Einleitung
Den Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge ist
Folter eine weit verbreitete Praxis. In mehr als der Hälfte
der Staaten findet Folter statt; in mehr als einem Drittel der
Staaten wird sie systematisch und regelmäßig eingesetzt.
Dennoch ist der langjährige politische Einsatz gegen die
Folter nicht ohne Ergebnisse geblieben:
Über die politisch-moralische
Ächtung der Folter hinaus, wie sie etwa in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948
formuliert wurde, ist Folter längst auch völkerrechtlich
verboten.
Dies hat praktisch-institutionelle Konsequenzen. Auf der Grundlage des Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966 sowie der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen von 1984 sind Überwachungsmechanismen entstanden, die die von den Staaten periodisch vorzulegenden Berichte überprüfen und außerdem Individualbeschwerden bearbeiten. Sie bilden wichtige Anlaufstellen auch für die Arbeit nichtstaatlicher Menschenrechtsorganisationen, die ihrerseits eine unersetzliche Rolle bei der öffentlichen Thematisierung von Foltervorwürfen innehaben. Auf der Ebene des Europarats können Menschen, die Folter erlitten haben oder die befürchten, gefoltert zu werden, den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen und auf diese Weise etwa bei drohender Foltergefahr Schutz gegen Abschiebung erwirken. Der europäische Anti-Folter-Ausschuss besucht Haftanstalten und andere Orte, in denen Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden; mit seinen kritischen Hinweisen und Empfehlungen trägt der Ausschuss dazu bei, die Voraussetzungen für die Prävention von Folter zu verbessern. Ein solcher Präventivmechanismus ist auch im Zusatzprotokoll zur Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen von 2002 vorgesehen, das im Juni 2006 in Kraft getreten ist. Schließlich sei der Internationale Strafgerichtshof erwähnt, der im Rahmen der Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit u.a. für die Ahndung von Folter zuständig ist.
Obwohl in Sachen Folterverbot Anspruch und Wirklichkeit nach wie vor weit auseinander klaffen, gibt es - dies sollte die (unvollständige) Aufzählung einiger Mechanismen deutlich machen - doch institutionelle Fortschritte im Kampf gegen die Folter. Möglich waren und sind sie nur auf einer festen normativen Grundlage, nämlich dem klaren Verbot der Folter. Im Vergleich zu anderen Menschenrechtsnormen ist dieses Verbot besonders streng formuliert: Sowohl in den Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen als auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in anderen regionalen Abkommen gilt das Folterverbot ohne jede Einschränkung; es ist ein absolutes Verbot. Das Folterverbot gehört zu den wenigen "notstandsfesten" Menschenrechtsnormen, die auch in Notstandssituationen ohne Abstriche oder Ausnahmen eingehalten werden müssen. Exemplarisch zitiert sei aus der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen, die in Artikel 2 klarstellt: "Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden."
Diese unbedingte Geltung des Folterverbots wird unterdessen zunehmend in Frage gestellt. Dies geschieht auch in demokratisch verfassten Gesellschaften wie Deutschland. Dass Plädoyers für eine Relativierung des Folterverbots in der deutschen Öffentlichkeit durchaus starke Resonanz finden können, hat die Diskussion um das Verhalten des damaligen Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, gezeigt, der im Herbst 2002 einem Kindesentführer Folter angedroht hatte, um ihm Informationen über das Versteck des (wie sich herausstellen sollte: damals bereits ermordeten) Kindes abzuzwingen. Politiker aus unterschiedlichen Parteien und einzelne hohe Repräsentanten der Justiz brachten nach Bekanntwerden dieses Vorfalls spontan Verständnis oder Zustimmung für das Vorgehen Daschners zum Ausdruck. Noch deutlichere Töne waren in zahlreichen Leserbriefen zu vernehmen, in denen nicht selten offene Bewunderung für die Haltung des Polizei-Vizepräsidenten anklang. Der Strafprozess gegen Daschner vor dem Frankfurter Landgericht endete im Dezember 2004 mit einem milden Urteil, nämlich einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, bekräftigte zugleich aber das absolute Folterverbot.
In der wissenschaftlichen, insbesondere der
rechtswissenschaftlichen Fachdiskussion stehen Überlegungen in
Richtung einer möglichen Zulassung von Folter zwar nach wie
vor für eine Minderheitsposition; immerhin sind sie aber schon
bis in die quasi-offizielle Kommentierung des Grundgesetzes
vorgedrungen.
Neu ist vor allem aber der
veränderte Ton der Debatte. Es sind keineswegs nur mehr die
notorischen Provokateure und selbsternannten "Tabubrecher", die
sich für den möglichen Einsatz von Folter aussprechen.
Vielmehr werden die einschlägigen Überlegungen
mittlerweile eher im Ton skeptischer Nachdenklichkeit vorgetragen.
Außerdem gehen sie mit dem Anspruch einher, im Prinzip
mehrheitsfähig zu sein oder gar einer bereits vorhandenen
"schweigenden Mehrheit" Stimme zu verleihen.
Das "ticking bomb"-Szenario
Im Hintergrund der aktuellen Debatte um das Verbot der Folter steht vor allem die Angst vor terroristischer Bedrohung, die mit den Anschlägen von Madrid und London auch unmittelbar europäischen Boden erreicht hat. Diejenigen, die für eine Lockerung des Folterverbots eintreten, berufen sich deshalb zumeist auf eine mittlerweile verschärfte sicherheitspolitische Lage. Dabei betonen sie, dass die Folter für äußerste Notfälle vorbehalten sein soll, in denen angesichts einer unmittelbaren Bedrohung andere Möglichkeiten für den Schutz menschlichen Lebens nicht zur Verfügung stünden.
Diese Position vertritt in der deutschen
rechtswissenschaftlichen Literatur seit mehreren Jahren Winfried
Brugger.
Sein Gedankengang setzt mit einer
hypothetischen Extremsituation ein: Eine von Terroristen platzierte
Bombe droht zahlreiche Menschen zu vernichten. Die Polizei wird
eines mutmaßlichen Terroristen habhaft, der über die
Informationen verfügt, die man braucht, um die Katastrophe
abzuwenden. Sonstige Möglichkeiten der Gefahrenabwehr - etwa
durch Erfüllung der Forderungen der Terroristen - bestehen
nicht. Brugger plädiert dafür, in einer solchen Situation
von Staats wegen Folter einzusetzen, um die eventuell
lebensrettenden Informationen aus dem mutmaßlichen
Terroristen herauszupressen.
Die Suggestivkraft dieses "ticking bomb"-Szenarios beruht darauf, dass sich offenbar viele Menschen in die Lage eines diensthabenden Polizeibeamten hineinversetzen können, der unter dem Druck der geschilderten Extremsituation Folter anordnen würde. Zu beachten ist allerdings, dass es Brugger nicht um die Bewertung individuellen menschlichen Verhaltens in möglichen Dilemma-Situationen, sondern um die Legitimität staatlichen Handelns in Notstandsfällen geht. Um für den Kampf mit terroristischen Verbrechern gerüstet zu sein, braucht der Staat nach Bruggers Überzeugung neue und erweiterte Eingriffsbefugnisse - bis hin zu der Option, in bestimmten Fällen Folter anwenden zu können. Die Möglichkeit des Einsatzes von Folter ist in Bruggers Argumentation somit von vornherein mehr als nur eine theoretische Denkmöglichkeit in einer vielleicht unabsehbaren existenziellen Extremsituation; sie wird - dies macht die politische Brisanz seiner Überlegungen aus - zu einer Handlungsoption, auf die der Staat sich aktiv vorbereiten solle.
Brugger weiß um die rechtspolitischen Risiken seiner
Forderung. Deshalb will er den Einsatz von Folter auf
Grenzfälle beschränken. Die Folter soll, wie er
versichert, eine Ausnahme bleiben. Im Kontext staatlichen Handelns
ist die für eine bestimmte Situation ausdrücklich
ermöglichte Ausnahme indessen von vornherein mehr als eine
bloße Ausnahme: Sie wird sofort zum Präzedenzfall, der
über die konkrete Situation hinaus auf andere, mehr oder
weniger ähnlich gelagerte Fälle verweist. Die Logik der
Argumentation mit Grenzsituationen führt zwangsläufig
dazu, die im Blick auf einen bestimmten vorstellbaren Grenzfall
eröffneten Sonderbefugnisse auf immer wieder neue - gleichsam
benachbarte - Grenzfälle auszuweiten. Aus dem einen Grenzfall
wird auf diese Weise schließlich ein ganzer Grenzbereich, in
dem Folter um der Gefahrenabwehr willen zulässig sein soll. In
der Sonderregelung für einen Ausnahmefall ist insofern
angelegt, dass eine Zone des Sonderrechts entsteht, in dem das
Folterverbot außer Kraft gesetzt ist. Bruggers Gedankengang
mündet denn auch nicht zufällig in das Plädoyer
für die "Spezifizierung und Herausnahme einer Fallgruppe, in
der das absolute Folterverbot zu widersinnigen und ungerechten
Ergebnissen (...) führen würde"
.
Die Grenzen dieser virtuellen Zone des Sonderrechts lassen sich
nicht präzise bestimmen. Es spricht indes alles für die
Vermutung, dass es sich, sarkastisch formuliert, um eine
"Wachstumszone" handeln würde, in der sich die Trennlinie
zwischen Erlaubtem und (noch) Nicht-Erlaubtem unter dem Postulat
der Gefahrenabwehr immer wieder verschieben dürfte. Dies gilt
nicht nur im Blick auf mögliche Fallkonstellationen, sondern
auch im Blick auf die Intensität der Foltermaßnahmen
(die in den von Brugger und anderen entworfenen Szenarien
erstaunlicherweise nirgends näher diskutiert wird). Wenn der
abstrakte Primat staatlicher Gefahrenabwehr die mit dem
Folterverbot gezogene Grenzlinie erst einmal aufgelöst hat,
gibt es buchstäblich kein Halten mehr. Denn warum sollte man
das Argument, mit dem Maßnahmen wie massiver Schlaf- und
Nahrungsentzug begründet werden, nicht auch für den
Einsatz von Elektroschocks heranziehen können? Und warum
sollte die Begründung, die man für das Einschüchtern
potenzieller Terroristen durch Hunde gefunden hat, nicht auch
für die Auslösung von Ertrinkenspanik durch Untertauchen
des Kopfes unter Wasser gelten?
Die Vorstellung, Folter erlauben und zugleich in rechtsstaatlichen Schranken halten zu können, ist in sich widersprüchlich. Sie muss schon daran scheitern, dass der abstrakte Primat der Gefahrenabwehr, unter dem man einem potenziellen Terroristen die Daumenschrauben ansetzt, im Falle von Aussageverweigerung dazu treiben wird, die Schraube immer weiter zu drehen. Jenseits des Folterverbots gibt es keine plausible Grenzlinie mehr, die dem Druck einer einseitigen Politik der Gefahrenabwehr standhalten könnte.
Die Kategorie des "Feindstrafrechts"
Während sich Brugger für die rechtsstaatlich
kontrollierte Zulassung von Folter einsetzt (was einen Widerspruch
in sich bedeutet), hat der Bonner Strafrechtsprofessor Günther
Jakobs eine Kategorie in die Debatte eingeführt, mit der ganz
offen Zonen der Rechtlosigkeit geschaffen werden. Jakobs
unterscheidet zwischen Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht.
Während im Rahmen des
Bürgerstrafrechts auch Täterinnen und Täter
beziehungsweise Beschuldigte prinzipiell als Mitglied der
Rechtsgemeinschaft geachtet werden, ist die Achtung der Menschen
als Rechtspersonen im "Feindstrafrecht" für eine bestimmte
Gruppe von Menschen außer Kraft gesetzt. Das Feindstrafrecht
soll nach Jakobs dann zur Anwendung kommen, wenn Menschen sich
derart fundamental gegen die Rechtsordnung stellen, dass mit ihnen
keine rechtliche Gemeinschaft möglich sei.
Die Kategorie des "Feindstrafrechts" entspricht der Sache nach
dem Begriff des "unlawful enemy combatant", den die
US-Administration für die Internierten in Guantanamo Bay
geprägt hat, um ihnen sowohl den völkerrechtlichen Status
von Kriegsgefangenen abzusprechen als auch den Schutz des
Strafrechts beziehungsweise des Strafprozessrechts vorzuenthalten.
Tatsächlich macht sich Jakobs dafür stark, Terroristen
und andere fundamentale Staatsgegner nicht mit Mitteln des
Strafrechts zu bekämpfen, weil dadurch "dem Staat eine Bindung
auferlegt wird - eben die Notwendigkeit, den Täter als Person
zu respektieren -, die gegenüber einem Terroristen, der die
Erwartung generell personalen Verhaltens gerade nicht rechtfertigt,
schlechthin unangemessen ist" .
Die rechtliche Anerkennung als Person, die im
Bürgerstrafrecht auch dem mutmaßlichen oder verurteilten
Straftäter zuerkannt wird, gilt nach Jakobs im Falle des
Feindstrafrechts gerade nicht. Mehr noch: Dem vermeintlichen Feind
die Qualität einer Rechtsperson abzusprechen, sei für den
Staat in der Krise nicht nur erlaubt, sondern zugunsten eines von
Jakobs unterstellten vorrangigen Bürgerrechts auf Sicherheit
sogar geboten. "Wer keine hinreichende Sicherheit personalen
Verhaltens leistet, kann nicht nur nicht erwarten, noch als Person
behandelt zu werden, sondern der Staat darf ihn auch nicht mehr als
Person behandeln, weil er ansonsten das Recht auf Sicherheit der
anderen Personen verletzen würde."
Wenn der Staat nach Jakobs gegenüber dem "Feind" keinerlei rechtliche Bindungen beachten muss, verliert konsequenterweise auch das Folterverbot seinen rechtlichen Status. Die Tatsache, dass Jakobs sich nicht näher zum Thema Folter äußert, ist insofern alles andere als beruhigend. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Folter für Jakobs - jedenfalls bei der Anwendung des Feindstrafrechts - von vornherein überhaupt kein rechtliches Problem mehr darstellt. Die Art und Weise, wie der Staat mit inhaftierten mutmaßlichen Terroristen umzugehen hat, wird damit zur Sache freien Ermessens. Es mag nach Jakobs pragmatische Gründe dafür geben, auf Folter zu verzichten - zum Beispiel, um den "Feind" nicht unnötig zu reizen. Ein rechtliches Verbot der Folter hat im Rahmen des Feindstrafrechts hingegen keinen Ort mehr.
In der Zone der Rechtlosigkeit, die durch das Feindstrafrecht geschaffen wird, ist der Einsatz von Folter keine Ausnahme mehr, sondern - systematisch gesehen - eine jederzeit verfügbare Option, über die man gar nicht mehr reden muss. Dies deckt sich mit der Praxis vieler Staaten, in denen Folter typischerweise nicht förmlich geregelt wird (wie Brugger dies für Grenzfälle postuliert), sondern in staatlich geschaffenen Zonen der Rechtlosigkeit unausgesprochene Billigung erfährt.
Jakobs geht offenbar davon aus, dass das Feindstrafrecht nur gegenüber Terroristen und anderen Totalgegnern des Staates zur Anwendung kommt. Es stellt sich die Frage, woher er diese Gewissheit nimmt. Woher weiß der Staat, wer seine "Feinde" sind? Wie lässt sich verhindern, dass gewöhnliche Kriminelle oder unschuldige Menschen versehentlich in die Mühlen des Feindstrafrechts geraten? Wer entscheidet nach welchen Kriterien, wann das Bürgerstrafrecht und wann das Feindstrafrecht gelten soll? Die Brisanz dieser Fragen besteht nicht zuletzt darin, dass im Feindstrafrecht konsequenterweise auch das Prinzip der Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt ist. Wenn der Staat aber jedem Menschen, den er für seinen "Feind" hält, die Unschuldsvermutung vorenthalten kann, dann verliert die Unschuldsvermutung generell ihre Geltung. Dasselbe gilt auch für die anderen Grundrechte, die zum Gegenstand sicherheitspolitischer Ermessensentscheidungen werden. Niemand kann sich folglich mehr sicher sein, dass der Staat ihn als Person achtet und ihm gegenüber rechtsstaatliche Prinzipien einhält. Mit anderen Worten: Die Rechtlosigkeit, die zunächst nur die "Feinde" treffen soll, bleibt kein Bereich an der Grenze des Staates, sondern durchzieht zwangsläufig das Ganze des Staates, der damit in seiner normativen Grundstruktur verändert wird.
Folter und Menschenwürde
Es gibt pragmatische Gründe dafür, am absoluten Folterverbot festzuhalten, weil sonst ein Dammbruch droht, der den Rechtsstaat als Ganzes beschädigen würde. Das pragmatische Dammbruch-Argument allein ist aber noch nicht tragfähig. Die Überlegung, dass sich jenseits des Folterverbots keine plausibel begründbaren Grenzziehungen formulieren lassen, verweist vielmehr auf das eigentlich tragende prinzipielle Argument, nämlich die Achtung der Menschenwürde als die Grundlage von Moral und Recht.
Die Missachtung der Menschenwürde, die bei jeder schweren
Menschenrechtsverletzung stattfindet, ist im Falle der Folter
besonders gravierend, zielt die Folter doch darauf ab, den Willen
eines Menschen zu brechen und damit seine Subjektqualität
unmittelbar zu negieren. Wie sonst vielleicht nur im Falle der
Versklavung wird der Mensch in der Folter restlos verdinglicht, das
heißt zur willkürlich benutzbaren Sache
herabgewürdigt. Die Folter verfolgt das Ziel, den Willen des
Betroffenen zu brechen und ihn - auf ein hilfloses Bündel von
Schmerz, Angst und Scham reduziert - als Mittel zur
Informationsgewinnung, Einschüchterung oder Demoralisierung zu
missbrauchen. Gleichzeitig bleibt das Bewusstsein des Menschen
erhalten: Er erlebt die eigene Totalverdinglichung und soll genau
daran zerbrechen.
Kants Formulierung des kategorischen Imperativs, nämlich
die unbedingte Forderung, so zu handeln, "dass du die Menschheit
sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen
jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel
brauchst",
wird in der Folter somit ins
Gegenteil verkehrt: Die Funktionalisierung des Menschen zum
bloßen Mittel ist vollständig, und sein Anspruch auf
Achtung als Selbstzweck wird restlos negiert. Mit der Negierung der
Würde des Gefolterten verstoßen die Folterer zugleich
gegen ihre eigene Menschenwürde.
Und ein Staat, der Folter anordnet,
Foltertechniken entwickelt und Folterspezialisten ausbildet,
negiert nicht nur die Würde der Opfer, sondern gibt damit den
Anspruch auf Achtung der Menschenwürde im Ganzen preis.
Die Menschenwürde aber ist das Fundament aller moralischen und rechtlichen Verbindlichkeiten. Ohne Achtung der Würde - der eigenen Würde und der Menschenwürde der anderen - können normative Verbindlichkeiten zwischen Menschen weder entstehen noch aufrechterhalten werden. Die Achtung der Menschenwürde ist deshalb nicht nur eine Norm neben anderen Normen; vielmehr bildet sie die Grundlage moralischer und rechtlicher Normen überhaupt und damit zugleich die Basis des Rechtsstaats. Die Vorstellung, dass es jenseits des Folterverbots moralische oder rechtliche Kriterien geben könnte, mit denen man die Folter einerseits erlauben und andererseits zugleich in Grenzen halten könnte, ist daher absurd. Der Schritt zur Folter führt so gesehen nicht nur zu einem Dammbruch; es ist der Schritt in ein rechtsstaatliches Niemandsland, in dem keine Möglichkeit mehr besteht, überhaupt noch wirksame Dämme gegen staatliche Willkür zu errichten.
Dies gilt selbst im Blick auf eine hypothetische
Fallkonstellation, bei der staatlich eingesetzte Folter die einzige
Chance bieten würde, um die Folter durch Dritte - etwa die
drohende Folter einer durch Terroristen entführten Geisel - zu
verhindern. Nicht einmal die Schutzpflicht des Staates zugunsten
der von Dritten bedrohten Menschenwürde erlaubt
Maßnahmen, durch die der Staat die Achtung der
Menschenwürde aufkündigen würde.
Ein Rechtsstaat kann sich nicht
aufeinen Wettlauf der Barbarei einlassen. Sowenig er auf
Geiselnahme antworten darf, indem er seinerseits Menschen (etwa
Verwandte oder mutmaßliche Sympathisanten der Terroristen) in
Geiselhaft nimmt, sowenig darf er terroristischen Folterpraktiken
eigene Folter oder Folterdrohung entgegensetzen. Wer in dieser
Selbstbindung des Staates eine Schwäche (oder gar eine
strukturelle Unterlegenheit des Staates gegenüber "zu allem
bereiten" Terrorgruppen) sieht, hat nicht verstanden, was
Rechtsstaatlichkeit bedeutet und worin die Stärke des
Rechtsstaats besteht. In diesem Sinne betont Ernst Benda: "Dass so
der staatlichen Gefahrenabwehr und erst recht präventiven
Maßnahmen gegen befürchtete, aber noch nicht
eingeleitete terroristische Angriffe klare Grenzen gesetzt sind,
könnte nur der beklagen, dem um eines legitimen Ziels willen
jedes Mittel recht ist. Es ist die Aufgabe des
Rechtsstaatsprinzips, dieser Irrmeinung entgegenzutreten."
Das Folterverbot ergibt sich aus der inneren Logik des Rechtsstaats. Ein Rechtsstaat kann sich deshalb unter keinen Umständen darauf einlassen, den Einsatz von Folter zu erlauben. Allenfalls denkbar ist, dass der Staat zum Beispiel gegenüber einem Polizeibeamten, der in einer tatsächlich eingetretenen, ausweglosen Konfliktsituation zu Mitteln der Folter gegriffen hat, rückblickend auf Strafe verzichtet. Aber auch hier ist Vorsicht angezeigt. Es darf nicht dazu kommen, dass durch einen voreiligen Strafverzicht der Eindruck erweckt wird, der Staat würde den Einsatz von Folter stillschweigend doch billigen oder gar ermutigen (wie dies in vielen Staaten der Welt der Fall ist). Wer Folter anwendet oder ihren Einsatz befiehlt, muss deshalb wissen, dass er dafür in jedem Fall vor Gericht gestellt wird; dies schreibt auch die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen bindend vor. Nur ein öffentlicher Strafprozess kann die Frage klären, ob tatsächlich eine tragische Dilemma-Situation vorgelegen hat, in der die Anwendung von Folter zwar nicht gerechtfertigt wäre (dies ist prinzipiell unmöglich), vielleicht aber im konkreten Fall straffrei bleiben kann.
Bei Fragen, in denen die Menschenwürde auf dem Spiel steht, sind für einen Rechtsstaat Klarheit und Konsequenz geboten. Der Staat darf es nicht dazu kommen lassen, dass ein in der Theorie aufrechterhaltenes Folterverbot praktisch ins Leere läuft, weil den Sicherheitsorganen für den Fall der Fälle indirekt Straffreiheit signalisiert wird. Er darf es nicht zulassen, dass das Folterverbot durch sophistische Sprachregelungen unterminiert wird, die dazu dienen, die Grenzlinie zu verschieben oder zu verwischen. Schließlich kann es sich der Rechtsstaat auch nicht leisten, dass unter Berufung auf mögliche oder tatsächliche Notlagen eine Grauzone entsteht, in der das Folterverbot nicht mehr unbedingt gilt. Die Ächtung der Folter muss unzweideutig sein.
In einem Rechtsstaat steht auch die Sicherheitspolitik stets im
Dienst der Menschenrechte. Damit sind staatlichem Handeln Grenzen
gesetzt, deren strikte Beachtung zugleich aber auch die
Legitimität des Staates stärkt. Deshalb wäre es
falsch, Sicherheit und Menschenrechte abstrakt gegeneinander
auszuspielen.
Nur wenn der Rechtsstaat im Kampf
gegen mutmaßliche "Feinde der Freiheit" konsequent seinen
eigenen menschenrechtlichen Normen und Prinzipien treu bleibt,
wahrt er seine Glaubwürdigkeit, die wiederum die Voraussetzung
dafür bildet, dass der Staat das Vertrauen der Menschen
gewinnen kann. Dieses Vertrauen aber erweist sich auf lange Sicht
als die wichtigste Stütze im Kampf gegen den Terrorismus.