Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Daniela Weingärtner

Der Januskopf des Arbeitsmarkts

Bericht über Beschäftigte aus Osteuropa
Billige Arbeitskräfte aus den osteuropäischen Staaten sehen viele noch immer als Gefahr des heimischen Arbeitsmarktes an. In Deutschland gelten für Osteuropäer aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten weiterhin Zugangsbeschränkungen zum Arbeitsmarkt. Bis zum 1. Mai müssen die EU-Staaten melden, ob sie an den Übergangsregelungen festhalten wollen. Eine Studie der Europäischen Kommission, die am 8. Februar in Brüssel vorgestellt wurde, hat den Ländern die Öffnung ihrer Arbeitsmärkte nahegelegt.

Ausländische Arbeitskräfte kurbeln die Wirtschaft an, füllen unbesetzte Lücken auf dem Arbeitsmarkt und tragen dazu bei, dass neue Stellen entstehen - so das Fazit der EU-Kommission nach knapp zwei Jahren Osterweiterung. Im Auftrag des Rates hatte die Abteilung von Arbeitskommissar Vladimir Spidla Statistiken ausgewertet und unterschiedliche Steuerungsinstrumente miteinander verglichen.

Nur Schweden, Irland und Großbritannien hatten ihre Arbeitsmärkte sofort zum Beitrittstermin am 1. Mai 2004 für Zuwanderer aus den neuen Mitgliedstaaten geöffnet. Die anderen 15 EU-Mitglieder hatten Quoten oder andere Beschränkungen eingeführt. Die Zahlen zeigten, dass die Wanderungsbewegungen vor dem Beitrittsdatum nicht bedeutend anders aussahen als danach, erklärte Spidla. Deutschland zum Beispiel habe nur 3,5 Prozent mehr Anträge auf Arbeitserlaub-nis erhalten als die jährlich zugelassene Quote von knapp einer halben Million. In Italien sei die Quote nur zur Hälfte ausgeschöpft worden. In Großbritannien habe die Freizügigkeit dazu geführt, dass viele, die bereits vorher illegal im Land arbeiteten, ihr Arbeitsverhältnis nun legalisiert hätten. Genaue Zahlen konnte Spidla dazu natürlich nicht nennen.

Auch die Gewerkschaften sind überzeugt, dass eine Öffnung der Arbeitsmärkte Schwarzarbeit eindämmt und damit die wirksamste Maßnahme gegen Lohndumping ist. Catelene Passchier vom Europäischen Gewerkschaftsbund in Brüssel sagte: "Unsere Mitgliedsorganisationen haben festgestellt, dass Über-gangsfristen kontraproduktiv sind. Die Arbeitswilligen kommen dennoch ins Land und werden illegal beschäftigt, unterhalb des Tariflohns, ohne Kontrolle durch die Sozialpartner. Für Gewerkschaften ist es viel schwerer, sich für die Rechte dieser Menschen einzusetzen als für legal Beschäftigte."

"Migranten haben die Lücken auf dem Arbeitsmarkt gefüllt und damit die Wirtschaft positiv beeinflusst", sagte der Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit. Allein in Deutschland könnten 700.000 Stellen nicht besetzt werden; das lähme die Wirtschaft. In Anspielung auf die Angst vieler Menschen vor weiterer Liberalisierung sprach der Kommissar vom "Januskopf der EU. Ein Gesicht schaut weit in die Zukunft, das andere, das in die Vergangenheit schaut, ist etwas kurzsichtig." Die Arbeitsmarkt-Statistiken, die Spidla gestern vorlegte, lassen sich so interpretieren, dass ein Plädoyer für den freien Binnenmarkt dabei herauskommt. Sie lassen aber auch die genau gegenteilige Schlussfolgerung zu. Denn Deutschland und Österreich haben zwar Quoten, doch die sind so hoch, dass der Anteil von Osteuropäern am Arbeitsmarkt dort höher ist als in fast allen Ländern, die keine Quote eingeführt haben. Nur Irland bildet da eine Ausnahme.

Die Bundesregierung erklärte hingegen, der Arbeitsmarkt bleibe begrenzt. Erst 2011 sollten Osteuropäer freien Zugang erhalten. In Deutschland liegt der Anteil osteuropäischer Arbeiter mit 0,7 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Er lag im ersten Halbjahr 2005 bei 0,4 Prozent der Ewerbsbevölkerung. Deutschland werde, wie vereinbart, an den Übergangsbestimmungen festhalten, teilte Arbeitsminister Franz Müntefering mit. Es will, wie in den Beitrittsverträgen als Möglichkeit vorgesehen, die Beschränkungen für weitere drei Jahre verlängern. Danach könnte die Regelung noch einmal für zwei Jahre aufrecht erhalten werden - allerdings nur, wenn der jeweilige Staat Probleme für seinen Arbeitsmarkt nachweisen kann.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.