Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Kai Nitschke

Schülergerichte sind auf dem Vormarsch

Länder setzen auf "Teen-Courts"
Härtere Strafen und schnellere Verfahren waren bislang die Hauptrezepte der Politik gegen steigende Jugendkriminalität. Viel geholfen hat es nicht: Von 1993 bis 2004 stieg die Zahl tatverdächtiger Jugendlicher von etwas mehr als 200.000 auf rund 300.000 im Jahr. Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik hat die Zahl der Tatverdächtigen im Alter von 14 bis 18 Jahren zudem auch prozentual zugenommen: Während 1993 die Jugendlichen rund zehn Prozent der Gesamttatverdächtigen ausmachten, waren es im Jahr 2004 bereits 12,5 Prozent.

Immer mehr Bundesländer setzen deshalb auf Schülergerichte, so genannte "Teen-Courts", die es in den USA bereits seit längerem zu Hunderten gibt. Nach Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen will jetzt auch Hamburg diese neuen Gremien an mehreren Schulen einführen: "Wir wollen ein Signal setzen im verstärkten Kampf gegen Jugendkriminalität", sagt der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU): "Teen-Courts sind eine Möglichkeit, jugendliche Straftäter mit dem von ihnen verwirklichten Unrecht zu konfrontieren."

Vor den Schülergerichten sollen in Hamburg allerdings nur Fälle leichterer Kriminalität verhandelt werden, wie zum Beispiel Ladendiebstahl, Sachbeschädigung oder einfache Körperverletzungsdelikte. In anderen Bundesländern, wie unter anderem bei den Projekten im hessischen Wiesbaden und im nordbayerischen Aschaffenburg, können auch schwerere Delikte vor die "Teen-Courts" kommen, wie zum Beispiel Autoaufbrüche oder Raubtaten unter Jugendlichen mit geringer Beute. Ansonsten ähneln sich die Projekte in den verschiedenen Bundesländern aber stark: Voraussetzung ist immer, dass der oder die Täter geständig sind und sich mit einer Verhandlung vor dem Schülergericht einverstanden erklären. Die Staatsanwaltschaft sieht dann zunächst von einer eigenen Verfolgung der Tat ab und übergibt die Ermittlungsakte an den "Teen-Court". Dort sitzen dann 14- bis 18-jährige Richter, die nach einer vorherigen Schulung selbstständig ihr Urteil fällen sollen. Wird diese Entscheiddung vom angeklagten Jugendlichen akzeptiert, ist der Fall damit abgeschlossen, ohne dass sich ein hauptamtlicher Jugendrichter jemals mit der Tat beschäftigt hat.

"Jugendlichen ist die Meinung Gleichaltriger besonders wichtig. Daher kann eine von Schülerrichtern ausgesprochene Sanktion viel bewirken", sagt der Hamburger Justizsenator Kusch: "Diesen Umstand wollen wir bei Teen-Courts nutzen."

Erste Erfolge mit den Schülergerichten werden aus Bayern berichtet, wo die Idee aus den USA am schnellsten umgesetzt wurde: Bei dem mittlerweile rund fünf Jahre alten Projekt in Aschaffenburg ist die Rückfallquote deutlich niedriger als in vergleichbaren Fällen ohne Verhandlung vor dem Schülergericht. Nach einer ersten Zwischenauswertung wurden von fast 60 "Angeklagten" vor dem "Teen-Court" lediglich drei Jugendliche rückfällig. Dies entspricht einer Quote von fünf Prozent. Ohne Verhandlung vor dem Schülergericht liegt die Rück-fallquote bei Jugendlichen im Bereich der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg dreimal höher.

Kritiker der Schülergerichte führen dies allerdings darauf zurück, dass es sich bei den dort ausgeurteilten Fällen um einsichtige geständige Täter handele. Zudem sei die Verhandlung vor dem Jugendgericht freiwillig und auch die Strafe werde einvernehmlich festgelegt. Eine vergleichsweise niedrige Rückfallquote sei deshalb wenig verwunderlich: "Bei einigen Straftaten im Bagatellbereich ist fraglich, ob es einer Verhandlung vor dem Jugendgericht überhaupt bedurfte. Manchmal hätte wohl eine schriftliche Ermahnung durch die Staatsanwaltschaft ausgereicht, um eine erneute Tat zu verhindern", sagt Strafrechtsprofessor Heinz Schöch von der Universität München. Seiner Meinung nach sollten Fälle leichtester Kriminalität, wie zum Beispiel Ladendiebstähle mit geringer Beute, nicht zu einer Verhandlung vor dem "Teen-Court" führen, sondern allenfalls zu einer schriftlichen Ermahnung.

Die beteiligten Länderjustizministerien sehen dies anders: "Es geht doch darum, den straffälligen Jugendlichen ihr Unrecht bewusst zu machen und da ist die Verhandlung vor dem Schülergericht allemal geeigneter, als ein anonymes und ausschließlich schriftliches Verfahren durch die Justiz", sagt Stefan Fuhrmann, der Sprecher des hessischen Justizministeriums. Zudem gebe es seit der Einrichtung des ersten hessischen Schülergerichts in Wiesbaden im September 2005 eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Thema Jugendkriminalität in der Öffentlichkeit und insbesondere an den beteiligten Schulen. Hessen überlege daher bereits, das Projekt auf Frankfurt auszudehnen.

Fuhrmann räumt aber ein, dass "Teen-Courts" nicht für jede Form von Jugendkriminalität geeignet sind: "Bei Intensivtätern oder schweren Gewaltdelikten kommt man so natürlich nicht weiter." Über die Zuweisung eines konkreten Falles an das Schülergericht entscheide deshalb immer die zuständige Staatsanwaltschaft, die das Verfahren dann auch bis zum Abschluss begleite. Wenn der Täter sich später weigere, die mit dem "Teen-Court" vereinbarte Strafe zu leisten, könne die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder an sich ziehen. Ziel sei jedoch die selbstständige Erledigung durch das Schülergericht, was bislang auch sehr gut funktioniere.

Gut auf die Aufgabe vorbereiten

Auch in Nordrhein-Westfalen ist das Justizministerium mit dem seit November 2005 in Siegen laufenden Projekt sehr zufrieden: "Das ist eine neue zusätzliche Möglichkeit, Jugendkriminalität in kreativer Form zu bekämpfen", sagt Ulrich Hermanski, Ministeriumssprecher in Düsseldorf. Ein weiteres Schülergericht in Bielefeld sei geplant, eine landesweite Ausdehnung zurzeit aber nicht beabsichtigt. "So ein Projekt funktioniert nur, wenn die Beteiligten vor Ort sich engagieren und eng zusammenarbeiten", so Hermanski.

Dies wird in Hamburg genauso gesehen: "Polizei, Staatsanwaltschaft und die beteiligten Schulen müssen sich fortlaufend abstimmen", sagt der Sprecher der Hamburger Justizbehörde Carsten Grote. Aus seiner Sicht ist schon die Auswahl der Schülerrichter von entscheidender Bedeutung: "Die Jugendlichen sollten aus unterschiedlichen Schultypen und aus verschiedenen Hamburger Bezirken kommen. Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Gymnasiasten aus wohlhabenden Familien über Hauptschüler aus ärmeren Stadtvierteln urteilen", so Grote im Gespräch mit "Das Parlament". Zudem sollten die Schülerrichter gleichaltrig oder ein wenig älter sein als die Täter, da es Jugendlichen erfahrungsgemäß sehr schwer falle, die Entscheidungen von Jüngeren zu akzeptieren.

In der Folge werde es dann darauf ankommen, die Schülerrichter gut auf ihre Aufgabe vorzubereiten. "Die Hamburger Justizbehörde wird in Zusammenarbeit mit den Gerichten ein Kursprogramm erarbeiten", kündigt Grote an. Dort sollen den Schülerrichtern im Schnelldurchlauf die Grundzüge des jugendgerichtlichen Verfahrens und die zur Verfügung stehenden Strafen erläutert werden. Zwar seien die "Teen-Courts" keine echten Gerichte und daher auch an kein Gesetz gebunden. Grote hält es aber für wichtig, dass Tat und Strafe in einem Zusammenhang stehen: "Bei einer Sachbeschädigung bietet es sich an, den Jugendlichen zu Reparaturarbeiten zu verurteilten", so der Sprecher der Hamburger Justizbehörde. In anderen Fällen könnte schon eine schriftliche Entschuldigung gegenüber dem Opfer ausreichend sein. Diskriminierende oder erniedrigende Strafen müssten aber auf jeden Fall vermieden werden: "Nackt über den Schulhof laufen oder im Winter durch die Elbe schwimmen sind keine sinnvollen Sanktionen", sagt Grote.

Sorge über zu niedrige Strafen braucht sich jedenfalls niemand zu machen. Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung fallen in vergleichbaren Fällen die Sanktionen der "Teen-Courts" meistens härter aus als die Strafen der regulären Jugendrichter.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.