Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 48 / 28.11.2005
Alexander Weinlein

Aufgekehrt...

"Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön; ja da kann man manche Leute an der Reling spucken seh'n. Hollahi, hollaho..." In den Zeiten der Wellness- und Fit-for-Fun-Touristik muss niemand mehr befürchten, all die Köstlichkeiten des Captains-Dinner als unverdauten Tribut an Neptun zu zollen. Heute gleiten Kreuzfahrtschiffe unbeeindruckt von den Tü-cken der See über die Weltmeere. Auf den schwimmenden Bastionen der westlich-zivilisierten Seefahrt erinnert die erholungsbedürftigen Landratten - abgesehen vom Blau des Meeres und der goldbetressten Uniformen der kellnernden Dienstleistungsmatrosen - nur noch wenig an die Seefahrerromantik vergangener Tage. Selbst an Bord eines im Retro-Look vom Stapel gelaufenen Fünf-Mast-Segelkreuzfahrtschiffs wie der "Royal Clipper" ist die Muskelkraft alter Seebären längst durch computergesteuerte Hydraulikanlagen ersetzt worden, "und der Koch in der Kombüse, dieses zenterschwere Schwein..." hat seinen Platz einer Crew von Fünf-Sterne-Köchen räumen müssen. Irgendwie doch reichlich langweilig. Es mag ja ganz nett sein, auf dem Sonnendeck mit All-inclusive-Cock-tails in den Urlaubsrausch hinüberzugleiten, abends in der Borddisco einen heißen Urlaubsflirt anzubahnen oder sich beim Shuffelboard in der Schiffs-Bestenliste zu verewigen. Doch muss man dafür eine Kreuzfahrt buchen? Wo bleibt denn da der maritime Kick?

Aber keine Angst, die Tourismusbranche muss nicht fürchten, in seichte Gewässer abzudriften. Wie wäre es mit einem Abenteuer-Törn durch die piratenverseuchten Gewässer vor der Ostküste Afrikas? Nervenkitzel garantiert. Sicherlich, die Nachfahren von Captain Blackbeard und Francis Drake entern wahrlich nicht so charmant über die Bordwand wie die Hollywood-Piraten Errol Flynn und Jonny Depp. Sie rauben den jungen Damen die Diamentenkolliers auch nicht mehr mit verwegenen Küssen von deren Hälsen. Die Wirklichkeit ist bar jeder Romantik - nichts als brutale Straßenräuberbanalität. Doch diese reale Gefahr lässt sich ja minimieren, ohne dass der Freizeit-Event deswegen an Spaß verlieren muss - im Gegenteil. Die Bundesmarine macht es möglich. So traf sich die Fregatte "Lübeck", deren Bug derzeit im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" die Gewässer am Horn von Afrika durchpflügt, stilecht im Sonnenuntergang des 18. November mit dem Kreuzfahrtschiff "MS Deutschland", um dies ein Stück ihres beschwingten Weges sicher zu geleiten.

Das wäre doch ein krisensicheres Finanzierungskonzept für die Truppe: Kreuzfahrten unter dem Schutz unserer "blauen Jungs" mit integriertem Austauschprogramm. Gefechtsübungen statt Animationsprogramm, Zapfenstreich statt Borddisco, Flaggenappell statt Frühstücks-Buffet. Und so ein Kriegsschiff-Kommandant hat ja auch mehr Sex-Appeal als jeder Traumschiff-Kapitän. Eine gewinnbringende Abwechslung zum alten Slogan "Wir buchen, Sie fluchen" des Reiseunternehmens Y-Tours.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.