Einleitung
Ländliche Räume sind vor allem geprägt von der
Landwirtschaft, die bei der Flächennutzung in Deutschland mit
einem Anteil von 54 Prozent dominiert.
Im ländlichen Raum ist die
Landwirtschaft ein wichtiger landschaftsprägender, kultureller
und wirtschaftlicher Faktor,
und beide sind administrativ eng
miteinander verwoben: Politik für Landwirtschaft und
ländliche Räume fällt in den Geschäftsbereich
ein und desselben Bundesministeriums; die Förderung des
ländlichen Raums ist ein Teilbereich - die so genannte "zweite
Säule" - der öffentlichen Agrarförderung. Vor diesem
Hintergrund wird in diesem Beitrag einerseits die Frage nach den
Konsequenzen der Peripherisierung ländlicher Räume
für den Agrarsektor gestellt. Andererseits soll aber auch
gefragt werden, welche Beiträge die Landwirtschaft zur
Entwicklung peripherer ländlicher Räume leisten kann.
Hierzu erfolgen ein Rückblick auf die Veränderungen der
Landwirtschaft in den letzten 100 Jahren sowie ein Ausblick auf die
Chancen und Herausforderungen, vor denen die Nutzung
ländlicher Räume gegenwärtig steht.
100 Jahre Fortschritte in der Landwirtschaft und deren Folgen
Die Landwirtschaft des 20. und 21. Jahrhunderts ist durch einen
gewaltigen technischen Fortschritt gekennzeichnet, der
gleichermaßen die Produktivität des Bodens (so genannte
biologisch-technische Fortschritte) und die Produktivität der
Arbeit (so genannte mechanisch-technische Fortschritte) steigerte.
Möglich wurde dies durch den
Einsatz von Mineraldüngern und Pflanzenschutzmitteln, die
Mechanisierung der Bewirtschaftung und die Züchtung von
leistungsfähigen Tierrassen und Kulturpflanzensorten. Tabelle
1 zeigt, dass die Rationalisierungen den Bedarf an
Arbeitskräften in der Landwirtschaft innerhalb von 50 Jahren
um mehr als den Faktor 8 verringerten. In der Folge nahm der Anteil
des Agrarsektors an den Erwerbstätigen dramatisch ab. Parallel
dazu führten die Fortschritte zu einer Vervielfachung der
Ertragsleistungen. Damit wuchs das Produktangebot der
Landwirtschaft rasch an, während die Nachfrage nach
Lebensmitteln nur geringfügig zunahm. Dieses
Auseinanderdriften von Angebot und Nachfrage führte zu einem
Verfall der Preise, wodurch die Landwirtschaft gezwungen war und
ist, den aus dem technischen Fortschritt resultierenden
wirtschaftlichen Nutzen vollständig an die Verarbeiter und
Verbraucher weiterzureichen. Wie der Anteil der Ausgaben für
Nahrungsmittel am privaten Verbrauch kontinuierlich abnahm, so sank
auch der Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung
beständig. Ironischerweise führten also gerade die
enormen technischen Neuerungen in der Landwirtschaft zu deren
"ökonomischem Dauerproblem" und zu einem Rückgang ihrer
volkswirtschaftlichen Bedeutung.
Einen eigenen Verlauf nahm die ostdeutsche Landwirtschaft. Dort
war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs agrarischer
Großgrundbesitz vorherrschend. Dieser wurde ab 1945 im Zuge
der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone
entschädigungslos enteignet und dem Staat bzw. in kleinen
Parzellen an so genannte "Neubauern" übertragen. Die neu
entstandenen Kleinbauernbetriebe wurden ab 1952 durch
Kollektivierung zusammengelegt, so dass die DDR von sehr
großen Produktionseinheiten geprägt war. In den
siebziger Jahren folgte eine Phase von Konzentration und
Spezialisierung, und in den neunziger Jahren die Transformation
nach der deutschen Vereinigung. So erlebte der ostdeutsche
Agrarsektor innerhalb von 50 Jahren gleich vier fundamentale
Strukturbrüche.
Die letzte Phase war gekennzeichnet
durch eine Anpassung an die Marktwirtschaft, die Privatisierung von
Grund und Boden, die Übernahme der Verantwortung durch die
Landwirte selbst und die Integration in die Gemeinsame Agrarpolitik
der EU. So fand in den neunziger Jahren innerhalb weniger Jahre ein
stark beschleunigter Strukturwandel statt, der sich besonders
deutlich in einem dramatischen Einbruch der Viehbestände sowie
einer starken Abnahme der einstmals sehr hohen
Beschäftigtenzahlen in der Landwirtschaft äußerte.
Zurückzuführen ist dies
einerseits auf Produktivitätssteigerungen, andererseits aber
auch auf den Abbau zahlreicher Dienstleistungen der Landwirtschaft,
etwa von Vertriebszentren, Feuerwehr oder Kindergärten.
Allerdings wurde das
ursprünglich vorgesehene politische Ziel einer
Überführung der DDR-Agrarbetriebe in bäuerliche
Familienbetriebe nach westdeutschem Vorbild nicht erreicht.
Situation der Landwirtschaft heute
Kennzeichnend für die heutige Situation der Landwirtschaft
in Deutschland ist deren relativ geringe Bedeutung in Wirtschaft
und Gesellschaft. Derzeit ist sie nur noch einer von mehreren
Wirtschaftsfaktoren im ländlichen Raum. Zu
vernachlässigen ist die Landwirtschaft dennoch nicht, gilt sie
doch weiterhin als sehr bedeutsam für die Erhaltung der
natürlichen Lebensgrundlagen, für den Erhalt der
Sozialstruktur und des Kulturerbes ländlicher Räume
sowie für die
Gestaltung der Kulturlandschaft als
Siedlungs-, Wirtschafts- und Erholungsraum.
Zudem steht die Landwirtschaft in
engem Zusammenhang mit vor- und nachgelagerten
Wirtschaftsbereichen, etwa der Agrarindustrie, dem
Ernährungshandwerk, der Ernährungsindustrie, dem
Groß- und Einzelhandel und dem Gastgewerbe. All diese
Bereiche zusammen erzielten im Jahr 2000 fast sieben Prozent der
Bruttowertschöpfung in Deutschland.
Heute bestehen in Deutschland rund 366 000 landwirtschaftliche
Betriebe (Tabelle 2). Eine hohe Zahl kleiner Agrarbetriebe, die
häufig im Nebenerwerb betrieben werden, steht einer kleinen
Zahl großer Betriebe gegenüber: Nur 8 Prozent der
Betriebe sind größer als 100 ha, bewirtschaften aber 50
Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche
Deutschlands. Eine ähnliche Konzentration zeigt sich für
die Viehbestände: So hielten im Jahr 2005 4 Prozent der
Rinderbetriebe 26 Prozent des gesamten deutschen Milchviehbestandes
und 3 Prozent der Betriebe 29 Prozent des Mastschweinebestandes.
Das mittlere Einkommen je Landwirt liegt um etwa 9 Prozent unter
dem gewerblichen Vergleichslohn, also dem Lohn vergleichbarer Lohn-
und Tarifgruppen in der gewerblichen Wirtschaft.
Unter anderem wurde mit dem
systematischen Nachhinken der landwirtschaftlichen Einkommen, der
so genannten "Einkommensdisparität", die Einführung der
europäischen Agrarförderpolitik gerechtfertigt. Heute
beruhen mehr als ein Drittel der landwirtschaftlichen
Betriebseinkünfte in der EU auf öffentlichen
Transferzahlungen, und es wird jede Arbeitskraft in der deutschen
Landwirtschaft mit umgerechnet 12 446 Euro pro Jahr öffentlich
unterstützt.
15 Jahre nach der Einigung Deutschlands gibt es immer noch eine deutliche Zweiteilung der Agrarstruktur zwischen West- und Ostdeutschland. Diese äußert sich insbesondere darin, dass die mittlere Größe der ostdeutschen Betriebe diejenige der westdeutschen um mehr als das sechsfache übertrifft (Tabelle 3).
Auch der Arbeitskräftebesatz liegt in ostdeutschen
Betrieben deutlich niedriger, und Familienarbeitskräfte kommen
zu einem wesentlich geringeren Teil zum Einsatz. Dominieren in
Westdeutschland auf 91 Prozent der Fläche Einzelunternehmen,
die überwiegend Familienbetriebe sind, so sind in
Ostdeutschland auf 75 Prozent der Fläche juristische Personen
(vor allem GmbHs und Genossenschaften) und Personengesellschaften
(etwa Gesellschaften bürgerlichen Rechts) vorherrschend. Viele
dieser Betriebe zeichnen sich hier durch eine sehr effiziente
Wirtschaftsweise, große Produktionskapazitäten und ein
professionelles Management aus, wodurch sie vergleichsweise
konkurrenzkräftig sind. Sie gelten als wirtschaftlich stabil,
teilweise sogar prosperierend. Die Effizienz der Wirtschaftsweise bringt es
jedoch mit sich, dass von der Landwirtschaft in Ostdeutschland nur
bedingt Beschäftigungswirkungen auf den ländlichen Raum
ausgehen.
Zukünftige Entwicklung der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft wird auch weiterhin einem starken Wandel
unterliegen. Dabei ist die Peripherisierung ländlicher
Räume jedoch nur eine innerhalb einer Vielzahl von
Triebkräften. So stellt die jüngste Agrarreform der EU
einen fundamentalen Einschnitt für den Agrarsektor dar. Mit
der Reform verbunden sind eine klare Marktorientierung, die Abkehr
von der Produktförderung, die Kürzung der direkten
Zahlungen der EU an die Landwirte und die Bindung der
öffentlichen Förderung an die Einhaltung von Umwelt-,
Tierschutz- und Lebensmittelsicherheits-Standards. Die Agrarreform
steht unter anderem in Zusammenhang mit der Liberalisierung des
Welthandels mit Agrarerzeugnissen, die den Abbau von
Protektionismus und Wettbewerbsverzerrungen bezweckt und die
bislang innerhalb der Europäischen Union geschützte
Landwirtschaft den Weltmarktbedingungen aussetzen wird. Auch die
jüngst erfolgte EU-Erweiterung wird den Agrarsektor stark
beeinflussen - insbesondere durch die Aufteilung der
EU-Agrarausgaben auf mehr anspruchsberechtigte Betriebe ohne eine
nennenswerte Aufstockung des Gesamtbudgets. Daneben gibt es eine
ganze Reihe von Veränderungen in der nationalen Agrarpolitik,
welche die Landwirtschaft zu bewältigen haben wird, vor allem
Einsparungen im Bundeshaushalt, die Föderalismusreform und die
Reform der agrarsozialen Sicherung. Weitere Veränderungen
für die Landwirtschaft ergeben sich durch den anhaltenden
technologischen Wandel, der einerseits neue technische
Möglichkeiten (etwa durch Satellitennavigation
unterstützte Präzisionslandwirtschaft, gentechnisch
verändertes Saatgut), andererseits auch neue Märkte
für landwirtschaftliche Produkte (etwa Biomasse zur
energetischen Nutzung) hervorbringt. Schließlich hat sich der
Agrarsektor auf einen prognostizierten Klimawandel einzustellen.
Dieser zeichnet sich zum Beispiel in Nordostdeutschland
voraussichtlich durch zunehmende Trockenheit sowie insbesondere
durch eine Verringerung der Niederschläge während der
Vegetationsperiode aus und kann große Auswirkungen auf die
landwirtschaftliche Ertragsleistung und -sicherheit sowie auf das
Spektrum möglicher Anbaukulturen haben.
Intensivierung, Spezialisierung und Konzentration
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die deutsche Landwirtschaft
in einer Weise entwickelt, die vielfach mit den Begriffen
"Industrialisierung" oder "Produktivismus" umschrieben wird.
Charakteristisch sind dabei drei
strukturelle Dimensionen: eine Intensivierung, eine Spezialisierung
und eine Konzentration der Landbewirtschaftung.
Unter Intensivierung wird ein hoher
Input an kapitalintensiven Produktionsmitteln wie
Düngemitteln, Pestiziden und Maschinen verstanden, dem ein
entsprechend hoher Output an Flächenerträgen
gegenüber steht. Spezialisierung beschreibt eine Einengung des
Produktionsprogramms auf eines oder wenige Agrarprodukte und die
damit verbundenen globalisierten Handelsbeziehungen. Konzentration
bedeutet, dass die landwirtschaftliche Produktion vornehmlich in
wenigen, spezialisierten Betrieben, Regionen oder Ländern
erfolgt. So kam es etwa in der Bundesrepublik in den siebziger
Jahren zu einer starken räumlichen Konzentration beim Weizen-,
Kartoffel-, Milch- und Ölsaatenanbau auf bestimmte
Agrargegenden. Eine solchermaßen produktionsorientierte
Landwirtschaft ist gekennzeichnet durch strukturarme
Agrarlandschaften mit einem geringen Anteil naturnaher
Lebensräume. Häufig wird sie für Umweltprobleme
verantwortlich gemacht, etwa für Grundwasserbelastungen,
Verlust der Artenvielfalt und Unterbrechung von
Stoffkreisläufen.
Extensivierung, Diversifizierung und Dispersion
Doch gibt es auch einen gegenläufigen Trend, der in der
Literatur mit dem Begriff "Post-Produktivismus" umschrieben wird.
Entsprechende Formen der
Landwirtschaft sind durch einen geringen Einsatz kapitalintensiver
Produktionsmittel und durch geringere Flächenerträge
charakterisiert. In der Regel werden vielfältige
Agrarerzeugnisse produziert, die Handelsbeziehungen finden
vorwiegend in der Region statt, und die räumliche Verteilung
von Produktionsbereichen ist durch relativ geringe räumliche
Konzentration gekennzeichnet.
Durch einen hohen Anteil naturnaher
Habitate ist die Landschaftsstruktur komplex. Diese Form der
Landnutzung nimmt häufig auf Belange des Umwelt- und
Tierschutzes besondere Rücksicht. Ein Beispiel hierfür
sind die Betriebe des ökologischen Landbaus, die 2004 auf 4,5
Prozent der deutschen Landwirtschaftsfläche wirtschafteten.
Die wachsende Tendenz vieler
Betriebe, sich mit dem ländlichen Tourismus ein weiteres
Standbein zu erschließen, fällt ebenso in diesen Bereich
wie die Honorierung ökologischer Leistungen über
staatliche Agrarumweltprogramme, etwa von
Landschaftspflegetätigkeiten. So wurde die
Kulturlandschaftspflege in Brandenburg im Jahr 2000 auf rund 19
Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche über das
Landes-Kulturlandschaftsprogramm gefördert.
Ebenfalls typisch sind die
landwirtschaftliche Nischenproduktion, beispielsweise von
Feldgemüse, Beerenobst oder Wild, und die regionale
Vermarktung von Qualitätsprodukten, zum Beispiel im
Ab-Hof-Verkauf oder über Großküchen.
Die Landwirtschaft differenziert sich also in Richtung Intensivierung oder Extensivierung bzw. "Produktivismus" oder "Post-Produktivismus" aus. Dabei nimmt die mittlere Betriebsgröße bei beiden Formen stetig zu. Die Größe eines Betriebes lässt jedoch keinen unmittelbaren Schluss auf den Intensitätsgrad der Bewirtschaftung zu. Zum Beispiel finden sich unter den mehrere tausend Hektar großen Betrieben in Ostdeutschland gleichermaßen hoch intensive und extensive Agrarbetriebe.
Neue Märkte: Von der Nahrungsmittel- zur Energiebereitstellung
Stark im Aufwind befindet sich der politisch geförderte
Anbau nachwachsender Rohstoffe zur energetischen Nutzung, die so
genannte Bioenergienutzung.
So wurden gut zwei Drittel der 2004
genutzten erneuerbaren Energien als Bioenergie bereitgestellt. Seit
1998 hat die Anbaufläche von Biomasse zur energetischen
Verwertung um mehr als 100 Prozent zugenommen, so dass sie
mittlerweile 11,8 Prozent der deutschen Ackerflächen einnimmt.
Bis 2030 werden voraussichtlich zwischen 21 und 33 Prozent der
Ackerfläche dem Biomasse-Anbau dienen.
Neben der energetischen findet auch
eine stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe statt. 2005 waren
bereits 12 Prozent der Grundstoffe in der chemischen Industrie
biogenen Ursprungs. Die Vielfalt der Bioenergie-Optionen ist
groß, doch werden in der Landwirtschaft zurzeit vor allem
drei Wege eingeschlagen: die Verarbeitung von Raps zu Biodiesel,
die Vergärung von Zuckerrüben und Getreide zu
Bioäthanolkraftstoff und die Fermentation von Maissilage,
Gras, Getreideganzpflanzen, weiteren Kulturen sowie von Reststoffen
wie Gülle zu Biogas zur anschließenden Strom- und
Wärmegewinnung. Der Anbau von Biomasse kann intensiv und
extensiv erfolgen, wobei sich die gegenwärtige Form stark an
den bestehenden, intensiven landwirtschaftlichen Systemen
orientiert.
Die Nutzung von Bioenergie diversifiziert die Agrarlandschaft
und ermöglicht den Absatz neuer landwirtschaftlicher Produkte.
Dadurch kann sie positive Beschäftigungseffekte und eine
Wertschöpfung für den ländlichen Raum mit sich
bringen. Einen beispielhaften Erfolg erzielte etwa die Gegend um
Güssing (Österreich). In der Landesstatistik wurde diese
noch im Jahr 1988 als ärmste Region Österreichs mit den
typischen Merkmalen von Peripherisierung wie fehlende Gewerbe- und
Industriebetriebe, hohe Abwanderungsrate, hohe Pendlerzahlen und
Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe identifiziert.
Der Umschwung gelang Güssing
1990 durch eine Gemeinderatsinitiative, in deren Ergebnis das Ziel
einer einhundertprozentigen regionalen Energieautarkie beschlossen
wurde. Es folgten der Bau einer Biodieselanlage, von Nah- und
Fernwärmenetzen, der damals größten
Biomasse-Heizkraftanlage Österreichs und von Biogasanlagen,
die von konventionellen und ökologisch wirtschaftenden
Betrieben beliefert werden. In der Folge siedelten sich zahlreiche
Ingenieurbüros und Betriebe - insbesondere der Holz
verarbeitenden Industrie- an. So entstanden gut 50 neue Unternehmen
mit über 1 000 neuen direkten und indirekten
Arbeitsplätzen in der Region. Die jährliche
Wertschöpfung in diesem Bereich beträgt heute 13
Millionen Euro. Mittlerweile ist ein eigener
"Ökoenergietourismuszweig" entstanden, es wurden nationale und
international tätige Forschungs- und Entwicklungszentren im
Erneuerbare-Energien-Bereich aufgebaut, und Güssing wurde 2004
zur "innovativsten Gemeinde Österreichs" ernannt. Für die
Zukunft sind technologische und räumliche Erweiterungen
geplant. Dabei sollen Leistungen und Wirkungsgrade der vorhandenen
Anlagen gesteigert werden sowie neue Technologien und Rohstoffe zur
Anwendung kommen. Neben der Forstwirtschaft soll vor allem die
Landwirtschaft als Rohstofflieferant gestärkt werden. Auch
soll die Bereitstellung von Wärme, Strom und Treibstoffen
besser aufeinander abgestimmt werden. Ferner soll das Modell auf
den gesamten Bezirk Güssing ausgedehnt werden.
Inzwischen entstehen auch in
Deutschland "Bioenergiedörfer", beispielsweise das
niedersächsische Jühnde und das sachsen-anhaltinische
Iden.
Wechselwirkungen zwischen Peripherisierung, Landwirtschaft und Regionalentwicklung
Wie lassen sich die eingangs gestellten Fragen zu den Auswirkungen der Peripherisierung auf die Landwirtschaft und zu deren Beiträgen zur Regionalentwicklung beantworten? Periphere ländliche Räume Ostdeutschlands zeichnen sich vielfach durch eine hoch technologisierte, leistungs- und konkurrenzstarke Landwirtschaft aus. Ein Problem liegt für die Betriebe darin, qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte zu finden - ungeachtet dessen, dass die Arbeitslosenrate in peripheren Regionen häufig mehr als 20 Prozent beträgt. Dabei behindert das mit Peripherisierung verbundene negative Image einer Region den möglichen Zuzug auswärtiger Fachkräfte. Eine weitere negative Konsequenz für die Agrarbetriebe ist ein Rückgang an regionaler Kaufkraft und damit der Nachfrage nach Lebensmitteln. Dies hat insbesondere für diejenigen Betriebe Auswirkungen, die sich im Bereich der Qualitätsproduktion und Regionalvermarktung engagieren. Allerdings wird ein großer Teil der Agrarprodukte bereits heute außerhalb der Produktionsregion abgesetzt. Zu erwarten ist, dass die Peripherisierung weiteren Auftrieb für eine überregionale Ausrichtung der Handelsbeziehungen von Betrieben gibt. Angesichts der genannten europäischen und globalen Herausforderungen erscheinen aber die Auswirkungen vonregionaler Peripherisierung auf die großen Landwirtschaftsbetriebe vergleichsweise überschaubar. Auch der Anbau von Bioenergieträgern ist weitgehend unabhängig von der lokalen Nachfrage nach Energie, da Strom und Treibstoffe leicht überregional absetzbar sind. Einzig die Verwertung der in Biogasanlagen anfallenden Heizwärme wird bei rückläufigen ländlichen Bevölkerungszahlen erschwert.
Die Gegenfrage nach den möglichen Beiträgen der
Landwirtschaft zur Regionalentwicklung lässt sich nicht
eindeutig beantworten. Bislang sind diese eher gering, da die hoch
mechanisierte Landwirtschaft nur wenige Arbeitskräfte
benötigt, und selbst diese zu einem großen Teil
außerhalb der Region oder - im Falle der
Saisonaushilfskräfte - aus dem Ausland rekrutiert. Einige
Marktfruchtbetriebe in Nordostdeutschland werden sogar vom Ausland
aus bewirtschaftet.
Zudem findet die Weiterverarbeitung
und Vermarktung der erzeugten Agrarprodukte vielfach
außerhalb der peripheren ländlichen Regionen statt. Im
ländlichen Raum werden vorrangig nur die unverarbeiteten
Rohstoffe bereitgestellt, während der Großteil der
Wertschöpfung und der dadurch induzierten
Beschäftigungseffekte bei der Veredelung dieser Produkte
andernorts entsteht.
An eine zukunftsorientierte Landwirtschaft, die Impulse für
die Entwicklung peripherer ländlicher Räume geben kann,
wären demzufolge die folgenden Anforderungen zu stellen: Eine
zukunftsorientierte Landwirtschaft soll - möglichst hohe
Beschäftigungseffekte generieren, die vor Ort befindlichen
Ressourcen nutzen und regionale Wirtschaftskreisläufe
unterstützen; - innovativ und wirtschaftlich sein und sich
idealerweise ohne Fördergelder und Subventionen weitgehend
selbst tragen; - die gewachsene Kulturlandschaft erhalten und die
Belange des Ressourcenschutzes adäquat berücksichtigen; -
zur Erhaltung und Entwicklung regionaler Eigenarten sowie zur
Identifikation mit dem Land, seiner Kultur und seinen Traditionen
beitragen; - kompatibel mit anderen Landnutzungen sein und
alternative Entwicklungspfade nicht behindern.
Tatsächlich finden sich in vielen ländlichen Regionen
Pioniere einer nachhaltigen Landbewirtschaftung, die zur regionalen
Wertschöpfung, zur Landschaftspflege und zum Erhalt von
Dorfgemeinschaften beitragen und damit einer weiteren
Peripherisierung entgegenwirken. Als Beispiel aus dem
nordostdeutschen Tiefland können etwa der Milchviehbetrieb und
die Bauernkäserei Wolters im uckermärkischen Bandelow
genannt werden.
Auf 735 ha Land wurde eine
ehemalige landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft
schrittweise modernisiert. Heute hält der konventionell
wirtschaftende Betrieb über 500 Milchkühe und 500
Jungrinder und betreibt neben Futterbau auch den Anbau von Raps,
Weizen, Gerste und Zuckerrüben. Ein großer Teil der
produzierten Milch wird in der eigenen Bauernkäserei zur
Spezialität Uckerkaas verarbeitet, die unter der Regionalmarke
des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin vermarktet wird.
Eine Reihe innovativer Vermarktungsformen vom Internetshop bis zum
Hofladen sichert den Absatz. Darüber hinaus baut der Betrieb
aktuell unter der Bezeichnung "Q-Regio" ein im Franchisesystem
betriebenes Netz von Regionalläden auf. In Zukunft soll eine
eigene Biogasanlage den Betrieb mit Strom und Wärme versorgen.
So entwickelte sich das Unternehmen mit heute 30 Mitarbeitern zum
größten Arbeitgeber im Dorf.
Warum aber sind derartige Erfolgsbeispiele eher eine Ausnahme als die Regel? Zentrales Problem sind die Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft, die aufgrund betriebswirtschaftlicher Zwänge zu einer Reduktion des Arbeitskräftebedarfs führen. Entsprechend haben sich die Beschäftigungseffekte der Landwirtschaft in der Vergangenheit stetig verringert. Vielfach ist die Zahl der landwirtschaftlichen Akteure in vielen ländlichen Räumen bereits so gering, dass die für regionale Entwicklungsaktivitäten notwendige kritische Masse nicht mehr vorhanden ist. Der Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Weltmarkt dürfte den Rationalisierungsdruck weiter erhöhen. Mittelfristig wird eine rein auf die Erzeugung standardisierter Agrarrohstoffe ausgerichtete Landwirtschaft in Deutschland vermutlich nicht überleben können. Zudem gibt es für die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft, etwa im Bereich der Pflege von Kulturlandschaften, bislang nur unterentwickelte Märkte, wodurch sie betriebswirtschaftlich häufig nicht interessant sind.
Um aktiv zur Regionalentwicklung beizutragen, ist die Landwirtschaft also gezwungen, permanent innovativ zu sein, spezialisierte Nischen zu suchen, ihre Produktpalette zu diversifizieren und das "Besondere" ihrer regionaltypischen Produkte gegenüber den globalisierten Agrarprodukten herauszustellen. Insbesondere sind betriebliche Kooperationen aufzubauen und die Verbindungen zu vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen in der Region zu stärken, um größere Teile der Wertschöpfungsketten in den peripheren Regionen zu halten. Daneben sollten die Agrarbetriebe an im klassischen Sinne "außerlandwirtschaftliche" Sektoren anknüpfen und sich dort neue Märkte erschließen: etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, in Gastronomie und Tourismus, Naturschutz und Landschaftspflege sowie Gesundheit und Wellness. Gerade in letzteren Bereichen wird dies allerdings nur gelingen, wenn die Gesellschaft die bislang nicht marktfähigen Leistungen der Landwirtschaft - etwa die Bereitstellung von sauberem Wasser, von Biodiversität und von attraktiven Landschaften - gerecht honoriert.