Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 43 / 24.10.2005
Dirk Klose

Kulturpessimismus - Fritz Sterns große Analyse

Kurz notiert

Zur Frankfurter Buchmesse sind nicht nur Neuheiten anzuzeigen. Mitunter lohnt es auch, auf Wiederauflagen hinzuweisen, weil es wichtige Arbeiten sind, die lange vergriffen waren, aber von der Thematik wie von der Analyse her unverändert aktuell sind. Ein solches Buch ist Fritz Sterns vor 45 Jahren veröffentlichter Klassiker "Kulturpessimismus als politische Gefahr"; er hat seinerzeit die sowohl von der NS-Vergangenheit als auch vom Ost-West-Gegensatz geprägte Totalitarismusdebatte wesentlich beeinflusst und wirkt heute angesichts der öffentlichen Melancholie gerade in Deutschland geradezu hellseherisch.

Der 1926 in Breslau geborene Stern hatte Deutschland 1938 verlassen. In den USA wurde er zu einem der großen Historiker der Gegenwart. Wie nur noch wenig andere Emigranten verkörpert Stern eine Symbiose deutscher, jüdischer und amerikanischer Kultur. Im Deutschen Bundestag in Bonn hat er zum Jahrestag des 17. Juni 1953 gesprochen; vor wenigen Jahren hat er in Breslau zur 300-Jahrfeier der dortigen Universität zusammen mit dem damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau die geistigen Traditionen eines geeinten Europas beschworen.

In seinem Buch machte Stern mit Paul de Lagarde, Julius Langbehn und und vor allem mit Moeller van den Bruck drei einflussreiche Denker des 19. Jahrhunderts aus, deren radikaler Affekt gegen die Moderne in der europäischen Intelligenz überaus einflussreich war und radikale politische Strömungen erheblich beeinflusst hat. Antidemokratisches Denken, Vorstellungen vom starken ("heroischen") Staat und Rassenwahn prägten dieses politische Denken, das den totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts in erheblichem Maße den Weg bereitet hat.

Neben der nahezu unveränderten Aktualität des Themas besticht Sterns Buch auch durch den Bezug zur Gegenwart. Er zeigt sich "erschrocken" darüber, dass eine "Abart des Kulturpessimismus" heute in die USA "ausgewandert" ist mit aller Konsequenz einer Gefährdung von Liberalismus und Toleranz. Einmal mehr ist es die verhängnisvolle Sehnsucht nach einer heilen Welt, deren fatale politische Folgen nur allzu offen auf dem Tisch liegen.


Fritz Stern

Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland.

Mit einem Vorwort von Norbert Frei.

Klett-Cotta, Stuttgart 2005; 468 S., 24,50 Euro


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