Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 18.09.2006
Hajo Goertz

Der Papst als "Pastor" in Bayern

Werben für die Neuentdeckung des christlichen Glaubens

Angekündigt hatte Benedikt XVI. einen Pastoralbesuch in seiner bayerischen Heimat; dessen Struktur war vorgegeben durch die tägliche Ordnung des liturgischen Kalenders der katholischen Kirche. Höhepunkt waren demnach Messen und Gottesdienste, die Aussagen des Papstes gekleidet in Predigten und geistliche Ansprachen. Schon von Kardinal Joseph Ratzinger wusste man, dass er seiner bayerischen Heimat auch die Jahrzehnte über, die er im Vatikan als Leiter der Glaubenskongregation wirkte, emotional verbunden blieb; bei der trachtenbunten Korbinianswallfahrt in Freising und beim Salutböllern der bayerischen Gebirgsschützen in München ging ihm jedes Mal das Herz auf. Das war jetzt, bei seiner Reise als Papst durch das Land an Donau, Isar und Inn nicht anders. Sichtlich genoss er das Bad in der Menge, fast die ganze Zeit über ein Lächeln auf seinen Lippen. Als Kardinal ging er lieber mit Büchern um und wirkte bei Begegnungen mit Menschen eher schüchtern und verlegen, als Papst ließ er sich nicht durchs Panzerglas eines Papamobils abschotten. Spontan und zur Aufregung der Sicherheitsleute ging Benedikt auf jene zu, die ihn umjubelten, schüttelte unablässig Hände und hatte für viele Bekannte wie Unbekannte freundliche Worte. Und die Bayern, die ihn nicht eigentlich als deutschen, sondern als bayerischen Papst betrachten, feierten ihren "Benedetto" (das lässt sich leichter skandieren) stürmisch, wenn auch nicht so enthusiastisch wie die Massen Jugendlicher beim Weltjugendtag voriges Jahr in Köln. Aber auch viele junge Leute nahmen ziemliche Strapazen auf sich, um ihn live zu erleben. Geschickt und gar nicht mehr kamerascheu nutzte Benedikt XVI. die Tatsache, dass einmal mehr nahezu jede seiner Bewegungen und jedes Mienenspiel, jeder Schritt und jeder Meter seines Papamobils über die Fernsehkanäle in die bundesdeutschen Haushalte und in die weite Welt übertragen wurde. Ob das Interesse an dem Event über den Tag hinaus nachwirkt, bleibt allerdings vorerst offen. Sympathisch, dass der Papst eine erstaunlich lange Zeit seines Besuchs für sich privat vorbehalten konnte. Er zeigte sich als Mensch, der auch als geistliches Oberhaupt von einer Milliarde Katholiken eigene Bedürfnisse beansprucht. Der Besuch als Bruder Joseph bei seinem gebrechlichen Bruder Georg, der Gang ans Grab seiner Eltern und seiner Schwester Maria, die ihm lange Jahre den Haushalt führte - es war wirklich eine Reise zu den Orten, die, wie er selbst sagte, "in meinem Leben eine grundlegende Bedeutung hatten". Etwas von Verabschiedung lag darüber, denn der fast 80-Jährige wird wohl kaum mehr in seine Heimat zurückkehren, wohin er sich doch eigentlich vor seiner Wahl durch das Konklave zurückzuziehen beabsichtigte, um endlich die Bücher zu schreiben, zu denen er im römischen Amt nicht gekommen war. Aber natürlich reist ein Papst nicht mehr privat. Er ist auch Staatsoberhaupt der Vatikanstadt, und so wurde er von Bundespräsident Horst Köhler in München willkommen geheißen, im Land seiner Landsleute und - im Land der Reformation. Mit seiner Bemerkung, viele Christen hier wünschten "ökumenischen Fortschritt", bewog der Bundespräsident den Papst, kaum hatte er den ersten Schritt auf dem Erdinger Flugfeld getan, von seinem Redemanuskript abzuweichen. Der Wunsch, versicherte Benedikt, sei ihm aus dem Herzen gekommen; wohl ließen sich 500 Jahre seit der Reformation "nicht mit einem Federstrich" wegwischen, aber: "Wir werden uns mit Herz und Verstand darum mühen, dass wir zueinander kommen." Bundespräsident Köhler hatte, ausdrücklich "als evangelischer Christ", die Hoffnung geäußert, dass die bisher schon erreichte Annäherung fortentwick-elt werde: "Uns verbindet doch so viel mehr, als uns trennt." Bundeskanzlerin Angela Merkel begründete in ihrem Gespräch mit dem Papst die Bedeutung, weitere Wege der Ökumene zu finden, mit dem Hinweis auf die vielen Deutschen, "die dem christlichen Glauben nicht mehr verbunden sind". Das brisante Thema gleich zum Auftakt der päpstlichen Visite spannte den Erwartungsbogen zur Ökumenischen Vesper drei Tage später in Regensburg auf äußerste. Differenzen zwischen den Kirchen Da aber blieb der Schlag durch den gordischen Knoten der Ökumene aus. Benedikt pries die Fortschritte im Dialog mit der "orthodoxen Kirche", doch die evangelischen Repräsentanten nannte er nur "die Freunde aus den verschiedenen Traditionen der Reformation". Zu Recht hob der Papst den nach langen Mühen erreichten Konsens mit den Lutheranern über die Rechtfertigungslehre hervor, dem sich inzwischen auch die Methodisten angeschlossen hätten; zutreffend bezeichnete er diese ökumenische Übereinstimmung "als eine große und noch nicht recht eingelöste Verpflichtung für uns". Die Anrede der evangelischen Christen dürfte manche Zuhörer erinnert haben an die Erklärung der Glaubenskongregation "Christus Dominus" aus dem Jahr 2000, bei der Kardinal Ratzinger die Feder geführt hatte, die der evangelischen Kirche die Anerkennung als Kirche versagte und sie nur als "kirchliche Gemeinschaft" bewertete. Auch wiederholte der Papst nicht die ökumenische Vision einer "Einheit der Kirche in Vielfalt", von der er früher gesprochen hatte. Und er erneuerte nicht die Einladung an die anderen christlichen Konfessionen zu einem Dialog über den Dienst des Papstes als eines Petrusamtes für alle Christen, wie sie sein Vorgänger Johannes Paul II. in seiner Enzyklika zur Ökumene "Ut unum sint" (Dass alle eins seien) bereits 1995 ausgesprochen hatte. Gewiss durfte man nicht einen Paukenschlag des Papstes erwarten, sind die Differenzen zwischen katholischer und evangelischer Kirche doch zu tiefgreifend, da es um den eigentlichen Kern geht, das je eigene Verständnis von Kirche und priesterlichem Amt, aber etwas deutlicher hätte das Signal in Richtung nichtkatholischer Mitchristen sein sollen - eben im Land der Reformation. War demnach die Ökumene bei dieser Heimatreise Benedikts eine Enttäuschung und vielleicht auch nur ein unumgänglicher Pflichttermin, hatten kritische Beobachter aus der Politik und den Kirchen ansonsten kaum etwas auszusetzen. Das lag nicht zuletzt daran, dass Benedikt nicht wie ein gestrenger Kirchenlehrer auftrat, sondern eher wie ein Pastor. Erstaunlich, wie unmittelbar er in seinen Predigten mit der Auslegung der Bibel höchst aktuelle Bezüge herstellte. Der Papst-Pastor schrieb nicht Kirchengebote vor, sondern warb darum, die Chancen christlichen Glaubens neu zu entdecken. Er setzt damit den eigenen Stil fort, mit dem er sich seit seinem Amtsantritt von Vorgänger Johannes Paul II. abhebt, mit dem er sich auch von dem auf Abgrenzung bedachten vatikanischen Hüter des katholischen Glaubens unterscheidet. Wie ein roter Faden zog sich durch alle Predigten und Ansprachen seine Sorge, der Verlust des Glaubens an einen menschenfreundlichen Gott ließe das Leben des einzelnen und der Gesellschaft verkümmern. Der säkularisierte Westen mit seiner Taubheit und Blindheit für Gott steht seiner Ansicht nach in der Gefahr, sich selbst zu überschätzen, alles für machbar, alles für erreichbar zu erklären und damit jedes Maß für unveräußerliches Recht und für soziale Gerechtigkeit zu verlieren. Das ist Ratzingers Thema seit längerer Zeit, Vernunft und Glauben, moderne Wissenschaft und kirchliche Lehre in Einklang zu bringen. An Gott zu glauben, ist für Benedikt auch nach der Aufklärung, der Emanzipation des Menschen von mythischen Welt-Erklärungen, nicht unvernünftig oder gar wider jede Vernunft. Es entspricht, so gibt er dagegen zu bedenken, in höchstem Maß der menschlichen Vernunft, wieder einsehen zu lernen, dass der Mensch sich nicht selbst verdankt, dass er sich nicht aus sich selbst verstehen kann, dass er sich als Geschöpf eines Größeren sieht und seine eigene Endlichkeit anerkennt. Auf dieser Basis verbiete es sich für den Papst, Religion und Gottesglauben politisch zu instrumentalisieren, erst recht als Rechtfertigung für Gewalt, für Mord und Totschlag zu missbrauchen. Auf diesem Fundament lässt sich, meint Benedikt, im Respekt vor dem, was dem anderen heilig ist, der Dialog führen zwischen den Religionen, damit sie ihren unverzichtbaren Beitrag leisten für den Frieden in der Welt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.