Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 20 / 15.05.2006
Nanuli Kakauridse

Zwischen den Mühlsteinen

Alexander Solschenizyns schwierige Jahre im Exil
Das Buch Alexander Solschenizyns "Zwischen zwei Mühlsteinen" umfasst die Zeit nach seiner Abschiebung aus der Sowjetunion nach Deutschland - dort findet er Aufnahme bei Heinrich Böll - über seine Station in Zürich bis hin zu den Jahren in den USA, wo er seine Werke vollenden konnte. Ein kleines russisches Volkslied am Anfang des Buches zeigt das Verhältnis des Autors zu seiner Heimat, zu Russland: "Du mein gutes Land (...). Es war Kummer nur, der mich zu dir wirbelte."

Solschenizyn beginnt dynamisch mit der Schilderung der Situation in Deutschland am 13. Februar 1974: Heinrich Bölls Haus wird von den Medien seit seiner Ankunft regelrecht belagert. Er weiß nicht, wo er sich verstecken soll, um der gnadenlosen Belagerung zu entkommen. Die Konfrontation mit einer freien Presse ist äußerst ungewohnt für einen Menschen, der so lange im Sowjetsystem gelebt hat. "Unerträglich" - so bezeichnet er die Situation: "Meine Beziehungen zur Presse wurden immer schlechter." Er weiß zwar, dass es eben jene Medien waren, die ihm zu Weltruhm verhalfen und ihn auch in seiner bedrängten Situation in der Sowjetunion unterstützten - aber er unterstellt der Presse zugleich, dass sich diese Unterstützung aus ihrer Gier nach Sensationen speist.

Für den Schriftsteller Solschenizyn ist es wichtiger zu schreiben, zu arbeiten, die begonnenen Werke zu vollenden. Zudem bekümmern ihn ganz andere Dinge. Zum einen sorgt er sich um die Rettung seines Privatarchivs vor dem KGB, das er in 40 Jahren aufgebaut hat. Und: Solschenizyn ist unsicher, ob er sich im Westen wird behaupten können. Es ist eine durchaus weitverbreitete Auffassung, dass vielen Schriftstellern die Fähigkeit zum Schreiben verloren geht: "Einige westliche Stimmen sagten mir schon den baldigen Tod voraus."

Solschenizyn will frei bleiben, auch hier, im freien Westen. In der Sowjetunion hielt er sich bis zum Schluss. Im Westen will er nicht schwächer sein und sich dem politischen Kalkül unterordnen. Er will frei sein von allen Zudringlichkeiten, von allen Einladungen, von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Das war eine "literarische Selbstverteidigung", ein intuitiver, nicht durchdachter Schritt. Pragmatisch gesehen der falsche. Der Kern dieser Selbstverteidigung war, in der Stille seine Arbeit fortzusetzen. Die ersten Monate im Westen lebt der Schriftsteller verworren und nervös, macht geschäftliche Fehler. Er versucht zu schreiben, will sich endlich der Literatur und der russischen Geschichte widmen. Er bekennt, dass das Schwanken zwischen der Leidenschaft für das stille Schreiben und der Leidenschaft für den politischen Angriff seinem Naturell entspricht.

Befremdet über den Westen

Inzwischen hat der amerikanische Senat den Schriftsteller zum Ehrenbürger der Vereinigten Staaten gewählt. Er erhält auch eine Einladung aus Oxford, die Doktorwürde in Empfang zu nehmen. Und dann steht noch eine Angelegenheit aus - im Dezember 1974 nimmt Solschenizyn in Stockholm den bereits 1970 verliehenen Literaturnobelpreis in Empfang.

Solschenizyn reist durch Europa, das ihn nicht nur als Schriftsteller, sondern als einen "Kämpfer gegen das Böse" begrüßt. Doch gleichzeitig strecken sich auch gierige Hände aus, um aus seinen Büchern und seinem Namen Kapital zu schlagen. Der Schriftsteller ist befremdet und erstaunt über die westliche Welt. Er kann sich an die Luft der kalten Geschäftswelt nicht gewöhnen. Nach seiner Meinung diktiert der Handel im Westen der Literatur, wo es lang gehen soll. Aber Solschenizyn hält sich zurück, weil er weiß, dass nicht alle Verleger so sind.

Der Schriftsteller hat sich 40 Jahre vorbereitet, über die Russische Revolution zu schreiben. Und er tut es, schreibt, vollkommen versunken in den Anfang der russischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. "Atme! Schreibe!", sagt er sich selbst. Er will drei, vier Jahre arbeiten, bis zum Zeitpunkt, an dem die Erfahrungen des früheren Lebens ausgeschöpft wären und er fort müsse, um diese zu erneuern. Er hat das Gefühl, dass er dem politisch-intellektuellen Establishment des Westens genauso wenig genehm ist wie der sowjetischen Regierung oder der so genannten Bildungsschicht.

Juli 1977: Solschenizyin fragt sich, wie er im Westen leben soll. Der Mühlstein des KGB arbeite weiter, versuche, ihn zu zermahlen. Daran hat er sich gewöhnt, aber der Mühlstein des Westens beginne, ihm Amtshilhe zu leisten. So achtsam er im Osten zurecht gewesen war, so blind fühlt er sich im Westen. In der Reihe verschiedenartiger Prüfungen war eine weitere aufgetaucht - das westliche System der "Juristerei und des Kommerz".

Im Jahre 1978 hält Solschenizyn eine Rede bei den Abschlussfeierlichkeiten an der Harvard University. Die Rede trägt den Titel "Die zerbrochene Welt". Er spricht über die moralische Armut des 20. Jahrhunderts, darüber, dass das Ewige verloren gegangen sei. Der Mensche haben gar keine andere Möglichkeit als die Skala der moralischen Werte zu revidieren.

Der Schriftsteller greift in seiner Rede erneut die Presse scharf an und wunderte sich nicht, dass die Zeitungen ihn beschimpfen. Ein Vorwurf lautet, dass Solschenizyn dieselbe westliche Presse angreife, die ihn in seinem Kampf unterstützt habe. Vor seinem Auftritt in Harvard habe er "naiverweise geglaubt, dass er sich in einer Gesellschaft befand, in der erlaubt war, zu sagen, was der Mensch denkt, ohne diese Gesellschaft zu beweihräuchern".

Doch es gibt auch positive Reaktionen in den Medien auf seine Harvard-Rede: "Das Leben des Geistes ist überall auf der Welt in Gefahr. Man sollte die Harvard-Rede nicht als Attacke gegen uns lesen, sondern als einen Aufruf an die gesamte Familie der Menschen." Für den Schriftsteller ein Hoffnungsschimmer, mit diesem Amerika doch noch eine Einheit finden zu können.

Alexander Solschenizyn: Zwischen zwei Mühlsteinen. Mein Leben im Exil. Herbig-Verlag, München 2005; 429 S., 29,90 Euro


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