Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 36 / 05.09.2005
Ines Gollnick

Auftakt für die "Angie-Show"

Union will im Wahlkampf Richtungswechsel einläuten
Mit der ersten Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Bundesrepublik setzt die Union am 18. September auf Sieg. Nach sieben Jahren Rot-Grün fordern die Christdemokraten einen politischen Richtungswechsel im Kanzleramt. In elf von 16 Bundesländern stellt die Union den Ministerpräsidenten, fünf Länder werden von ihr allein regiert. Und auch im Bundesrat verfügt das bürgerliche Lager über eine Mehrheit. Doch allein auf gute Umfragewerte will sich die Partei nicht verlassen und gibt sich kämpferisch.

Auch in der Politik gilt mittlerweile: "It's showtime". Wenigstens was die Inszenierung von Wahlkampfveranstaltungen angeht. Der 19. Parteitag der CDU Deutschlands in der Dortmunder Westfalenhalle, gleichzeitig Auftakt der heißen Wahlkampfphase und kein Parteitag im klassischen Sinne, ist mit Show und Information wirkungsvoll in Szene gesetzt. 9.000 Gäste, darunter etwa 1.000 Delegierte sollen in die richtige Wahlkampfstimmung versetzt werden. Die "Angie-Show" für die Kandidatin, die alles andere als ein "Pop-Star" oder besser "Polit-Star" ist und sein will, bildet den Rahmen für ein Programm, in dem Angela Merkel den Machtwechsel in Deutschland beschwört. Deutschland stehe wie 1949 vor einer entscheidenden Weichenstellung. Damals sei es um den Aufbau des Landes gegangen. Jetzt gehe es um die Erneuerung.

Nach Songs von "Mayqueen", die mit Musik von Freddy Mercury und Queen für einen effektvollen Einstieg sorgen, Artistik mit Künstlern aus dem Europapark Rust und einer Lasershow, die allerdings irgendwie deplaziert und ohne jegliche Dramaturgie zu sein scheint - dann steht in der Parteitagsregie der Einzug der Politikprominenz auf dem Programm. Angela Merkel vorneweg, Edmund Stoiber mit dem "Fuß auf dem Gaspedal" dahinter, denn "Angie" bleibt stehen, schüttelt Hände, begrüßt, gibt sich volksnah und charmant auf dem Weg zur Bühne. Der alte und neue CDU-Generalsekretär Volker Kauder - mit fast 98 Prozent der abgegebenen Stimmen später in seinem Amt bestätigt - eröffnet den Parteitag, der alle für die letzten drei Wochen mobilisieren soll. Besonders begrüßt er Altkanzler Helmut Kohl, der rauschenden Beifall bekommt. Kohl sitzt neben Angela Merkel, die er einst in sein Kabinett geholt hatte. Kauder unterstreicht das gemeinsame Ziel der beiden Schwesterparteien, Deutschland wieder nach vorne zu bringen durch mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze. Der Baden-Württemberger ist kämpferisch, greift Schröder an, der keine Perspektive mehr für dieses Land sei. Deutschland brauche den Wechsel. Angela Merkel beschreibt er im Kontrast dazu als Mensch mit Kompass, der Orientierung und Haltung habe. "Du führst die Union zum Erfolg", ruft er ihr zu, so dass die Menschen wieder zu neuen Lebenschancen kämen. Kauder nennt die CDU eine motivierte, kampfbereite Truppe. Es gehe um etwas "Großes, Entscheidendes" für Deutschland.

Das Wichtigste, so die Parteitagsregisseure, muss natürlich für den Schluss aufgehoben werden, damit es auch allen in prägender Erinnerung bleibt: die Rede der Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Doch bis es soweit ist, will die Dramaturgie einen Beweis christlich-demokratischer und christlich-sozialer Führungskompetenz präsentieren. Die Idee: Die zehn CDU-Ministerpräsidenten sollen in ihren Statements eines klar machen: wo die CDU regiert, geht es den Menschen besser. Eine Idee, die allerdings nur so gut ist, wie die Protagonisten, die sie umsetzen müssen. Die Performance ist dann auch von sehr unterschiedlicher Qualität - wenigstens was die rhetorische Umsetzung angeht. Die eloquentesten "Präsentatoren" sind Christian Wulff, Roland Koch und Peter Müller. Dieter Althaus grüßt aus der Mitte Europas, aus Thüringen. Er ruft dazu auf, wieder Politik auf festem Fundament zu machen, und er berichtet von "blühenden Landschaften" in Thüringen - auch als Referenz an Altbundeskanzler Helmut Kohl. Jürgen Rüttgers, seit zwei Monaten im Amt, verweist in seinem Statement nochmals auf die "Strategie der Ehrlichkeit". Die Menschen erstaune am meisten, dass die NRW-Regierung beginne, jetzt umzusetzen, was sie vor der Wahl angekündigt habe. Er ruft dazu auf, die Ordnungspolitik zu einer sozialen Ordnungspolitik weiterzuentwickeln. Summa Summarum machen alle deutlich, was in ihren Ländern Herausragendes geleistet worden ist. Alle unterstreichen, dass sie hinter Angela Merkel stehen, eine Demonstration von Harmonie und Eintracht.

Dann überbringt der CSU-Vorsitzende die "herzlichen Grüße der bayerischen Schwesterpartei". Er bedankt sich zum Auftakt seiner Rede vor dem Hintergrund der Hochwasserkatastrophe in Bayern für die Unterstützung insbesondere der Länder aus dem Osten und zahlreicher ostdeutscher Landkreise. Der Wahlkampf erfahrene bayerische Ministerpräsident Stoiber verbreitet Siegesgewissheit. "CDU und CSU wollen und werden es gemeinsam schaffen. Angela Merkel wird unser gesamtes Vaterland wieder nach oben führen." Die Menschen vertrauten ihr. Sie hätten es satt, mit billigen Versprechen belogen zu werden. Stoiber unterstreicht, dass neues Vertrauen in Staat und Politik geschaffen werden müsse. Man könne Schröder nicht mehr glauben. Er verweist darauf, dass die Linken auf Rot-Rot-Grün setzen würden und warnt vor den Populisten von ganz links. Ein Wechsel sei überfällig. Mit dieser Regierung habe Deutschland keine Zukunft. Stoiber gibt ein klares Signal: "Angela Merkel wird die erste Kanzlerin in Deutschland."

Und dann kommt "Angie". Die Schröder-Herausforderin tut das, was sie gerne tut: die Menschen in den Mittelpunkt ihrer Rede stellen. Sie spricht von "entscheidender Weichenstellung" und "Erneuerung des Landes" und ergänzt: "Die Menschen können viel mehr, als Rot-Grün ihnen zutraut. Wecken wir ihre Kräfte!" Merkel bilanziert die Arbeitslosenzahlen, die Pleiten und die Zahl der Kinder, die von Sozialhilfe leben müssen. Wer diese Bilanz ziehe, rede das Land nicht schlecht, sondern sei realistisch, verwahrt sie sich gegen "Schönredner", zu denen sie auch Schröder rechnet. Merkel schmeichelt dem Wähler nicht, sie will sie mitnehmen und motivieren. und vor allem solle Politik anfangen, Bürger und Bürgerinnen wieder Ernst zu nehmen. Es solle vor der Wahl gesagt werden, was nach der Wahl gemacht werde. Nur so könne zerstörtes Vertrauen wieder gewonnen werden. Vehement verurteilt sie ein "Weiter so!" Vehement unterstreicht sie: "Wir wollen es grundlegend anders machen, damit es grundlegend besser wird!" Bereitschaft wünscht sie sich, Widerstand auszuhalten, wenn es um Auseinandersetzungen geht. Konrad Adenauer habe die Einbindung in die westliche Wertegemeinschaft durchgesetzt, Helmut Kohl habe den politischen Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands und zur Einheit Europas geebnet - gegen den Widerstand der Koalition Schröder-Lafontaine. Merkel will Sehnsüchte wecken, Sehnsucht nach einer Aufbaustimmung und wählt zum Vergleich ein Zitat von Antoine de Saint-Exupery: "Wenn Du Schiffe bauen willst, dann fange nicht an, Holz zu sammeln und Bretter zu schneiden, sondern wecke in den Menschen die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer." Damit will sie deutlich machen, wie wichtig es ist, zu wissen, wohin man will. Merkel spricht von einem "Land voller Chancen". Sie spricht von einem Land, "das alle Anstrengungen unternimmt, um jedem den Zugang zur Ausbildung und zu Arbeitsplätzen zu verschaffen. Ein Land, in dem der Versuch mehr zählt, als das Scheitern." Keiner dürfe in einem solchen Land verloren gehen.

Erneut verteidigt Merkel ihr Konzept, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Arbeitskosten zu senken. Sie verspricht den Abbau von Bürokratie, die Vorfahrt für Arbeit und den stärkeren Einsatz für eine bessere Familienpolitik. Sie mahnt die Sanierung der Haushalte an, plädiert für die neuesten Technologien, um auch für die Sicherheit präventiv handeln zu können. Vor allem ist es ihr wichtig, den Opferschutz vor den Täterschutz zu stellen. Deutschland sei ein tolerantes Land, aber es müssten Regeln akzeptiert werden, "Ehrenmorde geächtet" und die Gleichheit von Mann und Frau akzeptiert werden. Merkel unterstreicht die Bedeutung des Religionsunterrichts und seinen Stellenwert für ein festes Wertefundament. Der Weltjugendtag habe vor Augen geführt, wie wichtig jungen Menschen "religiöse Haltepunkte" seien. Die Kanzlerkandidatin spricht erneut das Ziel einer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei an. Eine Vollmitgliedschaft wäre eine Überforderung der EU.

Als Merkel auf ihr Kompetenzteam zu sprechen kommt, brandet beim Namen Paul Kirchhof starker Applaus auf. Ein Vorkämpfer für ein vereinfachtes Steuerrecht sei er, so Merkel. Für ihn sei ein Steuerkonzept ein Gesellschaftskonzept. An der Diskussion um seine Berufung könne man erkennen, dass das Land eine neue Mentalität brauche. Sie stellt ihn erneut als Mann der Flexibilität vor, der nochmals den Beruf wechselt, sollte es zum Regierungswechsel kommen. Dies sei der Geist der zweiten Gründerjahre.

Angela Merkel kommt zum Ende ihrer Rede. Die Union wolle "dem Bürger mit Respekt und Demut begegnen" und "Deutschland wirklich dienen". Für eine Frau, die sich schwer tut mit emotionaler Extrovertiertheit, hat die erste weibliche Kanzlerkandidatin Angela Merkel eine verhältnismäßig leidenschaftliche Rede gehalten. Selbst als sie und "die Ihren" auf der Bühne mit anhaltendem Beifall gefeiert werden, bleibt sie irgendwie zurückhaltend und bescheiden - wohl auch, um sich selbst treu zu bleiben.

Hymne und "Angie-Song" bilden den musikalischen Kehraus eines Parteitags, der wie andere Wahlkampfveranstaltungen der Union die Botschaft hatte: Es bleibt nur ein "Weiter-So" oder es kommt endlich eine andere politische Richtung. Was ist in großen Lettern in Dortmund über der Bühne zu lesen: "Entscheidung für Deutschland."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.