Einleitung
Rückkehr der Folter" lautet der Titel eines kürzlich
erschienenen Buches,
der nachdenklich stimmt: Folter ist
in weiten Teilen der Welt eine grausame Realität.
Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international leisten seit
langem Aufklärungsarbeit und prangern Folterpraktiken an. So
betrachtet, kehrt Folter nicht zurück: Folter ist da, brutal
und anscheinend unauslöschlich. Was also ist gemeint, wenn von
der Rückkehr der Folter gesprochen wird? Offensichtlich
zweierlei: zum einen die in Deutschland durch den Fall Daschner
wieder entflammte Debatte über die Billigung oder gar
Legalisierung von Folter zur Rettung von Leben;
zum anderen die mit
Erschütterung wahrgenommenen Bilder gefolterter und
entwürdigter Gefangener in den Internierungscamps von
Guantánamo und Abu Ghraib.
Das entsetzt. Folter scheint auch
in der westlichen Welt, in der sie für abgeschafft gehalten
wurde, kein Tabu mehr zu sein.
Diesem erschreckenden Befund steht ein mit Absolutheitsrang
ausgestattetes Verbot der Folter im Völkerrecht entgegen.
Bereits die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte von 1948 bestimmt in ihrem Art.
5: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden."
Grundlegende menschenrechtliche Verträge wie der
Internationale Pakt über bürgerliche und politische
Rechte (IPbpR) von 1966 und die Europäische Konvention zum
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) von 1950
greifen dieses Verbot auf
und erklären es für "notstandsfest",
d.h. unabdingbar.
Dasselbe gilt
für später entstandene Spezialkonventionen wie das im
Rahmen der Vereinten Nationen erarbeitete Übereinkommen gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe (Anti-Folter-Übereinkommen, CAT) von
1984 und die Europäische Konvention zur Verhütung von
Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe (ECPT) von 1987. Diese sowie eine Reihe weiterer Abkommen
konkretisieren das Folterverbot und sehen spezielle
"Ausschüsse" und Verfahren zu seiner Überwachung vor.
Auch im
Völkerstrafrecht hat das Folterverbot mittlerweile seinen
festen Platz. Die Statute der beiden vom UN-Sicherheitsrat
eingesetzten Ad-hoc-Strafrechtstribunale und des Internationalen
Strafgerichtshofs enthalten den Straftatbestand der Folter.
Ob dieser auch gewohnheitsrechtlich
gilt, ist umstritten,
im Unterschied zur
gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Folterverbots. Dieses wird
sogar dem Bereich des ius cogens zugerechnet, also dem "zwingenden
Völkerrecht", von dem vertraglich nicht abgewichen werden
darf.
Begriff der Folter
Von der Verankerung eines absoluten Folterverbots im
Völkerrecht ist die Frage zu unterscheiden, was eine Handlung
zu Folter im Sinne des Völkerrechts macht. Nicht jede
erniedrigende und unmenschliche Behandlung stellt bereits Folter
dar. Dies ergibt sich schon aus dem Titel des
Anti-Folter-Übereinkommens.
Die Frage ist von großer
aktueller Bedeutung. So wird versucht, die Vorkommnisse in
Guantánamo und Abu Ghraib als legitime Verhörtechniken
zu rechtfertigen und von Folter zu unterscheiden - unbeschadet
etwaiger strafrechtlich zu ahndender sadistischer Verfehlungen
einzelner Personen.
Was Folter ist, definieren die verschiedenen
völkerrechtlichen Abkommen. Im Vergleich zum nationalen Recht,
das die Folter nicht eigenständig für strafbar
erklärt,
zeichnen sich diese auf den ersten
Blick durch große Klarheit aus. So beschreibt Art. 1 CAT
Folter als "jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich
große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden
zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten
eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für
eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem
Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten
einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen,
auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn
diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des
öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher
Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit
deren ausdrücklichem oder stillschweigendem
Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht
Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich
zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit
verbunden sind."
Erforderlich sind also zunächst einmal "große
körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden", die sich
zudem nicht aus "gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben,
dazu gehören oder damit verbunden sind". Was die zuletzt
genannte Einschränkung betrifft, so kann diese offensichtlich
nicht so verstanden werden, dass sie den innerstaatlichen
Gesetzgeber zur Legalisierung von Folterhandlungen ermächtigt.
Nur was völkerrechtlich erlaubt ist, darf durch den
innerstaatlichen Gesetzgeber auch als "zulässige Sanktion"
(insbesondere im Strafvollzug) vorgesehen werden. Was aber sind "große körperliche
oder seelische Schmerzen oder Leiden"? Erst erhebliche Verletzungen
oder auch schon die Verabreichung von Elektroschocks,
Scheinertränkungen, vorgetäuschte Hinrichtungen,
tagelanges Aufrechtstehen mit verbundenen Augen, usw.? Die
internationale Spruchpraxis - sowohl der Vertragsorgane der oben
genannten Konventionen als auch des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte (EGMR) - sehen derartige Handlungen als vom
Folterbegriff erfasst an. "Torture light", welche der Sache nach
vom Leiter des Office of Legal Affairs des US-amerikanischen
Justizministeriums für legal erklärt wurde,
lässt das Völkerrecht
nicht zu.
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist ferner die Frage, ob
auch schon die Androhung von Folterhandlungen als Folter oder
zumindest "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" anzusehen
ist. Die Frage stellt sich mit Blick auf den eingangs
erwähnten Daschner-Fall.
Grundsätzlich wird man die
Frage bejahen müssen, jedenfalls dann, wenn beim Opfer der
Eindruck erzeugt wird, die Missachtung der Drohung ziehe
unmittelbar die Folterung nach sich. Eine andere Meinung stellt
darauf ab, ob der durch die Folterandrohung bewirkte "seelische
Schmerz" und die damit verbundene Beeinträchtigung der
Willensentschließungsfreiheit ebenso stark sind wie bei der
Durchführung der Folter selbst.
Die entsprechenden Feststellungen
sind offensichtlich nicht leicht zu treffen. Auch dafür steht
der Fall Daschner.
Schließlich muss, um von Folter im Sinne der
völkerrechtlichen Verbotsnorm sprechen zu können, die
Folterhandlung staatlichen Stellen zugerechnet werden können.
Dieser Zusammenhang kommt insbesondere in Art. 1 CAT in mehrfacher
Weise zum Ausdruck. So muss die Handlung "von einem
Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen
in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung
oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem
Einverständnis verursacht werden" und ein bestimmtes Ziel
verfolgen, zum Beispiel, um vom Folteropfer oder einem Dritten
"eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen". Das deckt sich mit
der sozialwissenschaftlichen Beschreibung der Folter als eines
"Gehorsamsdelikts" (crime of obedience).
Im Unterschied zu Tätern
gewöhnlicher Verbrechen handelt der Folterer nicht gegen den
Willen und die Anweisungen staatlicher Stellen, sondern im Einklang
mit ihnen, sei es aufgrund ausdrücklicher Anordnung der
Folterhandlungen oder zumindest der Billigung oder Duldung der
Folter durch die zuständigen staatlichen Stellen. Wieder
können die erforderlichen Feststellungen große
Schwierigkeiten bereiten. Das ist insbesondere der Fall, wenn die
Folterhandlungen durch Private vorgenommen werden. Richtigerweise
wird man auch die systematische Duldung von "privat" vorgenommener
Folter durch staatliche Stellen als Verletzung des
völkerrechtlichen Folterverbots ansehen können.
Der völkerrechtliche Straftatbestand der
Folter mag hier enger sein.
Umsetzung des Folterverbots
Das grundsätzliche Verbot der Folter bedarf, soll es nicht zahnlos bleiben, der Durch- und Umsetzung. Ihr dienen eine Reihe völkerrechtlicher Sekundärnormen, die das Folterverbot ausgestalten und die so unterschiedliche Bereiche wie das Straf- und Strafanwendungsrecht, das Ausländerrecht oder das Prozessrecht betreffen.
Pflicht des Heimatstaates zur Ahndung der Folter
Folter kann nur effektiv bekämpft werden, wenn die Staaten
gegen sie vorgehen. Diese Bekämpfung ist vor allem eine
Aufgabe des direkt betroffenen Staates - d.h. des Staates, auf
dessen Gebiet bzw. durch dessen Staatsangehörige die
Folterhandlungen vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund
überrascht es nicht, dass das Anti-Folter-Übereinkommen
Staaten zur Ahndung der Folter verpflichtet. In erster Linie
verlangt es, dass jeder Staat nach seinem nationalen Recht
Folterhandlungen unter Strafe zu stellen und die Wiedergutmachung
von Schäden vorzusehen hat. Derartige gesetzliche Regelungen bedürfen
natürlich der Umsetzung. Um diese sicherzustellen, sind alle
Staaten verpflichtet, gegen Folter strafrechtlich vorzugehen, die
sich auf ihrem Staatsgebiet zuträgt oder - im Ausland - durch
ihre Staatsangehörigen verübt wird.
Im Ergebnis verpflichtet das
Anti-Folter-Übereinkommen den direkt betroffenen Staat somit
zur Bestrafung von Folterern. In dieselbe Richtung weist die aus
allgemeinen Menschenrechtsverträgen abgeleitete Pflicht zur
Ahndung schwerer Menschenrechtsverstöße, die zumindest
Fälle systematischer Folter erfasst.
Sanktionsrechte anderer Staaten
Würden die direkt betroffenen Staaten Folter wirksam ahnden, wäre viel erreicht. Oft jedoch sind sie dazu entweder nicht bereit oder nicht in der Lage. Daher ist es wichtig zu betonen, dass das Völkerrecht auch andere Staaten zur Sanktionierung von Folterhandlungen ermächtigt.
Verfahren vor Gerichten fremder Staaten: Besondere Bedeutung
haben Verfahren vor Gerichten fremder Staaten, d.h. Staaten, die
weder einen örtlichen noch personellen Bezug zu den begangenen
Folterhandlungen aufweisen. In jüngerer Zeit sind derartige
Verfahren - etwa gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto
Pinochet oder den früheren Präsidenten des Tschad
Hissène Habré
- als
(öffentlichkeits-)wirksames Mittel der Durchsetzung des
Völkerrechts erkannt worden. Erfolg versprechen sie allerdings
nur unter zwei Voraussetzungen:
Die Gerichte des betreffenden Staates müssen zunächst
für Klagen wegen im Ausland begangener Folterhandlungen
überhaupt zuständig sein. Ob dies der Fall ist,
hängt vom jeweiligen nationalen Recht ab. Das Völkerrecht
steht einer solchen Jurisdiktionsausübung über Fälle
der so genannten "Auslandsfolter" aber jedenfalls nicht entgegen.
Vielmehr betont das Anti-Folter-Übereinkommen (wenn auch nicht
mit der wünschbaren Klarheit), dass alle Staaten Anklage gegen
Personen erheben dürfen, die der Folter verdächtig sind
und sich auf ihrem Staatsgebiet aufhalten.
Sofern direkt betroffene Staaten
den Verdächtigen nicht selbst anklagen, ist eine Anklage vor
fremden Gerichten zulässig. Das hierin zum Ausdruck kommende
Weltrechtsprinzip gilt nicht nur nach dem
Anti-Folter-Übereinkommen, sondern erfasst auch alle Formen
von Verstößen gegen ius cogens-Normen.
Das Recht fremder Staaten zur gerichtlichen Verfolgung ausländischer Folterhandlungen ist allerdings durch die Regeln über die völkerrechtliche Immunität beschränkt. Diese beruhen auf dem Grundsatz, dass ein Staat nicht über das Verhalten eines anderen Staates bzw. seiner Organe zu Gericht sitzen darf - par in parem non habet imperium. Aber nicht jedes staatliche Verhalten genießt den Schutz der Immunität; spätestens seit In-Kraft-Treten des Anti-Folter-Übereinkommens werden Immunitätsausnahmen diskutiert. Viele Fragen sind dabei bis heute nicht abschließend geklärt. Jedoch lassen sich die folgenden Kernaussagen treffen:
- Amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und
Außenminister genießen sehr weitgehende, so genannte
"persönliche Immunität". Selbst wegen schwerster
Menschenrechtsverletzungen wie etwa Folter dürfen sie daher
nicht vor Gerichten ausländischer Staaten belangt werden.
- Ehemalige Würdenträger wie auch sonstige
Staatsorgane genießen eine eingeschränkte Form der so
genannten "funktionellen Immunität" . Deren Reichweite
ist umstritten, jedoch wird man extreme Menschenrechtsverletzungen
(wie etwa Folter) mittlerweile von ihr ausnehmen müssen.
Für den Fall strafrechtlicher Anklagen wegen Folter folgt die
Einschränkung bereits aus dem Anti-Folter-Übereinkommen.
Denn dessen Regelungen über die Ahndung der Folter gingen
weitgehend ins Leere, könnte sich jedes Staatsorgan auf
Immunität berufen.
Diese besondere Begründung
greift jedoch nur bei strafrechtlichen Anklagen ein, erfasst
dagegen wohl nicht zivilrechtliche Schadensersatzklagen gegen
fremde Staatsorgane oder ehemalige Würdenträger.
Im Übrigen ist festzuhalten,
dass das Völkerrecht es den Staaten jedenfalls nicht verwehrt,
die Immunität fremder Staatsorgane bei schweren
Menschenrechtsverletzungen einzuschränken. Auch wenn keine
völkerrechtliche Pflicht existiert, den Immunitätsschutz
zu verweigern, haben Staaten somit zumindest einen erheblichen
Handlungsspielraum.
- Schließlich genießen auch Staaten selbst vor
ausländischen Gerichten Immunität. Die Reichweite dieser
Staatenimmunität entspricht im Ergebnis weitgehend der soeben
erwähnten funktionellen Immunität.
Jedoch ist zu bedenken, dass gegen
Staaten selbst keine strafrechtlichen Anklagen erhoben werden
können. Daher folgt aus dem Anti-Folter-Übereinkommen
kein eindeutiges Argument für einen Ausschluss der
Immunität.
Insgesamt verhindert das Immunitätsrecht daher weiterhin eine umfassende Ahndung der Folter durch ausländische Gerichte. Man mag dies bedauern, darf dabei aber nicht übersehen, dass die Grundsätze der Immunität selbst der Sicherung der Kooperation zwischen den Staaten dienen. Die Erkenntnis, dass Staaten und Staatsorgane, die für Folter verantwortlich sind, unter Umständen ihr Recht auf Kooperation verwirken, muss in der Staatenwelt noch wachsen. Schon jetzt lässt jedoch das Völkerrecht Einschränkungen der Immunität aber immerhin zu.
Sonstige Sanktionen: Staaten können Fälle der "Auslandsfolter" nicht nur durch Verfahren vor ihren eigenen Gerichten ahnden. Daneben existieren verschiedene andere Formen der Sanktion.
Möglich ist etwa zum einen die Einleitung offizieller
zwischenstaatlicher Klage- oder Beschwerdeverfahren. Erwähnung
verdient hier das Staatenbeschwerde-Verfahren gegen den Folterstaat
nach Art. 21 des Anti-Folter-Übereinkommens; denkbar ist
daneben auch eine Klage vor internationalen Gerichten wie etwa dem
Internationalen Gerichtshof in DenHaag. Beide Mechanismen sind
relativ stumpf, da sie nur gegenüber Staaten in Betracht
kommen, welche die Zuständigkeit der jeweiligen Gremien
anerkannt haben. Dies ist zwar häufiger der Fall, als
gemeinhin angenommen wird;
jedoch scheuen Staaten
typischerweise die offene Konfrontation eines zwischenstaatlichen
Verfahrens.
Wirksamer scheinen demgegenüber politische oder
Wirtschaftssanktionen gegenüber einem Folterstaat. In der
völkerrechtlichen Terminologie handelt es sich um Repressalien
bzw. Gegenmaßnahmen. Diese sind zur Durchsetzung der
Menschenrechte durchaus zulässig.
Ihre Zulässigkeit folgt nicht
aus speziellen Regelungen über das Folterverbot, sondern aus
dem allgemeinen Völkerrecht. Zumindest bei
Verstößen gegen hochrangige Gemeinschaftsgüter - zu
denen das Folterverbot zählt - lässt dieses Repressalien
anderer Staaten im Interesse der internationalen Gemeinschaft
zu.
Abschiebungsverbot bei drohender Folter
Das völkerrechtliche Regime wäre unvollständig,
würde es nur Regeln gegen bereits durchgeführte
Folterhandlungen enthalten. Die bisher beschriebenen Regelungen
werden ergänzt durch ein Verbot der Abschiebung bei drohender
Folter. Dieses Verbot greift in das nationale Ausländerrecht
ein, dem die Regelungen über die Abschiebung typischerweise
zugeordnet sind.
Systematisch betrachtet, dient es
der präventiven Absicherung der Regelungen gegen die Folter.
Es dehnt die Reichweite des Verbots in zeitlicher Hinsicht aus und
erstreckt es auf Staaten, die selbst keine Folterhandlungen
vornehmen. Seine Grundlage findet das Abschiebungsverbot im
internationalen Menschen- und Flüchtlingsrecht. Sehr klar ist
es etwa in Art. 3 des Anti-Folter-Übereinkommens formuliert,
der bestimmt: "Ein Vertragsstaat darf eine Person nicht in einen
anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn
stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie
dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden."
Umstritten ist dagegen die Reichweite des Abschiebungsverbotes.
Für die Europäische Menschenrechtskonvention hat der EGMR
entschieden, dass die Abschiebung nicht nur in Staaten, die selber
Folter praktizieren, unterbleiben müsse. Vielmehr verbiete die
EMRK die Abschiebung auch dann, wenn die Behörden des
Zielstaates keinen ausreichenden Schutz gegen Folterhandlungen
nicht-staatlicher Stellen böten.
Diese Rechtsprechung führt weg
von der restriktiven Fassung des - traditionell nur staatliches
Verhalten erfassenden - Folterverbots und orientiert sich zu Recht
an der tatsächlichen Bedrohung des potenziellen Opfers. Sie
verdeutlicht zugleich die eigenständige Bedeutung des
Abschiebungsverbots, das die Abschiebung auch bei anderen drohenden
Menschenrechtsverletzungen verbietet.
Verbot der Verwertung von Folteraussagen
Schließlich erlangt eine letzte Dimension des
völkerrechtlichen Anti-Folter-Regimes zunehmend Bedeutung: das
Verbot der gerichtlichen Verwertung von Aussagen, die durch Folter
erlangt wurden.
Diese Regelung ist von einem
Bemühen um Schadensbegrenzung inspiriert; sie soll verhindern,
dass ein Staat sich die Ergebnisse von Folterhandlungen im Rahmen
späterer Gerichtsverfahren nutzbar macht. Die Notwendigkeit
eines solchen Verwertungsverbots wird kaum ernsthaft bestritten -
in der Tat wäre es mit fundamentalen Rechtstaatspostulaten
unvereinbar, "erfolterte" Geständnisse zur Grundlage
gerichtlicher Verurteilungen des Folteropfers zu machen.
Ausdrücklich ausgeschlossen wird eine solche Verwertung denn
auch durch Art. 15 CAT, der Staaten verpflichtet, dafür Sorge
zutragen, dass "Aussagen, die nachweislich durch Folter
herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren
verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte
Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde". Bei
aller Einigkeit im Grundsatz ist jedoch die Reichweite des
Verwertungsverbots sehr umstritten. Dieser Streit betrifft Art und
Ort der Verfahren, in denen Folteraussagen verwertet werden sollen.
Dabei ist wie folgt zu unterscheiden:
Unumstritten ist zunächst, dass Folteraussagen nicht in Verfahren gegen das Folteropfer selbst verwendet werden dürfen, da eine solche Verwertung gegen das fundamentale Verbot der Selbstbelastung - den so genannten nemo tenetur-Grundsatz - verstieße. Dieses Verbot gilt für Verfahren sowohl vor Gerichten des Folterstaates als auch vor Gerichten anderer Staaten, denn Art. 15 spricht bewusst von "durch Folter herbeigeführt(en)" Aussagen, ohne die Identität des Folterers zu spezifizieren. Um es an einem Beispiel zu illustrieren: Deutsche Gerichte dürften einen ausländischen Angeklagten nicht auf der Basis eines Geständnisses verurteilen, das dieser unter Folter gegenüber ausländischen Geheimagenten abgegeben hat.
Problematischer ist die Verwertung von Folteraussagen in Verfahren nicht gegen das Folteropfer, sondern gegen Dritte. So mag ein Inhaftierter unter Folter den Namen eines Mittäters preisgegeben haben, der nun wegen der Tat angeklagt worden ist. Auch eine derartige Verwertung schließt das Völkerrecht jedoch aus. Art. 15 CAT ist auch insofern bewusst weit formuliert: Ausgeschlossen ist die Verwertung "in einem Verfahren", was nicht mit "einem Verfahren gegen den Betroffenen" gleichgesetzt werden darf. Zudem zeigt der letzte Halbsatz des Art. 15 CAT ("es sei denn ..."), dass das Verbot grundsätzlich auch in Verfahren gegen einen Folterer, also ein Nicht-Opfer, eingreift. Nach allgemeinen Menschenrechtsverträgen kommt man zum gleichen Ergebnis, da erfolterte Geständnisse unzuverlässige Beweismittel sind und Verdächtige unter Druck dazu neigen, andere fälschlich zu belasten. Wiederum gilt dieses Verbot unabhängig vom Ort des Verfahrens, also sowohl vor Gerichten des Folterstaats als auch vor Gerichten anderer Staaten.
Insgesamt verbietet das Völkerrecht damit die gerichtliche Verwertung erfolterter Aussagen in umfassender Weise. Dieses Verbot ergänzt die Regelungen über Ahndungspflichten, Sanktionsrechte und Abschiebungsverbote und verdeutlicht den Querschnittscharakter des völkerrechtlichen Anti-Folter-Regimes.
Aufweichung des Folterverbots im "Ausnahmefall"?
Eine gefährliche Aufweichung droht dem Folterverbot
gegenwärtig unter Berufung auf die Erfordernisse "nationaler
Sicherheit", insbesondere im Zuge des "war on terror".
Guantánamo und Abu Ghraib, aber auch manche
Verhörpraktiken des israelischen Geheimdienstes, stehen
für diese äußerst gefährliche Entwicklung.
Neben
verschiedenen Rechtfertigungsmustern einer "torture light" lassen
sich insbesondere das Argument der "Verteidigungsfolter" sowie der
Versuch der schlichten Unterlaufung des Folterverbots durch die
"Verbringung" von Personen zum Zwecke "extraterritorialer" Folter
nennen, in letzterem Zusammenhang auch die Verweigerung
gerichtlichen Rechtsschutzes.
Allen diesen Praktiken ist unter dem Völkerrecht eine
Absage zu erteilen. Für die "torture light" ist das schon oben
festgestellt worden. Aber auch eine "Verteidigungsfolter" sowie
"torture via detention" haben vor dem Völkerrecht keinen
Bestand. Die Rechtfertigung von Folter zum Zwecke der Verteidigung
kollidiert nicht nur mit dem ius cogens-Charakter und dem
Absolutheitsanspruch des Folterverbots. Die Legitimierung von
Folter zum Zwecke der Prävention terroristischer
Anschläge hat in ihrer rechtsauflösenden Logik auch
einiges mit der gleichermaßen völkerrechtswidrigen
Bush-Doktrin prä-emptiver Kriegsführung gemein. Erst
recht völkerrechtswidrig ist die "Verbringung" von Gefangenen
in Gefängnisse und Internierungscamps außerhalb des
Staatsgebiets, um sie dort unter dem Versuch der Umgehung der
rechtsstaatlichen Bindungen und Verfahrensgarantien des nationalen
Rechts foltermäßigen oder sonstigen unmenschlichen und
erniedrigenden Verhörmethoden zu unterziehen. Wenn schon die
Abschiebung von Personen in Staaten, in denen ihnen die Folter
droht, völkerrechtswidrig ist, dann ist es erst recht die
ziel- und zweckgerichtete "Verbringung" von Personen an
"extraterritoriale" Folterplätze. Nicht der Ort der
Folterhandlung, sondern deren Zurechnung zu einem Staat
begründet die Erfüllung des Foltertatbestandes.
Erfreulicherweise hat mittlerweile auch der U.S. Supreme Court
zunächst aus Gründen des innerstaatlichen Rechts, dann
aber auch des Völkerrechts Gegenkurs zur Regierung aufgenommen
und gerichtlichen Rechtsschutz für die Gefangenen von
Guantánamo eingefordert.
Zur Problematik der Internierungen
und Verhörmethoden selbst hat der Supreme Court sich aber
bedauerlicherweise noch nicht äußern können. Sie
verstoßen bereits gegen das einschlägige
Kriegsvölkerrecht.
Schlussbemerkungen
Die Ausführungen haben gezeigt, dass es sich beim Folterverbot um eine mit Absolutheitsanspruch ausgestattete völkerrechtliche Fundamentalnorm handelt, von der keine Abweichungen erlaubt sind. Sie machen ebenfalls deutlich, dass das Verbot der Folter durch Umsetzungsnormen ergänzt wird, die querschnittsmäßig in das nationale Recht eingreifen.
Das strenge Regime des völkerrechtlichen Folterverbots ist
vor allem mit den besonderen Gefährdungen zu erklären,
welche dem grundlegenden Menschenrecht auf Freiheit von Folter in
weiten Teilen der Welt drohen. Die appellative Funktion eines
absoluten Folterverbots ist gerade im Völkerrecht
unverzichtbar; Folter darf "nicht vor Recht gehen"
. Dass sich dieses Postulat - trotz
der existierenden Sanktionsmöglichkeiten - häufig nicht
durchsetzen lässt, kann nicht als Einwand akzeptiert werden.
Dass das Völkerrecht mit besonderen
Effektivitätsproblemen konfrontiert ist, ist eine
Binsenweisheit. Dieser Befund rechtfertigt es jedoch nicht, Normen,
welche in hohem Maße für Missachtungen anfällig
sind, die rechtliche Geltung abzusprechen. Zwischen der Verletzung
einer völkerrechtlichen Norm und ihrer Leugnung oder
normauflösenden Verwässerung besteht ein gewaltiger
Unterschied. "Folter muss geächtet bleiben"
- im innerstaatlichen Recht wie im
Völkerrecht.