Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 13.03.2006
Alexander Heinrich

Berichte aus dem sprachlichen Exil

Deutsche Zeitungen im Ausland

Verben werden stark und schwach gebeugt, Substantive spreizen sich groß und breit in den Satz und welcher Artikel sie bestimmt, das weiß eigentlich nur der Duden. Schwierig ist die deutsche Sprache. Ihre Schüler kann sie zur Verzweiflung bringen, zumindest aber zum Griff nach Aspirin verleiten. Was die 120 Millionen Mutter- und Zweitsprachler allerdings noch lange nicht daran hindert, in aller Welt munter Deutsch zu sprechen. Und zu lesen.

Rund 300 deutsche Tages- und Wochenzeitungen erscheinen außerhalb des deutschen Sprachraums: Ob "Australienwoche" oder "Allgemeine Zeitung" in Namibia oder "Brasil Post" - wohin man auch reist, eine deutsche Zeitung liegt immer schon bereit. Zählt man jede Vereinspostille und jedes Lokalblatt hinzu, kommt man nach Angaben der Internationalen Medienhilfe (IHM) auf die Zahl von über 3.000 Publikationen, die auf deutsch beschreiben, was die große und die kleine Welt vor Ort bewegt.

Würde man ihre Redaktionsbüros auf einer Weltkarte markieren, man bekäme ein aufschlussreiches Muster vergangener Migrationswellen. Am höchsten ist die Dichte in den Einwanderungsländern Nord- und Südamerikas und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Aber auch in Südosteuropa finden sich versprengte Minderheiten, für die das Deutsche noch immer Kern der kulturellen Identität bildet. Für manche dieser Zeitungen stellt sich mittlerweile die Existenzfrage. Ihre Leserschaft wandert ab, zurück in die ferne deutsche Urheimat. Zwischen 1987 und 1996 verließen etwa anderthalb Millionen Russlanddeutsche das Land ihrer Geburt. Ähnlich verhält es sich mit den Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Nur jeder Fünfte wollte nach 1989 in Rumänien bleiben.

Die "Allgemeine Deutsche Zeitung" (ADZ) in Bukarest traf es besonders hart: Einstmals druckte sie täglich 70.000 Exemplare, heute muss sie sich mit einem Fünftel der Leser begnügen und das sind meist die älteren. Dabei fehlt ihr nicht nur die Leserschaft, es mangelt auch am journalistischen Nachwuchs. Um nicht unterzugehen, bleibt der ADZ nichts anderes übrig, als einen schwierigen Spagat zu wagen: Einerseits die Interessen einer schwindenden Minderheit zu artikulieren, gleichzeitig aber mit Studenten, Geschäftsleuten und Touristen neue Leserschichten zu erschließen. Auch wenn das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) Medienassistenten entsendet, die Blatt und Redaktion verjüngen und unterstützen - noch immer steht die Frage im Raum, ob man die ADZ nicht besser zur Wochenzeitung machen sollte.

Auch die "Landeszeitung" aus Prag muss gegen Abwanderung und Überalterung kämpfen. Als Gerd Lemke 2002 als Medienassistent zur Redaktion kam, galt es zunächst einmal ein altbackenes Layout zu entrümpeln, feste Rubriken und Formate zu schaffen und "den grammatikalisch unsinnigen Bindestrich der ,Landes-Zeitung' abzuschaffen". Lemke stieß auf ein Verlautbarungsorgan eines Minderheitenverbandes. Und der ist nicht immer wohlgelitten, denn das Verhältnis zwischen Tschechen und Sudetendeutschen ist immer noch belastet. Erste Schritte, das Blatt zu modernisieren und für neue Leserschichten attraktiv zu machen, sind getan. Mittlerweile gibt es auch einen professionellen Internetauftritt.

Diesen Schritt haben andere Zeitungen wie der "Pester Lloyd" oder die "Moskauer Deutsche Zeitung" (MDZ) längst gewagt: Ihre Vorgänger wurden im späten 19. Jahrhundert gegründet, und wer in Archiven in den alten Ausgaben blättert, entdeckt, dass bereits damals globale Themen und lokaler Klatsch eng beieinander lagen: Dem Bericht über den betrunkenen Lastfuhrmann auf dem Arbat räumt die MDZ im Jahre 1904 ebenso Platz ein wie der Nachricht, dass "die Mitteilung, Kaiser Wilhelm sei bei einem Ausflug mit König Alfons von Spanien heiser gewesen, glücklicherweise keine Bestätigung" gefunden habe.

An dieses Konzept knüpfen die Wieder- und Neugründungen in den osteuropäischen Metropolen erfolgreich an. "Nicht nur über Spektakuläres zu berichten, kontinuierlich über das Land und seine Menschen zu schreiben, zwischen beiden Kulturen zu vermitteln" - darin sieht etwa die "Prager Zeitung" ihre Aufgabe. Und so finden sich neben grenzübergreifenden Lokalnachrichten aus dem Dreiländereck auch Berichte über den Wachstumsmotor Skoda/VW und der Kommentar zum Besuch des russischen Präsidenten. Im Stadtmagazin können Touristen erfahren, wann und wo man vortrefflich ins Prager Nachtleben abtauchen kann. Seit einigen Jahren schreibt die "Prager Zeitung" dank Anzeigengeschäft und Verkauf schwarze Zahlen. Und wer mit dem Zug nach Prag reist, findet bereits an Bord ein Leseexemplar.

Das ist kein Einzelfall: Immer mehr Auslandszeitungen entdecken die touristische Leserschaft und setzen gleichzeitig auf Abonnenten in Deutschland. Ob "Amerikawoche" (New York), "Brasil Post" in Sao Paolo oder "Königsberger Express": All diese Publikationen treten ganz selbstverständlich mit dem Anspruch auf, wie jede andere Zeitungen auch über das Weltgeschehen zu berichten - mit dem besonderen Blickwinkel aus dem sprachlichen Exil. Die "Deutsche Rundschau" aus Kanada etwa wirbt mit "127 Mitarbeitern und Korrespondenten auf fünf Kontinenten", die für 60.000 Leser berichten. Und auch die sind selbstredend in aller Welt verstreut.

Einen anderen Weg geht das Jugendjournal "vitamin de" aus Omsk: Das farbige Magazin berichtet vor allem aus Deutschland und wendet sich an alle, die sich mit deutscher Kultur beschäftigen oder einfach nur die Sprache lernen oder auffrischen wollen - ganz gleich, ob russische oder russlanddeutsche Sprachschüler. Zu jedem Beitrag der Zeitschift, die inzwischen auch einen Ableger in Polen hat, gibt es Übersetzungshilfen. Und vielleicht lässt sich mit "vitamin de" unter der Schulbank die deutsche Sprache doch einfacher und unkomplizierter lernen - ohne Verzweiflung und ohne Aspirin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.