Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
Harald Loch

Wenig Kriege, aber interne Konflikte

Der fremde Kontinent: Lateinamerika

Explosionen allenthalben: In Asien explodieren die Bevölkerungszahlen und die Wirtschaft, im Nahen Osten die Bomben und in Afrika Armut und Aids. Die Blicke der Welt liegen nicht auf Lateinamerika, dem bevölkerungsreichen Subkontinent jenseits der stark bewachten Südgrenze der USA. Dabei handelt es sich um den größten zusammenhängenden Sprachraum - man spricht Spanisch oder Portugiesisch, lediglich im Westteil der Karibikinsel Haiti Französisch. Hier leben die meisten Katholiken, es werden zwischen den Staaten kaum Kriege geführt, aber immer wieder bewaffnete interne Konflikte ausgetragen. Die Demokratie hatte zeitweilig keine Chancen. Nirgendwo sind die sozialen Unterschiede so groß, nirgendwo wird so gut Fußball gespielt.

In seiner neuen Reihe "Studienkurs Politikwissenschaft" hat der Nomos Verlag jetzt eine Einführung zu Lateinamerika veröffentlicht. Nikolaus Werz, Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Rostock, hat das Buch in Anlehnung an die durchschnittliche Veranstaltungszahl eines Semesters in 15 Kapitel untergliedert. Man muß aber nicht Politikwissenschaft studieren, um dieses erschwingliche Buch mit großem Gewinn zu lesen. Jedes einzelne Kapitel ist in sich abgeschlossen, enthält eine aktuelle Bibliografie und die wichtigsten Fakten, Daten und Zahlen zu den jeweiligen Themenschwerpunkten.

Die entscheidende Qualität des Buches liegt in der wechselnden Betrachtung von Einheit und Vielfalt Lateinamerikas. Mit einer differenzierenden Darstellung werden nicht einzelne Länder wie etwa in Fischers Weltalmanach abgehandelt, stattdessen arbeitet Werz anhand von Gemeinsamkeiten die Unterschiede am Einzelfall heraus. So entsteht ein mit wichtigen roten Fäden durchwirktes Gewebe, auf dem sich die 35 lateinamerikanischen und karibischen Staaten deutlicher abzeichnen als in lexikalischen Einträgen.

Der Autor hat seine Kindheit und Jugend in Kolumbien und Argentinien verbracht, sein Forscherleben Lateinamerika gewidmet und dessen Entwicklung immer wieder auf Informationsreisen aktuell beobachtet. Der Schwerpunkt seines Buches liegt auf politischen Themen wie Demokratisierung, soziale Ungleichheit oder Rechtsstaatlichkeit.

Aber auch die kulturellen Fragen, die wirtschaftliche Entwicklung oder das im Zeitalter von ethnisch legitimierten Auseinandersetzungen in aller Welt erstaunliche Zusammenleben von indianischer Urbevölkerung, europäischen Kolonialeinwanderen und den Nachkommen der von diesen aus Afrika deportierten Sklaven werden ausgiebig behandelt. Der Autor zitiert die charakterisierende Bezeichnung Lateinamerikas als "Extrême Occident". Er schreibt: "Verlängerung des Westens heißt auch, dass in Lateinamerika die Ergebnisse der Modernisierung andere Formen annehmen als in Europa oder den USA."

Werz gibt einen Ausblick auf diese "anderen Formen", die dem Subkontinent auch eine andere Dynamik verleihen. Die stark intensivierten Beziehungen lateinamerikanischer zu asiatischen Ländern weisen auf einen der wichtigsten Aspekte dieser Entwicklung hin. Im Zusammenhang hiermit weist der Autor darauf hin, dass Spanisch nach Chinesisch, Englisch und Hindi die viertwichtigste Sprache ist, auch ohne den portugiesisch sprechenden Riesen Brasilien, der jedoch alle seine Schüler zum Erlernen des Spanischen verpflichtet hat.


Nikolaus Werz

Lateinamerika. Eine Einführung.

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2005; 400 S., 19,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.