Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 48 / 28.11.2005
Susanne Kailitz

Jahrelanges Hin und Her

Damals ... vor zehn Jahren am 1. Dezember: Kultusministerkonferenz reformiert die Rechtschreibung

Kaum ein Wort der deutschen Sprache löst so vielfältige Reaktionen aus wie dieses: Rechtschreibreform. Mittlerweile ist das Substantiv zum Synonym für ein nie endendes Hickhack geworden, für erbitterte Grundsatzdiskussionen und allgemeine Verwirrung. Und es blickt auf eine lange Geschichte zurück: Vor zehn Jahren fasste die Ständige Konferenz der Kultusminister einen "Beschluss zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung". Erklärtes Ziel der Regelung: "Sie soll das Schreiben vereinfachen." "Ungereimtheiten, Fehlentwicklungen und Fehlerquellen", die "im Laufe der Jahre entstanden sind", sollten damit beseitigt werden.

An dem, was die Kultusminister im Winter 1995 absegneten, hatten Sprachwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz jahrelang gewerkelt. Und schon lange vor ihnen hatten kluge Köpfe sich Gedanken um die deutsche Sprache gemacht: Bereits 1876 fand in Berlin, einberufen von der preußischen Regierung, eine "Konferenz zur Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" statt. In den folgenden Jahren regelte man die amtliche Orthografie auf Grundlage des Wörterbuchs von Konrad Duden. Die Duden-Redaktion entwickelte die deutsche Rechtschreibung auch in den folgenden Jahrzehnten weiter - 1955 erklärten die Kultusminister den Duden in allen orthografischen Zweifelsfällen für verbindlich.

Die Reformdebatte und das amtliche Reformbedürfnis wurden dadurch nur kurzfristig gestoppt: Mit dem Aufkommen der 68er-Bewegung wurde die Diskussion sogar politisch. Eine normierte Rechtschreibung galt vielen Anhängern der Protestbewegung als repressiv und Mittel der sozialen Selektion - sie forderten eine grundlegende Vereinfachung der Rechtschreibung und vor allem eine "gemäßigte Kleinschreibung", die das Großschreiben von Substantiven außer bei Eigennamen beenden sollte. Resultate brachten diese Forderungen nicht. Erst Ende der 80er-Jahre beauftragte die deutsche Kultusministerkonferenz das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim damit, gemeinsam mit der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden ein Regelwerk zu entwerfen. Doch das, was die Experten 1988 vorlegten, wurde von Politikern, Experten und Öffentlichkeit gleichermaßen als unannehmbar zurückgewiesen.

1995 waren die Proteste zunächst spärlich - was jedoch daran lag, dass die Inhalte der geplanten Reform erst öffentlich bekannt wurden, nachdem sich die deutschen Bundesländer am 1. Juli 1996 gemeinsam mit Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und anderen Ländern mit deutschsprachigen Bevölkerungsteilen darauf geeinigt hatten, die neue Orthografie zum 1. August 1998 einzuführen. Bis zum 31. Juli 2005 sollten in einer Übergangsfrist "die bisherigen Schreibweisen nicht als falsch, sondern als überholt gekennzeichnet und bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen gekennzeichnet werden". Neue Schreibweisen galten insbesondere für die Verwendung von Doppel-s und ß, bei Dreifachkonsonanten, bei der Groß- und Kleinschreibung und der Zeichensetzung. Auch bei den Fremdwörtern und der Getrennt- und Auseinanderschreibung sollte sich etliches ändern. Als diese Details bekannt wurden, begann der Sturm von Neuem. Immer wieder forderten Reformgegner die Rück-nahme der Neuregelung - Schleswig-Holstein und Bayern kündigten nach erfolgreichen Volksentscheiden an, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren.

Doch was nun alt und neu, orthografisch erlaubt oder verboten ist, ging in den Wirren des Gefechts fast unter. Verstärkt wurde das Durcheinander dadurch, dass die 1997 gegründete Zwischenstaatliche Kommission und ihr Nachfolger, der Rat für deutsche Rechtschreibung, die neue Rechtschreibung immer wieder teilweise revidierten und modifizierten. Und diejenigen, die künftig "Portmonee" statt "Portemonnaie", "aufwändig" statt "aufwendig" und "Furcht erregend" statt "furchterregend" schreiben sollten, weigerten sich entweder oder befolgten die Regeln nur unter Protest: 77 Prozent der Deutschen, so eine Umfrage aus dem Jahr 2004, lehnen die neue Rechtschreibung ab; fast 200 Zeitungen und Zeitschriften schreiben immer noch oder wieder nach der alten Rechtschreibung und auch hochrangige Politiker fordern immer wieder die komplette Rücknahme der Reform.

Dazu wird es wohl nicht kommen: Seit August 2005 ist die neue Rechtschreibung für Schulen und Behörden verbindlich. Allerdings nur in ihren "unstrittigen" Teilen, vieles wird nachgebessert. Eine endgültige Fassung der deutschen Rechtschreibung ist weiterhin nicht in Sicht.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.