde am 1. September 1998 gedachte die Bundesrepublik Deutschland an historischem Ort, im Museum Koenig in Bonn, des 50. Jahrestages des Parlamentarischen Rates. Der Parlamentarische Rat wurde am 1. September 1948, nach Ermächtigung durch die Alliierten, im Auftrag der Ministerpräsidenten mit der Ausarbeitung eines Grundgesetzes für die drei westlichen Besatzungszonen beauftragt. Neben Bundespräsident Herzog sprachen bei dem Festakt auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) und Bundesratspräsident Gerhard Schröder (SPD). Bundespräsident Herzog betonte, daß gerade eine Verfassung, die auf Freiheit setze, immer wieder aufs Neue die Zustimmung der Bürger erfahren müsse. Diese Zustimmung komme in der Teilnahme an demokratischen Wahlen zum Ausdruck. Nichtwählen bezeichnete Herzog deshalb als verantwortungslos - wer sich durch die Gewählten nicht vertreten fühle, solle selbst zur Wahl antreten: "Es gibt viele demokratische Tugenden, aber die Bequemlichkeit gehört nicht zu ihnen", sagte Herzog.Bundestagspräsidentin Süssmuth erinnerte daran, daß mit Konrad Adenauer (CDU), Heinrich von Brentano (CDU), Jakob Kaiser (CDU), Thomas Dehler (F.D.P.), Theodor Heuss (F.D.P.), Paul Löbe (SPD), Erich Ollenhauer (SPD), Elisabeth Selbert (SPD) und Carlo Schmid (SPD) Persönlichkeiten im Parlamentarischen Rat vertreten waren, die während der NS-Diktatur "in der äußeren oder inneren Emigration, im Gefängnis, in KZ-Haft oder im aktiven Widerstand gewesen waren, und die gleichzeitig miterleben mußten, wie sich im Osten Deutschlands eine neue Diktatur aufrichtete. Somit verband sie eine hohe Sensibilität für die Notwendigkeit, die neue Demokratie auf dem verfügbaren Fundament der Menschenwürde aufzubauen. Der Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt" - so Süssmuth - "war und bleibt die zentrale Antwort des Grundgesetzes auf die totale Entwürdigung durch die nationalsozialistische Diktatur." Die Wiedervereinigung 1989/90 habe, sagte Süssmuth, "uns Deutschen erneut die Chance eröffnet, Freiheit und Einheit zugleich zur Grundlage unseres politischen Zusammenlebens zu machen". Süssmuth forderte gerade auch die junge Generation auf, sich politisch zu engagieren, und unterstrich: "Eine, gelebte Verfassung bleibt in den Köpfen und Herzen der Bürger lebendig und bietet dadurch den besten Schutz vor ihrer Aushöhlung durch Extremismus oder Gleichgültigkeit." In ihrer Festansprache wies Bundestagspräsidentin Süssmuth auch darauf hin, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates "um die Zerbrechlichkeit von Freiheit und Demokratie wußten". So hatte der Parlamentarische Rat neben dem Grundgesetz auch den Entwurf für ein Wahlgesetz zur ersten Bundestagswahl vorgelegt. Dieses Wahlgesetz ist im Laufe seiner nun fast 50jährigen Geschichte mehrfach modifiziert worden. Dabei stand schon im Parlamentarischen Rat die Frage im Mittelpunkt, wie Stabilität und Kontinuität durch ein gerechtes Wahlsystem gewährleistet werden können. Gerade im Hinblick auf die Vergangenheit im Dritten Reich wurde die 5 %-Klausel eingeführt. Die Verbindung des Mehrheitswahlsystems mit dem Verhältniswahlsystem durch die Schaffung von Erst- und Zweitstimme trägt mit dazu bei, daß allen im Volk vorhandenen politischen Richtungen gemäß ihrem Stimmenanteil Rechnung getragen wird. Bundesratspräsident Gerhard Schröder hob in seiner Ansprache hervor, daß die gleichberechtigte Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat dem Grundsatz eines fairen Interessenaustausches entspreche und das Scheitern von Gesetzen durch die Ablehnung des Bundesrates nicht als ein Versagen des Föderalismus an sich betrachtet werden könne. |
Quelle:
http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9803/9803087