Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 47 / 21.11.2005
Daniela Weingärtner

"Entrüstung allein genügt nicht"

Berichte über heimliche CIA-Gefängnisse in Europa sorgen für Zündstoff

Ob die Kommission Informationen zu dem in der Presse geäußerten Verdacht habe, in Mitgliedsstaaten und Kandidatenländern der EU habe es heimliche CIA-Gefängnisse oder Folterzentren gegeben, wollten die EU-Abgeordneten vergangene Woche von Justizkommissar Franco Frattini wissen. Dieser bekräftigte noch einmal seine Aussage von der Vorwoche: Die EU-Kommission wisse nicht mehr, als in einigen Zeitungen zu lesen sei. Die "Washington Post" hatte Anfang des Monats einen entsprechenden Bericht veröffentlicht. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" hatte Polen und Bulgarien als mögliche Standorte genannt.

Der Europarat in Straßburg hatte vorvergangene Woche beschlossen, eine Untersuchung einzuleiten. Mehrere nationale Regierungen gehen ebenfalls Hinweisen nach. So soll in Mailand am 17. Februar 2003 ein Imam von der CIA entführt worden sein. Die spanischen Behörden untersuchen Berichte, nach denen der US-Geheimdienst heimliche Gefangenentransporte mit Zwischenlandung in Mallorca abgewickelt haben soll. Frattini sagte zu, sich über diese Untersuchungen laufend informieren lassen zu wollen.

Das ist den meisten Abgeordneten zu wenig. Es sei beunruhigend, dass die Regierung Bush versuche, das Folterverbot für die CIA außer Kraft zu setzen, so die sozialistische Abgeordnete Martine Roure. "Welche Maßnahmen plant die Kommission, um sicherzustellen, dass das Völkerrecht auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Europäischen Union eingehalten wird?", wollte sie vom zuständigen Kommissar wissen. Die liberale Abgeordnete Sarah Ludford meinte: "Folter war früher in Lateinamerika ein Teil des schmutzigen Krieges. Jetzt ist es in den USA gängige Praxis!" Die grüne Abgeordnete Helène Flautre stellte fest, dass die EU-Kommission das Problem nun immerhin zur Kenntnis nehme. Ihre Kollegin Kathalijne Buitenweg ergänzte, es reiche nicht, auf Ergebnisse des Europarats zu warten. Die Kommission müsse eigene Untersuchungen anstellen. Sollten sich die Vorwürfe gegen ein Mitgliedsland bestätigen, müsse der Artikel 7 des EU-Vertrages angewendet werden. Er sieht vor, dass bestimmte Rechte eines Mitgliedsstaates ausgesetzt werden können, wenn er gegen grundlegende Regeln der Genfer Menschenrechtskonvention verstößt.

Der österreichische Grüne Johannes Voggenhuber, der die Debatte angestoßen hatte, wollte sich ebenfalls mit Frattinis Zusagen nicht zufrieden geben. "Wir werden Sie so lange vorladen, bis diese Angelegenheit aufgeklärt ist!" drohte er. Inzwischen ermittle bereits die spanische, italienische und deutsche Justiz. Es gebe Flugnummern, Zeugenaussagen von ehemaligen Häftlingen und Überflugmeldungen der österreichischen Militärbehörden.

Frattini reagierte sehr emotional auf die Vorwürfe. Auch er sei empört über das, was man den amerikanischen Behörden vorwerfe. "Entrüstung allein genügt aber nicht, um die Verträge zu ändern." Der Kommission fehle für eine eigene Untersuchung jede Rechtsgrundlage. Die Verfassung, die der Kommission mehr Spielraum geben würde, sei leider noch nicht in Kraft. Er könne die CIA zwar höflich bitten, ihm Akteneinsicht zu gewähren. Zwingen könne er aber niemanden. "Ich habe nicht die Befugnisse, die ein Richter oder Staatsanwalt hat! Das gefällt mir nicht und Ihnen auch nicht - aber das sind die Regeln!"

Die Parlamentarier sollten ihr politisches Gewicht einsetzen, um die Position der Kommission in dieser Frage zu stärken, forderte Frattini. Ein bulgarischer Beobachter, der ohne Rederecht im Europaparlament sitzt, ließ durch den Sitzungsleiter seine Stellungnahme verlesen. Die bulgarische Regierung sei sehr daran interessiert, dass die Vorgänge aufgeklärt würden. Sie begrüße "jede Form der Untersuchung", betonte der bulgarische Politiker.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.