Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 18.09.2006
Dierk Jensen

Hoffnung auf fremde Investoren

Georgien kann seine Energieprobleme aus eigener Kraft nicht lösen

Das südkaukasische Georgien dient schon seit langem als Transitland für Gas und Erdöl aus dem Kaspischen Meer in Richtung Westen. Während ausländische Investoren in den letzten Jahren Abermillionen in neue Pipelines investiert haben, darbt der georgische Energiesektor weiter vor sich hin. Dabei ist das bergige Land östlich des Schwarzen Meeres von russischen Gas- und Stromlieferungen abhängig, was der große Nachbar Russland immer wieder gerne als Druckmittel ausnutzt. Nicht zuletzt deshalb sind die Strompreise in Georgien, im "Land der tausend Täler", im Vergleich zum geringen Durchschnittseinkommen extrem hoch. Daher setzen viele Akteure der georgischen Energiebranche auf die eigene Wasserkraft - zumal alle anderen erneuerbaren Energien, ob Biogas, Solarenergie oder Biomasse, noch in den Kinderschuhen stecken. "Wir sind ein Land der Flüsse", unterstreicht Neli Ameranischwili die naturräumlichen Vorteile Georgiens. Die Wasserbau-Ingenieurin ist beim staatlichen Institut "Hydroproject" angestellt, das das Wasserkraftpotenzial im Land identifiziert und die Planung von Wasserkraftwerken in Angriff nimmt. Experten im Institut sprechen von einem Potenzial von etwa 5.000 Megawatt, die ökologisch verträglich möglich wären. Installiert ist allerdings nur eine Leistung von etwa der Hälfte. Und an einen baldigen Ausbau ist derzeit nicht zu denken. Allein schon für die Planung fehlt es an Ressourcen: "Da wir keine Unterstützung vom Staat erwarten können, konzentrieren wir uns momentan fast ausschließlich auf die Reparatur der bestehenden Wasserkraftwerke", sagt Ameranischwili achselzuckend. Weil die Staatskassen leer sind, setzt Georgien auf ausländische Investoren. Surab Wasadse, ein Mitarbeiter im Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, kümmert sich um deren Anwerbung. Wasadse kann sich mittelfristig durchaus vorstellen, dass ausländische Energieunternehmen in die georgische Wasserkraft und vielleicht sogar in die Windkraft - an Standorten am Schwarzen Meer - engagieren werden. Aktuell hat das Energieministerium eine internationale Ausschreibung über den Kauf von sechs Wasserkraftwerken mit einer Gesamtleistung von 361,4 Megawatt ausgelobt. Dennoch: Gegenwärtig verhalten sich viele potenzielle Investoren eher abwartend, weil der wirtschafts- und energiepolitische Transformationsprozess in Georgien noch anhält und viel Unsicherheit über die zukünftigen Rahmenbedingungen herrscht. Vollkommen unabhängig von diesem Geschehen ist indessen die BP - der britische Energie-Multi hat inzwischen drei Pipelines durch das bergige Land verlegt. Während die erste Trasse das schwarze Gold vom Kaspischen bis zum Schwarzen Meer leitete, gibt es nun seit Mai eine weitere Doppeltrasse, die Öl und Erdgas vor den Gestaden Bakus bis hin zum Mittelmeer pumpt. Sie führt von Aserbaidschan über Georgien durch die östliche Türkei bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan und ist mit 1.760 Kilometer eine der längsten der Welt. Die BP hat in dieses Projekt, das in Zukunft einen großen Teil des Gasbedarfs von Aserbaidschan, Georgien und der Türkei abdecken soll, fast 4 Milliarden Euro investiert. Große Baucamps, wie etwa in der Nähe der südgeorgischen Stadt Marneuli, erinnern an die gewaltigen Bauaktivitäten der vergangenen Jahre. BP - der größte Investor Die BP ist der mit Abstand größte Investor in der noch jungen Geschichte des unabhängigen Georgiens. 22 Millionen Dollar hat der Konzern an 3.000 Landeigentümer ausgezahlt, damit diese ihr Land für die Verlegung der parallel verlaufenden Gas- und Erdölleitung zur Verfügung stellen. Dass die BP mit ihren Pipelines Schaden in georgischen Nationalparks angerichtet habe, dagegen verwahrt sich BP-Pressesprecher David Glendinning entschieden. Wie dem auch sei, der Konzern hat in Georgien wenig Widerstand zu erwarten, da der Staat hohe Transitgebühren von BP einstreicht und die breite Öffentlichkeit die Eingriffe in die Natur mehr oder weniger hingenommen hat, weil im Grunde genommen alle hoffen, irgendwann davon zu profitieren. "Nach Inbetriebnahme der neuen Pipeline deckt das Erdgas aus dem Kaspischen Meer rund 15 Prozent des georgischen Bedarfs", sagt Glendinning und fügt hinzu: "Langfristig sollen es sogar 70 bis 80 Prozent werden." Nach vorsichtigen Schätzungen der georgischen Regierung wären das rund drei Milliarden Kubikmeter Gas. Diese neue Quelle hat für Georgien eine enorme energiepolitische Tragweite. Das 4,5 Millionen Einwohner zählende Land macht sich damit ein großes Stück unabhängiger von den Energielieferungen aus Russland, die in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Anschlägen waren. Wie im vergangenen Winter, als in der russischen Teilrepublik Nordossetien Unbekannte die Hauptgasleitung nach Süden in die Luft sprengten. Daraufhin gingen in vielen Städten Georgiens Lichter und Heizungen aus. Von solchen Störfällen sind die Menschen in den abgelegenen Berggebieten, weitab von den Strom- und Gasnetzen, nur wenig betroffen. In vielen Häusern existiert gar keine Elektrizität, geheizt wird mit Holz, das aus dem nahen Wald geholt wird. Wie im 1.500 Meter hoch gelegenen Dorf Achaldaba in den Bergen von Südossetien, nahe der russischen Grenze. Hier ist von einer Gasleitung oder gar von Erdgas aus dem Kaspischen Meer gar nichts zu sehen. Gegenwärtig nicht und wohl auch in naher Zukunft nicht. Stattdessen wird auf einem Hof im Dorf Biogas erzeugt - aus einer der ersten Bioenergieanlagen Georgiens überhaupt. Die wird ausschließlich mit dem Mist der kleinen Viehherde beschickt. Sie generiert daher nur die bescheidene Menge von vier Kubikmetern Gas pro Tag. "Nicht viel, aber wir sind ganz zufrieden, reicht es doch fürs Kochen", erklärt der Bauer Alexandre Didebashvili in der Küche seiner kargen Wohnung. Hersteller ist die Bioenergiefirma des kaukasischen Biogas-Pioniers Awtandil Diladse. Der füllige Mittsechziger beschäftigt inzwischen ein Dutzend Mitarbeiter, die am Stadtrand von Tiflis in einer Werkshalle auf dem Gelände eines früheren Kombinats Fermenter, Rohre und andere Bauteile für die Biogasanlagen der Marke Eigenbau zusammenschweißen. "Unsere Anlagen sind besser als die chinesischen Modelle", erklärt Diladse, "dafür sind sie aber auch um 30 Prozent teurer." Seine Firma hat bisher rund 250 Minianlagen errichtet. Das ist vergleichbar wenig, wenn man berücksichtigt, dass das georgische Biogaspotenzial von Diladse auf mindestens 600 Megawatt Strom geschätzt wird. Aber angesichts der in weiten Teilen des ländlichen Raums in Georgien herrschenden Subsistenzwirtschaft werden wohl noch viele harte Winter ins südkaukasische Land ziehen, bis dieses Potenzial tatsächlich erschlossen wird. Vielleicht dann, wenn das Erdgasfeld im Kaspischen Meer versiegt und sich die ersten Windrotoren an der Schwarzmeerküste drehen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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