27. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 28. März 2006
Beginn: 10.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns eine hoffentlich gute, intensive und konstruktive Haushaltsberatungswoche.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr
2006
(Haushaltsgesetz 2006)
- Drucksache 16/750 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009
- Drucksache 16/751 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006
(Haushaltsbegleitgesetz 2006 - HBeglG 2006)
- Drucksache 16/752 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache im Anschluss an die Einbringung des Haushaltes siebeneinhalb Stunden, für Mittwoch achteinhalb Stunden, für Donnerstag neuneinhalb Stunden und für Freitag nicht, wie jetzt zu befürchten ist, zehneinhalb Stunden, sondern vier Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint so zu sein. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushaltes hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Ich bedanke mich für die Unterstützung durch die FDP. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der modernen Politik kann es nicht schaden, manchmal bei den alten Griechen nachzuschlagen. Kein Geringerer als der Philosoph Sokrates lehrt uns, dass Selbsterkenntnis dem Menschen meistens Gutes gibt, die Selbsttäuschung aber meistens von Übel ist. Bevor wir heute in die finanzpolitische Debatte eintreten, möchte ich deshalb dafür plädieren, Wege in die Realität zu suchen. Das bedeutet einerseits, dass die Regierung nichts beschönigt, und andererseits, meine Damen und Herren von den Oppositionsfraktionen, dass die Opposition auch nichts verzeichnet und überzeichnet.
Maßlosigkeit im Urteil führt uns ebenso wenig weiter wie künstliche Aufgeregtheit oder eilfertige Empörung, insbesondere auf dem Resonanzboden schneller Nachrichtenverwertung. Die Politik soll die Menschen aufklären; sie soll sie nicht verunsichern.
Wege in die Realität - das ist weit mehr als eine Änderung des politischen Stils. Das ist - in Anlehnung an einen Leitartikel in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 12. November des letzten Jahres - eine Vorgehensweise, die sich von Rechthaberei, einem pathetischen Verbesserungsanspruch, der Überbetonung von Risiken gegenüber den Chancen, dem schrecklichen Lamento, das in dieser Republik so verbreitet ist, und manchem flamboyanten Auftritt von Globalisierungseliten und ihren Knappen unterscheidet. Nur wenn wir wissen, wo unser Land wirtschaftlich steht, können wir glaubhaft um den Kurs der Finanzpolitik ringen.
Ich habe bereits in meiner ersten Rede vor dem Hohen Hause darauf hingewiesen, dass eine Standortbestimmung unerlässlich ist, auch um das Vertrauen der Menschen in das nach wie vor riesige Potenzial unseres Landes und ihr Vertrauen in die Politik dort zurückzugewinnen, wo es verloren gegangen ist. Neben strukturellen Problemen und Modernisierungsdefiziten, die es unzweifelhaft gibt, haben wir es offensichtlich mit einem mangelnden Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu tun, das sich ökonomisch nicht zuletzt in einer nach wie vor schwachen Binnennachfrage und einer sehr hohen Sparneigung ausdrückt.
Verloren gegangenes Vertrauen gewinnen wir nur zurück, wenn wir den Menschen ohne Umschweife die Realität so beschreiben, wie sie ist. Wir dürfen ihnen keine raschen Lösungen versprechen, wo es sie gar nicht gibt. Aber wir müssen Wege aufzeigen - auch wenn sie steinig sind -, die in die Zukunft weisen.
Wo also steht unser Land wirtschaftlich? Zunächst einmal hat sich in den letzten Jahren viel mehr verändert, als wir offenbar wahrzunehmen fähig oder auch bereit sind. Der Journalist Thomas Hanke beschreibt dies in seinem Buch „Der neue deutsche Kapitalismus - Republik im Wandel“ umfänglich. Auf einen Nenner gebracht: Die alte Deutschland AG löst sich auf, der Korporatismus nimmt ab, der Staat weicht zurück und der Markt rückt vor. Es gibt bereits eine stille Revolution in den Betrieben.
Wir sind viel mutiger, als wir denken. Seit Beginn dieses Jahrtausends haben wir erhebliche Anpassungen vollzogen. Wir verändern unsere Sozialsysteme unter dem demografischen Druck. Die Tarifverträge enthalten Hunderte von Ausnahmeklauseln, von denen man Gebrauch machen kann. Wir verbessern die Bedingungen für unternehmerisches Handeln und wir investieren erhebliche Summen in die Familienförderung, in Bildung, Forschung und Entwicklung, also in die Zukunft unseres Landes.
Andere berechtigte Fragen sind, ob das ausreicht und vor allen Dingen ob diese Mittel effizient genug eingesetzt werden. Wir machen beileibe kein bequemes Wellnessprogramm, sondern ein hartes Krafttraining für den Standort Deutschland, das manche für unzureichend halten, das aber für viele bereits eine Zumutung ist. Dass es noch nicht abgeschlossen ist, ist uns allen klar. Aber es zeigt Wirkung. Es ist nicht alles schlecht in Deutschland, wie uns Berufsnöler einzureden versuchen.
Es ist sogar hervorzuheben, dass wir internationale Spitzenpositionen belegen. Wir haben heute eine Steuerquote von nur noch knapp 20 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Eine andere Frage ist, ob wir ein zu kompliziertes Steuersystem haben und ob wir in dem einen oder anderen Besteuerungssystem Wettbewerbsnachteile haben. Die Antwort lautet Ja. Aber wir haben im internationalen Vergleich eine sehr geringe Steuerquote.
Wir haben uns bei den Lohnstückkosten im Vergleich zu den 15 Kernländern der Europäischen Union in den letzten Jahren um sage und schreibe 8 Prozent verbessert. Das ist das Ergebnis eines sehr robusten Wachstums der Produktivität und bemerkenswert moderater Lohnabschlüsse, die sich allerdings umgekehrt auch negativ in einer zumindest stagnierenden Kaufkraft der abhängig Beschäftigten niederschlagen.
Unsere Staatsquote ist mit 46 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 15 Jahren, und zwar trotz der Kosten der Wiedervereinigung, die wir zur Vollendung der Einheit unseres Landes gerne tragen.
Mit einem Anteil von 50 Prozent der kombinierten Ex- und Importe ist Deutschland schlechthin die Lokomotive des innereuropäischen Handels. Deutschland wird immer stärker Drehscheibe für die sich rasant entwickelnden Märkte Mittel- und Osteuropas. Mit fast 130 Milliarden Euro lag das Volumen unseres Handels mit den EU-Beitrittstaaten im Jahr 2005 bereits deutlich höher als das Volumen unseres Handels mit den USA.
Wir schreiben mit der Einführung einer staatlich unterstützten Eigenvorsorge für das Alter, der so genannten Riesterrente, in Ergänzung zur umlagefinanzierten Rente eine Erfolgsgeschichte, die kaum jemand zur Kenntnis nimmt.
Es gibt 5,5 Millionen Verträge und nur die Versicherungswirtschaft redet davon und freut sich darüber. Richtig ist, dass dieses Angebot von den untersten Einkommensetagen zu wenig in Anspruch genommen wird, weshalb wir, wie ich glaube, über einen Verbesserungsbedarf in diesem Bereich nachdenken sollten.
Diese und andere Nachrichten - ich könnte die Liste fortsetzen - werden durchaus anerkannt und honoriert, allerdings vornehmlich im Ausland und in der ausländischen Presse. Erst kürzlich konnte ich mich in New York bei einer amerikanischen Unternehmensgruppe davon überzeugen. Sie sind neugierig auf den Standort Bundesrepublik Deutschland. Was ich zu hören bekam, waren keine aufgesetzten Nettigkeiten für den Gast aus Deutschland, sondern sehr harte Fakten. Bis heute haben sich 2 000 amerikanische Unternehmen mit 110 Milliarden Euro Investitionssumme - in der Folge sind das 850 000 Arbeitsplätze in Deutschland - diesen Standort für ihre Investitionen ausgesucht. Der großen Koalition wird in den USA politisch viel zugetraut.
Genauso groß wie die Aufgeschlossenheit amerikanischer Investoren ist ihr Erstaunen darüber, wie negativ wir Deutschen selbst über den Standort Deutschland diskutieren. Man wird dort als Finanzminister gefragt: Wie kommt es, dass bei euch das Klagen über Deutschland in den letzten Jahren zu einem beliebteren Volkssport geworden ist als der Fußball?
Es war Johannes Rau, der den Mangel an Zukunftsvertrauen in unserer Gesellschaft nicht nur anprangerte, sondern auch die Ursachen dafür nannte: die fatale Lust an der Schwarzmalerei, die die Entfremdung der Bürger von Staat und Politik noch befördert, aber auch die Anspruchsmentalität nicht zuletzt in Teilen der gesellschaftlichen Eliten.
Die Lage der öffentlichen Finanzen ist ernst; da gibt es kein Vertun. Rund 20 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushalts, also ziemlich genau 50 Milliarden Euro, sind nicht durch nachhaltige Einnahmen gedeckt. Die Haushalte der Bundesländer sehen nicht besser aus: Im letzten Jahr konnte die Hälfte aller Länder, acht von 16, die verfassungsrechtliche Regelgrenze für die Neuverschuldung bei der Haushaltsaufstellung - ich rede noch nicht einmal über den Haushaltsvollzug - nicht einhalten. In diesem Jahr sieht es keineswegs besser aus. Die Verschuldung aller öffentlichen Haushalte hat mittlerweile die Summe von 1,5 Billionen Euro überschritten.
Die dadurch entstehenden Zinsausgaben, für die inzwischen jeder sechste Euro des Bundeshaushalts bereitgestellt werden muss, schnüren jeder Bundesregierung unabhängig von der Farbenlehre, der sie folgt, den Spielraum für notwendige Zukunftsinvestitionen ein.
Damit verbunden ist ein weiteres eklatantes Problem, das sich nicht erst in den letzten Jahren, sondern in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat: die Verkarstung der Ausgabenseite des Bundeshaushalts. Entgegen vielerlei Einwendungen und obwohl wir Jahr für Jahr 4 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für die Vollendung der deutschen Einheit zur Verfügung stellen, haben wir auf der Ausgabenseite kein Niveauproblem, sondern ein Strukturproblem. Allein der Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt ist seit Beginn der 90er-Jahre von einem Drittel auf heute knapp über die Hälfte gestiegen. Rechnet man die Ausgaben für Zinsen, Personal und Arbeitsmarktpolitik hinzu, sind fast drei Viertel der Bundesausgaben fest gebunden, während die Investitionen geringer sind als die Zinsausgaben. Dabei sind es genau diese Investitionen, die maßgeblich über unseren zukünftigen Wohlstand entscheiden.
Ich kann nicht zu viel versprechen. Dennoch sage ich: Der Prozess des Umsteuerns im Hinblick auf die Struktur der Ausgabenseite kann nicht abrupt erfolgen, allein schon aufgrund der volkswirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, die unvermeidbar wären, wenn man aus den großen, feststehenden Ausgabeblöcken des Bundeshaushaltes mal eben 10, 15 oder 20 Milliarden Euro „herausschneiden“ würde.
Anders ausgedrückt: Abrupte Einschnitte, schnittige Paradigmenwechsel und brachiale Politikwechsel - das rufe ich allen Anhängern großer Entwürfe zu - führen in unserer hoch komplexen Gesellschaft zu Verwerfungen und sozialen Asymmetrien, die nicht zu verantworten sind.
Sie würden unsere Gesellschaft desintegrieren und Fliehkräfte verstärken, die die soziale Stabilität unseres Landes gefährden würden. Das lernen einige offenbar erst, nachdem sie sich Fotos oder Fernsehbilder der Geschehnisse in Paris und seinen Vororten angesehen haben. Wer beim Bundeszuschuss zur Rentenkasse Milliardenkürzungen fordert, der muss wissen, was Rentenkürzungen von 5 Prozent aufwärts allein für die 50 Prozent der Rentenbezieher bedeuten, die auf die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen sind.
Unsere 80-Millionen-Gesellschaft ist schließlich kein Labor, in dem man mal eben ordnungs- und sozialpolitisch riskante Versuche unternehmen kann. Man sollte die Menschen für den Effekt eines Interviews nicht hinters Licht führen.
Das will ich an einem konkreten Beispiel, das ich zufällig gesehen habe, deutlich machen. Sie, Herr Westerwelle, haben im ZDF ein Interview gegeben.
- Bleiben Sie ganz ruhig und werden Sie doch nicht so nervös!
Ich habe an Ihre Adresse noch gar nichts gesagt.
- Vielleicht wissen Sie ja, was jetzt kommt. Dann haben Sie wohl bemerkt, dass Sie sich vergaloppiert haben.
Herr Westerwelle, Sie haben in einem Interview, das am 28. Februar im „heute-journal“ ausgestrahlt wurde und in das ich mich zufällig hineingezappt habe, mit großer Emphase behauptet, dass sich in den nächsten Jahren durch das Herunterfahren der Steinkohlebeihilfen Milliardenbeträge einsparen ließen.
Was er dem Publikum allerdings verschweigt, ist, dass es bis zum Jahr 2008 rechtskräftige Bewilligungsbescheide gibt.
Das wird mal eben unter den Tisch gekehrt. Das ist im günstigsten Fall eine Veralberung des Publikums.
Das lässt sich fortsetzen: Im selben Interview sagte Herr Westerwelle, man müsse den Zuschuss des Bundes an die Bundesagentur für Arbeit auf null fahren. Er versäumt allerdings, zu sagen, dass wir genau das tun.
Im selben Interview behauptet er auch - jetzt kommt es -, dass die Steuern in Deutschland durch diese Einsparung weiter gesenkt werden könnten. Das geht so sehr an den Fakten und der Lage vorbei, dass ich noch einmal behaupte: Das ist im günstigsten Fall eine Veralberung des Publikums.
Haben Sie einmal dieses kleine Buch von Harry Frankfurt in den Händen gehabt?
- Ich habe es nicht zitiert, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, ich will umgekehrt nicht missverstanden werden: Strukturreformen und das Umsteuern in Bezug auf die Struktur des Haushaltes sind notwendig. Ich werde dort keine Entlastung vertreten können. Sie sind Voraussetzungen für unseren zukünftigen Wohlstand. Ich halte die Frage für mehr als zulässig, ob die bloße Alimentation von Bedürftigen in den letzten Jahrzehnten in vielen Fällen nicht zu einer Verfestigung der Bedürftigkeit geführt hat.
Ich halte auch die Frage für zulässig, ob der Anreiz unserer Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zu eigenen Anstrengungen ausreichend und nachhaltig ausgeprägt ist. Ich scheue mich an dieser Stelle auch nicht, die weitere Frage für politisch korrekt zu halten, ob der kostenfreie Zugang zu Infrastruktureinrichtungen und kommunalen sowie staatlichen Leistungsangeboten von Fall zu Fall wirkungsvoller und zielgenauer sein kann als individuelle Transferzahlungen oder Steuervergünstigungen.
Wie ich zugebe, ist das unter Beachtung aller ins Gewicht fallenden Faktoren - davon gibt es eine Reihe und niemand wird sie ignorieren können - für die Zukunft jedenfalls überlegenswert.
Bei allen notwendigen Veränderungen ist es allerdings wichtig, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht zu gefährden. Wir wollen die Menschen mitnehmen.
Deswegen wird die große Koalition einen verlässlichen Kurs steuern und den Menschen immer wieder erklären müssen, warum sie heute gegebenenfalls auf etwas verzichten müssen, damit es ihnen und ihren Kindern in Zukunft wieder besser geht. Wir schulden unseren Kindern und Enkeln jede Anstrengung für tragfähige, solide und verlässliche öffentliche Finanzen.
Wir wissen doch, dass sich der demografische Wandel jetzt gerade erst einstellt. Wir wissen auch, was auf unsere Kinder und Enkelkinder zukommt. Wie sollen wir ihnen in zehn oder 20 Jahren erklären, dass wir dies alles im Jahre 2006 zwar wussten und es uns - jedenfalls weitestgehend - nicht egal war, dass es aber doch folgenlos geblieben ist und dass wir nicht die Kraft hatten, die Wünsche der gegenwärtig in der Verantwortung stehenden Generation gegen die berechtigten Interessen der zukünftigen Generationen abzuwägen?
Das gilt insbesondere, da die Zahl der Vertreter der Zukunftsinteressen nachfolgender Generationen im Vergleich zur Zahl der Sachwalter und der Vertreter der Status-quo- und Gegenwartsinteressen anteilsmäßig immer geringer wird.
Deswegen müssen wir unsere Ansprüche an den Staat heute zurückstellen und gleichzeitig für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgen. Langfristig tragfähige Finanzen werden wir nur erreichen, wenn uns beides gelingt: strukturelle Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und das Stellen der Weichen für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Wenn uns die finanzpolitischen Erfahrungen der vergangenen Jahre eines gezeigt haben, dann die Tatsache, dass ein restriktiver Ausgabenkurs alleine nicht ausreicht, um unsere Haushaltsprobleme in den Griff zu bekommen. Trotz der konjunkturbedingt stark gestiegenen Arbeitsmarkt- und Sozialausgaben sind die Bundesausgaben zwischen 1999 und 2005 nominal nämlich gerade einmal um durchschnittlich 0,9 Prozent pro Jahr gestiegen. Das ist deutlich weniger, als die Volkswirtschaft insgesamt gewachsen ist, nämlich um durchschnittlich 1,3 Prozent. Deswegen ist der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt trotz der höheren Ausgaben für Arbeitsmarkt und Soziales von 12,3 Prozent auf 11,6 Prozent zurückgegangen. Gelegentlich hat man den Eindruck, dass in der Öffentlichkeit der absolut gegenteilige Eindruck besteht. Hieran erkennt man die enorme Sparleistung, für die ganz wesentlich auch mein Vorgänger Hans Eichel die politische Verantwortung getragen hat.
Trotzdem oder gerade deswegen haben die letzten Jahre allerdings auch gezeigt, dass wir uns aus den Defiziten nicht nur heraussparen können; vielmehr brauchen wir für das Gelingen der Konsolidierung Wachstum. Anders ausgedrückt: Es gibt keine nachhaltige Konsolidierung ohne Wachstum, aber es gibt auch kein nachhaltiges Wachstum ohne solide Staatsfinanzen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Deswegen verfolgt die große Koalition eine Finanzpolitik der doppelten Tonlage: Wir bringen die Konsolidierung genauso voran, wie wir durch Impulse Weichen für mehr Wachstum und Beschäftigung stellen wollen. Gleichzeitig werden wir die sozialen Sicherungssysteme robuster auf die Veränderungen des Arbeitsmarktes und auf den demografischen Wandel einstellen müssen.
Mit dem Bundeshaushalt 2006 und dem Finanzplan bis 2009 setzen wir unsere Finanzpolitik der doppelten Tonlage und wichtige Eckpunkte des Koalitionsvertrages konsequent um. Ich verschweige nicht, dass wir dem Haushaltsplan sehr konservative Annahmen zugrunde gelegt haben. Das ist auch gut so, und zwar nicht, weil sich der Finanzminister bewusst arm rechnen will, um Ansprüche abzuwehren - diesem Verdacht ist offenbar jeder Finanzminister ausgesetzt -, sondern - das betone ich - weil die Menschen wieder Vertrauen in die Planungen und Entscheidungen der Politik gewinnen müssen. Ich sehe keinen plausiblen Grund, weshalb das Vorsichtsprinzip nur für die Buchführung privater Unternehmen gelten soll und nicht auch für die Rechnungslegung des Staates.
Doppelte Tonlage bedeutet, sowohl Konsolidierung als auch Wachstum zu fördern. Da das eine ohne das andere nicht gelingt, haben wir den Haushalt 2006 - darauf setze ich den Akzent - konjunkturunterstützend angelegt. Das heißt, wir unterlassen auf der Ausgabenseite und auf der Einnahmenseite alles, was der konjunkturellen Aufhellung schaden könnte. Diese Logik vertritt die Bundesregierung gegenüber allen Kritikern, die in diesem Jahr weiter reichende Haushaltskürzungen verlangen oder - das tut wahrscheinlich auch in diesem Hohen Hause eine Minderheit - Steuererhöhungen für den Königsweg halten. Ab 2007 werden wir dann konsolidierungsgerechte Haushalte vorlegen müssen.
Dabei bedeutet konjunkturunterstützend keineswegs, dass wir in diesem Jahr nicht sparen würden. Auch beim Abbau von Steuersubventionen legen wir eine hohe Schlagzahl vor. Ich nenne den Abbau der Eigenheimzulage, die Beschränkung der Verlustverrechnung bei Steuerstundungsmodellen und auch den Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm. Im Mai, spätestens Anfang Juni wird dazu der Gesetzentwurf der Bundesregierung folgen.
Der konjunkturunterstützende Bundeshaushalt 2006 verschafft uns den nötigen Rückenwind, den wir brauchen, um 2007 die beiden zentralen finanzpolitischen Ziele der Bundesregierung zu erreichen, nämlich die Einhaltung der Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes und die Einhaltung des Verschuldungskriteriums des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Dazu trägt auch bei, dass wesentliche Konsolidierungsbeiträge, wie zum Beispiel die Rückführung des Bundeszuschusses an die gesetzliche Krankenversicherung, die Anhebung der Umsatz- und Versicherungsteuer - darauf komme ich zurück - und die Einsparungen bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende, ganz bewusst erst im nächsten Jahr greifen und, bezogen auf die Entwicklung ihrer vollen Jahreswirkung, auch erst greifen können. Im Jahre 2006 ist dies schon technisch gar nicht möglich.
Bezogen auf die gesamte Legislaturperiode sind die Konsolidierungsmaßnahmen beachtlich. Zur nachhaltigen Stabilisierung der Bundes- und Staatsfinanzen tragen bis zum Jahre 2009 unter anderem Ausgabenkürzungen von 32 Milliarden Euro im Bundeshaushalt, der Abbau von Steuervergünstigungen in der Größenordnung von 19 Milliarden Euro und Steuermehreinnahmen in Höhe von 28 Milliarden Euro bei. Das heißt, das Konsolidierungsprogramm beträgt insgesamt, bezogen auf den Bundeshaushalt, 80 Milliarden Euro. Damit stellen wir den Bundeshaushalt auf eine solide bzw. - vorsichtiger formuliert - solidere Grundlage.
Nimmt man die Länder- und Gemeindehaushalte hinzu, kommt man sogar auf ein Volumen von 117 Milliarden Euro, was mit Blick auf die Finanzlage der anderen Gebietskörperschaften von erheblicher und auch wachstumspolitischer Bedeutung ist, weil dann einige Kommunen - ich sage nicht: alle Kommunen - endlich wieder die Rolle des kommunalen Investors übernehmen können, was für das örtliche Gewerbe und Handwerk von besonderer Bedeutung ist.
Von den Einmaleffekten zugunsten des Bundeshaushalts in Höhe von rund 50 Milliarden Euro will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden. Sie alle wissen, dass diese nicht maastrichtrelevant sind.
Diese Zahlen belegen, dass wir, beginnend mit dem vorliegenden Haushalt, kraftvolle Anstrengungen unternehmen. Ohne die Berücksichtigung des durchlaufenden Postens der Zuweisung an die Bundesagentur für Arbeit steigen mit Blick auf den weitergereichten Mehrwertsteuerpunkt zur Absenkung der Arbeitslosenversicherungsabgaben die Ausgaben über den gesamten Finanzplanungszeitraum um durchschnittlich nur noch 0,7 Prozent pro Jahr, also weniger als in den letzten sieben Jahren. Real, das heißt unter Berücksichtigung der Inflationsrate, gehen die Ausgaben des Bundes zurück.
Dadurch wird es uns gelingen, das strukturelle gesamtstaatliche Defizit bis Ende 2007 um 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückzuführen. Da die Veränderungen des strukturellen Defizits in der Finanzwissenschaft gemeinhin als Indikator für den fiskalischen Impuls gelten, wird unsere Finanzpolitik mit Blick auf ihre volkswirtschaftliche Wirkung damit eindeutig restriktiv sein.
Damit nicht genug: Trotz des restriktiven Ausgabenkurses halten wir die Investitionen des Bundes auf dem Niveau von 23 Milliarden Euro. Ich sage sehr bewusst: Wann immer sich diese Investitionen im Zuge der konkreten wirtschaftlichen Entwicklung und der Einnahmeentwicklung des Staates aufstocken lassen, wird dies mit Unterstützung des Bundesfinanzministers geschehen.
Lassen Sie mich unsere Entschlossenheit zu einer nachhaltigen Konsolidierung am konkreten Beispiel der Personalausstattung des Bundes verdeutlichen, auch weil es hier viele Vorurteile gibt. Gegenüber 1998 haben wir den Bestand an zivilen Stellen um rund 15 Prozent zurückgefahren. Im Vergleich zum einigungsbedingten Höchststand von 1992 beträgt die Rückführung sogar fast 27 Prozent. Mittlerweile gibt es auf Bundesebene weniger Stellen als vor der Wiedervereinigung im wesentlich kleineren Westdeutschland. Diese Entwicklung hat es bei den Betriebskosten des Bundes gegeben. Zynisch gesagt: Wäre der Bund ein börsennotiertes Unternehmen, dann hätte es sicherlich ein Kursfeuerwerk gegeben.
Trotzdem oder gerade deswegen nähern wir uns - das mag aus meinem Mund merkwürdig klingen - in Sachen Personalabbau langsam dem Ende der Fahnenstange; es sei denn, man glaubt, dass man selbst oder die eigene Klientel umso besser fährt, je weniger handlungsfähig und effizient die Regierung ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Dieser Gedanke scheint bei der FDP umzugehen. Anders kann ich mir nicht erklären, was ich in der „Financial Times“ vom 13. März dieses Jahres gelesen habe: Da forderte Frau Homburger allen Ernstes, man möge die Bundesbeamten doch bitte schön so lange ohne Bezahlung nach Hause schicken, bis der Bundeshaushalt verabschiedet sei.
Das nennt man in den USA „Government Shut-down“.
Ich halte dem ganz bewusst ein modernes Staatsverständnis entgegen. Der Staat benötigt Ressourcen, um seine Aufgaben erfüllen zu können.
Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat; denn die Menschen erwarten zu Recht, dass wir Infrastruktur finanzieren, äußere und innere Sicherheit gewährleisten, Daseinsvorsorge betreiben, die Menschen gegen die großen Lebensrisiken absichern, Familienförderung betreiben und in Forschung, Entwicklung und Bildung investieren. Sie erwarten auch, dass wir Kultur- und Sportförderung betreiben. All diese Erwartungen richten sich an die staatliche Leistungsbereitstellung. Ich habe selten gehört, dass sich diese Erwartungen reduzieren.
Auf der anderen Seite wollen wir keinen Staat, der das Wirtschaftswachstum und die Eigeninitiative bremst und den Menschen mehr wegnimmt, als er ihnen zurückgibt. Das wäre das Ergebnis, wenn wir manchen Alimentationsforderungen nachgeben würden, wie sie insbesondere aufseiten der PDS-Linken erhoben werden.
- Jetzt habe ich endlich mal etwas von Ihnen gehört! Das bewerte ich so, dass Sie bisher mit allem einverstanden waren.
Nein, wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der dadurch Vertrauen und Sicherheit schafft, dass er die großen Lebensrisiken der Menschen absichert und ihnen mehr Chancengerechtigkeit beim Zugang zu Bildungseinrichtungen garantiert, damit sie ein selbst verantwortetes Leben führen können, und zwar ohne Alimentation.
Das erwarten die Menschen und das haben sie uns - jedenfalls nach meiner Wahrnehmung - auch mit dem Wahlergebnis vom 18. September vergangenen Jahres aufgetragen.
Sie wollen den Markt als Ordnungsprinzip für die Wirtschaft; aber sie wollen nicht die Übertragung des Marktprinzips - schon gar nicht in Radikallösungen - auf alle gesellschaftlichen Bereiche.
Sie glauben auch nicht, dass der Markt alle gesellschaftlichen Probleme löst. Sie wollen den Staat nicht als Vormund; aber sie wollen einen Staat, der Spielregeln für unser Zusammenleben setzt. Sie erkennen, dass die Globalisierung unausweichlich ist und dass man sich ihr nicht entziehen kann, indem man an den Landesgrenzen die Rollos herunterlässt; aber sie wollen nicht, dass dies zur Aufkündigung der bewährten Sozialpartnerschaft in der Bundesrepublik Deutschland führt.
Sie sind bereit, Eigenverantwortung zu übernehmen; aber sie wollen - wie ich schon sagte - eine Absicherung gegen die großen Lebensrisiken erhalten sehen. Deshalb trete ich auch der verbreiteten und modischen Diskreditierung des Staates und seiner Institutionen entgegen, die gerne unter dem Deckmantel ordnungspolitischer Argumente daherkommt.
Es geht nicht nur um unsere nationale Zukunft. Deutschland trägt vor allem in Europa auch ökonomische Verantwortung. Deutschland war einer der wesentlichen Architekten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Deswegen und nicht zuletzt wegen unserer ökonomischen Größe tragen wir auch eine besondere Verantwortung dafür, dass dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht relativiert wird oder an Glaubwürdigkeit verliert.
Dieser Pakt stellt eine wichtige Grundlage für den wirtschaftlichen Wohlstand in Europa und insbesondere für die Stabilität des Euro dar, der eine Erfolgsgeschichte schreibt und inzwischen die zweitwichtigste Weltwährung ist. Deshalb dürfen wir den Pakt durch unser Handeln, durch das Handeln der Bundesrepublik Deutschland, in meinen Augen nicht beschädigen.
Der vorliegende Haushalt ist ein erster Schritt, mit dem wir sicherstellen werden, dass Deutschland 2007 das Maastrichter Verschuldenskriterium in Höhe von 3 Prozent wieder erfüllt. Ob dies schon in diesem Jahr gelingt, mag im Zuge einer günstigen Wirtschaftsentwicklung und des konkreten Haushaltsvollzugs gelingen. Ich würde mich freuen. Ich kann dies aber nicht zu Beginn dieses Jahres versprechen, es sei denn, ich träfe dazu auf der Einnahmenseite und auf der Ausgabenseite konkrete Vorsorge. Das müsste ich dann auch nach Brüssel melden. Genau dies widerspräche aber unserer Logik, den Haushalt 2006 konjunkturstützend zu fahren und - ich wiederhole das - alles zu unterlassen, was auf der Einnahmenseite oder auf der Ausgabenseite zu einer Beeinträchtigung der Konjunkturentwicklung beitragen könnte.
Das aktualisierte deutsche Stabilitätsprogramm beschreibt die wachstumsorientierte zeitliche Abfolge unserer Maßnahmen im Detail. 2006 ist die Finanzpolitik strukturell neutral ausgerichtet. Das heißt, die Defizitquote bleibt nach Lage der Dinge - jedenfalls in der Vorausschau - dieselbe wie 2005, nämlich bei 3,3 Prozent.
Ab 2007 wird die Entwicklung der Defizitquote insbesondere durch unsere Konsolidierungsmaßnahmen bestimmt. Das heißt, 2007 wird die Defizitquote auf etwa 2,5 Prozent zurückgehen. Das Stabilitätsprogramm mit seinem Konsolidierungspfad wird übrigens von der EU-Kommission explizit unterstützt. Wir haben dort Anerkennung gefunden. Vor diesem Hintergrund haben wir die Verschärfung des Defizitverfahrens mit einer In-Verzug-Setzung bewusst akzeptiert. Dadurch stärken wir die Glaubwürdigkeit des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Wir wollen eine Vorbildfunktion in Europa insbesondere mit Blick auf andere Länder in der Eurozone einnehmen.
Ich will nicht darum herumreden. Damit uns das gelingt, werden wir eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vornehmen müssen. Ich kann keinerlei Hoffnung darauf machen, dass die Erhöhung nicht kommt. Wir haben die Anhebung der Umsatz- und der Versicherungsteuer zum 1. Januar 2007 beschlossen. Dabei bleibt es, auch wenn ich genau weiß, wie die Debatte in diesem Jahr verlaufen wird, und zwar aus zwei unterschiedlichen Richtungen mit demselben Ergebnis. Die eine Debatte wird in etwa so verlaufen: Das Wirtschaftswachstum entwickelt sich ja besser als veranschlagt, genauso wie die Einnahmen. Bereits anderthalb Monate vor der nächsten Steuerschätzung im Mai wissen einige deutsche Professoren sehr genau, dass die Mehreinnehmen 5 Milliarden bis 6 Milliarden Euro betragen. Weiter wird argumentiert werden: Weil die Entwicklung so günstig sei, könne doch auf die geplante Mehrwertsteuererhöhung verzichtet werden. Die andere Debatte wird folgendermaßen verlaufen: Oje! Das wirtschaftliche Wachstum entwickelt sich doch nicht so wie geplant; es läuft ungünstiger. Deshalb müsse auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichtet werden. Ob so oder so: Ich weiß, dass es genügend Gründe gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gibt.
Sie wird trotzdem kommen, unabhängig davon, wie sich die Konjunktur entwickelt; denn es ist kein konjunkturelles Problem, das wir hier zu schultern haben, sondern ein strukturelles Problem des Haushaltes auf der Einnahmenseite.
Wenn Sie mir nicht glauben, lese ich Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten den ersten Absatz eines „Handelsblatt“-Artikels vor: Die wesentliche Ursache für das deutsche Staatsdefizit sind fehlende Einnahmen.
Zu diesem Ergebnis kommt die Bundesbank in einer Analyse der strukturellen Entwicklung der öffentlichen Finanzen.
Demnach sind seit dem Jahr 2000 die Lohnsteuer und Sozialbeiträge deutlich weniger gewachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Zudem seien die Einnahmen aus gewinnabhängigen Steuern nach dem Ende des Börsenbooms eingebrochen. - Damit haben Sie eine relativ unverdächtige Beschreibung.
Ich sagte bereits, dass ein Fünftel des Bundeshaushalts, das heißt rund 50 Milliarden Euro, nicht nachhaltig gegenfinanziert ist. Diese Lücke müssen wir schließen. Die berechtigte Frage ist, wie. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die denkbaren Alternativen, aber auch deren Folgen genauer ansehen. Genau dies haben wir in den Koalitionsverhandlungen getan, bevor wir uns für die Mehrwertsteueranhebung entschieden haben. Die Alternativen wären entweder massive Einschnitte bei den Leistungsgesetzen und infolgedessen die Kürzung von Transferzahlungen oder Kürzungen bei den Investitionen gewesen.
- Herr Lafontaine, ich habe den Eindruck, dass Sie glauben, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht in einem internationalen Steuerwettbewerb befindet und dass Kapital besonders immobil ist. Das sind die beiden Denkfehler in den vielen Beiträgen, die Sie von dieser Stelle aus gemacht haben.
Wenn Sie mit Ihrem Sachverstand gelegentlich auf Elastizitäten oder auf wechselseitige Abhängigkeiten zu sprechen kämen, dann würde das Ihre Beiträge substanzieller machen als diese einseitige ökonomische Auslegung.
Wenn wir mehr einsparen sollen - das ist der Vorschlag der FDP -, müssen wir die 17 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt fehlen, entweder dadurch erzielen, dass wir an Leistungsgesetze herangehen, zum Beispiel an den Zuschuss zur Rentenkasse, oder dadurch, dass wir bei den Investitionen kürzen. Ich bin mir ziemlich sicher, alle in diesem Haus stimmen überein: Die Investitionen sind tabu, weil wir uns sonst den Wohlstandsast absägen würden, auf dem wir sitzen. Wenn wir die Renten oder das Arbeitslosengeld in einem Jahr um zweistellige Milliardenbeträge kürzen, rufen wir massive soziale Verwerfungen hervor. Auch das hätte Auswirkungen auf die Konjunktur - oder glaubt irgendjemand in diesem Saal, dass die damit verbundene Schmälerung der Kaufkraft keine negativen Auswirkungen auf die Binnennachfrage hätte? Das schlägt sich in der volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung doch genauso nieder wie der Entzug von Kaufkraft durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer; es ändert sich überhaupt nichts.
Ein Verzicht auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer ermöglicht auch nicht den weiteren Einstieg in eine größere oder - ich sage es bescheidener - sukzessiv stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme bei gleichzeitiger Entlastung der Arbeitsplätze von Lohnnebenkosten. Denn - was in der Debatte häufig unerwähnt bleibt - ein Drittel dieser Mehrwertsteuererhöhung, sprich 1 Prozentpunkt, wird vollständig zur Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung verwendet. Das heißt, der Arbeitslosenversicherungsbeitrag sinkt in der Summe um 2 Prozentpunkte. Die Sozialabgabenlast sinkt damit netto um insgesamt 1,6 Prozentpunkte; diese Zahl erklärt sich dadurch, dass die Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages um 0,4 Prozentpunkte gegenzurechnen ist. Ich führe das an, damit die Rechnung vollständig ist und keinem Sand in die Augen gestreut wird.
Durch diese Operation am Arbeitslosenversicherungsbeitrag steigt das Realeinkommen der Beschäftigten. Nun behaupte ich nicht, dass das die Verluste durch die Mehrwertsteuererhöhung auch nur annähernd kompensiert, aber immerhin steht es dem positiv entgegen. Für die Unternehmen werden die Arbeitsplätze kostengünstiger, was sie in der Tendenz, wie ich hoffe, wieder etwas sicherer macht. Auch dies wird durch die Mehrwertsteuererhöhung geleistet. Damit will ich nicht relativieren oder in Abrede stellen, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer konjunkturdämpfend wirkt. Natürlich tut sie das; das lernen Sie im zweiten Semester; völlig klar. Wie stark dieser Effekt ist, lässt sich allerdings nur unter vielen Annahmen abschätzen. Nach Lage der Dinge kann man nicht davon ausgehen, dass die Mehrwertsteuererhöhung kurzfristig vollständig auf die Preise abgewälzt werden kann - das verhindert nicht zuletzt der sehr intensive Wettbewerb, den wir auf vielen Märkten in Deutschland haben. Der Übergangszeitraum bis zur Erhöhung der Mehrwertsteuer wird außerdem dazu führen, dass nicht alle Preise auf einen Schlag, gleichzeitig, angehoben werden. Auch deshalb haben wir als große Koalition darauf verzichtet, diese Mehrwertsteuererhöhung bereits im Jahre 2006 zu realisieren.
Schließlich: Wer meint, die Anhebung der Mehrwertsteuer hätte massive Verteilungswirkung, dem sage ich, dass beispielsweise die Mieten weiterhin umsatzsteuerfrei bleiben und die meisten Güter des täglichen Bedarfes nur dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen - der unverändert bleibt.
Ich weiß, dass das Handwerk Argumente gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer vorbringt, die ernst zu nehmen sind. Das Hauptargument lautet, dass in der Tendenz der Flucht in die Schwarzarbeit Vorschub geleistet werden könnte. Dies ist ein sehr gewichtiges Argument. Man muss allerdings - das sage ich an die Vertreter des Handwerks gerichtet - das Gesamtpaket der großen Koalition betrachten: Wir machen Schwarzarbeit unter anderem dadurch weniger attraktiv, dass wir die Lohnnebenkosten senken. Mit dem Wachstumspaket haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmen beschlossen, die eindeutig zugunsten des Handwerks und auch des Gewerbes wirken; ich will das im Einzelnen nicht auflisten.
Ja, wir brauchen Schwung in diesem Jahr, um über die konjunkturdämpfende Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 hinwegzukommen. Deshalb stärken wir die Wachstumskräfte in unserem Land mit dem schon mehrfach erwähnten 25-Milliarden-Euro-Programm, das sich auf Zukunftsbereiche richtet: Forschung und Entwicklung, Familie, Verkehr, Wirtschaftsförderung, Familie als Arbeitgeber. Deshalb ist dies kein Konjunkturprogramm, sondern es ist ein Programm, mit dem strukturell wichtige Impulse für Wachstum und Beschäftigung gegeben werden.
Es gerät in diesem Zusammenhang immer wieder in Vergessenheit, dass es nicht alleine diese 25 Milliarden Euro sind. Vielmehr führen die Beiträge der anderen Gebietskörperschaften - sprich: der Länder und der Kommunen - zu weiteren 12 Milliarden Euro. Das sind insgesamt immerhin 37 Milliarden Euro. Das ist nicht so wenig, wie alle tun. In alten D-Mark-Beträgen ausgedrückt, die vielen noch vertraut sind, reden wir über ein 70-Milliarden-Programm zur Unterstützung von Wachstum und Beschäftigung. Wer dies kleinredet, folgt einer Tendenz, die wir in Deutschland oft haben, nämlich der, dass das Wasserglas als halb leer und nie als halb voll bezeichnet wird.
Im Startjahr 2006 werden davon ungefähr 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, die Aufstockung der Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, Erleichterungen bei der Erhebung der Umsatzsteuer und die Erhöhung der Verkehrsinvestitionen werden und sollen schon kurzfristig, noch in diesem Jahr, die Situation verbessern. Daran ändert auch nichts - das betone ich sehr deutlich - die vorläufige Haushaltsführung. Ich könnte das jetzt am Beispiel des CO2-Gebäudesanierungsprogramms oder auch an anderen Beispielen durchdeklinieren, tue dies aber aus Zeitgründen nicht.
Ein wesentlicher Teil dieses Programms von 25 Milliarden plus 12 Milliarden Euro - ungefähr 14 Milliarden Euro, alleine was den Bundesanteil betrifft - kommt dabei unmittelbar kleinen und mittleren Unternehmen zugute.
Sie profitieren besonders von den Verbesserungen bei den Abschreibungsbedingungen und von der Neuregelung der Umsatzsteuer - Stichwort: Istbesteuerung -, aber auch in den Bereichen Gebäudesanierung und Verkehrsinfrastruktur wird ein wesentlicher Anteil des Auftragsvolumens auf die mittelständischen Unternehmen entfallen.
Neben der Senkung der Lohnzusatzkosten soll die Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 zu mehr Wachstumsdynamik in unserem Lande beitragen. Sie ist deshalb eines der wichtigen Reformprojekte, die mein Haus bis 2008 gerne mit Ihnen zusammen zum Erfolg führen will, weil wir im internationalen Maßstab unsere Unternehmensbesteuerung wettbewerbsfähiger gestalten müssen. Ich behaupte, dass das wesentliche Problem nicht bei den Personengesellschaften liegt. Durch die Maßnahmen der vergangenen Bundesregierung mit der Absenkung des Spitzensteuersatzes, der Absenkung des Eingangssteuersatzes und höheren Freibeträgen haben wir dazu beigetragen, dass sich die Durchschnittsbesteuerung, also die effektive Besteuerung der Personengesellschaften, in Deutschland deutlich verbessert hat. Zu dem Bild gehört aber auch, dass die Besteuerung der Kapitalgesellschaften und der Körperschaften in Deutschland im internationalen Vergleich mit am schlechtesten ist. Mit einem Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent, mit Gewerbesteuer und Soli ist die Besteuerung dieser Unternehmen nicht wettbewerbsfähig.
Deshalb wollen wir die nominalen Steuersätze senken; denn sie sind ein wichtiges Signal für Investoren. Ich füge allerdings sehr bewusst hinzu: Nettoentlastungen in Milliardenhöhe, die manche Vorschläge enthalten, hält der Fiskus nicht aus.
Wir wollen das System reformieren. Wir wollen es transparenter, einheitlicher und rechtsformneutral gestalten. Wir wollen weg von dem alten Dualismus der unterschiedlichen Besteuerung von Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften. Hierfür entwickeln wir zurzeit in meinem Haus die Eckpunkte. Es wird dazu von mir innerhalb der nächsten zwei Monate kein Sterbenswörtchen geben, weil ich meine, dass sich die Politik die notwendige Reifezeit nehmen sollte, um ein solches Werkstück gut zu bearbeiten,
und nicht dazu beitragen sollte, dass Woche für Woche mit irgendwelchen Wasserstandsmeldungen die gesamte deutsche Öffentlichkeit verunsichert wird.
Die Unternehmensteuerreform ist nicht das einzige Vorhaben, das wir zur Stärkung der Wirtschaft in Gang setzen wollen. Aus vielen Gesprächen weiß ich, wie sehr gerade den kleineren und mittleren Unternehmen das Problem der Regelung der Unternehmensnachfolge auf den Nägeln brennt. Häufig ist das eher ein subjektiv wahrgenommenes Problem und nach dem deutschen Steuerrecht, wie ich glaube, objektiv keineswegs gegeben. Hier geht es aber oft um nicht weniger als den Fortbestand des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart werden wir daher, wenn möglich unter Berücksichtigung des anstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, zum 1. Januar 2007 die Erbschaftsteuer so reformieren, dass diese nach zehnjähriger Unternehmensfortführung nicht mehr anfällt.
Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen bereits darauf hingewiesen, dass wir uns den demografischen und sozioökonomischen Veränderungen stellen und unsere sozialen Sicherungssysteme durch Strukturreformen robuster machen müssen. Dies ist eine wichtige Grundvoraussetzung für langfristig tragfähige öffentliche Finanzen. Die Sicherung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ist dabei eine vordringliche Aufgabe. Wir wissen, dass wir alle eher dem Risiko ausgesetzt sind, dass dieser Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse vor dem Hintergrund geänderter Berufsbiografien erodiert und dass damit die wesentliche Finanzierungsgrundlage unseres sozialen Sicherungssystems unter Druck gerät.
Zur Modernisierung des Sozialstaates gehören allerdings auch Einsichten, die nicht immer bequem sind. Wir brauchen mehr Chancengerechtigkeit als heute. Ergebnisgleichheit kann und sollte die Politik nicht garantieren. Wir dürfen in diesem Zusammenhang grundlegenden Fragen nicht ausweichen, zum Beispiel: Wieso verlassen pro Jahr über 80 000 Schüler die Hauptschule ohne Abschluss? Wieso sind pro Jahr fast 250 000 Berufsschulabgänger ohne Abschluss? Sie sind die vorprogrammierten Verlierer in der Dynamik des Arbeitsmarktes.
Die Bundesagentur für Arbeit steht zunehmend vor der Aufgabe, die Vermittlung der für den Einstieg in das Berufsleben notwendigen Fähigkeiten, die nicht in der Schulzeit vermittelt worden sind, nachzuholen. Das ist eigentlich nicht ihre Aufgabe. Das zeigt mit aller Dramatik: Wir brauchen dringend zielführende Reformen im Bildungssystem. Zielführend sind solche Reformen nur dann, wenn sie die Startchancen unserer Kinder verbessern.
Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des modernen Sozialstaates ist in Zeiten wachsender demografischer Herausforderungen notwendiger denn je. Die Rentenbezugsdauer ist im Vergleich zu 1960 bereits um zwei Drittel höher. Als 1957 die dynamische Rente eingeführt wurde, gab es neun Beitragszahler, die mit ihren Beiträgen in den damaligen drei Säulen des deutschen Sozialversicherungssystems dazu beigetragen haben, dass ein Leistungsempfänger finanziert werden konnte. Dieses Verhältnis ist von 9 : 1 auf 3,3 : 1 gesunken und es wird in den nächsten Jahren auf unter 3 : 1 sinken.
Damit ist völlig klar, dass wir mit Blick auf die Finanzierung dieser jetzt vier Säulen unseres sozialen Sicherungssystems - die Pflegeversicherung ist hinzugekommen - es mit einem Problem der politischen Mathematik zu tun haben und dass irgendwelche Empörungen auf Tagungen, Verbandstagungen und wo auch immer nicht weiterhelfen. Es ist, wie gesagt, eine Frage der politischen Mathematik, dass wir uns mit diesem Problem auseinander setzen müssen.
Die Anzahl der Personen im Rentenalter steigt bis 2030 von gegenwärtig 13,5 Millionen auf über 22 Millionen. Gleichzeitig sinkt der Anteil der jungen Menschen dramatisch. Die Menschen leben bis 2030 im Durchschnitt rund drei Jahre länger. Je älter ich werde, desto besser finde ich das. Besonders deutlich zeigen sich die Lasten der demografischen Alterung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung wird bis 2050 von 24 Prozent auf knapp 40 Prozent steigen. Das Renteneintrittsalter ist, bezogen auf die alten Bundesländer, von 1960 bis 2004 bei den Männern um zwei Jahre und bei den Frauen um ein Jahr gesunken. Die Lebenserwartung ist jedoch um 8,5 Jahre bei Männern und um neun Jahre bei Frauen gestiegen.
- Das kommt ja in den Gleichberechtigungsdiskussionen nie vor.
Die Rentenbezugsdauer verlängerte sich im Durchschnitt um sieben Jahre. Das hat natürlich auch Folgen für den Bundeshaushalt: Fast ein Drittel des Bundeshaushaltes, rund 78 Milliarden Euro, muss mittlerweile für die Rentner und für die Pensionäre verwendet werden, Tendenz steigend. Diese Zahlen machen deutlich: Die Lasten der demografischen Entwicklung müssen in einem ausgewogenen Verhältnis von allen Teilen der Gesellschaft, also von den Beziehern unterschiedlicher Einkunftsarten, getragen werden, damit wir dieses System stabilisieren können. Diese Zahlen machen deutlich, dass die Dynamik der Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt so jedenfalls nicht fortgeführt werden kann. Es kann und darf keinen Automatismus für einen immer weiter steigenden Zuschuss aus dem Bundeshaushalt für die Sozialkassen geben. Dies ist ein wichtiger Beitrag, der Verkarstung des Bundeshaushalts, von der ich eingangs gesprochen habe, entgegenzuwirken und langsam finanzpolitischen Gestaltungsspielraum für Zukunftsinvestitionen zurückzugewinnen.
Für den Erfolg unserer Konsolidierungsstrategie ist die Entwicklung im Gesundheitswesen ebenso wichtig wie der Arbeitsmarkt und die Rente. Deutschlands Gesundheitswesen ist modern und leistungsfähig, leider aber auch sehr teuer. Gute medizinische Versorgung war schon immer ein Grundwert unserer Gesellschaft. Niemand sollte von dieser guten medizinischen Versorgung ausgeschlossen werden, nur weil er arm ist, und niemand sollte arm werden, nur weil er krank ist.
Deshalb müssen sich die Reformmaßnahmen daran messen lassen, ob sie die von den Menschen grundsätzlich gewünschte Solidarität erhalten.
Natürlich müssen wir dabei auch die Einnahmeseite sehen. Ein Gesundheitssystem, das überwiegend über Lohnnebenkosten finanziert wird, gefährdet natürlich Arbeitsplätze.
Zudem hört die Solidarität bei der Finanzierung schnell auf. Ausgerechnet Spitzenverdiener und Beamte, auch Minister, können in die privaten Kassen ausweichen, wo sie meist weniger zahlen müssen als in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Sorge muss zudem machen, dass immer mehr Menschen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung entweichen, während die schlechten Risiken in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben.
Auf der anderen Seite dürfen wir dabei nicht vergessen, dass Reformen auf der Ausgabenseite des Gesundheitssystems nicht minder dringlich sind. Die Fragen liegen auf der Hand: Verfügen wir über geeignete Instrumente bei der Ausgabensteuerung? Wieso gibt es in diesem Bereich nur einen unzureichenden Wettbewerb?
Meines Erachtens sind weitere Schritte zu wettbewerblichen und effizienzsteigernden Strukturen auf der Ausgabenseite und der Leistungsseite unabdingbar, wenn beispielsweise jährlich schätzungsweise 4 000 Tonnen Arzneimittel im Wert von mindestens 2 Milliarden Euro auf dem Müll landen, wenn jede dritte von 120 Millionen Röntgenaufnahmen überflüssig ist und wenn für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung bei den Kosten völlige Intransparenz herrscht.
Die Maßnahmen der Vergangenheit zur Steigerung der Einnahmen oder Deckung der Ausgaben haben den gesetzlichen Krankenversicherungen immer nur kurzfristig Luft verschaffen können. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis die Entlastungen im System wieder von Kostensteigerungen sozusagen überholt wurden. Aus diesem Mechanismus müssen wir heraus, weshalb ich meine Kollegin Ulla Schmidt in den Anstrengungen, die auf eine weitgehende Reform des Gesundheitssystems zielen, nachhaltig unterstützen möchte. Als Finanzminister habe ich ein massives Interesse daran, dass dieses Reformvorhaben nicht scheitert. Denn sein Scheitern würde in Form von steigenden Zuschüssen negativ auf den Bundeshaushalt zurückschlagen.
Ich komme zum Schluss. Die große Koalition wird von vielen Menschen als eine gute Chance begriffen, zentrale Reformen in Deutschland mit einem langen Haltbarkeitsdatum auf den Weg zu bringen.
Das würde Vertrauen begründen. Diese Kategorie ist bekanntlich von großer Bedeutung für Investoren wie auch für Konsumenten. Die große Koalition wird auch als Chance begriffen, Gruppeninteressen entgegenzuwirken, weil keine der beiden großen Parteien mehr auf der Basis von mir aus legitimer, aber durchaus nicht immer mit dem Allgemeininteresse identischer Gruppeninteressen gegeneinander ausgespielt werden kann.
Eine solide Haushaltsführung, so wie sie Millionen privater Haushalte auch betreiben müssen, wenn sie denn den Gerichtsvollzieher nicht im Haus haben wollen, ist eine wesentliche Erwartung der Menschen.
Die Flucht aus unangenehmen Entscheidungen in die sich immer weiter drehende Verschuldensspirale wird immer weniger akzeptiert, schon gar nicht von der jüngeren Generation, die den Kapitaldienst für unsere Schuldenaufnahme auf sich zurollen sieht.
Die Koalition ist gefordert, die Weichen für eine Haushaltskonsolidierung zu stellen, ohne deswegen Zukunftsinvestitionen zu vernachlässigen. Der Finanzminister versteht sich in dieser Hinsicht als Gestalter und nicht als Verhinderer. Um beidem zu entsprechen, brauchen wir Mut, Durchhaltevermögen und gelegentlich auch Courage. Wir brauchen über die Grenzen der Fachpolitiken hinweg einen gemeinsamen Sinn für das Ganze und auch für die Prioritäten. Dafür möchte ich mit dieser Rede werben.
Es wäre schließlich hilfreich, wenn wir die Menschen nicht durch sich widersprechende Nachrichten oder wöchentliche Wasserstandsmeldungen verunsichern würden oder wenn wir unsere Vorhaben nicht selbst in Frage stellen würden, bevor wir sie überhaupt begonnen haben.
Verlässlichkeit in der Finanzpolitik könnte ein Markenzeichen dieser großen Koalition sein. Das schließt keineswegs aus, Notwendiges zu tun und auch neue Wege zu gehen, wenn wir es denn erklären. Ich glaube, wir unterschätzen die Offenheit, die Aufgeschlossenheit der Bürgerinnen und Bürger für solche Erklärungen. Die meisten von ihnen wissen: Wenn wir vieles von dem erhalten wollen, was uns wichtig ist, auch und gerade für nachfolgende Generationen, dann müssen wir vieles verändern.
Der Haushaltsentwurf 2006, die mittelfristige Finanzplanung, das Stabilitätsprogramm und das Haushaltsbegleitgesetz sind das erste finanzpolitische Paket dieser Koalition. Es werden noch einige Bewährungsproben auf uns zukommen, die wir meistern werden.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzminister hat für die Bundesregierung den Entwurf für den Bundeshaushalt 2006 und das Haushaltsbegleitgesetz eingebracht. Der Deutsche Bundestag wird in dieser Woche eine erste Bewertung vornehmen. Ich will Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, vonseiten der FDP ausdrücklich zusagen, dass wir, was den Bundeshaushalt und auch das Haushaltsbegleitgesetz angeht, in den Ausschüssen konstruktiv mitarbeiten werden. Wir sind der Auffassung, dass, wie der Bundeshaushalt zeigt, die finanzielle Situation unseres Landes so ernst ist, dass sich die Opposition einer Zusammenarbeit nicht verweigern kann. Deshalb bieten wir ausdrücklich unsere Mitarbeit an.
Herr Bundesfinanzminister, wir beide kennen uns ja schon lange, auch aus Schleswig-Holstein.
Ich weiß, dass Sie ein sehr kluger Mann sind.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Verehrter Herr Fraktionsvorsitzender, es wäre schön, wenn die ungeteilte Aufmerksamkeit der Regierung für die Rede des ersten Oppositionsredners sichergestellt wäre.
Jürgen Koppelin (FDP):
Das gilt auch für den anderen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lieber Herr Kauder!
Jürgen Koppelin (FDP):
Es ist wirklich sehr unhöflich, wenn der erste Redner der Opposition in der Weise von den beiden Fraktionsvorsitzenden gestört wird.
- Das ist nun einmal so, zumal ich den Bundesfinanzminister direkt angesprochen habe.
Ich wiederhole das gerne. Ich kenne Herrn Steinbrück als einen wirklich sehr klugen Mann und ich schätze ihn, auch wenn wir hin und wieder unterschiedliche Auffassungen haben. Ich habe mir überlegt, wie er seine heutige Rede vorbereitet haben könnte. Da gab es zwei Möglichkeiten: Sie konnten die kluge Version wählen, Herr Bundesfinanzminister, indem Sie offen und ehrlich sagen, wie die Situation ist. Dann hätten Sie aber ansprechen und begründen müssen, warum Sie heute einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegen. Das haben Sie nicht getan.
Sie haben sich für die zweite Möglichkeit entschieden, nämlich den Nebelwerfer. Sie haben viel Nebel produziert und sehr viel Lyrik, aber der deutschen Bevölkerung nicht konkret gesagt, was für einen Haushalt Sie hier vorgelegt haben.
Deswegen erlauben Sie mir, aus meiner Sicht eine Bewertung für beide Gesetze vorzunehmen. Dabei kommt man nicht darum herum, eine haushaltspolitische Bilanz dessen zu ziehen, was Rot-Grün gemacht und - das muss man fairerweise sagen - Rot-Schwarz übernommen hat. Allerdings muss sich auch die neue Bundesregierung fragen lassen, was sie unternehmen wird, um aus der schwierigen haushaltspolitischen Situation herauszukommen. Es steht außer Frage, dass der Haushalt und die Finanzen, die die neue Regierung übernommen hat, eine schwere Erblast sind.
Pikant ist, Frau Bundeskanzlerin, bei dieser schweren Hinterlassenschaft allerdings, dass die stärkste Partei in der früheren Koalition, die SPD, nun der Juniorpartner in der neuen Koalition ist. Die Erblast, die sozialdemokratische Finanzminister in sieben Jahren Rot-Grün hinterlassen haben, wird uns nicht nur bei dieser Haushaltsberatung beschäftigen, sondern auch zukünftig.
Frau Merkel, Sie müssen sich schon fragen lassen, wieso Sie es bei der Bildung der neuen Koalition trotz dieser Erblast zugelassen haben, dass ein Sozialdemokrat erneut das Finanzministerium übernimmt.
Vielleicht, Frau Merkel, hat es daran gelegen, dass Sie die Erblast so noch nicht gekannt haben und dass damals, als Sie mit den Sozialdemokraten verhandelt haben, Sie und Edmund Stoiber - das war, bevor er die Flucht nach München antrat - erst die Ministerposten verteilt haben, bevor Sie versucht haben, sich in der Sache zu einigen. Das ist wahrscheinlich das Problem; sonst hätten Sie den Sozialdemokraten niemals die wichtige Aufgabe des Bundesfinanzministers überlassen dürfen.
Viele finanz- und haushaltspolitische Fehler sind in den sieben Jahren der rot-grünen Koalition gemacht worden. Ich will nicht verleugnen, dass der frühere Bundesfinanzminister Eichel viele Probleme richtig erkannt hat. Er hat auch die große Belastung für die kommenden Generationen gesehen. Trotzdem war er nicht in der Lage, umzusteuern. Das mag auch daran gelegen haben, dass er dafür nicht die Unterstützung der eigenen Fraktion bekommen hat.
Doch auch der heutige Bundesfinanzminister, Peer Steinbrück, hat, bereits bevor er Finanzminister wurde, erkannt, wo die Kernprobleme auf dem Weg zu einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik in Deutschland liegen.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen im Bundesrat gesagt - das ist durchaus richtig -:
Das Kernproblem in Deutschland ist die Steuer- und Abgabenquote; das heißt die spezifische Finanzierung der sozialen Transfersysteme über ein Umlagensystem, das an Normalarbeitsverhältnisse gekoppelt ist. Im Ergebnis haben die Sozialversicherungsabgaben und damit die Bruttoarbeitskosten ein zu hohes Niveau erreicht.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Zitat von Ludwig Erhard anführen. Die Kanzlerin zitiert ihn immer gern. Deswegen will auch ich es tun. Ludwig Erhard sagte 1958 - es ist in der „Zeit“ nachzulesen -:
Nichts ist in der Regel unsozialer als der so genannte „Wohlfahrtsstaat“ ... Solche „Wohltat“ muss das Volk immer teuer bezahlen, weil kein Staat seinen Bürgern mehr zurückgeben kann, als er ihnen vorher abgenommen hat.
Das ist die Krux unserer Haushaltspolitik. Darum dreht sich vieles.
Peer Steinbrück weiß ebenso wie früher Hans Eichel ganz genau, wo die Probleme liegen. Doch das spiegelt sich nicht - das war schon unter Eichel so - in den Haushaltsplänen wider. Insofern ist das, was Sie, sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, uns heute als Bundeshaushalt 2006 vorgelegt haben, eine Taschenbuchausgabe der früheren Haushaltspläne von Hans Eichel - nicht mehr und nicht weniger.
Peer Steinbrück kennt die Probleme, aber er hat nicht gehandelt.
Unter sozialdemokratischen Finanzministern wurden 200 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Dabei sind die Steuereinnahmen nicht etwa zurückgegangen. Sie sind vielmehr gestiegen. Durch die hohe Schuldenaufnahme gibt es eine zweite Hinterlassenschaft. Das sind die hohen Zinsbelastungen: 39 Milliarden Euro pro Jahr.
- Ich komme gleich darauf zurück. - Diese hohe Zinsbelastung ist nicht zu verantworten. Wir müssen davon herunter.
Die dritte Hinterlassenschaft von Rot-Grün ist die hohe Abgabenlast mit fast 40 Prozent. Wen wundert es da, wenn es keine Bewegung auf dem Arbeitsmarkt gibt und wenn die Arbeitslosigkeit weiterhin bei 5 Millionen Arbeitslosen auf Rekordhöhe bleibt?
Ich will nun nicht allein der früheren rot-grünen Koalition - damit komme ich auf den Zuruf zurück - die Fehler in der Haushalts- und Finanzpolitik anlasten.
Lieber Kollege Schneider, die FDP teilt dazu die Aussage der Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung.
Die Bundeskanzlerin - es ist auch Ihre Kanzlerin; denn sie wird von Ihnen in der Koalition getragen - sagte in ihrer Regierungserklärung:
Wir brauchen ... einen Kurswechsel in der Haushaltspolitik.
Ich sage ganz ausdrücklich: Die Ursachen,
- jetzt kommt es -
die Anfänge dieser Fehlentwicklung liegen weit zurück. Die lassen sich im Übrigen ganz gut bei der ersten großen Koalition verorten.
Jetzt wissen Sie, wo die Gründe liegen, lieber Herr Kollege. Wo Frau Merkel Recht hat, hat sie Recht.
Frau Merkel hat dann in ihrer Regierungserklärung einen Kurswechsel in der Haushaltspolitik angekündigt. Frau Merkel, ich kann bei diesem Bundeshaushalt keinen Kurswechsel erkennen. Beim Bundeshaushalt 2006 übersteigt die Neuverschuldung sogar noch die des letzten Etats von Hans Eichel um 7 Milliarden Euro. In der mittelfristigen Finanzplanung sind 16 Milliarden Euro in Ansatz gebracht. Das soll der angekündigte Kurswechsel sein? Statt Kurswechsel bleibt also alles wie gehabt: noch mehr Schulden, höhere Steuern, aber keine Korrektur bei den Ausgaben.
Auch bei Rot-Schwarz ist der Bundeshaushalt wie bei Rot-Grün verfassungswidrig und setzt den geplanten Verfassungsbruch der letzten Jahre fort. Da gibt es nichts zu beschönigen. Der Finanzminister hat dies zwar mit dem Werfen von Nebelkerzen versucht. Aber Verfassungsbruch bleibt Verfassungsbruch.
Der Bundesfinanzminister und auch der Bundeswirtschaftsminister erzählen uns immer wieder, die Konjunktur werde anspringen, die Koalition mache eine tolle Stimmung und die Menschen würden wieder Mut fassen. Wenn dem so ist, dass sich die Konjunktur erholt und dass es Wirtschaftswachstum gibt, dann muss man sich doch fragen, warum Sie einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegen. Wenn Sie nämlich optimistisch wären, dann könnten Sie doch nicht von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausgehen und damit einen verfassungswidrigen Haushalt rechtfertigen. Wenn man positiv eingestellt ist, dann braucht man doch nicht zu erklären, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Man muss vielmehr den eigenen Zahlen vertrauen. Aber Sie glauben nicht an Ihre eigenen Zahlen, Herr Bundesfinanzminister. Das ist Ihr Problem.
Die FDP hat den Eindruck, dass Sie mit voller Absicht einen stabilitätswidrigen Haushalt vorlegen. Mit steigenden Steuereinnahmen und entschlossenen Sparanstrengungen wäre es durchaus möglich gewesen, einen stabilitätsgerechten Haushalt vorzulegen. Nur, das wollen Sie gar nicht. Denn auf diesem Umweg wollen Sie Ihre Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte begründen.
Wer wie Peer Steinbrück im Bundesrat erklärt, dass das Kernproblem in Deutschland die Steuer- und Abgabenquote sei, um nun auf einmal als neues Mitglied der Bundesregierung für die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte einzutreten, zeigt, dass er die Situation zwar richtig erkannt hat, aber dann das Gegenteil macht, genauso wie es sein Vorgänger, Hans Eichel, getan hat.
Nicht Steuern hoch, sondern Steuern runter! Das belebt die Konjunktur und würde neue Arbeitsplätze schaffen. Das Entscheidende, was uns von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, unterscheidet, ist: Wir wollen, dass die Steuern gesenkt und nicht erhöht werden.
Der Bundesfinanzminister muss doch ein Interesse daran haben, dass das Konsumklima in Deutschland erheblich verbessert wird. Ein besseres Konsumklima in Deutschland bringt auch dem Finanzminister im Bundeshaushalt mehr Einnahmen. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte werden Sie das Konsumklima in Deutschland auf keinen Fall verbessern.
Wie heißt es in einem Flugblatt der Sozialdemokraten zur letzten Bundestagswahl:
Allein schon die Möglichkeit einer Steuererhöhung trübt das Konsumklima deutlich ein.
So die Sozialdemokraten. Was machen Sie jetzt? Sie trüben das Konsumklima ein, wenn ich Ihrem Flugblatt glauben darf.
Ich zitiere wörtlich aus einem weiteren Flugblatt der Sozialdemokraten zur Bundestagswahl:
Alle Bürger haben durch eine Mehrwertsteuererhöhung weniger in der Tasche. Das bedeutet: Sie können weniger konsumieren. Angesichts einer ohnehin zu geringen Binnennachfrage ist dies Gift für unsere Konjunktur.
Warum machen Sie genau das Gegenteil? Es war doch alles richtig, was Sie - es gibt weitere Zitate zur Mehrwertsteuererhöhung - gesagt haben. Die Sozialdemokraten müssen sich fragen lassen, warum sie diesen Wortbruch gegenüber ihren Wählern begangen haben. Sie säßen doch heute nicht in dieser Stärke im Deutschen Bundestag, wenn Sie nicht vor allem einen Wahlkampf gegen die Mehrwertsteuererhöhung geführt hätten. Sie hätten mindestens 50 Abgeordnete weniger im Deutschen Bundestag.
Ich fand es sehr interessant, dass in den Wahlsendungen am Sonntagabend plötzlich alle Parteien die niedrige Wahlbeteiligung bedauert haben. Angesichts dessen, dass die Menschen von den Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl so betrogen wurden, verzweifeln sie allmählich und sagen sich: Ich brauche gar nicht mehr zur Wahl zu gehen.
Sie befinden sich aber in bester Gesellschaft. Der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder, erklärte ebenfalls im Mai letzten Jahres:
Eine Steuererhöhung wäre Gift für die Konjunktur, deswegen kann eine Steuererhöhung nicht infrage kommen. Dies gilt für jede Steuer, damit auch für die Mehrwertsteuer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrwertsteuererhöhung, die Sie planen, ist unsozial gegenüber 21,8 Millionen Rentnern, 1,4 Millionen Pensionären und Versorgungsempfängern, 5 Millionen Arbeitslosen sowie gegenüber 2 Millionen Studenten. Diese Zahlen stammen nicht von mir, sondern ebenfalls aus einem Flugblatt der Sozialdemokraten. - Herzlichen Dank, dass Sie mir dieses Material zur Verfügung gestellt haben. Das ist Ihr großer Wortbruch.
Was machen Sie jetzt? Auf der einen Seite legen Sie, Herr Bundesfinanzminister, ein Programm mit Mitteln in Höhe von 25 Milliarden Euro, verteilt auf zwei Jahre, auf und auf der anderen Seite ziehen Sie den Bürgern 150 Milliarden Euro Kaufkraft aus der Tasche. Hinzu kommen 20 Milliarden Euro, weil in diesem Jahr für einen Monat zusätzlich Sozialabgaben abgeführt werden müssen. Ihre Politik ist: ein Konjunkturprogramm von 25 Milliarden Euro, das, was Sie auf Ihrer Klausurtagung beschlossen haben, und gleichzeitig Abzocke bis zum Gehtnichtmehr. Wie soll da die Konjunktur anspringen?
Ich habe es schon gesagt: Mit dem Haushaltsentwurf 2006 liegt ein eindeutiger Verfassungsverstoß vor. Es ist erheblich zu bezweifeln, dass mit der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung in Art. 115 des Grundgesetzes und der erhöhten Kreditaufnahme die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewendet werden kann. Auch in den vergangenen Jahren ist das alles so begründet worden. Auch in den vergangenen Jahren waren die Haushalte verfassungswidrig. Es hat sich nichts getan. Bei der Arbeitslosenzahl ist nichts passiert. Sie ist auf gleicher Höhe geblieben bzw. sogar gestiegen. Die Konjunktur hat sich nicht belebt. Jedes Jahr erfolgt die gleiche Begründung für einen Verfassungsverstoß und jedes Jahr hat es zu nichts geführt. Sie haben sich neu verschulden müssen. Die Neuverschuldung mit 38 Milliarden Euro in diesem Jahr ist - daran geht kein Weg vorbei - ein Armutszeugnis für eine große Koalition. Statt Ausgabenminderungen gibt es nur Ausgabensteigerungen.
Der Bundeshaushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Lassen Sie uns die Investitionen anschauen: Sie sind so niedrig, wie es in den vergangenen Jahren nicht einmal der Fall gewesen ist. Sie werden bis 2009 auf etwa 8,5 Prozent sinken. Dies zeigt, dass wir weiterhin mit einer hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland rechnen müssen.
Alles, was Sie uns bisher vorgelegt haben, das Ausgabenprogramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro und der Bundeshaushalt, wird nicht den notwendigen Aufschwung bringen. Sie als Bundesregierung wollen uns einreden, dass man nur beim Bürger abkassieren und ein staatliches Ausgabenprogramm auflegen muss und schon entstehen Arbeitsplätze und der Haushalt kann saniert werden. Nein, so geht das nicht. Unserer Auffassung entspricht das, was die große Koalition uns vorlegt, nicht.
Diese Bundesregierung wird nicht umhinkommen - das haben Sie nur andeutungsweise angesprochen, Herr Bundesfinanzminister -, wenn es mit der Sanierung des Haushalts ernst wird, die Leistungsgesetze auf den Prüfstand zu stellen. Auch hier biete ich der Koalition an, offen und fair darüber zu sprechen, um unseren Beitrag leisten zu können. Denn wir alle wissen doch, dass wir den Haushalt sonst nicht werden sanieren können. Nur durch Kürzungen beim Bundeshaushalt - das will ich eingestehen - wird eine Sanierung nicht möglich sein.
Ein Bundesfinanzminister hat die Aufgabe, seinen Haushalt auf realistischer Basis aufzubauen und den schweren, steinigen Weg aus der Staatsverschuldung zu gehen. Herr Bundesfinanzminister, mit Ihrer Rede und dem Haushaltsentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, sind Sie diesen steinigen Weg nicht gegangen. Sie hätten die große Chance gehabt, der Mehrheit in diesem Parlament ehrlich und offen zu sagen, wie die haushaltspolitische Situation ist. Es tut mir Leid, aber ich finde, Sie haben diese Chance vertan. Dieser Haushalt - und auch Ihre Rede - hätte ein Startzeichen sein können, ein Startzeichen für einen Staat der Bescheidenheit. Auch diese Chance haben Sie vertan.
Wie sagte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung: Überraschen wir uns damit, was möglich ist, überraschen wir uns damit, was wir können. - Dieser Bundeshaushalt wäre eine gute Gelegenheit gewesen, unter Beweis zu stellen, was Politik kann. Davon ist nichts zu spüren. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt: Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen. - Steuern erhöhen ist nicht „mehr Freiheit wagen“, Frau Merkel. Steuererhöhungen bedeuten ein weiteres Stück Unfreiheit für die Menschen in unserem Lande.
Mancher hat erkennen müssen, dass der Tag der Bundestagswahl für ihn zum Zahltag geworden ist.
Der Sozialdemokrat Hans Apel, einer der Vorgänger von Minister Steinbrück im Amt des Bundesfinanzministers, hat einmal gesagt, wichtig wäre es, den Sachverstand zu mobilisieren, die ideologischen Scheuklappen abzulegen, hart zu arbeiten. Das ist auch der Rat der Freien Demokraten an diese Bundesregierung. Der Bundeshaushalt 2006, den Sie uns als Entwurf vorgelegt haben, spiegelt eine solche Anstrengung leider nicht wider. Es wäre gut, wenn Sie den Rat von Hans Apel, einem Ihrer Vorgänger, beherzigen würden.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Auftakt der Debatte über den Haushaltsplan 2006 zunächst einmal dem Bundesfinanzminister im Namen meiner Fraktion Dank sagen, dass er mit diesem Haushaltsentwurf und dem Haushaltsbegleitgesetz die Vorgaben des Koalitionsvertrages zur Haushaltskonsolidierung umsetzt und gesetzgeberisch auf den Weg bringt.
Mir sind bei der Entscheidungsfindung fünf Punkte wichtig, auf die ich im Nachfolgenden eingehen möchte.
Wir erleben heute einen Wendepunkt in der Haushaltspolitik des Bundes. Wir begeben uns auf den Weg, den Haushalt des Bundes zu sanieren und die Beendigung der steigenden Staatsverschuldung mit Entschlossenheit anzugehen. Für diesen Beginn ist heute der richtige Tag.
Wir müssen uns darüber klar sein, dass wir diesen Weg nicht in einem einzigen Schritt gehen können. Der Bundeshaushalt 2006 ist der erste Schritt in die richtige Richtung; es müssen weitere Schritte in Richtung Haushaltskonsolidierung folgen. Dies ist nicht nur notwendig, weil wir hier interessante Debatten miteinander führen, sondern auch, weil dies im Interesse einer nachhaltigen Finanzpolitik ist. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Partei - jetzt schaue ich in die Mitte dieses Hauses -, die das Wort „Nachhaltigkeit“ immer als erste auf der Zunge führt, diese Nachhaltigkeit in ihrer Politik der vergangenen sieben Jahre realisiert hätte.
Wir können nicht weiterhin planlos Lasten in die Zukunft verschieben und damit gegen die Generationengerechtigkeit handeln. Wir müssen dafür sorgen, dass auch die künftigen Generationen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Lande haben. Deshalb beginnt die große Koalition damit, den Bundeshaushalt wieder auf ein sicheres Fundament zu stellen. Wir nehmen uns ausdrücklich nicht nur den Bundeshaushalt vor, sondern wir kümmern uns in unserem Sanierungskonzept auch um den föderalen Ansatz. Auch für die Haushalte der Länder und Kommunen wollen wir einen Beitrag zur Konsolidierung leisten.
Unser Ziel ist: Wir wollen einen ausgeglichenen Bundeshaushalt. Diesen halten wir als Union für richtig. Unser Ziel können wir aber in dieser Wahlperiode nicht mehr erreichen. Wir können es deshalb nicht erreichen, weil die Ausgangssituation zu weit von diesem Ziel entfernt ist. Wir können aber beginnen und die Voraussetzungen dafür schaffen, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts in der nächsten Wahlperiode zu erreichen.
Der Konsolidierungsbedarf ist enorm: Über 50 Milliarden Euro an Ausgaben sind nicht durch regelmäßige Einnahmen gedeckt. Mehr als jeder fünfte Euro, den wir ausgeben, ist nicht durch regelmäßige Einnahmen gedeckt. Wenn man von diesem gigantischen Fehlbetrag, der sowohl außerhalb als auch innerhalb dieses Hauses offenkundig nicht wahrgenommen wird, ausgeht, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir sparen müssen. Sparen heißt: Wir können uns nicht mehr alles Wünschenswerte leisten. Wir müssen also Prioritäten setzen und klare Aufgaben und Ziele definieren. Es kann nicht nach der altbekannten Methode „Es muss etwas geschehen, aber es darf sich nichts ändern“ gehen. Vielmehr werden auch die Bürger in unserem Land das Sparen und Konsolidieren spüren. Ich glaube aber, angesichts unserer Verantwortung für die künftigen Generationen ist das, was wir tun, nicht unsozial. Vielmehr handeln wir in höchstem Maße sozial.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Die Strukturdebatte, die Herr Bundesfinanzminister Steinbrück zur Frage der Familienförderung begonnen hat, ist unter dem Aspekt „Wie setzen wir vernünftige neue Prioritäten in unserem Land?“ eine richtige Debatte.
Wir brauchen solche Strukturdebatten und dürfen sie nicht, bevor sie überhaupt begonnen haben, zerschlagen.
Diese Diskussion muss ergebnisoffen geführt werden; denn sonst fordert jeder nur weitere Ausgaben und überlässt es den Finanzpolitikern, zu prüfen, wie durch Einnahmesteigerungen die neuen Ausgaben finanziert werden können. Das ist der falsche Weg, deshalb brauchen wir Strukturdebatten in diesem Land. Wir alle sollten uns konstruktiv mit den Argumenten in diesen Debatten auseinander setzen.
Ich möchte etwas zur Zeitschiene sagen. Es wird nicht möglich sein, eine Lücke in der Größenordnung von 50 Milliarden Euro innerhalb kürzester Zeit zu schließen. Wir werden daran in dieser und auch in der nächsten Wahlperiode arbeiten müssen. Jeder, der behauptet, man könne die Lücke in kürzerer Zeit schließen, ist kein Realist, sondern Populist. Herr Steinbrück hat vorhin zu Recht vorgetragen, dass 85 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushaltes durch Verbindlichkeiten wie Zinsausgaben und Ähnliches fixiert sind. Wer meint, er könnte kurzfristig daran etwas verändern, ist nicht von dieser Welt.
Wir haben uns deshalb vorgenommen, kassenwirksam für das Jahr 2007 30 Milliarden Euro zu bewegen. Ich möchte klar und deutlich sagen: Das ist eine Anstrengung, wie es sie in der Geschichte dieser Republik noch nicht gegeben hat. Wir wollen innerhalb von 14 Monaten 30 Milliarden Euro im Bundeshaushalt bewegen. Manche schlagen vor, die Eigenheimzulage zu streichen, weil man damit sechs bis sieben Milliarden Euro bewegen könne. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Streichung der Eigenheimzulage im ersten Jahr gerade einmal 100 Millionen Euro einbringt.
Ich bitte darum, an dieser Stelle eine realistische Debatte zu führen.
Herr Westerwelle, ich bedanke mich für Ihre Intervention, aber ich möchte auf Folgendes hinweisen: Ich habe mit Blick auf die notwendigen Steuererhöhungen, die wir beschließen müssen, weil wir das Problem nicht allein auf der Ausgabenseite lösen können, was uns natürlich am liebsten wäre, im November, als wir über die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin debattierten, Ihre Fraktion gebeten, uns eine Alternative zu benennen, wie wir das Finanzvolumen, das über die Mehrwert- und Versicherungsteuer finanziert werden soll, kompensieren sollen. Ich darf Ihnen berichten, dass ich auf diesen Alternativvorschlag immer noch warte.
Wir sollten etwas seriöser werden: Wenn man das Ziel der Haushaltskonsolidierung verfolgt, darf man nicht nur sagen, was man nicht will, sondern muss auch konkrete und konstruktive Vorschläge machen und sagen, welche Alternative man vorschlägt. Darum habe ich im November gebeten. Es wäre schön, wenn meiner Bitte im Rahmen dieser Haushaltsdebatte nachgekommen würde.
Im Rahmen der Debatte über den Entwurf dieses Haushaltsgesetzes werden wir nicht nur über Ausgabensenkung, Korrektur vorhandener Steuergesetze und Mehrwertsteuererhöhung diskutieren, sondern auch über die Senkung der Lohnnebenkosten.
Wir schlagen vor, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2007 um 2 Prozentpunkte zu senken. Ein Teil davon wird über die Mehrwertsteuererhöhung finanziert werden. Wir senken die Lohnnebenkosten - das sage ich ausdrücklich -, um für bessere Beschäftigungschancen in Deutschland zu sorgen. Wir dürfen aber nicht bei einer reinen Umfinanzierung stehen bleiben, sondern müssen auch in den Sozialsystemen Strukturreformen durchführen. Das gilt für den Arbeitsmarkt. Wir haben die Bundesagentur für Arbeit - außerhalb der Beratungen über dieses Haushaltsgesetz - gebeten, dafür zu sorgen, dass dort Strukturreformen durchgeführt werden. Ich glaube, dass durch die Umstellung von Zuschuss auf Darlehen der für die Durchführung von Reformen notwendige Druck erzeugt wird. Ich glaube, es ist notwendig, nicht nur umzufinanzieren, sondern die Senkung von Lohnnebenkosten mit Strukturveränderungen zu verbinden, damit das Ganze nachhaltig ist.
Wenn wir die strukturelle Lücke des Bundeshaushaltes bis zum Ende dieser Wahlperiode halbieren - das haben wir vorgeschlagen -, dann wird das auch Einfluss auf die Staatsquote haben. Wir werden die Staatsquote in dieser Wahlperiode auf ein Niveau von etwa 43,5 Prozent zurückführen. Auf diesem Niveau befand sie sich vor der deutschen Einheit. Das heißt, wir landen auf einem Niveau, auf dem sich die Staatsquote vor der Wiedervereinigung befand. Das Gleiche haben wir in den 80er-Jahren schon einmal getan. Damals ging damit ein Aufwuchs an Beschäftigung einher: Es wurden 2 Millionen neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Ich glaube, dass diese Politik in die richtige Richtung führt. Wir sollten zu der Finanzpolitik zurückkehren, die wir vor der deutschen Einheit gemacht haben. Diesen Weg müssen wir gehen, weil wir dort wieder hinwollen.
Heute Morgen wurden behauptet, wir hätten im Bundeshaushalt nur ein Einnahmeproblem. Einige Geister, die offenbar nur kurzfristig denken, glauben, man müsse nur die Belastung des Einzelnen erhöhen, um dieses Problem zu beheben. Ich glaube, wir müssen auch über die Zahlerbasis, über diejenigen, die überhaupt Beiträge in die Steuer- und Sozialkassen zahlen, nachdenken. Deswegen sage ich: Wir haben sehr wohl ein Einnahmeproblem; wir müssen das Einnahmeproblem aber lösen, indem wir für mehr Wachstum und Beschäftigung und damit für mehr Steuer- und Beitragszahler sorgen.
Haushaltskonsolidierung und Förderung von Wachstum und Beschäftigung - das sage ich ausdrücklich - schließen sich nicht aus, sondern sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des Wirtschaftswachstums, wenn wir dafür sorgen, dass die Haushaltskonsolidierung vorankommt. Jedem Investor ist doch klar, dass er als Bürger dieses Landes neue Staatsschulden durch in der Zukunft höhere Abgaben oder Steuern bedienen muss.
Wir tun etwas für das Konsumklima, wenn wir die Menschen nicht im Ungewissen darüber lassen, wann und wie sie diese Staatsschulden bedienen müssen, sondern ihnen konkret einen Weg aufzeigen, wie wir diese neuen Staatsschulden begleichen können.
Damit beenden wir die Verunsicherung. Damit schaffen wir Vertrauen. Damit sorgen wir dafür, dass in unserem Land wieder konsumiert und investiert wird.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir eine offene Volkswirtschaft in einer globalisierten Welt sind. Es gibt in dieser Welt keine offene Volkswirtschaft, die sich durch eine steigende Staatsverschuldung saniert hätte. Das Gegenteil ist richtig: Überall dort, wo Haushalte saniert wurden, sind die Beschäftigung und das Wachstum gestiegen. In offenen Volkswirtschaften fließt jeder Impuls seitens der öffentlichen Kassen in der Regel über die Grenze ab. Dann steigt im Inland die Staatsverschuldung, aber Sie haben nicht von den Wachstums- und Beschäftigungseffekten profitiert. Deshalb kann man davon nur dringend abraten.
Ich will etwas zu unserem Impulsprogramm sagen. Es wird oft so getan, als sei es ein rein keynesianisch geprägtes Programm.
Ich will einmal alle Kollegen hier fragen, die das Programm unter diesem Blickwinkel kritisch sehen: Sind Sie denn der Meinung, dass mit Blick auf das 3-Prozent-Ziel von Lissabon eine Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung der falsche Weg ist? Wer glaubt denn, dass uns das schadet? Ich persönlich bin davon überzeugt, dass dies unser Wachstumspotenzial als Volkswirtschaft massiv verbessert,
weil wir dann in vielen Bereichen wieder auf einem hohen Niveau wettbewerbsfähig werden. Deshalb müssen wir dafür Geld in die Hand nehmen und uns an dieser Stelle stark machen.
Wer von Ihnen will denn behaupten, dass wir über bessere Mobilitätsmöglichkeiten in unserem Land dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft weniger wächst? Das Gegenteil ist doch der Fall: Mehr Mobilität bedeutet bessere Wachstumsbedingungen. Deshalb ist es richtig, dass wir mehr tun, um die Mobilitätsbedingungen zu verbessern, und für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen im Inland mehr Geld bereitstellen. Das hat nichts mit Konjunktur zu tun. Das sind Strukturveränderungen.
Das nächste Beispiel, das ich anführen möchte, ist der Privathaushalt als Arbeitgeber. Wir überlegen, wo in unserer Volkswirtschaft neue und mehr legale Arbeitsplätze entstehen können. Dies ist ein Beitrag, um mehr Wachstum und Beschäftigung in diesem Land zu fördern. Ich glaube, deshalb muss man dieses Programm aus einem etwas anderen Blickwinkel sehen und darf nicht einfach sagen: Hier werden ein paar Milliarden Euro auf den Markt geworfen.
Ich möchte die Behauptung aufgreifen, hier würde heute ein verfassungswidriger Haushalt vorgelegt. Ich möchte ausdrücklich sagen: Ich halte diesen Haushalt nicht für verfassungswidrig.
Aus unserer Sicht wird Art. 115 Grundgesetz beachtet. Was wir nicht beachten, ist die Regelgrenze, dass die Investitionssumme höher sein muss als die Nettoneuverschuldung.
- Ja, das ist Teil des Kriteriums. Aber in Art. 115 steht ein bisschen mehr.
Jetzt kommen wir zur Frage, was die Alternativen hierzu wären. Die Alternative eins wäre gewesen, dass wir im Bundeshaushalt Einsparungen in Höhe von mehr als 30 Milliarden Euro vornehmen. Jetzt überlegen Sie einmal: Wenn Sie 30 Milliarden Euro von November 2005 bis Januar 2006 kassenwirksam bewegen würden, dann würden Sie in der Volkswirtschaft eine Schockwelle auslösen, die zu Nullwachstum und Beschäftigungsrückgang führen würde.
Deshalb wäre es ein Irrweg, dies zu tun.
Die zweite Alternative wäre, in diesem Volumen Bundesvermögen kurzfristig zu veräußern. Dann wäre es aber nicht werthaltig und führte dazu, dass wir die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland aus kurzfristigen Erwägungen auf den Markt werfen.
Wir sind der Meinung: Beide Wege sind falsch. Das Vermögen brauchen wir noch für die Zukunft und eine Schockwelle können wir uns in der Lage, in der wir uns befinden, nicht leisten. Deshalb ist es sehr wohl begründet, zu sagen, dass die Ausnahmeregel des Art. 115 an dieser Stelle greift. Wir sagen aber klar und deutlich: 2006 machen wir zum letzten Mal von der Ausnahmeregel Gebrauch. Ab 2007 werden wir die Regelgrenze des Art. 115 - Neuverschuldung niedriger als Investitionssumme - einhalten. Ich bitte darum, etwas ehrlicher zu sein. Auch hier geht es ein Stück weit um Vertrauen, Glaubwürdigkeit und nachhaltige Finanzpolitik.
Wir werden nicht nur mit dem Sparen im Haushalt bzw. seiner Konsolidierung und dem Impulsprogramm, das für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgt, vorankommen, sondern wir müssen auch einen dritten Schritt gehen. Wir brauchen eine durchgreifende Veränderung unseres Staates, um die eigentlichen Strukturprobleme - auch das ist heute Morgen schon angesprochen worden - anzugehen. Es geht nicht um reine Konjunkturfragen. Der überwiegende Teil unserer Probleme ist strukturell bedingt. Deshalb hoffe ich, dass die Debatte über die Modernisierung unserer bundesstaatlichen Ordnung, die wir vor wenigen Wochen begonnen haben, zu einem erfolgreichen Ergebnis geführt wird, weil dies zeigen wird, dass Politik in Deutschland in der Lage ist, notwendige Strukturveränderungen durchzuführen.
Ich hoffe, dass wir beim Bürokratieabbau, bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - dafür müssen wir kein Geld in die Hand nehmen, sondern Strukturen verändern, damit mehr Wachstum und Beschäftigung entstehen -, vorankommen und bessere Rahmenbedingungen schaffen.
Ich hoffe, dass wir hinsichtlich der Lohnnebenkosten nicht bei der Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte stehen bleiben, sondern dass wir es tatsächlich schaffen, in diesen Tagen eine Debatte über unser Gesundheitswesen zu beginnen, die dazu führt, dass wir zu einer Entkopplung der Ausgabenseite des Gesundheitswesens von den Lohnnebenkosten kommen, damit wir auf der einen Seite die positiven Effekte der gestiegenen Nachfrage nach Gesundheit für mehr Wachstum und Beschäftigung nutzen und auf der anderen Seite den Negativeffekt steigender Lohnnebenkosten eingrenzen können. Das ist die zentrale Herausforderung, vor der wir stehen und der sich auch die Unionsfraktion stellen will.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Baustein der Unternehmensteuer betonen. Wir müssen unsere Zusage einhalten, dass in Deutschland am 1. Januar 2008 eine umfassende, große Unternehmensteuerreform in Kraft treten wird. Das betrifft eine ganze Reihe von Fragen: Wird es uns gelingen, ein modernes, zukunftsfähiges Steuerbilanzrecht für Unternehmen zu schaffen und ihnen international wettbewerbsfähige Steuersätze zu bieten? Behandeln wir Familienunternehmen, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften zusammen, damit es ein Entwurf aus einem Guss wird? Schaffen wir es, das Vertrauen der kommunalen Mandatsträger zu gewinnen, um auch mit Blick auf eine Reform der kommunalen Finanzen einen Schritt nach vorne zu machen, sowohl im Interesse der Zukunftssicherung der Einnahmeseite der Kommunen als auch im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes, also neuer Investitionen und Unternehmensansiedlungen?
Ich glaube, wir sind mit dem Dreiklang, den wir verfolgen, auf einem richtigen Weg: Wir wollen den Bundeshaushalt konsolidieren, um wieder Vertrauen und Verlässlichkeit zu schaffen. Wir wollen Impulse setzen, um unserer Volkswirtschaft zu mehr Wachstum zu verhelfen. Und wir wollen strukturelle Korrekturen vornehmen, damit unsere Volkswirtschaft auch langfristig auf einen höheren Wachstumspfad einschwenkt. Unser Ziel ist dabei nicht, den Menschen in unserem Land wehzutun oder ihnen etwas wegzunehmen, sondern dafür zu sorgen, dass es ihnen wieder besser geht. Wir wollen, dass unser Wohlstand langfristig gesichert und in Deutschland wieder ein höheres Wirtschaftswachstum zu verzeichnen ist. Dazu wird es notwendig sein, die Arbeitslosenzahl signifikant zu senken und so einen Beitrag dazu zu leisten, dass unsere Sozialsysteme auch langfristig auf einer sicheren, tragfähigen Basis stehen.
Ich weiß, dass die Sanierung des Bundeshaushalts in diesem Zusammenhang ein wichtiger Eckpfeiler ist. Ich wünsche mir, dass sich alle konstruktiv in die jetzt anstehende Debatte einbringen. Neinsager und Bedenkenträger gibt es in unserem Land genug. Jetzt brauchen wir Menschen, die neue Vorschläge und neue Ideen entwickeln.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedes Jahr wird das Unwort des Jahres gekürt. Heute sollten wir die Lüge des Jahres küren. Sie lautet: Es gibt nichts mehr zu verteilen. Es gilt noch immer der Satz: Die Lüge muss nur groß genug sein, damit sie geglaubt wird. Die ehemalige rot-grüne Regierung hat zusammen mit CDU und CSU die größte Umverteilungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik eingeleitet. Mit der Mehrwertsteuererhöhung im Jahre 2007 ist der nächste Umverteilungscoup in Planung.
Die große Steuerreform entlastet die Unternehmen und vor allem die Besserverdienenden um jährlich 52 Milliarden Euro. Jährlich werden 52 Milliarden Euro von unten nach oben verteilt. Das sind 52 Milliarden Euro, die nicht zur Verfügung stehen für neue Kindergärten, für modernere Schulen, für bessere Universitäten und neue Arbeitsplätze. Damit können wir uns nicht abfinden.
Exfinanzminister Eichel sprach gern von einem Dreiklang von Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen. Wie wir sehen, gibt es diesen Dreiklang nicht. Im Augenblick klingelt es nur in den Kassen von Herrn Ackermann und in den Kassen der Vorstände der DAX-Unternehmen. Das ist wirklich unanständig.
Die Arbeitsmarktreformen von Herrn Hartz haben keine Arbeitsplätze geschaffen, die Verantwortlichen wurden von den Wählern abgewählt. Die Gesundheitsreform von Frau Schmidt führt nicht zu einer besseren Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger, sondern treibt die Ärzte auf die Straße und sogar außer Landes.
Durch die Rentenkürzungen kommt es nicht zu mehr Sicherheit, sondern zur Enteignung der Aufbaugeneration und der Menschen, die heute noch fleißig in die Rentenkasse einzahlen. So viel zu den Strukturreformen. Sie gehen alle zulasten der Menschen in unserem Lande.
Auch von einer Haushaltskonsolidierung sind wir meilenweit entfernt. Im Gegenteil - es ist schon angesprochen worden -, der Haushalt ist verfassungswidrig, weil die Regierung zu wenig investiert und den Staat durch die gewaltigen Steuergeschenke immer weiter in die Verschuldung treibt. Die alte und die neue Regierung haben bewiesen, dass sie mit dem Geld der Steuerzahler nicht ordentlich umgehen können und wollen.
- Selbstverständlich. - Zum Dreiklang sollten auch Wachstumsimpulse gehören. Bei dieser niedrigen Investitionsrate ist von Wachstumsimpulsen aber nichts zu spüren.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Gäste,
wir als Linke sagen ehrlich, dass auch wir für Umverteilung sind. Der Unterschied zu allen anderen Parteien besteht nur darin, dass wir die Richtung der Umverteilung um 180 Grad ändern wollen. Das ist nötig in diesem Land.
Das nehmen uns die Politiker der anderen Parteien und ihre bestellten Professoren und Gutachter natürlich übel. Wir als Linke wollen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das diesen Namen wirklich verdient und durch das schon heute Arbeitsplätze geschaffen werden.
Damit wirklich markante Wachstumsimpulse gesetzt werden können, wollen wir die Investitionsausgaben verdoppeln. Die Bundesregierung will lediglich 25 Milliarden Euro investieren. Das ist viel zu wenig.
Wir wollen im gleichen Zeitraum ein Zukunftsprogramm Jugend und Innovation in Höhe von 50 Milliarden Euro auflegen. Das ist immer noch weniger als die jährliche Steuerentlastung von Unternehmen und Besserverdienenden. Ziehen Sie diesen Vergleich bitte selbst.
Für die Zukunft unseres Landes wollen wir - das ist nötig - mehr Mittel für die Bildung, nämlich 2 Milliarden Euro, wir wollen Mittel für unentgeltliche Kindergärten und wir brauchen eine kommunale Investitionspauschale in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, damit die Kommunen wieder handlungsfähig werden. Das sind unsere drei großen Ausgabeposten.
Diese Investitionen werden in Zukunft mehr Rendite für die Menschen in diesem Land abwerfen als jede DAX-Aktie. Darauf können Sie heute schon Wetten abschließen.
Die Linke will Hartz IV überwinden. Dazu haben wir Anträge eingebracht und Finanzierungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Hartz IV ist eine Fehlkonstruktion. Dieses Gesetz führt zu Enteignung, Demotivation und zur Drangsalierung von Arbeitslosen, ohne dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Dem stellen wir uns entgegen.
Den Haushaltsentwurf, der von Herrn Steinbrück vorgelegt und von dem abgewählten Herrn Eichel erarbeitet wurde, lehnen wir ab:
Erstens. Durch diesen Haushalt werden keine ausreichenden Wachstumsimpulse gesetzt und es wird zu wenig Geld in die Zukunft investiert. Die Linke will die Investitionen verdoppeln.
Zweitens. Die so genannten Arbeitsmarktreformen verschlingen sehr viel Geld, ohne dass durch sie neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Linke will Hartz IV überwinden und nicht durch schlechte Reformen verschlimmbessern.
Drittens. Der Rüstungshaushalt ist der drittgrößte Ausgabeposten dieser Regierung. Das verkennt die Bedrohungslage. Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland werden nicht durch die Taliban in Afghanistan, sondern durch eine falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik gefährdet. Sie gehört geändert.
Meine Damen und Herren, die finanzpolitischen Handlungsspielräume der Regierung sind unter anderem deshalb so eng, weil die alte wie die neue Regierung die Sozialsysteme mit ihren Reformen zerstört haben bzw. zerstören. Jetzt wundern sie sich, dass sie gigantische Beträge aus dem Bundeshaushalt in diese Systeme pumpen müssen.
Ein wirkliches Desaster in diesem Zusammenhang ist die systematische Zerlegung von versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in Minijobs.
Herr Steinbrück, Sie haben völlig zu Recht davon gesprochen, dass wir versicherungspflichtige Arbeitsplätze brauchen, aber Sie haben den Unternehmen das Tranchierbesteck doch selbst in die Hand gegeben, um hochwertige Arbeitsplätze in Mc-Jobs zu zerlegen. Das ist der wesentliche Grund für die riesigen Löcher in der Rentenkasse.
Die große Koalition ist die Fortsetzung der rot-grünen Umverteilungspolitik mit den gleichen Mitteln und den gleichen Resultaten.
Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Frau Merkel aus ihrer Haushaltsrede im Jahr 2005:
Die Menschen in diesem Land sind auch ärmer geworden: ärmer an Hoffnung in eine Politik aus einem Guss durch diese Bundesregierung und - das ist vielleicht das Bedrückendste - ärmer an Vertrauen in die Gestaltungskraft der Politik insgesamt.
Frau Merkel, seit Sie Kanzlerin sind, ist dieser Satz aktueller denn je.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion.
Joachim Poß (SPD):
Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Präsident Lammert, Sie begrüße ich heute Morgen besonders freundlich, weil ich finde, dass Sie Opfer einer üblen Kampagne der Zeitung mit den großen Buchstaben sind.
Parteiübergreifend sind wir der Auffassung, dass sich die Politik nicht alles gefallen lassen darf, wenn so gemobbt wird wie hier im Einzelfall geschehen. Das ist auch nicht der erste Fall.
Aber das ist nicht das Thema unserer heutigen Debatte. Thema ist der Entwurf des Bundeshaushaltes 2006. Die Rede von Peer Steinbrück hat deutlich gemacht, dass die Leitlinie bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2006 die Frage war: Was ist in der aktuellen wirtschaftlichen Situation Deutschlands ökonomisch notwendig und vernünftig
und was sollte in dieser Lage eher unterbleiben? Ich habe ihn so verstanden, dass sich vieles um diese Kernfrage gerankt hat.
Bereits in ihrem Wahlmanifest zur Bundestagswahl 2005 hat die SPD erhebliche staatliche Impulse zur Unterstützung der wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung gefordert. Die Zustimmung des neuen Koalitionspartners CDU/CSU in den Koalitionsverhandlungen zu dieser Politik hat zu dem Impulsprogramm für Wachstum und Beschäftigung in Höhe von 25 Milliarden Euro bzw. - einschließlich der Länder - 37 Milliarden Euro geführt. Die Finanzierung dieses Programms wird, beginnend mit dem Bundeshaushalt 2006, in den Haushalten der nächsten Jahre sichergestellt.
Die neue Koalition wird zur Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung das tun, was möglich und sinnvoll ist und was ein Staat machen kann, nämlich einen Beitrag leisten; mehr nicht. Im Gegensatz zu meiner Vorrednerin, die den Menschen in diesem Lande den Eindruck vermitteln will, als könne der Staat einen Hebel umlegen und dann seien über Nacht alle Probleme aus der Welt geschaffen, erheben wir nicht diesen dogmatischen Anspruch. So etwas ist Volksverdummung; das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen.
Die SPD als Partei der Aufklärung will diesen Zustand der Verdummung überwinden und in diesem Parlament dazu einen Beitrag leisten.
Mit dem Koalitionspartner konnte auch Einigung darüber erzielt werden, dass es ökonomisch notwendig und damit vernünftig ist, im Haushaltsjahr 2006 auf weiter gehende, harte Konsolidierungsschritte zu verzichten. Die Gründe dafür hat Peer Steinbrück in seiner Rede erläutert.
Nun wissen wir, dass dies einer der Punkte war, die auch in den Koalitionsverhandlungen eine große Rolle gespielt haben und durchaus streitig waren. Wir sind zu einem zufrieden stellenden Ergebnis gekommen, Kollege Meister. Deswegen sage ich zu Ihrer Formulierung, wir hätten es bei diesem Haushaltsentwurf mit einem Wendepunkt in der Finanzpolitik zu tun: Das kann nicht gemeinsame Grundlage der Betrachtung sein.
Wir Sozialdemokraten sehen uns in der Kontinuität der Finanzpolitik, die wir in den letzten sieben Jahren zu verantworten hatten. Peer Steinbrück hat einen Bericht des „Handelsblatts“ zitiert, wonach die Bundesbank Herrn Eichel Recht gibt. Nun bin ich weiß Gott nicht an jeder Stelle einig mit der Bundesbank;
aber wenn diese erklärt, das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt habe einen nachhaltigen Einbruch bei den Einnahmen des Bundes als Ursache, so ist das im Wesentlichen das, was wir immer gesagt haben. Abgesehen davon kritisiert die Bundesbank die große Koalition durchaus immer wieder. Insofern ist sie schon zuverlässig; da können wir ganz ohne Sorge sein.
Ich wollte deutlich machen, dass man sich nicht irgendwelchen Trugschlüssen hingeben soll.
Zur Ehrlichkeit gehört doch auch, dass plötzlich in der Öffentlichkeit manches als Gold empfunden wird, das früher eher als schlecht galt. Die von Herrn Steinbrück angesprochenen makroökonomischen Daten, die in der Standortdebatte in der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle spielen, haben sich schließlich nicht über Nacht geändert. Der Standort - das zeigt auch der Jahreswirtschaftsbericht - wird jetzt viel freundlicher gesehen.
Ich glaube, auch das sollte nicht ausgeklammert werden.
Von einem Wendepunkt in der Finanzpolitik, Kollege Meister, den Sie in Ihrer koalitionsfreundlichen Bemerkung angesprochen haben, kann jedenfalls nicht die Rede sein. Das will ich für die SPD deutlich sagen.
Die Vorstellung, die auch von der Bundesbank, von der FDP und heute Morgen von dem Kollegen Kuhn in n-tv genährt wurde - ich will nicht auf Einzelvorschläge eingehen, Kollege Kuhn, aber vieles, was Sie in n-tv angesprochen haben, waren Luftbuchungen -, man könne in 2006 zusätzliche Einsparungen in Höhe von 6 Milliarden bis 8 Milliarden oder wie hoch auch immer erzielen, ohne die beginnende wirtschaftliche Aufwärtsbewegung wieder zu bremsen, ist irrig. Deswegen haben wir uns auf das von mir erwähnte Konzept verständigt.
Natürlich wäre es gut - das ist doch unbestritten -, wenn es uns schon in diesem Jahr gelingen würde, die Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu unterschreiten. Aber das wäre - wie der Finanzminister zu Recht festgestellt hat - nur bei nachhaltigen Einschnitten in die sozialen Transferleistungen wie der Rente oder durch ein Vorziehen der Mehrwertsteuererhöhung möglich. Letzteres wäre rein rechnerisch eine Alternative, aber angesichts der teilweise sicherlich berechtigten Kritik an dieser Maßnahme will das wohl niemand in diesem Lande. Beides macht ökonomisch keinen Sinn; denn unser Hauptproblem ist bekanntlich immer noch die Binnenkonjunktur, die sich in diesem Jahr stabilisieren soll.
Der harte Winter hat die Lage nicht vereinfacht. Wenn jetzt die Zahlen für das erste Quartal vorgelegt werden, müssen wir das realistisch sehen.
- Wir hatten aber einen harten Winter, der sich nicht nur auf den Baubereich, Kollege Kuhn, sondern auch auf vieles drumherum auswirkt.
Die Binnennachfrage muss gestärkt werden, anstatt dieses Ziel durch staatlich verordneten Kaufkraftentzug zu konterkarieren. Das wäre der falsche Weg. Deswegen suchen wir sozusagen den Weg der ökonomischen Vernunft in der Mitte.
Dabei ist der Zusammenhang zwischen diesem Haushaltsjahr 2006 und den Folgejahren - insbesondere dem Jahr 2007 - ganz klar. Wir brauchen das Jahr 2006, um der wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung in Deutschland Stärke und Stabilität zu verschaffen. Erst dann wird die Mehrwertsteuererhöhung ökonomisch verkraftbar sein.
Der vorliegende Haushaltsplanentwurf bietet genau die Haushaltspolitik, die zu der derzeitigen wirtschaftlichen Situation Deutschlands passt. Trotzdem wahrt dieser Haushalt Ausgabendisziplin. Denn angesichts einer Steigerung der Gesamtausgaben von 0,7 Prozent wird doch niemand infrage stellen, dass wir restriktiv vorgehen - so restriktiv, wie es die aktuelle ökonomische Lage gerade noch zulässt. Der Kollege Meister hat es etwas anders formuliert.
- In dem Fall wollte ich ihm gar nicht widersprechen, Herr Kampeter.
Ich will es so ausdrücken: Wir stehen vor einer komplizierten Dreifachaufgabe. Wir müssen die Stärkung der Binnenkonjunktur mit der Finanzierung von Zukunftsaufgaben und einer glaubwürdigen Haushaltskonsolidierung verbinden, und zwar alles gleichzeitig. Die Parteien, die meinen, wir bräuchten nur die Haushaltskonsolidierung zu bewältigen, oder die meinen, es sei damit getan, die Binnenkonjunktur anzukurbeln, greifen zu kurz. Sie werden der ökonomischen und sozialen Lage dieses Landes nicht gerecht. Unsere Antwort auf die bestehenden Probleme hingegen ist ökonomisch und sozial richtig.
Der Weg zu einer dauerhaften Rückführung der Kreditaufnahme des Bundes wird bereits beschritten: mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006, das die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte vorsieht; mit der seit Dezember realisierten Abschaffung von nicht mehr gerechtfertigten Steuervergünstigungen und Steuergestaltungsmöglichkeiten; mit dem, was noch kommen und was uns nicht nur Freude machen wird - Stichwort „Steueränderungsgesetz“; es enthält sicherlich einige Dinge, die die Öffentlichkeit bewegen werden -; schließlich mit dem Bundeshaushalt 2007, der Anfang Juli dieses Jahres vom Bundeskabinett beschlossen wird.
Damit wird die jährliche Kreditaufnahme des Bundes ab dem Jahre 2007 auf Dauer die von Art. 115 des Grundgesetzes vorgegebene Obergrenze unterschreiten. Das hat Kollege Meister ausreichend dargelegt. Herr Koppelin, machen Sie doch die Bürgerinnen und Bürger mit solchen Begriffen wie „verfassungswidriger Haushalt“ nicht närrisch! Das, was Sie hier machen, ist falsch und irreführend. Natürlich legen wir einen Haushalt nach den Regeln unseres Grundgesetzes vor, nichts anderes.
Mit dieser Strategie, diesem Policy Mix, erreichen wir einen bemerkenswerten Erfolg; denn auf absehbare Zeit wird der Bund weiterhin enorme Beträge insbesondere für die Alterssicherung, die europäische Integration und die Überwindung der Folgen der deutschen Teilung bereitstellen müssen und auch bereitstellen wollen. Das ist hoffentlich unser gemeinsamer Wille in diesem Hause.
Wer jetzt meint, die Verschuldung des Bundes müsse - und vor allen Dingen könne - in wenigen Jahren auf null zurückgeführt werden, der verkennt die realen Anforderungen oder betreibt die Durchsetzung eines anderen Gesellschaftsmodells.
Wer die solidarischen Sicherungssysteme in der Konsequenz kaputt machen will und so den Staat auf einen reinen Nachtwächterstaat reduzieren möchte, der mag einen ausgeglichenen Haushalt für kurzfristig erreichbar halten. Aber das ist nicht die Politik der SPD und, so denke ich, auch nicht die der großen Koalition.
Der von der großen Koalition bereits seit dem letzten Jahr eingeschlagene haushaltspolitische Weg sorgt nicht nur dafür, dass die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes ab dem Jahre 2007 erreicht wird. Ab dem Jahre 2007 werden wir vielmehr auch die Vorgaben des Maastrichtvertrages einhalten. Daher gibt es keinen Grund, das Haushaltsdefizit 2006 als zu hoch zu kritisieren.
Mit knapp 120 Milliarden Euro verwaltet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 46 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens. Die Vereinbarungen, die die Minister Müntefering und Steinbrück getroffen haben, sind damit ein prägendes Element des gesamten Haushaltsentwurfs. Nach meinem Dafürhalten sind die getroffenen Vereinbarungen gelungen und stellen einen sehr guten Ausgleich zwischen ökonomischen, sozial- und gesellschaftspolitischen sowie fiskalischen Erfordernissen dar. Die beschlossene Senkung des Rentenversicherungsbeitrags für Arbeitslosengeld-II-Empfänger von 78 Euro auf 40 Euro findet mit gutem Grund noch nicht im laufenden Jahr 2006, sondern erst zum 1. Januar 2007 statt. Ansonsten hätte der Rentenversicherungsbeitrag von derzeit 19,5 Prozent bereits im laufenden Jahr leicht angehoben werden müssen.
Ab dem laufenden Jahr soll es zudem den bisherigen Bundeszuschuss an die Bundesagentur für Arbeit zur Defizitdeckung nicht mehr geben. Hierdurch und durch die Vereinbarung, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 2 Prozentpunkte zu senken, wird erheblicher Druck auf die Bundesagentur für Arbeit ausgeübt, ihre Instrumente und Leistungen scharf zu bewerten sowie massive Effizienzsteigerungen zu erwirtschaften. Die finanzielle Luft für die Bundesagentur für Arbeit ist auf absehbare Zeit sehr dünn geworden. Da ich für Ehrlichkeit bin, spreche ich auch an dieser Stelle aus, was die reale Situation ist. Hier gehen also die Konsolidierungsbestrebungen ebenfalls bis an die Grenze des Möglichen und des Akzeptablen.
Im Zusammenhang mit dem Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurde in den Medien noch die Frage eines eventuellen Finanzierungsbedarfs beim Bundeszuschuss zur Rentenversicherung für 2008 aufgeworfen. Ob die in die Modellrechnungen des Rentenversicherungsberichts eingestellte Erhöhung des Bundeszuschusses im Jahre 2008 - das sind rund 600 Millionen Euro - überhaupt erforderlich sein wird, wird erst im Jahre 2007 zu entscheiden sein. Dann können wir auch die wirtschaftliche Entwicklung in 2008 in ihrem Einfluss auf die Rentenfinanzen viel besser abschätzen.
Hier ist zudem ein schwieriger Abwägungsprozess angesprochen, der sich auf absehbare Zeit bei der Aufstellung jedes Haushalts ergibt und der uns teilweise - je nachdem, ob wir Finanz- und Haushaltspolitiker sind oder uns als Sozialpolitiker verstehen - hin und her reißen wird: In der Größenordnung von 80 Milliarden Euro fließen jedes Jahr aus dem Bundeshaushalt Zuschüsse in die sozialen Sicherungssysteme, vor allem in die gesetzliche Rentenversicherung. Damit ist der größte Ausgabenblock im Bundesetat beschrieben. Eine Reduktion dieser Zuschüsse würde zwar zu einer geringeren Neuverschuldung führen, aber gleichzeitig einen entsprechenden Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge nach sich ziehen. Bei der Entscheidung über die Höhe der Bundeszuschüsse, die in die Sozialkassen fließen, gibt es also eine echte Zielkonkurrenz: zwischen der gewünschten und notwendigen Senkung der Nettokreditaufnahme und der gewünschten Stabilisierung bzw. Senkung der Sozialversicherungsbeiträge.
Bei der Abwägung dieser beiden Ziele hat die Bundesregierung entsprechend dem Koalitionsvertrag in das Haushaltsbegleitgesetz 2006 den stufenweisen Abbau des Bundeszuschusses an die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen. Die Reduktion dieses Zuschusses beginnt allerdings noch nicht im laufenden Jahr, sondern erst im nächsten.
- Ja, Herr Kuhn, man muss eben Prioritäten setzen. Wir wollen, der finanzpolitischen Glaubwürdigkeit wegen, die genannten Ziele in 2007 erreichen, mit Blick auf das Grundgesetz, mit Blick auf die Maastrichtkriterien und, so muss ich hinzufügen, mit Blick auf die Finanzmärkte, weil Deutschland als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union große Bedeutung für die Finanzmärkte hat.
Deswegen ist es richtig, die Priorität bei der Haushaltskonsolidierung zu setzen. Man muss sich entscheiden.
Man kann dieser Frage nicht ausweichen; man muss zumindest zeitlich Prioritäten setzen. Diese Konflikte, mit denen wir es zu tun haben, wollte ich hier ganz offen beschreiben, und wie wir sie, jedenfalls kurzfristig, gelöst haben.
Andererseits wird dadurch der Reformdruck bei der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. im Gesundheitssystem enorm erhöht. Deswegen ist das Projekt der Gesundheitsreform von herausgehobener Bedeutung. Wir werden in den nächsten Wochen jede Einzelmaßnahme des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 auch in den einzelnen Fachausschüssen eingehend diskutieren. Ich bin ganz sicher, dass wir für alle Punkte Lösungen finden werden, die auf der einen Seite den Konsolidierungserfordernissen gerecht werden, aber gleichzeitig nicht zu einer Überforderung der Betroffenen führen werden.
Wohl wissend um die Vorgeschichte der Mehrwertsteuererhöhung und wohl wissend, was meine Partei und auch ich persönlich in diesem Zusammenhang an Aussagen getroffen haben, halte ich eines für unerträglich: die Art und Weise, wie die FDP sich in der Debatte über die Mehrwertsteuererhöhung in Szene setzt. Diese Kampagne ist schwer erträglich.
Das ist nämlich das einzige politische Thema, das der FDP geblieben ist.
Das ist übrigens auch das Gute an den Wahlergebnissen vom letzten Sonntag:
Das Erpressungspotenzial, das Sie sich versprochen haben davon, dass Sie da, wo Sie mitregieren, auf den Ministerpräsidenten Einfluss nehmen können, steht Ihnen nicht länger zur Verfügung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Joachim Poß (SPD):
Natürlich.
Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Kollege Poß, ich will mich mit Ihnen gar nicht in der Sache streiten, ich greife nur auf, was Sie als „Kampagne“ der FDP bezeichnen. Waren denn die Wahlkampfplakate der SPD im Bundestagswahlkampf oder die entsprechenden Flugblätter - ich habe einige davon hier zur Hand -, auf denen Sie eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung geißeln, keine Kampagne?
Joachim Poß (SPD):
Das war Gegenstand der Wahlauseinandersetzung des Jahres 2005.
Ich habe eben selbst gesagt - und Sie können das als Wahlkampagne bezeichnen -: Davon ist überhaupt nichts zurückzunehmen, das ist Teil der politischen Auseinandersetzung im Bundestagswahlkampf gewesen, Herr Koppelin.
Was Sie, Herr Kollege Koppelin, hier in Kenntnis der damaligen finanzpolitischen Einschätzung des Jahres 2005 und des Jahres 2006 machen, ist nicht richtig.
Sie wissen, dass zu diesem Zeitpunkt die Belastungen durch Hartz IV noch nicht bekannt waren. Die Zahlen sind im Wesentlichen in den Monaten September bis November aufgewachsen. Herr Koppelin, es ist nicht zu rechtfertigen, dass Sie sich mit diesem Einwand, den ich durchaus ernst nehme, als FDP im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Einpunktpartei reduzieren und diese Maßnahme attackieren.
Sie werden vor allem Ihrem Verständnis als Sachwalter des Mittelstandes nicht gerecht. Sie erreichen keine Vertrauensbildung, die notwendig wäre, um die Binnenkonjunktur zu beleben, sondern genau das Gegenteil. Sie, Herr Koppelin, versündigen sich mit dieser Kampagne an den Interessen des Mittelstandes.
Ich bin froh, dass Ihr Einfluss durch die Wahlergebnisse des letzten Sonntags stärker beschnitten wurde. Ähnlich agiert auch die so genannte Linkspartei bzw. PDS, auch in den beiden Landesregierungen, an denen sie beteiligt ist. Auch das ist - das sage ich deutlich - unerträglich und nicht hinnehmbar.
Die Mehrwertsteuererhöhung hat nicht nur für den Bund eine Bedeutung. Es geht doch darum, dass wir auf gesamtstaatlicher Ebene einen föderalen Finanzpakt hinbekommen, der Bund, Länder und Kommunen umfasst. Von diesem Geist ist der Koalitionsvertrag beseelt. Wir können das in dieser Konstellation auch schaffen. Von dieser Mehrwertsteuererhöhung - das müssen Sie, die Sie in einigen Ländern mit an der Regierung sind, auch sagen - profitieren auch die Länder. Die haben Einnahmen dringend nötig. Schauen Sie sich an, welche Aufgaben in den Ländern zu finanzieren sind!
Selbst wenn man diese sicherlich unpopuläre Maßnahme der Mehrwertsteuererhöhung in Rechnung stellt, wissen wir, dass wir, was die hier schon diskutierte Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes, also das Verhältnis von Krediten zu Investitionen, betrifft, nur um wenige hundert Millionen Euro in der sicheren Zone liegen.
Deswegen gilt: Trotz Mehrwertsteuererhöhung und trotz des Haushaltsbegleitgesetzes können wir in den nächsten Jahren an keiner Stelle draufsatteln. Das betrifft die großen Projekte, die diskutiert werden. Die Gesundheitspolitik wurde schon genannt, ebenso die Unternehmensteuerreform. Bund und Länder haben kein zusätzliches Geld, um die Senkung der Unternehmensteuern zu finanzieren. Nettoentlastungen kann es nicht geben. Das ist eine wesentliche Rahmenbedingung für die Unternehmensteuerreform.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, würden Sie Ihren letzten Satz jetzt anfangen?
Joachim Poß (SPD):
Wir müssen alles tun - nicht nur im Interesse des Bundes, sondern auch im Interesse der Investitionsfähigkeit der Kommunen; wir haben für diese schon einiges mit der Stabilisierung der Gewerbesteuer getan -, damit mehr investiert wird und Arbeitsplätze bei kleinen und mittleren Unternehmen gesichert werden. Dazu haben wir uns in der großen Koalition verpflichtet. Ich bin vom Erfolg dieses Weges überzeugt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Poß, an der Tatsache, dass Sie so lange über die Mehrwertsteuer gesprochen haben, merkt man richtig, dass Sie damit Verdauungsprobleme haben. Das Scharmützel, das Sie mit der FDP geführt haben, war ein komplettes Eigentor. Das hätten Sie sich schenken können.
Ich möchte nicht nur auf den Haushalt 2006 eingehen, sondern auch auf Sie, Herr Steinbrück, unseren Finanzminister. Wir Hamburgerinnen und Hamburger kennen Sie als sehr sachlichen Menschen.
Die anderen kennen ihn auch so. Sie äußern immer den Wunsch nach Klartext. Da muss ich ganz schlicht anfangen. Klartext im Haushalt 2006 heißt: 38 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme. Das sind 7 Milliarden mehr als im Jahr 2005. Herr Meister, ich schaue Sie an. Sie haben in Ihrer Rede versprochen, heute sei der Tag, an dem ein anderer Weg in der Haushaltspolitik in Richtung Konsolidierung beschritten werde.
Ich muss sagen: 7 Milliarden Euro mehr im Jahr 2006 als im Jahr 2005, in dem die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Situation viel schwieriger war, ist kein Ausweis von Haushaltskonsolidierung. Das ist leichtfertiges Schuldenmachen auf Kosten der jungen Generation.
Ich wähle bewusst so ein hartes Wort. Sie müssen nämlich einmal bedenken, welche „Gunstfaktoren“ auf Ihrer Seite sind: Sie haben das bessere Wachstum und eine stabilere wirtschaftlichere Erholung, auf die Sie ganz stolz sind - Stichwort „Merkel-Aufschwung“ -, Sie haben bessere Steuereinnahmen, Sie haben in diesem Jahr einen höheren Bundesbankgewinn. Trotzdem treiben Sie die Schulden in die Höhe. Sie mogeln sich über das Jahr 2006 hinweg. Man merkt es der großen Koalition auch an: Am liebsten wollen Sie immer über das Jahr 2007 reden, wenn Sie über den Haushalt sprechen; denn das Jahr 2006 wird verschenkt.
Das Argument „Stärkung der Konjunktur“ möchte ich nicht übergehen. Der Bundesbankpräsident, Axel Weber, hat in einer Sitzung des Haushaltsausschusses mit sehr vornehmen und nüchternen Worten davon gesprochen, dass die Konjunktur schon auf zwei Zylindern läuft: Nicht nur der Export, sondern auch die Ausrüstungsinvestitionen ziehen an.
Deswegen wäre es sinnvoll und notwendig, in 2006 bei gutem Wachstum die Schulden nicht derart hoch zu treiben und in 2007 die Mehrwertsteuer nicht so drastisch zu erhöhen, wo doch die Wachstumsprognose für 2007 im Vergleich zu 2006 schon jetzt schlechter ist. So wie Sie vorzugehen, ist nicht nur haushaltspolitisch unseriös, sondern auch wirtschaftspolitisch inkonsequent, verkehrt und riskant.
Herr Steinbrück, ich möchte noch auf eines Ihrer Argumente eingehen. Leider kann ich Sie nicht anschauen, weil mir jemand im Wege steht. - Kann sich der Kollege bitte setzen?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Fischer (Göttingen), Gespräche an der Regierungsbank sind sicherlich immer sehr interessant, aber behindern manchmal die Kommunikation.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Steinbrück, ich halte die sachliche Erwägung auch in der Haushaltspolitik für notwendig und richtig. Wir Grünen gehören nicht zu denjenigen, die sagen: Wir nehmen eben einmal 5 Milliarden, 10 Milliarden oder 15 Milliarden Euro aus dem Haushalt heraus; dann ist er verfassungskonform; das geht ganz einfach. Das wäre uns zu billig. Deswegen will ich Sie nicht dafür kritisieren, dass Sie nicht eben mal 15 Milliarden Euro weniger Schulden machen. Wenn Sie aber sagen: „Brachiales Vorgehen beim Einsparen verunsichert die Menschen und zerstört das Vertrauen in die Politik“, dann muss ich Sie schon fragen: Was haben Sie eigentlich am 1. Januar 2007 vor, wenn die Mehrwertsteuer auf einen Schlag um 3 Prozentpunkte erhöht wird? Das passt nicht zusammen: einerseits brachiale Vorschläge ablehnen und andererseits mit dem Hammer auf die Konjunktur einschlagen. Das ist keine gute Argumentation und keine vertrauensvolle Politik.
Ich möchte nun auf die Haushaltspolitik der großen Koalition eingehen, auch gemessen an den eigenen Maßstäben, die Sie - ich würde sogar sagen: zu Recht - formuliert haben. Ich darf aus der Vorlage des Finanzministers zum Bundeshaushalt zitieren:
Mittelfristig muss es daher gelingen, einen ausgeglichenen Gesamtstaatshaushalt vorzulegen.
Dies wird insbesondere begründet mit der Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen. Sie sagten an anderer Stelle in einer Grundsatzrede:
Unumstößliche Geschäftsgrundlage der großen Koalition ist der Erfolg bei der Haushaltskonsolidierung.
Diese Maßstäbe lege ich jetzt einmal an Ihre Finanzplanung an; schließlich macht es Sinn, Haushaltspolitik nicht nur jährlich zu betrachten. Ich stelle Folgendes fest: In der Finanzplanung von 2006 bis 2009 ist auf der steuerlichen Seite eine deutliche Erhöhung vorgesehen. Das ist hier schon vielfach erwähnt worden. Sie haben von einem Kraftakt in der Haushaltskonsolidierung gesprochen. Dazu sage ich Ihnen: Es ist kein Kraftakt, wenn man Haushaltskonsolidierung so einseitig auf der Steuereinnahmenseite betreibt wie Sie. Aber trotz der massiven Steuererhöhungen gelingt es Ihnen nicht, die Nettokreditaufnahme ab 2007 über vier Jahre hinweg abzusenken.
Sie bleiben stabil knapp an der Grenze, die die Verfassung vorgibt. Die Investitionsquote dagegen sinkt stetig Jahr für Jahr. Das ist keine Finanzplanung, die im Interesse kommender Generationen ist. Das ist keine Finanzplanung, die dieser großen Koalition überhaupt die Perspektive einer mittelfristigen Konsolidierung des Haushalts gibt. Das sind Ihre Zahlen. Das ist ein Armutszeugnis.
Wir haben die Haushaltsberatungen vor uns. Wenn es in diesem Jahr „Gunstfaktoren“ gibt, etwa bessere Steuereinnahmen - ich habe auch schon auf den Bundesbankgewinn und auf die wirtschaftliche Erholung hingewiesen -, dann können wir - davon bin ich überzeugt - mit einer geringeren Nettokreditaufnahme auskommen. Ich sage das auch mit Blick auf das Maastrichtkriterium und auf die EU.
Ich denke da weiter an Ihre Äußerung, Herr Steinbrück, zum Politikstil. Man soll Maß halten und man soll auch einmal etwas durchargumentieren. Zum Maß im Ton gehört ebenfalls Aufrichtigkeit, die ich jetzt keinesfalls grundsätzlich in Frage stellen will. Aber Sie haben gesagt: Deutschland trägt Verantwortung dafür, dass wir den reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht beschädigen. - Dieser Pakt ist durchaus unter maßgeblichem Einfluss von Rot-Grün in der Weise reformiert worden, dass er stärker auf die Wachstumsdynamik bzw. auf mangelnde Wachstumsdynamik Rücksicht nehmen soll. Wenn wir über die gesamte Finanzplanung mit 1,5 Prozent auf der Höhe unseres Potenzialwachstums liegen - dieses Argument habe ich vorhin schon strapaziert -, dann frage ich Sie: Wann haben wir eigentlich die guten Zeiten, in denen man sich im Sinne des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts um mehr Konsolidierung bemühen sollte?
Auch hierzu ein Zitat. Das Bundesfinanzministerium hat den Haushaltsausschuss mit einem Ex-post Bericht zum Ecofin-Rat vom 14. März dieses Jahres unterrichtet. Im Kernpunktepapier werden die aus Sicht des Ecofin-Rats prioritären wirtschaftspolitischen Aktionsfelder für 2006 formuliert. Ganz oben steht: „Nutzung der wirtschaftlichen Erholung zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte“. Sie machen in diesem Jahr das Gegenteil. Die große Koalition genehmigt sich am Anfang ihrer Regierungszeit einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Das ist wirtschaftspolitisch nicht zu erklären.
- Nein, Herr Poß. Sie sind nicht richtig im Zeitrhythmus. Das ist Ihr Problem.
Sie sind auch nicht richtig im Argumentationsrhythmus. Das ist Ihr nächstes Problem.
Ich möchte noch etwas sagen, was mir wichtig ist. Die EU erwartet von uns selbstverständlich - das wird durch die Blume gesagt -, dass wir uns an den Pakt halten und unser strukturelles Defizit in 0,5-Prozent-Schritten abbauen. Wir werden es in diesem Jahr leider nicht abbauen. Sie streben es jedenfalls nicht an. Wir Grüne halten das 3-Prozent-Kriterium in diesem Jahr für einhaltbar. Wir sind da in guter Gesellschaft.
Mittlerweile gibt es kaum noch Leute, die glauben, man könne die 3-Prozent-Grenze nicht einhalten - es sei denn, man besteht auf einer so hohen Nettokreditaufnahme, wie sie die große Koalition will.
Ich komme nicht umhin, nur eine Interpretation dazu, dass Sie so viel Wert darauf legen, Herr Finanzminister, sich durch die EU in Verzug setzen zu lassen, als stichhaltig zu empfinden. Sie lassen sich durch die EU-Kommission in Verzug setzen, weil Sie ein Druckmittel gegen ihr politisches Umfeld brauchen, damit die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte nicht wieder gekippt wird.
So sieht es nämlich aus! Damit die Mehrwertsteuererhöhung nicht verhindert wird, brauchen Sie dieses taktische Manöver nach dem Motto: Damit mir die Leute nicht von der Fahne gehen, wenn es uns in 2006 wieder besser geht, lasse ich mich jetzt, bevor ich im Juli den 2007er Haushalt unter Dach und Fach habe, durch die EU in Verzug setzen. - Wenn das nämlich nicht eingehalten wird, muss jemand 10 Milliarden Euro bereitstellen. So halten Sie die Kritiker klein. Ich betrachte das als ein fahrlässiges Manöver. Es ist auch nicht redlich vor dem Hintergrund des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Ich möchte zu einem nächsten Punkt kommen, zur Struktur des Haushalts. Eine kleine Vorbemerkung noch zu dem Wachstumsprogramm. Ein Wachstums- und Konjunkturprogramm, wie es die Koalition mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro aufgelegt hat, wird für unabdingbar gehalten.
Ich würde sagen, lassen wir die Kirche im Dorf. 25 Milliarden Euro bedeuten 6 Milliarden Euro im Jahr und 3,5 Milliarden Euro in diesem Jahr; das sind 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Darüber, dass das keine Konjunkturbombe ist, sind wir uns sicher einig; das ist Blödsinn.
Wenn das jedoch kein Konjunkturprogramm ist, sondern, wie der Finanzminister sagt, ein strukturelles Programm - auch Herr Kampeter hat das jetzt als Vokabel drauf -, dann muss dieses durch Prioritätenneusetzung und darf nicht durch höhere Neuverschuldung finanziert werden; denn sonst setzen Sie die höhere Neuverschuldung strukturell fort. Das ist ein Widerspruch, der auch aufzeigt, dass Sie hier keine klare Linie verfolgen.
Grundsätzlich finde ich es aber gut, dass Sie in der großen Koalition - da will ich insbesondere die SPD und den Finanzminister loben - offen dafür argumentieren und in der Öffentlichkeit dafür werben, zu verstehen, dass wir in erster Linie kein Ausgabenproblem haben. Das ist eine alte Mär, die die Union früher, häufig mit der FDP zusammen, verbreitet hat, dass nämlich die Unwucht in den öffentlichen Finanzen durch die Ausgabenseite bedingt sei. Da folge ich Ihnen, Herr Finanzminister; das ist nicht das grundsätzliche Problem, sondern eher die Einnahmeseite. Richtig ist auch, dass wir im Haushalt eine Strukturveränderung brauchen. Wir müssen sehen, wie viel Mittel gebunden sind und wie viel wir umschichten können, gerade mit Blick auf Zukunftsherausforderungen und Innovation.
Wir finden manches gut, was fortgesetzt wird. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir Grünen mit angestoßen. Dass Sie für dieses Programm jetzt das Volumen erhöhen, findet nicht unsere Kritik, sondern unsere Unterstützung.
Wir finden auch gut, dass Sie die Strategie verfolgen, die Forschungsmittel zu erhöhen. Aber eines kann ich dann nicht verstehen; es macht deutlich, dass Sie in einem sehr wichtigen Modernisierungsbereich keine klare Linie haben. Wenn Sie die Forschungsmittel erhöhen, wenn Sie Bildung und Forschung für so wichtig halten, dass dieser Bereich durch öffentliche Finanzen und durch den Bundeshaushalt in Zukunft erfolgreich finanziert werden soll, dann müssen Sie die Föderalismusreform, die Sie durch den Bundestag bringen wollen, dringend ändern; sonst werden Sie das Modernisierungspotenzial, das wir brauchen, nicht mehr aus dem Bundeshaushalt bedienen können.
Das ist ein eklatanter Mangel angesichts eines dringlichen Modernisierungsdefizits der Gesellschaft.
Leider gibt es in der Haushaltspolitik der großen Koalition noch ein Strukturproblem. Es kreist darum, dass die Renten und die Altersversorgung in diesem Haushalt einen großen Anteil ausmachen. Ich möchte, da es um Stilfragen, um Maß und Offenheit geht, deutlich dafür werben, dass Sie nicht verbreiten, Sie würden es mit Ihren jetzigen Vorschlägen schaffen, die Rentenentwicklung im Haushalt zu dämpfen, indem Sie behaupten, im Durchschnitt der letzten zehn Jahre hätte es bei der Rentenentwicklung 6-prozentige Steigerungen gegeben und Sie würden die Steigerungen auf 1 Prozent senken. Das ist Volksverdummung; das sage ich ganz klar. Die 6-prozentigen Steigerungen in den letzten zehn Jahren waren durch die rot-grüne Strategie bedingt, durch Ökosteuermittel gleichzeitig den Beitragssatz abzusenken. Deswegen haben wir vor der Wahl versprochen und nach der Wahl gehalten, dass Steuermittel in die Rentenfinanzierung fließen. Das hat bis 2003 regelmäßig Steigerungen zur Folge gehabt.
Schon seit 2003 gibt es nur noch eine leichte Aufwärtsentwicklung des Rentenanteils im Haushalt von rund 1 Prozent.
Wenn Sie jetzt behaupten, Sie dämpfen die Rentenentwicklung, dann müssen Sie auch den Nachweis erbringen. Sie aber legen lediglich ein Haushaltsbegleitgesetz vor, das eine Kürzung des Rentenzuschusses mit einem Volumen von 77 Milliarden Euro um 340 Millionen Euro vorsieht. Jetzt könnte man meinen, dies hätten Sie mit dem Dämpfen des Zuwachses bei der Rente gemeint. Aber hier handelt es sich nur um einen schlechten Verschiebebahnhof; denn diese Dämpfung finanzieren Sie, indem Sie die Sozialversicherungsbeiträge bei der geringfügigen Beschäftigung von 25 auf 30 Prozent erhöhen. Das ist keine kluge Einsparstrategie; das ist beschäftigungspolitischer Unsinn.
Dass Sie den engen Zusammenhang zwischen Beschäftigungsförderung und Haushaltskonsolidierung nicht sehen, ist ein gutes Beispiel dafür, dass die große Koalition ein großes strategisches Problem in der Haushaltspolitik hat. Jeder hier weiß: Man wird den Haushalt und die öffentlichen Finanzen in Deutschland nicht konsolidieren können, wenn es nicht mehr Beschäftigung gibt.
Man muss sich einmal anschauen, was Sie machen. Ich habe vorhin schon ein Beispiel für die Ausgabenkonsolidierung genannt. Sie rühmen sich teilweise, dass Sie in den nächsten Jahren die Ausgaben um 30 Milliarden Euro verringern würden. Der größte Teil davon, über 20 Milliarden Euro, sind steuerliche Einsparungen bei der Krankenversicherung und bei der Rentenversicherung. Sie betreiben einen reinen Verschiebebahnhof, der zulasten der Beitragssätze der Rentenversicherung und der Krankenversicherung geht. Dieser Verschiebebahnhof geht daher zulasten der Beschäftigungschancen. Diese Politik ist ohne Perspektive und weist in die falsche Richtung.
Sie wollen mit der Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent das Ziel verfolgen, bei den Lohnnebenkosten auf eine Quote von unter 40 Prozent zu kommen. Wir Grünen sehen das Verfolgen dieses Ziels als notwendig an. Aber Sie werden da nie landen; das sehen wir schon heute.
Der eine Prozentpunkt der Beitragsabsenkung bei der Arbeitslosenversicherung beruht auf der rot-grünen Reformdividende. Es sei Ihnen gegönnt, dass Sie der Bundesagentur für Arbeit keinen Zuschuss mehr zahlen müssen. Wir ärgern uns nicht über das, was wir gemeinsam richtig gemacht haben. Aber der andere Prozentpunkt wird durch die Mehrwertsteuererhöhung finanziert. Gleichzeitig müssen Sie den Rentenversicherungsbeitrag wegen Ihrer falschen Sparvorschläge um 0,4 Prozentpunkte erhöhen und gleichzeitig legt die Kollegin Schmidt den Haushältern in den Beratungen Folgendes vor - das darf nicht unerwähnt bleiben -:
Die GKV wird durch die Absenkung des pauschalen Bundeszuschusses
- es geht um bis zu 4,2 Milliarden Euro pro Jahr -
für die versicherungsfremden Leistungen sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel und weitere Medizinprodukte um jährlich 5 Milliarden Euro belastet (rund 0,5 Beitragssatzpunkte). Damit droht der GKV - trotz der vom Deutschen Bundestag ... am 17. Februar 2006 beschlossenen kurzfristig wirksamen Maßnahmen des Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung - bereits ab 2007 eine erneute Defizitentwicklung.
Wenn wir zu diesem Beitragssatzrisiko von 0,5 Prozentpunkten die Steigerung der Beiträge in der Rentenversicherung um 0,4 Prozentpunkte und das Risiko in der Pflegeversicherung hinzurechnen, dann haben wir schon heute eine Egalisierung der durch die Mehrwertsteuererhöhung finanzierten Beitragssatzsenkung in der Arbeitslosenversicherung. Mit Blick auf die Lohnnebenkosten ist das, was Sie veranstalten, ein Nullsummenspiel. Denn eine Einigung bei der Gesundheitsreform ist überhaupt noch nicht in Aussicht.
Ich bleibe deswegen dabei: Der großen Koalition mangelt es daran, den Zusammenhang zwischen Haushaltskonsolidierung und Beschäftigungschancen in dem notwendigen Maß zu erkennen. Sie sollten bei der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen nicht den Rückwärtsgang einlegen, sondern Sie sollten andere Lösungen finden.
Herr Steinbrück, Sie sagen selbst, dass das Verhältnis von Sozialabgaben zu Steuern von 70 : 30 perspektivisch in eine andere Richtung gedreht werden muss. Ihre Politik muss sich daher Punkt für Punkt daran messen lassen. Sie machen aber genau das Gegenteil. Das ist eine düstere Perspektive sowohl für die Beschäftigungschancen wie auch für den Haushalt.
Ich komme zum Schluss. Die Grünen werden Alternativen vorlegen. Wir sind davon überzeugt, dass wir im Haushalt 2006 mit weniger als 38 Milliarden Euro Schulden auskommen werden. Wir werden das zu belegen haben; das weiß ich. Aber es gibt noch eine ganze Reihe von Subventionen, die man energischer abbauen kann.
Noch eine kurze Bemerkung zur Kohle. Unantastbar ist die Kohle zwischen 2006 und 2008 keinesfalls, Herr Steinbrück.
Wir haben einen Mechanismus vereinbart, der dafür sorgt, dass der Weltmarktpreis subventionsmindernd wirkt. Ich hoffe, dass Sie das unterstützen, auch wenn Sie einmal Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen waren.
Wir haben auch die Chance, beim Ehegattensplitting zu reformieren. Es gibt noch Steuervergünstigungen im produzierenden Gewerbe.
Unsere Priorität ist eine bessere Politik für Kinder und Familien. Diese sollte bei der Infrastruktur für Kinder ansetzen. Darauf legen wir einen Schwerpunkt. Diese Priorität brauchen wir und können wir auch finanzieren.
Als Letztes möchte ich sagen: Wir werden im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik alternative Möglichkeiten vorlegen, damit nicht allgemein Lohnnebenkosten gesenkt werden, sondern gezielt der Niedriglohnbereich angepackt wird; es würde jetzt aber zu weit führen, das auszuführen. Die Grünen werden eine Politik vorlegen, die sich an dem Maßstab messen lässt: Wirtschaftspolitik und Haushaltspolitik greifen ineinander. Auch Investitionen in die Zukunft gehören zur Konsolidierung.
Die große Koalition fängt in 2006 leider ganz klein an. Das ist traurig, besonders für die junge Generation.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Haushaltsdebatte, die stark auch von wirtschaftspolitischen Aspekten geprägt ist, hat gezeigt, dass die Haushaltspolitik keine reine Zahlenschieberei ist. Haushaltspolitik kann - das ist der Anspruch der unionsgeführten Bundesregierung - gute Wirtschaftspolitik sein. Die große Koalition, die unionsgeführte Bundesregierung leiten mit der Vorlage der heute erstmals im Parlament debattierten Gesetzesvorhaben und Unterrichtungsvorlagen die Wende in der Haushaltspolitik ein. Der Haushalt 2006, die Finanzplanung bis 2009, das Haushaltsbegleitgesetz 2006, aber auch das vom Bundesfinanzminister eingeführte Stabilitätsprogramm gegenüber der Europäischen Union dienen der Wiedergewinnung des Vertrauens und der Verlässlichkeit in der Finanzpolitik.
Wir wollen der Realität nicht mehr das Prinzip Hoffnung gegenüberstellen. Wir wollen langfristige, auch über den Tag hinaus gültige finanzielle Prognosen erstellen. Die Finanzpolitik soll der Vertrauensanker der großen Koalition sein. Dies ist insbesondere der Anspruch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben diese Wende in der Finanzpolitik - - Wo ist er denn? -
Auch in Abwesenheit des Bundesfinanzministers ist festzustellen, dass er in seiner Rede diese Wende in der Finanzpolitik durch einen Rekurs auf die antike Philosophie sehr deutlich beschrieben hat. Herr Bundesfinanzminister, bei dieser Neuausrichtung der Finanzpolitik haben Sie die Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Die Hauptaufgabe der Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik in dieser Legislaturperiode ist die Wiedergewinnung des Wachstumsfaktors Vertrauen. Dieses Vertrauen, das den Investoren und Konsumenten verloren gegangen ist, gilt es durch Verlässlichkeit in diesem Politikbereich wiederzuerlangen.
Die Menschen sollen das Gefühl haben, dass es sinnvoller ist, zu konsumieren, als Geld auf die hohe Kante zu legen. Die Investoren sollen wissen, dass Investitionen aufgrund verlässlicher Rahmenbedingungen und einer verlässlichen Form der Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik rentabel sind. Dies ist das Signal, das wir mit dem Haushalt und den ihn begleitenden Maßnahmen in Deutschland setzen wollen.
Ich bin einigermaßen verwundert darüber, dass insbesondere die Rednerin vom Bündnis 90/Die Grünen kritisiert, dass der Haushalt 2006 noch keinen Schönheitspreis verdient und er nicht alle Anforderungen der Finanzpolitik mit einem Schlag erfüllen kann. Frau Kollegin Hajduk, Sie waren in den vergangenen sieben Jahren an jedem der Vorgängerhaushalte beteiligt. Dies, was wir heute anfangen abzubauen, ist wesentlich durch Ihre Erblast bestimmt, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen.
Sich dann hier aufzublasen und so zu tun, als ob man in den vergangenen Jahren niemals an der Haushaltspolitik beteiligt war, ist unredlich und nicht solide.
Unsere Konsolidierungspolitik hat eine horizontale und eine vertikale Dimension. Der Bundesfinanzminister hat die horizontale Dimension deutlich gemacht, indem er nicht nur zur Finanzpolitik im engeren Sinne, sondern auch zu anderen Politikbereichen sehr dezidiert Stellung genommen und klargestellt hat, dass die Konsolidierung eben nicht allein Aufgabe des Finanzministers ist, sondern auch Aufgabe aller Ausschuss- und Kabinettsmitglieder. Wir machen mit dem hier vorgelegten Gesetzespaket deutlich, dass auch die vertikale Dimension der Konsolidierung unser Anliegen ist. Wir sparen nicht zulasten der Länder und Kommunen, sondern machen insbesondere mit dem Haushaltsbegleitgesetz ein Konsolidierungsangebot, durch das die finanzielle Situation der Länder und Gemeinden wesentlich verbessert wird; wir lassen sie bei ihren Konsolidierungsanstrengungen nicht alleine. Wir wissen, dass die gesamtstaatliche Konsolidierung nur gelingen kann, wenn in Bundestag und Bundesrat eine gleichgerichtete Konsolidierungsstrategie verfolgt wird. Die große Koalition macht mit diesem Gesetzespaket ein entsprechendes Angebot.
Drei Ziele wollen wir in dieser Legislaturperiode erreichen.
Erstens wollen wir dauerhaft und nachhaltig die Vorgaben unserer Verfassung einhalten. Dabei geht es zunächst einmal um Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Bei den Haushalten, die wir gemeinsam mit Peer Steinbrück einbringen, beraten und beschließen werden, soll bezüglich der finanziellen Rahmenbedingungen lieber ein bisschen konservativer geschätzt werden. Es ist besser, wenn wir am Ende dieses Jahres gut aussehen, als jetzt zu viel anzukündigen. Das ist die Grundlage unserer Strategie bei den Haushaltsplanungen.
Außerdem wollen wir die in Art. 115 GG vorgegebene Regelgrenze vom kommenden Jahr an einhalten und letztmalig in diesem Jahr die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen. Wir verhalten uns verfassungskonform. Wir wollen aber nicht ausnahmsweise verfassungskonform sein, sondern dauerhaft und nachhaltig. Das ist der Anspruch der großen Koalition.
Der zweite Zielkomplex ist, die stabile Währung europaweit zu sichern. Gerade wir Christdemokraten und Christsozialen wissen, dass die Inflation die Geißel des kleinen Mannes ist. Deswegen legen wir Wert auf eine stabile Währung. Zwei Instrumente sind uns in diesem Zusammenhang wichtig: Erstens. Wir wollen die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank weiter aufrechterhalten. Ratschläge vonseiten der deutschen oder auch der ausländischen Politik bezüglich der Zins- und Währungspolitik sind nicht hilfreich für eine stabile Währung. Zweitens. Wir wollen den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten. Gerade wir Deutschen stehen hier in einer besonderen Verpflichtung.
Wir haben die D-Mark aufgegeben. Um die neue Währung, den Euro, so stark und so stabil wie die D-Mark zu halten, haben wir den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Deswegen ist es gerade für unsere Nation eine moralische ebenso wie eine finanzpolitische Verpflichtung, die Vorgaben dieses Pakts dauerhaft einzuhalten. Das ist Wunsch und Wille der großen Koalition.
Das dritte Ziel, um das es uns in dieser Legislaturperiode geht, ist die Absenkung der Staatsquote. Gerade die Union hält die Tätigkeit des Staates nicht für allein selig machend. Es entspricht nicht unserer Auffassung, wenn man ein Problem hat, zuvorderst nach dem Staat zu rufen. Deshalb lautete ein Leitsatz der Regierungserklärung von Angela Merkel „mehr Freiheit wagen“; den Bürgerinnen und Bürgern dieses Staates soll mehr zugetraut werden. In der Finanzpolitik ist die Staatsquote der Indikator dafür, wie viel der Staat in diesem Land regelt und wie viel die Bürgerinnen und Bürger eigenverantwortlich leisten. Im Rahmen dieser Legislaturperiode wird es eine Absenkung der staatlichen Aktivität sowohl im Rahmen der Gebietskörperschaften als auch im Rahmen der Sozialversicherungen auf ein Niveau geben, wie wir es zuletzt im Jahr 1989 hatten, als Gerhard Stoltenberg, einer der erfolgreichsten Finanzminister in der deutschen Nachkriegsgeschichte, die Bundesfinanzpolitik zu verantworten hatte. Das „Projekt Stoltenberg“ ist auch ein Projekt der großen Koalition.
Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass das Ziel der Absenkung der Staatsquote nicht verfolgt wird, weil wir zwangsläufig an einem Mangel an Steuereinnahmen leiden, sondern deshalb, weil wir in den vergangenen Jahren ein Stück weit über unsere Verhältnisse gelebt haben.
Eine Verschuldung in Höhe von 1 500 Milliarden Euro ist doch kein Indikator dafür, dass wir bei den Bürgerinnen und Bürgern zu wenig Steuern abkassiert haben, sie ist vielmehr ein Indikator dafür, dass der Staat und die Sozialversicherungssysteme zu viel Geld ausgegeben haben.
Diesen Mentalitätswandel wollen wir gemeinsam mit Bundesfinanzminister Steinbrück organisieren.
Wachstum und Steuereinnahmen müssen wieder ins Gleichgewicht geraten. Deswegen ist die Unternehmensteuerreform nicht nur ein Instrument zur Entlastung von Unternehmen; als ein solches wird es von manchen fehlverstanden. Nein, im Rahmen der Unternehmensteuerreformen wollen wir die steuerliche Attraktivität des Standortes Deutschland für unternehmerische Aktivitäten wiederherstellen. Dies ist nicht nur für den Haushalt, sondern auch für die Arbeitsplätze in Deutschland eine existenzielle Herausforderung. Das deutsche Steuersystem muss für Investitionen und Gewinnbesteuerungen attraktiv sein. Unter dem Strich werden davon die Haushalte und die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes profitieren.
Deswegen setzen wir uns engagiert für die Unternehmensteuerreform, die über das hinausgehen muss, was wir auf dem Jobgipfel vereinbart haben, ein.
Unsere Strategie griffe zu kurz, wenn sie sich ausschließlich in Sparbemühungen, Kürzungsansätzen und Effektivitätssteigerungen erschöpfen würde. Wir sparen; das ist auch richtig und notwendig angesichts der dramatischen Schieflage der Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden. Darüber hinaus setzen wir aber auch klare Impulse für die Zukunft. Wir setzen mit diesem Haushalt und den ihn begleitenden Gesetzen strukturelle Wachstumsimpulse.
Der wichtigste Impuls in diesem Zusammenhang lautet: Wir machen Arbeit durch die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wieder bezahlbarer in Deutschland. Das ist das manifeste Signal der großen Koalition, der unionsgeführten Bundesregierung gegen die kontinuierliche Abwanderung von Arbeit ins Ausland. Wir wollen Arbeit in Deutschland wieder rentabler machen. Diesem Ziel dienen auch die vorliegenden Gesetzentwürfe.
Unser zweiter wichtiger Impuls: Wir wollen kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland wieder fördern. Die Fixierung auf große Betriebseinheiten mag in bestimmten Bereichen richtig und wichtig sein; wir als unionsgeführte Bundesregierung wollen aber klare Impulse für die kleinen und mittleren Unternehmen setzen. Deswegen ist es richtig, dass wir mit diesen Gesetzen die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen ausweiten und den kleinen und mittleren Unternehmen durch das CO2-Programm zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen. Es ist uns ein Anliegen, die Abschreibungsbedingungen für Investitionen auch für kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern. Wir machen Angebote an die kleinen und mittleren Unternehmen und an die Beschäftigten in Deutschland.
Wir investieren mit diesem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung auch in Bildung und Forschung, weil wir glauben, dass unsere Intelligenz, unsere Kreativität und unser geistiges Eigentum die zentralen Wachstumsfaktoren in unserem Land sind. Wir glauben, dass darin Zukunftschancen für Arbeitsplätze, und zwar nicht nur in der chemischen Industrie, sondern auch in allen wissensbasierten Dienstleistungen und Technologien, liegen. Deswegen ist die Verpflichtung des Bundeshaushalts, gerade die Investitionen für Forschung und Bildung zu steigern, ein richtiges und wichtiges Signal der Bundesregierung, zu dem auch wir Haushaltspolitiker stehen.
Allerdings - auch das muss klar gesagt werden -: Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir auch unangenehme Voraussetzungen erfüllen, die an dieser Stelle nicht verschwiegen werden sollen. Wir müssen im Laufe dieser Legislaturperiode einen nicht unerheblichen Anteil von Einmalerlösen, Privatisierungen und sonstigen Finanzmarktinnovationen verwenden, um den Konsolidierungskurs zu flankieren.
Wir müssen gemeinsam mit dem Bundesrat eine Reihe von steuerlichen Gesetzgebungsmaßnahmen, die nicht nur Freude bei den Betroffenen auslösen werden, umsetzen. Wir müssen das Haushaltsbegleitgesetz verabschieden, in dem die Mehrwertsteueranpassung ein wichtiges Element ist.
Die Mehrwertsteueranpassung stellt eine Belastung des Konsums dar. Wir alle waren interfraktionell der Auffassung, dass es besser ist, den Konsum als die Arbeit zu belasten. Jetzt setzen wir diese Überzeugung um. Wir denken, dass wir diese Maßnahme im Rahmen einer konjunkturverträglichen Umsetzung im Laufe dieser Legislaturperiode zum Erfolg führen werden.
Die Union muss sich im Übrigen nicht verstecken: Wir waren die Einzigen, die an diesem Punkt vor der Wahl ganz klar gesagt haben, was wir nach der Wahl machen wollen. Das ist Ehrlichkeit und Klarheit. Wir setzen das um, was wir hierzu vor der Wahl angekündigt haben.
Wir müssen in dieser Legislaturperiode auch die Arbeitsmarktreformen vorantreiben. Wer in dieser Regierung eine hohe Etatverantwortung hat, hat auch eine hohe Konsolidierungsverantwortung. Deswegen wollen wir im Bereich Arbeit in dieser Legislaturperiode einen Konsolidierungsbeitrag leisten, indem wir 15 Milliarden Euro einsparen. Dieser Konsolidierungsbeitrag muss noch durch gesetzliche Maßnahmen abgesichert werden. Wir sind sicher, dass sowohl der Bundesfinanzminister wie auch der Bundesminister für Arbeit im Laufe der nächsten Woche die dafür erforderlichen Gesetzgebungsinitiativen einleiten.
Wir wollen die Gesundheitsreform unterstützen, indem wir den Reformdruck auf das System erhöhen. Schon vor der letzten Bundestagswahl haben wir im Haushaltsausschuss interfraktionell festgestellt, dass die gefundene Lösung, über den Steuertopf in den Gesundheitsbereich hineinzuregieren, falsch war. Deswegen war es nur konsequent und richtig, im Rahmen der Koalitionsvereinbarung die Absenkung dieses Steuerzuschusses zu vereinbaren. So erhöhen wir den Reformdruck, fördern den Wettbewerb im Gesundheitssystem und schaffen schrittweise eine Abkopplung der Beiträge - das hat auch der Bundesfinanzminister gesagt - vom System Arbeit. Das ist unser Angebot an die Gesundheitspolitik. Ich glaube, es ist ein ehrliches und anständiges Angebot.
Ich komme zum Schluss. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir alle Ausgabeansätze noch einmal überprüfen. Wir werden schauen, wo noch Einsparpotenziale vorhanden sind. Die Richtung aber scheint aus Sicht der Union zu stimmen.
Bisher hat jeder betont, welche guten Erfahrungen er mit dem Bundesfinanzminister in früheren Positionen hatte. Der Bundesfinanzminister war in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsident. Wir haben ihn dort abgelöst.
Daher hält sich mein Mitleid mit ihm in Grenzen. Ich weiß aber, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will sich nicht in Vergangenheitsbetrachtungen erschöpfen, sondern den Zauber genießen. Herr Steinbrück, Sie haben die Unterstützung der Union. Bei allen ehrlichen und anständigen Konsolidierungsbemühungen arbeiten wir in dieser großen Koalition gemeinsam.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms, FDP-Fraktion.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kampeter, diesem Anfang wohnt nun wirklich kein Zauber inne. Das können Sie niemandem weismachen;
denn der erste Haushalt der schwarz-roten Koalition folgt offenkundig einer rot-schwarzen Philosophie:
keine Reformen, kein Mut zum Sparen, keine Veränderungen bei den Arbeitsmarktbedingungen, keine grundsätzlichen Veränderungen in den Sozialsystemen; aber dem Bürger wird kräftig in die Tasche gegriffen.
Wenn Sie das als Zauber betrachten, dann frage ich mich, wie das Ende aussehen wird.
Die jetzige Neuverschuldung übersteigt sogar die Neuverschuldung im letzten Haushalt von Hans Eichel um 7 Milliarden Euro. Übrigens habe ich heute Morgen festgestellt, dass Herr Eichel dem Vortrag des neuen Bundesfinanzministers, der jetzt schon wieder die Flucht ergriffen hat, gar nicht beigewohnt hat. Das kann ich gut verstehen. Es ist zu ärgerlich, wenn er erleben muss, dass der Nachfolger es noch schlechter macht als er selbst.
Es ist unehrlich, wenn man den Bürgern diesen Entwurf als Neuanfang verkaufen will. Es bleibt alles wie gehabt: Die Schulden steigen stärker, die Ausgaben werden nicht eingedämmt und die Situation wird in der Zukunft noch schwieriger. Die katastrophale Situation wird durch hinter Haushaltsentlastungen verborgene Steuererhöhungen geschönt. Die Erhöhung der Mehrwert- und der Versicherungsteuer werden dazu beitragen, dass es auf Dauer nicht zu einer Ankurbelung der Binnenkonjunktur kommen kann.
Die Binnenkonjunktur wird im nächsten Jahr einbrechen. Das ist das zentrale Problem. Mittelfristig verschlechtern sich die Aussichten für mehr Beschäftigung und nachhaltige Haushaltskonsolidierung.
Ich will auf einige Punkte eingehen:
Erstens. Der Bundeshaushalt 2006 ist - Bundesfinanzminister Steinbrück hat das gerade bei der Rede meines Kollegen Jürgen Koppelin bestritten - erneut vorsätzlich verfassungswidrig. Er setzt den planvollen Verfassungsbruch der letzten vier Jahre fort. Es ist doch ganz einfach und jeder kann es verstehen. Schauen Sie sich Art. 115 des Grundgesetzes an - der Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung; das ist eine alte Lehre -:
Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten;
Das ist nicht schwer zu verstehen. Jetzt kommt die Ausnahme:
Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Das heißt, die Ausnahme muss die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bekämpfen, verhindern und verändern.
Vier Jahre lang hatten wir eine hohe Neuverschuldung.
In dieser Zeit ist die Arbeitslosigkeit gestiegen und mit der Konjunktur ist es abwärts gegangen. Die Neuverschuldung hat also nicht den vorgesehenen Beitrag geleistet. Offenkundig ist das Argument nicht stimmig.
Deswegen haben wir vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Die Klage hat übrigens die CDU/CSU damals mit uns veranlasst. Sie kann sich heute nicht abseilen, weil wir das gemeinsam eingereicht haben. Nun warten wir einmal ab, was die Verfassungsrichter dazu zu sagen haben.
Zweitens. Die Bundesregierung legt zum fünften Mal und in voller Absicht einen stabilitätswidrigen Haushalt vor. Im letzten Jahr wurde das Stabilitätsziel mit etwa 3,2 Prozent im Vollzug beinahe erreicht. Nun soll das Defizit wieder das des letzten Jahres überschreiten. Mit einem Defizit von 3,3 Prozent wird das Stabilitätsziel nicht erreicht. Es fehlen 7 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen scheinen etwas besser zu sprudeln. Sie werden doch in der Lage sein, noch 5 Milliarden Euro einzusparen, um in diesem Jahr das Stabilitätsziel zu erreichen! Aber Sie vermeiden das.
Drittens. Trotz vollmundiger Sparversprechungen steigen die Bundesausgaben von 2006 bis 2009 erneut um 13,6 Milliarden Euro. Ich verstehe unter Sparen: weniger Geld ausgeben. Die schwarz-rote Koalition versteht unter Sparen: mehr Geld ausgeben. Das ist, glaube ich, aber nicht die Auffassung der Bürger in diesem Lande. Von Sparhaushalt kann nun wirklich keine Rede sein.
Viertens. Das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts hat die Bundesregierung völlig aus den Augen verloren. Denn selbst in den Folgejahren bis 2009 verharrt die mittelfristige Finanzplanung auf einer Neuverschuldung von über 20 Milliarden Euro.
Fünftens. Der Investitionsverfall findet in der mittelfristigen Finanzplanung seine Fortsetzung. Die Investitionsquote - das ist konjunkturpolitisch wichtig - sinkt weiter. Sie sinkt von 8,9 auf 8,5 Prozent. Zur Erinnerung: Im Jahre 1998 lag die Investitionsquote noch bei 12,5 Prozent. Da sieht man, wie sich die Strukturen des Haushalts laufend verschlechtert haben und weiter verschlechtern.
Sechstens. Die skandalösen Steuer- und Abgabenerhöhungen im Haushaltsbegleitgesetz und in anderen Gesetzen sind unsozial und führen zu einer Kaufkraftabschöpfung und zu Mehrbelastungen von mindestens 117 Milliarden Euro. Das hat der Bundesfinanzminister heute selbst bestätigt. Hinzu kommen 20 Milliarden Euro, die in diesem Jahr durch die 13. Monatsrate bei den Sozialabgaben abgeschöpft worden sind. Dazu gehören die Erhöhungen der Abgaben für die Minijobs, die natürlich die Möglichkeiten der Minijobs einschränken werden. Das heißt, es wird eine umfassende Kaufkraftabschöpfung von rund 140 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode geben. Das können Sie mit dem Konjunkturprogramm, das Sie auf den Weg gebracht haben, überhaupt nicht ausgleichen.
Damit sind wir beim eigentlichen Kern des Problems. Die Frage ist: Was ist die Basis für stabile Haushalte? Die Basis für stabile Haushalte ist eine hohe Beschäftigungsquote. Denn die Beschäftigten erbringen durch ihre Steuern und ihre Abgaben in die Sozialsysteme die Einnahmen des Staates und der Sozialkassen.
Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist aber in den letzten zehn Jahren um knapp 2 Millionen Beschäftigte gesunken.
Sie sinkt stetig weiter, auch in diesem Jahr. Wenn es nicht gelingt, diesen Trend umzukehren, werden Sie die öffentlichen Haushalte niemals in Ordnung bringen können, weil die Einnahmebasis immer schmaler wird. Wenn jetzt noch zusätzliche Belastungen durch hohe Abgaben hinzukommen, dann wird die Binnenkonjunktur dadurch natürlich nicht gestärkt, sondern gedämpft bzw. in ihrer Entwicklung unterdrückt. Dann werden auch keine neuen Beschäftigungsverhältnisse entstehen.
Sie können sagen, was immer Sie wollen, aber die Gesetze der Ökonomie können auch Sie nicht außer Kraft setzen.
Wenn Sie 140 Milliarden Euro abschöpfen, wird dadurch die Binnenkonjunktur abgewürgt. Dann werden nicht mehr Beschäftigungsverhältnisse entstehen, dann werden nicht mehr Beschäftigte Sozialabgaben und Steuern zahlen können, und dann werden sich auch die im Inland tätigen Unternehmen nicht entwickeln können. Das wird zur Folge haben, dass die Haushaltslöcher trotz höherer Belastungen Jahr für Jahr größer werden. Dann können Sie allerdings nicht wieder zum gleichen Trick greifen und erneut die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte, die Versicherungsteuer und die Einkommensteuer erhöhen.
Im Übrigen befinden wir uns ja noch nicht am Ende der Diskussion. In vielen Zeitungen steht - Ihr neuer Gesundheitsexperte hat diesen Vorschlag in die Öffentlichkeit gebracht -,
dass Sie jetzt über die Einführung eines Gesundheitssolis diskutieren. Das Wort „Gesundheitssoli“ klingt zwar niedlich. Aber was bedeutet es? Sie müssen knapp 14 Milliarden Euro abdecken, um die Beiträge für die Kinder auszugleichen. Wenn Sie dies aus Steuermitteln tun wollen - durch einen Soli oder einen Zuschlag auf die Einkommensteuer -, müssen Sie die Einkommensteuer in ihrer ganzen Breite erhöhen. Berücksichtigt man den schon heute existierenden Soli, wäre es notwendig, auf einen Gesamtsoli von etwa 12 Prozent zu kommen.
Das heißt, dass der Eingangssteuersatz wieder von 15 auf 17 Prozent und der Spitzensteuersatz einschließlich der Reichensteuer auf 50 Prozent steigen müssten. Dadurch wären alle Vorteile, die durch die Steuerreform von Rot-Grün erreicht worden sind, kompensiert. Dann hätten wir in Deutschland erneut eine überproportional hohe Steuerbelastung: für alle Arbeitnehmer, alle Selbstständigen und alle Unternehmen. Außerdem würden wir im internationalen Wettbewerb weiter zurückfallen. Das würde unserer konjunkturellen Entwicklung genauso wenig helfen wie die übrigen Steuererhöhungen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass Sie konjunktur- und strukturpolitisch auf dem falschen Weg sind. Sie brauchen mehr Mut zu Reformen. Der vergangene Wahlsonntag hat dazu geführt, dass Sie jetzt auch im Bundesrat die Mehrheit haben. Damit haben Sie auch Verantwortung. Die 5 Millionen Arbeitslosen sind jetzt Ihre Arbeitslosen, die Schulden von 1,5 Billionen Euro sind jetzt Ihre Schulden, und die anstehenden Zinszahlungen in Höhe von 50 Milliarden Euro sind jetzt Ihre Zinsverpflichtungen.
Jetzt haben Sie also die Verantwortung. Machen Sie etwas daraus!
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächster spricht der Kollege Carsten Schneider, SPD-Fraktion.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD steht für politischen Mut und für eine Haushaltskonsolidierung, durch die wir dazu beitragen, dass in den Jahren 2006 und 2007 das Maastrichtkriterium, also der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt, und die Vorgaben des Grundgesetzes eingehalten werden. Ich danke dem Bundesfinanzminister dafür, dass er heute Vormittag den Haushalt eingebracht hat. Nunmehr stehen wir als Parlament in der Verantwortung. Kollege Solms, diese Verantwortung nehmen wir als große Koalition auch wahr. Es ist aber nicht so, dass die Schulden nur unsere sind. Sie sind die Schulden unserer gesamten Gemeinschaft, der auch Sie als Politiker und als Staatsbürger angehören. Daher ist es unsere Gesamtverantwortung, wie wir mit dieser Situation umgehen.
Ich habe die heutige Debatte sehr gespannt verfolgt und mich vor allen Dingen über die eine oder andere Deutung gewundert, die es noch zu klären gilt. Damit meine ich zum Beispiel die Frage, ob es einen Wechsel bzw. eine Wende in der Finanzpolitik gibt,
und manche Vorschläge, die dazu dienen, die Haushaltskonsolidierung voranzutreiben. Über dieses Ziel scheint sogar zwischen Liberalen und Möchtegern-Linken Einigkeit zu herrschen. Die entscheidende Frage ist allerdings die nach dem richtigen Weg und den geeigneten Instrumenten. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Hierzu habe ich bis zum jetzigen Zeitpunkt noch keine entscheidenden Vorschläge gehört. Aber wir sind ja auch erst am Beginn der Haushaltsberatungen; vielleicht ändert sich das ganze noch.
Kollege Koppelin, der heute als erster Oppositionsredner gesprochen hat, hat sich zur Verantwortung für die Verschuldung geäußert und zu Beginn seiner Rede eine Zahl in den Raum geworfen, die ich so nicht stehen lassen kann.
Sie sagten, die SPD habe in der Zeit von 1998 bis 2005, also während der letzten beiden rot-grünen Regierungskoalitionen, Schulden in Höhe von 200 Milliarden Euro gemacht.
Ich kann Ihnen sagen: Von 1998 bis 2005 waren es 144 Milliarden Euro. Das ist nichts, worauf man stolz sein kann; aber ich denke, es ist eine Frage der Gesamtverantwortung, der auch Sie sich stellen müssen.
Ich habe mir einmal heraussuchen lassen, wie hoch die Neuverschuldung war, für die die FDP verantwortlich war. Wenn man die gesamte Neuverschuldung während Ihrer Regierungszeit, die die Bundesrepublik lange Zeit erschüttert hat - also von 1969 bis 1998 -, zusammenrechnet, dann kommt man auf 711 Milliarden Euro. Wenn man die Summe seit 1982, also während der schwarz-gelben Dominanz, zusammenrechnet, dann kommt man immer noch auf 565 Milliarden Euro. Das ist deutlich mehr, Herr Koppelin.
Ich sage das nicht verbunden mit einer Vorhaltung, sondern wegen der politischen Redlichkeit.
Ich glaube, dass es uns allen gut anstehen würde, wenn wir auf dem Weg, den der Finanzminister vorgegeben hat, folgende Ziele in den Haushalten des laufenden und des nächsten Jahres erreichen würden: erstens, die Wachstumskräfte in unserer Volkswirtschaft zu stärken, und zweitens, 2007 die Regelgrenze nach Art. 115 Grundgesetz einzuhalten, ohne von den Ausnahmemöglichkeiten Gebrauch zu machen. Auch hierzu habe ich eine andere Rechtsauffassung als die, die der Kollege Solms vorgetragen hat.
Der Haushalt selbst, der uns zur Beratung vorliegt, beruht auf einer sehr konservativen Schätzung. Wir nehmen an, dass das Wachstum bei 1,4 Prozent liegen wird. Ich glaube, dass dies ausreichend ist, uns genügend Raum gibt und dass nicht mit bösen Überraschungen zu rechnen ist. Das Ausgabenwachstum liegt mit Blick auf einen Vierjahreszeitraum bei 0,7 Prozent pro Jahr. Herr Kollege Solms, die Inflationsrate wird bei 1,5 bis 2 Prozent pro Jahr liegen. Wir werden sehen, wie sie sich entwickelt. Zumindest, wenn man den Auguren glauben kann, wird sie nicht deutlich darüber liegen. Das heißt, es wird eine reale Kürzung der Ausgaben des Bundes geben. Wie Sie trotzdem davon reden können, dass wir das Geld verschwenden und Konjunkturprogramme fahren, die von uns falsch angedacht worden seien, ist mir wirklich ein Rätsel.
Sie haben die Investitionsquote angesprochen; auch darauf will ich noch eingehen. Die Investitionsquote ist ein wichtiger Indikator für die Zukunftsfähigkeit und die Struktur der Ausgaben. Ich widerspreche nicht, dass es in den vergangenen Jahrzehnten - auch unter Ihrer Beteiligung; das will ich noch einmal hervorheben - insgesamt eine Strukturveränderung hin zum sozialen Bereich gab. Nicht umsonst ist der Etat für den Arbeits- und Sozialbereich der größte. Franz Müntefering hat mit der Aufstellung des Haushaltes die Verantwortung wahrgenommen, die Herr Kollege Kampeter hier spitzfindig angesprochen hat.
Die Sozialdemokraten haben innerhalb der Bundesregierung die entscheidenden Ministerien übernommen. Wir sind bereit, dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Ich will zur Investitionsquote zurückkommen. Allein von 2005 auf 2006 steigen die Investitionen real um 1 Milliarde Euro.
- Dann entwickeln sie sich auf einem gleich bleibenden Niveau, Frau Kollegin Hajduk. - Sie sagen, dass sich die Quote bezogen auf den Haushalt verändert; das ist richtig. Der Redlichkeit halber muss man aber dazusagen, dass es einen Bilanzverlängerungseffekt gibt. Ab 2007 werden wir 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuer, die wir einnehmen - das sind knapp 7 Milliarden Euro -, zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages an die Arbeitslosenversicherung durchreichen. Das ist politisch gewollt und auch richtig.
In der Konsequenz führt das rein mathematisch dazu, dass wir zwar die Investitionen nicht senken, dass aber die Investitionsquote bezogen auf die Ausgaben im Gesamthaushalt natürlich sinkt. Das ist logisch. Von daher glaube ich, dass das vertretbar und auch ein richtiger Weg ist.
Der Name des Kollegen Eichel hat heute in der Debatte schon öfter eine Rolle gespielt. Ich komme jetzt auf die Deutungshoheit zurück, die die Kollegen Meister und Kampeter hier angesprochen haben. Ich habe eine gänzlich andere Auffassung bezüglich der Fortsetzung der Finanzpolitik der Bundesregierung bzw. der Wende in derselben.
Herr Kollege Solms, in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Sie haben deutlich gemacht, dass es eine Kontinuität gibt.
Das, was hier im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, wird nun endlich umgesetzt. Ich will nur die Eigenheimzulage nennen, deren Abschaffung jetzt endlich das gesamte Haus dankenswerterweise zugestimmt hat. Das war die größte Einzelsubvention des Bundes. Dieses Haus hat unter rot-grüner Regierung manches beschlossen, das aber niemals umgesetzt wurde, weil es im Bundesrat eine Blockade gab.
Diese Blockade ist nun aufgelöst. Von daher sind die Maßnahmen, die wir schon früher angedacht haben, nun im Vollzug. Deswegen kann ich nicht von einer Wende, sondern nur von einer Fortsetzung des Regierungshandelns reden, das seinen Niederschlag in der Gesetzgebung findet.
Die Ausgaben des Bundes im Zeitraum von 1999 bis 2004 sind im Vergleich zu dem, was real prognostiziert worden ist, niedriger gewesen, nämlich 0,4 Prozent. Auch hier zeigt sich eine deutliche Kürzung der Ausgaben, womit wir damals einen Beitrag zur Konsolidierung geleistet haben. Das ist uns auf der Einnahmenseite leider nicht gelungen. Die Einnahmen sind - das hat die Bundesbank am gestrigen Tag in ihrem Monatsbericht festgestellt - in den letzten Jahren eingebrochen. Wir werden alles tun, um insbesondere dieses Einnahmeproblem zu lösen.
Hinsichtlich der nächsten Kennziffer, die haushalts- und wirtschaftspolitisch wichtig ist, der Steuerquote, hat der Finanzminister heute Morgen darauf hingewiesen, dass sie auf einem international sehr niedrigen Niveau ist. Europaweit hat nur noch die Slowakei mit 20,1 Prozent eine niedrigere Steuerquote als die Bundesrepublik Deutschland. Mit den Entlastungsmaßnahmen bei der Einkommensteuer im Jahre 2000 durch die große Steuerreform haben wir diese Quote bewusst angestrebt. 1999 lag die Steuerquote noch bei 22,5 Prozent. Das mag nun sehr abstrakt klingen. Aber in realen Zahlen entspricht das einer Mindereinnahme von 50 Milliarden Euro. Das Defizit des Bundes entspricht in etwa dieser Zahl.
Die Maßnahmen, die wir nun mit dem Haushaltsbegleitgesetz einleiten, das die SPD-Fraktion in Gänze unterstützt und sowohl auf der Einnahmenseite durch die bedingten Steuermehreinnahmen - etwa bei der Versicherungsteuer und der Mehrwertsteuer, zu denen wir politisch stehen - als auch auf der Ausgabenseite durch Kürzungen und Strukturreformen langfristig wirken wird, führen letztendlich dazu, dass wir 2007, nach dem Jahr des Anschubs in 2006, einen Haushalt vorlegen können, der sowohl den Maastrichtkriterien als auch der Verfassung voll und ganz entspricht.
Das Bund-Länder-Verhältnis, das auch im Zusammenhang mit der Debatte um die zweite Föderalismusreform gesehen werden muss, ist nun so, dass wir nunmehr sowohl hier im Bundestag mit einer Mehrheit durch die große Koalition als auch im Bundesrat die Möglichkeit haben, langfristig stabile Rahmenbedingungen vorzugeben. Ich bin gespannt, wie insbesondere die Maßnahmen des Haushaltsbegleitgesetzes wirken werden. Ich denke da an die Regionalisierungsmittel
und andere Mittel, die den Ländern zugute kommen, wie etwa durch die Mehrwertsteuererhöhung - 1 Prozentpunkt bringt Einnahmen in Höhe von 7 Milliarden Euro - und den Abbau von Steuervergünstigungen. Das bringt allein dem Bund Mehreinnahmen von 19 Milliarden Euro. Dadurch werden die Ausnahmen - das ist richtig so -, durch die sich viele Menschen arm rechnen konnten und keine Steuern zahlen mussten, abgeschafft. Das wird dazu führen, dass die Finanzierungsbasis des Staates, der für uns Sozialdemokraten ein Fundament unserer Gemeinschaft ist, tatsächlich gegeben ist.
Der Haushalt 2006, über den wir in den nächsten Monaten diskutieren werden, ist ein Haushalt des Übergangs; das habe ich bereits erwähnt. Wir sanieren, reformieren und investieren. Dieser politische Dreiklang folgt unserer Grundüberzeugung, nach der wir nicht gegen die Konjunktur sparen können, weil wir Wachstumsimpulse brauchen, um in der Perspektive - diese Perspektive ist für mich die nächste Legislaturperiode - einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Für diese Legislaturperiode werden wir ein Konsolidierungsvolumen von 30 Milliarden Euro beisteuern.
Das ist politisch schwer handhabbar. Es wird uns viel abverlangen. Sie alle werden viele Briefe von Interessenverbänden bekommen, die, für sich genommen, sicherlich ein berechtigtes Interesse haben, aber für die Allgemeinheit und für den Staat Einzelinteressen sind.
Mit all dem werden wir uns auseinander setzen müssen.
Für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes muss - ohne pathetisch klingen zu wollen - meines Erachtens immer im Vordergrund stehen, dass wir den nachfolgenden Generationen nicht nur Zinslasten und ein Sozialversicherungssystem überlassen, das zu hohe Anforderungen an sie stellt, sondern dass wir ihnen auch Zukunftschancen bieten.
Von daher bietet der Haushalt mit den vorgesehenen Konsolidierungsmaßnahmen und den neuen Schwerpunkten insbesondere im Forschungsbereich - was ich ausdrücklich unterstütze -, aber auch bei den Investitionen die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik in den nächsten Jahren bis 2009.
Ich will noch kurz einige Maßnahmen auf der Aufgabenseite nennen, die für Diskussionen sorgen werden, die aber für mich als Haushälter unabdingbar sind. So ist die Absenkung der Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt an die gesetzliche Krankenversicherung auf 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2007 und das Auslaufen dieser Zuwendungen im Jahr 2008 eine Voraussetzung dafür, dass wir vorhandene Effizienzreserven im System der gesetzlichen Krankenversicherung heben, statt uns mithilfe von Steuermitteln um die Reform zu drücken. Ich glaube, dass wir mit dieser Maßnahme den richtigen Weg gehen. Aber auch die Maßnahmen im Arbeitsmarktbereich - Herr Kampeter hat von 15 Milliarden Euro gesprochen; ich gehe von 7 Milliarden Euro per annum aus -, die Verringerung des allgemeinen Bundeszuschusses zur Rentenversicherung und die Halbierung des Weihnachtsgelds werden langfristig zur Absicherung und Konsolidierung des Haushalts beitragen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Schneider, wollen Sie eine Zwischenfrage von Anja Hajduk zulassen?
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Ja, bitte.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Schneider, zu dem Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung möchte ich Sie Folgendes fragen: Stimmen Sie nicht mit mir überein, dass jenseits dieses auslaufenden Zuschusses ein Modernisierungsdruck für die Kassen gegeben ist? Dieses Jahr werden durch das Vorziehen der Überweisungen der Arbeitnehmerbeiträge zusätzliche Einnahmen erzielt, die im nächsten Jahr fehlen. Es ist doch eine Mär, dass allein durch die Kürzungen bei versicherungsfremden Leistungen, die nicht länger aus Steuermitteln finanziert werden, ein Modernisierungsdruck ausgelöst würde. Sie gehen vielmehr das Risiko einer Beitragssatzsteigerung im nächsten Jahr ein. Ich finde, Sie sollten das nicht so verkürzt darstellen. Aber vielleicht sehen Sie den Sachverhalt anders.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Frau Kollegin Hajduk, sicherlich besteht unabhängig von der Senkung des Bundeszuschusses an die gesetzliche Krankenversicherung Modernisierungsdruck. Nichtsdestotrotz wird er durch die Verringerung der Einnahmebasis infolge der Rückführung des Bundeszuschusses an die Krankenversicherung in Milliardenhöhe und der Prioritätensetzung zugunsten eines ausgeglichenen Haushalts - das hat Herr Kollege Poß vorhin ausgeführt - noch verstärkt.
Wir alle wissen, dass einmal gewährte Zuschüsse den Ruf nach weiteren Steuermitteln nach sich ziehen und dadurch Reformmaßnahmen, über die die Koalition noch nicht in Gänze entschieden hat, unterdrückt werden. Ich glaube aber, dass wir als große Koalition mit Frau Ministerin Schmidt an der Spitze ein ausgewogenes Konzept der gesetzlichen Krankenversicherung vorlegen werden, das den vorhin genannten Maßgaben genügt, was das Leistungsniveau, die Ausgabenseite und vor allen Dingen die Lohnnebenkosten betrifft. Ich glaube nicht, dass es letztendlich zu einer deutlichen Beitragssatzsteigerung kommen wird. Das wird eher nicht der Fall sein. Wie es konkret weitergehen wird, werden die Debatten in diesem Hause zeigen.
Klar ist für uns - das hat die Regierung mit dem vorliegenden Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes gezeigt, den wir als Koalition in diesem Punkt auch so beschließen werden -, dass wir den Bundeszuschuss reduzieren müssen und dies auch tun werden.
Ich will noch auf einen anderen Punkt eingehen, der in den vergangenen Tagen in der öffentlichen Debatte eine Rolle gespielt hat, und zwar die Frage möglicher Mehreinnahmen durch eine positive Entwicklung des Steueraufkommens. Am vorigen Sonntag wurden mehrere einschneidende Wahlergebnisse erzielt. Eines davon ist, dass uns der Kollege Paqué als Finanzminister in Sachsen-Anhalt erspart bleibt.
Seine Aussage, dass wir die geplante Mehrwertsteuererhöhung nicht bräuchten, weil wir aufgrund der besseren Konjunkturentwicklung 20 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen hätten - die Wahl in Sachsen-Anhalt war letztendlich eine Volksabstimmung über dieses Thema; Sie haben dadurch die Hälfte Ihrer Wähler verloren -, ist falsch. Nur ein Beispiel: Bei einer Steuerquote von 20 Prozent müsste das BIP der Bundesrepublik um 100 Milliarden Euro wachsen, wenn wir Mehreinnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro erzielen wollten. 100 Milliarden Euro entsprechen 5 Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Wenn ich die von uns prognostizierten 1,4 Prozent noch addiere, dann komme ich auf einen Wert von 6,4 Prozent. Herr Kollege Koppelin, ich wäre froh, wir hätten ein solch starkes Wachstum. Aber ich glaube, dass das fernab jeder realistischen Schätzung ist und eines seriösen Haushälters und ehemaligen Finanzministers nicht würdig ist.
Die Debatte der vergangenen Tage darüber, wie wir entweder auf der Ausgabenseite oder auf der Einnahmenseite zu Verbesserungen kommen können - das hat die Kollegin Hajduk vorhin angesprochen -, und die Vorschläge der Opposition dazu sind bislang nicht zielführend. Ich hoffe, dass sich das noch ändert. Wir werden als Haushälter in den Haushaltsberatungen in den nächsten zwei Monaten jedes Ressort unter die Lupe nehmen.
Ich kann den Steuerzahlern versichern, dass wir als Haushälter sehr genau darauf achten, dass kein Geld unnütz ausgegeben wird. Ich unterstelle nichts. Aber in der Regel finden wir die eine oder andere überflüssige Ausgabe. Wir werden die Vorschläge, die von Ihnen kommen, gerne aufgreifen. Wenn ich aber die vergangenen Jahre Revue passieren lasse, bin ich nicht sehr positiv gestimmt. Nichtsdestotrotz bin ich für Vorschläge in der Sache offen.
Der Punkt Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit ist bereits angesprochen worden. Unsere Priorität in den Haushaltsberatungen ist, die im Haushalt vorgegebenen globalen Minderausgaben zu reduzieren. Wir wollen die Wachstumskräfte und die Investitionstätigkeit zulasten der konsumtiven Ausgaben stärken, wo es möglich ist und in der Gesamtverantwortung darstellbar ist. Wir wollen außerdem - das ist mir ein persönliches Anliegen - das Bund-Länder-Verhältnis, insbesondere die Verwendung der Solidarpaktmittel in den ostdeutschen Bundesländern, unter die Lupe nehmen.
Ich glaube, dass wir als Bundesgesetzgeber, der für den Bundeshaushalt verantwortlich ist, hier die Zügel anziehen müssen. Wir müssen darauf achten, dass die ostdeutschen Bundesländer die zur Verfügung gestellten Mittel so investieren, dass es dort bis 2019 eine sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung gibt.
Ich möchte positiv erwähnen: Wenn man den Jahresabschluss 2005 der westdeutschen Flächenländer mit dem der ostdeutschen Flächenländer vergleicht, dann stellt man fest, dass es deutliche Unterschiede gibt. Das Ausgabenwachstum in den ostdeutschen Flächenländern beträgt nur 0,4 Prozent und ist geringer als das in den westdeutschen. Das heißt, dort gibt es bereits die Einsicht in die Notwendigkeit. Ich bin bestrebt, Reformbemühungen, sofern vorhanden, zu unterstützen und dort, wo es keine gibt, zu initiieren. Ich glaube, dass das notwendig ist.
Der Blick nach Europa offenbart für die Bundesrepublik Gutes. Der Ecofin-Rat hat das Stabilitätsprogramm, das die Bundesregierung unter Federführung von Finanzminister Steinbrück nach Brüssel gemeldet hat, nicht nur zur Kenntnis genommen. Vielmehr sieht der Rat die Haushaltsentwicklung des Jahres 2006 im Zusammenhang mit der des Jahres 2007.
Einer der entscheidenden Punkte ist, dass wir als die größte Volkswirtschaft Europas und als diejenigen, die den Stabilitätspakt auf den Weg gebracht haben - diesen halte ich für absolut notwendig und richtig -, den Vorgaben genügen. Das heißt, dass wir im Jahr 2007 die Maastrichtvorgaben erfüllen werden, zumindest was die Neuverschuldung betrifft. Das gesamtstaatliche Defizit wird dann voraussichtlich 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Ich halte dies insbesondere deswegen für wichtig, weil in anderen Ländern - viele sehen Deutschland in gewisser Weise als Leitindikator - die Daumenschrauben angezogen werden müssen.
Auch innerhalb der Europäischen Union muss klar sein, dass Haushaltskonsolidierung, das heißt eine zukunftsfähige, verantwortungsvolle Finanzpolitik, eine der Prioritäten ist, für die die Bundesrepublik steht, für die die Sozialdemokraten stehen und allen voran Finanzminister Peer Steinbrück.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat Dr. Axel Troost, Die Linke.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal habe ich den Eindruck, auf der Regierungsbank sitzt nicht ein Minister Steinbrück, sondern dort sitzen zwei; der doppelte Steinbrück sozusagen. Steinbrück I sagt, wie in der Sonntagsausgabe der „FAZ“ zu lesen ist - ich zitiere -: „Man spart sich aus Haushaltsstrukturproblemen nicht heraus.“ Derselbe Minister sagt auch: „Der Haushalt muss das noch labile Wachstum stützen.“ Und im Monatsbericht seines Hauses vom letzten Dezember heißt es: „Die Konsolidierungslast muss solidarisch von allen in unserer Gesellschaft getragen werden.“
Wenn ich das höre und lese, muss ich sagen: Weiter so, Herr Minister! Bei diesen Aussagen steht die Linksfraktion hinter Ihnen.
Auch die neuen Parolen aus der SPD nach einem handlungsfähigen Staat finden unsere Unterstützung.
Nun kommt Steinbrück II. Er spricht eine ganz andere Sprache. Nach der Agenda 2010, nach jahrelangen Sparrunden und Nullrunden bei den Rentnerinnen und Rentnern, nach jahrzehntelanger Umverteilung von unten nach oben, nach alledem fordert Steinbrück II: Der Staat muss Leistungen kürzen, die „übertriebene Anspruchshaltung“ muss im Zaum gehalten werden, der Staat muss sich „auf seine Kernaufgaben konzentrieren“ und auf „Eigenverantwortung“ setzen; so der Wortlaut seiner Grundsatzrede von Anfang Januar.
So heißt es auch im Deutschen Stabilitätsprogramm vom Februar 2006 wörtlich:
Ohne eine Rückführung der Sozialleistungsquote können die … Konsolidierungsziele … nicht erreicht werden.
„Reduktion auf die Kernaufgaben“ hieß aber immer schon Sozialabbau. Das war stets die Kampfparole der FDP und des Arbeitgeberflügels der CDU/CSU, Herr Minister. Was heißt denn, man könne nicht mehr „einen vornehmlich konsumtiv ausgerichteten Sozialstaat“ finanzieren? Wann begreifen Sie endlich, dass Sozialleistungen im Sozialstaat entwickelter Industriegesellschaften kein Geschenk, keine Befriedigung von Bedürftigkeit bedeuten, sondern einen Rechtsanspruch auf soziale Sicherheit darstellen?
In diesem Verständnis von Sozialstaat unterscheiden wir uns auch von den Kolleginnen und Kollegen von der SPD fundamental.
Jetzt komme ich zum Haushalt. Welcher Minister hat ihn nun entworfen, Steinbrück I oder Steinbrück II? In Ihrem 25-Milliarden-Sofortprogramm werden zusätzliche Investitionen in Verkehr, Forschung, Energie und Umweltsanierung angekündigt. Das klang in Genshagen sehr beeindruckend. Ob das alles übrigens zusätzlich erfolgt, sei noch dahingestellt.
Ihr Haushalt spricht aber eine andere Sprache: Die investiven Ausgaben des Bundes steigen gerade einmal um eine halbe Milliarde Euro: von 22,7 Milliarden Euro in 2005 auf 23,2 Milliarden Euro in 2006 bis 2009.
Das bedeutet erstens: Sie liegen immer noch unterhalb des Niveaus der Jahre bis 2004 und damit auch deutlich unterhalb des Durchschnitts der Eurozone. Mit diesem investiven Teil Ihres Sofortprogramms stoppen Sie gerade einmal den Abwärtstrend der öffentlichen Investitionen in den letzten 20 Jahren. Eine Trendwende zur Verbesserung von Straßen und öffentlichem Verkehr, von Schulen und Universitäten ist das nicht. Wo da der Aufbruch im Land bleibt, den Frau Merkel feierlich verkündet hat, bleibt mir schleierhaft.
Wir begrüßen uneingeschränkt, dass die Bundesregierung endlich auf Forderungen nach Zukunftsinvestitionen eingeht, die unsere Fraktion, kritische Wissenschaftler, aber auch die IG Metall, Verdi und andere Gewerkschaften seit langem erheben. Es gibt nur ein kleines Problem: IG Metall und Verdi fordern mindestens 20 Milliarden Euro bzw. 40 Milliarden Euro pro Jahr. Was sagen Sie zu der Aussage der „Financial Times“ vom 10. Januar, dass eine Konjunkturpolitik mit einem Volumen von 60 Milliarden Euro pro Jahr notwendig wäre, wollte die Bundesregierung, bezogen auf das jeweilige Bruttoinlandsprodukt, eine ähnliche Finanzpolitik wie die USA machen?
60 Milliarden Euro jährlich, nicht 6 Milliarden Euro wären geboten. So ist die Lage in unserem Land.
Aber es bleibt zweitens leider nicht bei der Kritik der Miniexpansion. Bezogen auf das laufende Jahr ist Ihr Haushalt im Saldo gerade nicht expansiv, sondern restriktiv. Ich verweise hier auf eine Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Sie haben nämlich Ihre Kürzungen vergessen, Herr Minister, wenn Sie von Expansion reden. Kürzungen bei den Hartz-IV-Empfängern, Steuererhöhungen für Pendler und Bezieher von Abfindungen, Kürzungen bei den Nahverkehrspauschalen für die Länder, Kürzungen im öffentlichen Dienst, Beitragserhöhungen für Rentnerinnen und Rentner. Das macht zusammen insgesamt 4,5 Milliarden Euro.
Bei aller keynesianischen Rhetorik: Sie bleiben letztlich bei dem Schrumpfkurs Ihres Vorgängers. Dieser Kurs ist aber gnadenlos gescheitert und bei der letzten Bundestagswahl gerade abgewählt worden.
Nun kommt im nächsten Jahr die Mehrwertsteuererhöhung mit 15 bis 17 Milliarden Euro jährlich, die noch zusätzlich die Binnennachfrage belastet und - das wollen wir nicht vergessen - in erster Linie auf Kosten der unteren Einkommensschichten geht, die immer noch die Hauptlast von Mehrwertsteuererhöhungen tragen müssen. Wir bleiben deshalb dabei: Unter dem Strich ist dieser Haushalt kein Haushalt für Wachstum und Beschäftigung, sondern für Schrumpfung und Arbeitslosigkeit, ein Haushalt der sozialen Ungerechtigkeit.
Nun zum Thema Schulden. Die Staatsschulden in Deutschland haben 2005 das vierte Mal in Folge die Maastrichtkriterien verletzt. Vermutlich wird es auch dieses Jahr wieder geschehen. Im vorliegenden Haushalt liegt die Neuverschuldung in der Tat um 65 Prozent über den Investitionen.
Unsere Position hierzu ist klar: Wir lehnen die Maastrichtkriterien ab. Sie sind ein Produkt monetaristischer Ideologie.
Sie sind, um mit Prodi zu sprechen, dumm und töricht. Sie wirken prozyklisch und sie widersprechen Steinbrück I, dem zufolge man sich eben nicht aus der Krise heraussparen kann.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die in Brüssel seit längerem stattfindende Diskussion über die wachstumsorientierte Neuinterpretation der Kriterien zu beschleunigen. Man hört in der Öffentlichkeit sehr wenig davon.
Die öffentlichen Investitionen sind mit gerade einmal 1,3 Prozent des BIP ein kümmerlicher Rest. Das ist ein historischer Tiefstand. So wie die Dinge bei uns stehen, kommen wir an einer Kreditfinanzierung solcher Investitionen nicht vorbei. Kreditfinanzierung ist für eine antizyklische Finanzpolitik unverzichtbar. Abbau von Verschuldung über eine Spar-, Schrumpfungs- und Umverteilungspolitik zulasten breiter Teile der Bevölkerung wirkt ökonomisch verheerend.
Das Problem bei der Verschuldung ist ein ganz anderes: Unter Rot-Grün ist mit voller Zustimmung von Schwarz-Gelb - das wurde heute hier noch einmal deutlich - die Verschuldung zur Lückenbüßerin für eine massive Senkung der Steuerquote verkommen.
Klar wird damit, dass der Rückgang der Steuerquote nicht nur auf die schwache wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre zurückzuführen ist, sondern erstens auf eine völlig verfehlte Steuersenkungspolitik seit 2000
und zweitens auf die katastrophalen Wirkungen der Steuerentlastungen zugunsten der Wirtschaft. Zur Erinnerung: Hätten wir heute die Steuerquote des Jahres 2000, dann wäre die nötige Neuverschuldung null. Auf Basis der Steuerquote von 2000 hätte der Staat circa 65 Milliarden Euro mehr. Das ist die ganze Wahrheit, meine Damen und Herren.
Insofern ist es ein Treppenwitz, jetzt das zu schwache Steuersubstrat zu beklagen. Das ist geradezu eine dreiste Verhöhnung der Öffentlichkeit. Sie haben doch das Steuersubstrat verkommen lassen.
Schließlich ein Wort zu internationalen Zusammenhängen: Die Wirkungen Ihres Haushalts lassen sich natürlich ohne die gesamtwirtschaftlichen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht angemessen beurteilen. Wir haben es heute weltweit mit einem qualitativen Wandel des Kapitalismus zu tun. Der so genannte organische oder organisierte Kapitalismus - bei uns auch Deutschland AG genannt - wird vom Finanzmarktkapitalismus abgelöst.
Wir haben es mit einer explosionsartigen Anhäufung privater Vermögen und Anlage suchender Liquidität zu tun. Schätzungen besagen, dass weltweit inzwischen insgesamt 36 Billionen Euro, also 36 000 Milliarden Dollar, an privaten Finanzvermögen vorhanden sind.
- Nein.
Dies ist natürlich ein Problem. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens. Die Ausweitung der privaten Alterssicherung bedeutet einen entsprechenden Zuwachs der Pensionsfonds.
Zweitens. Die Umverteilungspolitik bewirkt einen Anstieg der Geldvermögen. Drittens. Es gibt unzureichende Verwertungsbedingungen, die ebenfalls zu entsprechenden Anlagen in Finanzkapital führen.
- So ist das, ja. Aber dann muss man sich darüber Gedanken machen, welche Alternativen man bietet. Ich versuche gleich noch, das zu erklären.
Alles zusammen führt zu neuen Finanzierungsformen der Unternehmensinvestitionen, weg vom Bankkredit hin zu Aktien, Anleihen, Investmentfonds und privaten Investmentfirmen, zur konsequenten Profitsteuerung sämtlicher Unternehmensbereiche.
Weltweit vorgegebene Renditeziele werden zum entscheidenden Bezugspunkt der Unternehmensentscheidungen. Das „Durchregieren“ immer flatterhafterer Finanzmärkte in die nationalen Ökonomien, in einzelne Unternehmen und Unternehmensteile führt zu wachsender Abhängigkeit von spekulativen Entwicklungen der Absatz- und Finanzkonjunkturen. Die Folge sind immer kurzfristigere Ad-hoc-Reaktionen des Managements. Strategische Planung wird zur Nebensache.
Folge ist die Unterwerfung der Unternehmensführungen unter das Diktat der Finanzvorstände und nicht zuletzt die Explosion der Managergehälter, die 1980 noch das 40fache des Facharbeitergehaltes ausmachten, in 2003 aber sage und schreibe das 400fache.
Das ist ein verteilungspolitischer Skandal.
Norbert Walter von der Deutschen Bank bezeichnet die Finanzmärkte als die vierte Gewalt im Staat. Tietmeyer zufolge haben die Politiker immer noch nicht gemerkt, wie sehr sie von den Finanzmärkten insgesamt beherrscht werden.
Ich komme zum Schluss. Herr Fischer hat auf eine provokante Frage von Delegierten auf einem Verdi-Kongress mit einer Gegenfrage geantwortet: Wollt ihr etwa eine Politik gegen das internationale Finanzkapital machen? Diese Frage beantworten wir eindeutig: Ja, genau das wollen wir.
Wir wollen es, weil es gar keine andere Wahl gibt. Die Menschen sind immer weniger bereit, sich zur Geisel der Renditeansprüche der Vermögensbesitzer und der Verarmung der öffentlichen Hand zu machen.
Genau das zeigen die Streiks im öffentlichen Dienst, der Kampf bei AEG, der Widerstand gegen Privatisierungen, die Proteste der sozialen Bewegungen. Sie lassen dies alles einfach so weiterlaufen. Wir sind in der Tat der Ansicht: Hier muss eingegriffen werden. Wir wollen mit dafür sorgen, dass die Gewerkschaften, dass die sozialen Bewegungen mit unserer Fraktion wieder ein Sprachrohr haben, um gegen diese Entwicklungen einzuschreiten.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Herr Kollege Georg Fahrenschon, CDU/CSU-Fraktion.
Georg Fahrenschon (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Finanzplan 2002 bis 2006 zur Grundlage der heutigen Debatte gemacht hätte, dann wäre der Bundeshaushalt im Jahre 2006 eigentlich ein überaus positives Signal gewesen,
und zwar einerseits für den Standort Deutschland und andererseits insbesondere für die junge Generation; denn ursprünglich - so waren die Planungen von Rot-Grün - sollte das Jahr 2006 das Jahr sein, in dem der Bund erstmals wieder ohne neue Schulden auskommt.
Dass diese rot-grünen Planungen völlig aus dem Ruder liefen, beweist unsere heutige Situation. Es ist nicht nur so, dass wir 2006 keine Null-Neuverschuldung erreichen, sondern auch so, dass der Bund das Haushaltsjahr 2005 im Ist mit einer historisch hohen Neuverschuldung von 31,2 Milliarden Euro abschloss. Es bedarf größter Anstrengungen, den Haushalt 2006 überhaupt zu organisieren. Das ist - so viel gehört zum Stichwort „Klarheit und Wahrheit“ auch bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2006 gesagt - die Schlussbilanz der rot-grünen Vorgängerregierung.
Der Bundesetat befindet sich in einer dramatischen Schieflage, in der dramatischsten der Nachkriegsgeschichte. In den vergangenen sieben Jahren wurden insgesamt 200 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Das strukturelle Defizit, also die ständige Differenz zwischen den regelmäßigen Einnahmen und den Ausgaben, liegt bei rund 60 Milliarden Euro. Die Zinszahlungen auf Schulden des Bundes sind mittlerweile der zweitgrößte Posten bei den Staatsausgaben Deutschlands geworden und machen damit 15 Prozent aller Ausgaben des Bundeshaushalts aus. Die Summe der Ausgaben für Soziales, Zinsen und Personal allein liegt schon deutlich über den Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland. 198 Milliarden Euro müssen wir oder wollen wir für Soziales, Zinsen und Personal ausgeben, wir haben aber nur noch Steuereinnahmen von 192 Milliarden Euro. Im Gegenzug wurden 2005 für Investitionen nur noch 23 Milliarden Euro ausgegeben. Das sind weniger als 10 Prozent des Ausgabenvolumens.
Das Fazit, die bittere Wahrheit, lautet deshalb: Erstens. Die Investitionsquote befindet sich auf einem historischen Tiefstand. Zweitens. Jeden fünften Euro, den der Bund heute ausgibt, hat er eigentlich gar nicht.
Drittens. Der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum ist mittlerweile auf ein Minimum reduziert.
Das muss uns schon zum Nachdenken bringen.
Wer die Steuereinnahmen allein für Zinsen, Personal und langfristige gesetzliche Verpflichtungen ausgeben muss, der kann den Auftrag des Wählers zur aktuellen Politikgestaltung nicht mehr erfüllen. Uns muss klar sein, dass das Haushaltsproblem mittelfristig zu einem Demokratieproblem werden kann. Das ist die finanzpolitische Realität. Das ist die bittere Schlussbilanz der Regierung Schröder.
Das ist gleichzeitig die problematische Anfangsbilanz der großen Koalition.
Unter diesen Vorzeichen sind der von der großen Koalition vorgelegte Haushaltsentwurf 2006 und das dazugehörige Haushaltsbegleitgesetz zu sehen. Vor diesem Hintergrund glaube ich - da befinde ich mich in Übereinstimmung mit dem Kollegen Schneider -, dass wir es hier mit einem Haushalt des Übergangs zu tun haben. Er enthält einen wichtigen Zweiklang, nämlich sanieren und gleichzeitig Impulse für Wachstum und Beschäftigung setzen.
Er wurde in dem Bewusstsein aufgestellt, dass ohne Wachstum keine Sanierung und ohne Konsolidierung kein Wachstum möglich ist.
Weil wir dringend wirtschaftliches Wachstum brauchen, nur deshalb liegt die Nettokreditaufnahme 2006 mit rund 38 Milliarden Euro deutlich über der Grenze, die das Grundgesetz als Regel vorgibt.
Denn man muss sich damit auseinander setzen, dass man den aufkeimenden Aufschwung und das gewünschte gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nicht kaputtmacht. Aus dem Grunde gehen wir absolut sachgerecht im Rahmen des Grundgesetzes vor. Wir nehmen für das Jahr 2006 die Ausnahmeregelung des Grundgesetzes in Anspruch, um 2007 - das ist die Argumentation - einerseits den Vertrag von Maastricht und andererseits die Vorgabe des Art. 115 Grundgesetz einhalten zu können.
Eine weitere bittere Wahrheit ist, dass die aktuelle Struktur des Bundeshaushalts, zum Beispiel die hohe Sozialausgabenquote mit rund 134 Milliarden Euro - das ist in etwa die Hälfte der für das Jahr 2006 geplanten Ausgaben -, absolut nicht zufrieden stellend ist. Zusammen mit Zinsen und Personalausgaben sind bereits drei Viertel der Bundesausgaben als konsumtive Ausgaben gebunden. Im Ergebnis bedeutet das, dass wir keinerlei Spielraum mehr für Zukunftspolitik haben. Vor dem Hintergrund kommen wir an einer - nicht zufrieden stellenden, aber finanzpolitisch notwendigen - Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht vorbei.
Dabei muss es allerdings gerecht zugehen. Keiner soll unnötig und übermäßig belastet werden. Aus dem Grund ist es unbedingt notwendig, dass wir zum Beispiel die Vorsteuerpauschale für land- und forstwirtschaftliche Betriebe entsprechend der 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung anpassen.
Die CSU-Landesgruppe wird sich im weiteren Verlauf der Haushaltsberatungen insbesondere dafür einsetzen.
Der Haushalt 2006 und der Finanzplan bis 2009 sind der in Zahlen gegossene Fahrplan der großen Koalition zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Ich versichere Ihnen: CDU und CSU werden es gemeinsam mit den Kollegen von der SPD schaffen, dass wir ab dem Bundeshaushalt 2007 die Regelgrenze der Neuverschuldung nach Art. 115 des Grundgesetzes und den Stabilitätspakt wieder einhalten werden.
Wir dürfen dabei jedoch nicht vergessen, dass das ein schwieriger Weg sein wird. Der Koalitionsvertrag gibt hierfür eine klare, dreistufige Marschroute vor: Erstens. Auf der Ausgabenseite werden Einsparungen im öffentlichen Dienst, in der Bundesverwaltung und im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende vorgenommen. Zweitens schließt sich dem ein spürbarer Abbau von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen an. Drittens ist im darauf folgenden Schritt eine sozial vertretbare Erhöhung der Einnahmen vorgesehen, wobei am ermäßigten Satz der Umsatzsteuer nicht gerüttelt wird.
Die Bewältigung der zweigeteilten Operation - Konsolidierung einerseits und Erhöhung der Investitionsquote andererseits - bedarf dauerhafter wirtschaftlicher Erholung. Nur ein langfristig höheres Wirtschaftswachstum aktiviert wieder die entscheidenden Hebel des Wirtschaftsmotors Deutschlands: Durch ein höheres Wirtschaftswachstum entstehen dauerhaft mehr Arbeitsplätze. Mit jedem neuen Arbeitsplatz sinken die Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Mit jedem neuen Beitragszahler steigen die Einnahmen in den Kassen der sozialen Sicherungssysteme. Last, but not least steigt mit jedem neuen Arbeitsplatz natürlich auch das Steueraufkommen für Bund, Länder und Gemeinden.
Um Investitionen in Deutschland wieder zu entfachen, ist neben der Aufstellung des Bundeshaushalts die Reform der Unternehmensbesteuerung von zentraler Bedeutung. Die Belastung der unternehmerischen Einkünfte ist im internationalen Vergleich zu hoch. Die durchschnittliche Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften liegt in der Europäischen Union bei rund 25 Prozent; in Deutschland liegt sie derzeit bei etwa 39 Prozent. Damit unsere Unternehmen auch weiterhin international wettbewerbsfähig bleiben, ist es daher nötig, die steuerliche Belastung ihrer Einkünfte deutlich zu senken. Zielmarke dabei ist eine Ertragsteuerbelastung von höchstens 30 Prozent. Dies wird die große Koalition mit einer umfassenden Unternehmensteuerreform angehen und damit einen weiteren wirtschaftlich wichtigen Impuls für die deutschen Unternehmerinnen und Unternehmer geben.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass jährlich für eine große Anzahl von Unternehmen der Generationswechsel ansteht, wurde im Koalitionsvertrag zusätzlich die Reform der Erbschaftsteuer spätestens zum 1. Januar 2007 vereinbart. Ich bedanke mich an dieser Stelle beim Bundesfinanzminister für seine klaren Zusagen, dass sein Haus engagiert an der Abarbeitung dieses Ziels des Koalitionsvertrags arbeitet.
Um das noch einmal zu unterstreichen: Allein in Bayern stehen nach einer Studie des bayrischen Wirtschaftsministeriums in den kommenden fünf Jahren rund 63 000 Unternehmensübertragungen von mittelständisch geführten Betrieben an. Das bedeutet, eine halbe Million Arbeitsplätze sind von dem Wechsel in der Betriebsführung betroffen.
Eine zügige Umsetzung der Erbschaftsteuerreform ist eminent wichtig, um den Führungswechsel in mittelständischen Unternehmen optimal zu unterstützen und um die Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern.
Für den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung ist auch diese Reform alternativlos.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einer abschließenden Bewertung. Wenn man sich den Bundeshaushalt 2006 anschaut, dann muss man feststellen, dass dieser Haushalt des politischen Übergangs und die Finanzplanung bis 2009 in struktureller Hinsicht sehr ernüchternd sind. Die hohe Sozialausgabenquote bleibt nahezu unangetastet. Die Innovationsquote sinkt bis 2009 auf nur noch 8,5 Prozent. Ein Signal, die Neuverschuldung in den kommenden Jahren auf null zu senken, fehlt. Das liegt zum Teil daran, dass wir im Finanzplan nur vier Jahre abdecken können.
Aber auch in diesem Punkt möchte ich dem Kollegen Schneider unsere Unterstützung signalisieren: Es muss unser Ziel sein - bezogen auf einen Zeitraum von acht Jahren -, die Null-Neuverschuldung anzupeilen.
Wir müssen die Haushaltsberatungen dazu nutzen, in einem ersten Schritt die geplante Nettokreditaufnahme zu reduzieren. Wir werden jede Möglichkeit dazu nutzen. Es bleibt viel zu tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Jörg-Otto Spiller.
Jörg-Otto Spiller (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fahrenschon, ich finde es gut, dass wir in einer großen Koalition sind.
Denn das trägt dazu bei, dass sich auch Ihre Fraktion der finanziellen Wirklichkeit erheblich angenährt hat, auch wenn sich das nicht in jedem Redebeitrag wiederfindet.
Ich finde es auch hervorragend, dass auf der Bundesratsseite die Weisheit erheblich zugenommen hat,
seit die Länder nicht mehr durch die Parteidisziplin davon abgehalten werden, eigenen Interessen mehr Gewicht zu geben und auch auf die Stabilisierung ihrer Einnahmen zu achten. Insgesamt ist das ein gutes Ergebnis.
Im Rahmen der laufenden Einnahmen haben der Bund und die Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. ... Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder sind so aufeinander abzustimmen, dass ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.
So steht es in Art. 106 des Grundgesetzes.
Es ist selten, dass über den finanziellen Bedarf unseres Gemeinwesens so viel in den Debatten gesprochen wird. Beliebter ist natürlich die Frage, wie man eine Überbelastung der Steuerbürger vermeiden kann. Herr Kollege Dr. Solms, das ist Ihr Spezialgebiet. Mit diesem Thema beschäftigt man sich auch in vielen Talkshows. Aber die eigentlich aktuelle Frage lautet: Wie kommen wir zu einer Stabilisierung der Einnahmen unseres Gemeinwesens insgesamt, also des Bundes, der Länder und der Gemeinden?
Dies ist notwendig, damit dieser Staat handlungsfähig bleibt und seine Aufgaben erfüllen kann, damit er Sozialstaat bleibt und damit er ein guter Standort für Unternehmen ist, die im Wettbewerb stehen.
Wir haben in den vergangenen fünf Jahren beim Abbau von teilweise als übermäßig empfundenen Belastungen der Steuerbürger Großes geleistet. Es ist bei der Einkommensteuer - querbeet durch die Gesellschaft, also für Arbeitnehmer, Selbstständige und mittelständische Unternehmen - eine deutliche Entlastung erreicht worden. In ähnlicher Weise gilt das auch für die Kapitalgesellschaften.
Ich erinnere daran, dass der Eingangsteuersatz bei der Einkommensteuer 1998 bei 25,9 Prozent lag.
Heute liegt er bei 15 Prozent. Der Spitzensteuersatz lag damals bei 53 Prozent. Er liegt heute bei 42 Prozent. Die Grundfreibeträge und andere Freibeträge sind deutlich angehoben worden und die Gewerbesteuer - das ist für die mittelständischen Unternehmen, die als Personenunternehmen geführt werden, besonders wichtig - ist mit der Einkommensteuerschuld verrechenbar, was eine wirklich massive Entlastung des Mittelstandes bewirkt hat.
Das wollten wir. Herr Dr. Troost, es gab für diese Politik auch gute Gründe. Denn der Spitzensteuersatz von 53 Prozent ist faktisch von so gut wie keinem einzigen privaten Haushalt gezahlt worden. Es gab genügend Möglichkeiten, durch Steuersparmodelle seine Steuerpflicht sogar legal zu vermindern. Tatsächlich gezahlt wurde der Spitzensteuersatz eigentlich nur von ertragreichen Personenunternehmen. Die wollten wir entlasten und die haben wir entlastet.
Wir haben gleichzeitig etwas gemacht, was überfällig war: Wir haben Steuerschlupflöcher dicht oder zumindest deutlich enger gemacht. Wir haben durch diese Politik erreicht, dass der Tarif wieder Gültigkeit hat. Ein Blick auf die Entwicklung der veranlagten Einkommensteuer belegt das. Leider ist die amtliche Steuerstatistik eher verwirrend als erhellend, weil in Bezug auf die veranlagte Einkommensteuer immer nur Salden mitgeteilt werden. In der Statistik wird nämlich nicht die veranlagte Einkommensteuer erfasst, die tatsächlich gezahlt worden ist. Vielmehr werden alle Lohnsteuererstattungen, die Eigenheimzulage und die Investitionszulagen, die Personenunternehmen zufließen, abgezogen. Am Ende kommt dann ein erstaunlich niedriger Betrag heraus.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die unbereinigten Zahlen, die Bruttozahlen, das tatsächliche Aufkommen bei der veranlagten Einkommensteuer zu errechnen. 1998 betrug es 31 Milliarden, 2005 fast 39 Milliarden. Trotz der Senkung des Satzes ist ein kräftiger Anstieg des Aufkommens festzustellen, weil die Schlupflöcher zugemacht worden sind.
Wir hätten in dieser Richtung noch mehr erreichen können. Die Fantasie der Erfinder von Steuersparmodellen ist - das ist leider so - nahezu unerschöpflich. Da ist ein Stück Wettlauf dabei. Manchmal ist das wie bei dem Märchen vom Hasen und dem Igel. Wir wären schneller gewesen, wenn der Bundesrat nicht so häufig blockiert hätte.
Es ist ein großer Vorteil der großen Koalition, dass wir an einem Strang ziehen, dieselbe Richtung verfolgen und uns von Vernunft leiten lassen
und nicht von Streitsucht.
Wir hatten, so finde ich, im Dezember 2005 einen sehr guten Einstieg. Wir haben damals die ersten Finanzgesetze verabschiedet. Das war zum einen der endlich fällige Abbau der Eigenheimzulage, der vom Bundestag längst beschlossen war.
- Der möge Ihnen bewahrt bleiben. Ich hoffe, dass er Ihnen gut tut.
Zum anderen haben wir im Dezember etwas gemacht, was auch überfällig war: Wir haben die ausufernden bzw. wuchernden Steuerstundungsmodelle im Bereich der Medienfonds und Umgebung - leider hat Herr Trittin ein bisschen gebremst - ausgetrocknet. Auch das war ein großer Vorteil. Wir nähern uns unserer Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die öffentliche Hand das Geld bekommt, das sie für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben braucht.
Das passt ganz schön zu meinem nächsten Punkt. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass wir eine der niedrigsten Steuerquoten in Europa haben. Sie betrug im Jahr 2005 20,1 Prozent. Damit ist unsere Steuerquote niedriger als die Steuerquote in der Schweiz, in Irland, in Österreich oder in Luxemburg. Ich zögere manchmal, das einfach so im Raum stehen zu lassen; denn bei Diskussionen erlebe ich gelegentlich, dass gesagt wird: Wenn die Steuerbelastung in der Volkswirtschaft insgesamt 20 Prozent beträgt, dann mache ich vielleicht etwas falsch. Meine Steuerbelastung ist wesentlich höher. - Diese Aussage ist legitim.
- Es geht nicht um den Steuerberater, Herr Kollege. - Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Durchlöcherung des Steuerrechts aufhört. Dabei müssen aber nicht nur beim Steuerrecht die Lücken geschlossen werden, sondern auch beim Vollzug des Rechtes.
Ich will jetzt nicht die ganze Palette dessen, was wünschenswert und erforderlich ist, aufzählen. Eines aber kann ich mir nicht verkneifen. Es ist kein Ruhmesblatt des deutschen Föderalismus, dass es die 16 Landesfinanzverwaltungen in den letzten 20 Jahren nicht geschafft haben, ein einheitliches EDV-System einzurichten.
Wir werden beim Abbau ungerechtfertigter Steuersubventionen weiter voranschreiten müssen. Wir müssen mit Blick auf die Handlungsfähigkeit des Staates - nicht nur, aber auch des Bundes - altbekannte Vergünstigungen auf den Prüfstand stellen.
Ich glaube, dass in diesem Hause und auch in weiten Teilen der Gesellschaft Konsens darüber besteht, dass die Zukunft unseres Landes zu einem guten Teil dadurch bestimmt werden wird, ob es uns gelingt, auf zwei Feldern erfolgreich zu operieren. Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation stellen das eine Feld dar, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie das andere. Auf dem zweiten Feld haben wir im Rahmen der Steuergesetzgebung gerade etwas sehr Vernünftiges beschlossen. Bezüglich des ersten Feldes lasse ich einmal dahingestellt, wie die weiseste Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bei diesen Schlüsselfragen der Gesellschaft aussieht. Aber dass der Staat insgesamt, also Bund, Länder und Gemeinden, Geld braucht, um diese Aufgaben angemessen wahrnehmen zu können, sollte doch zumindest zwischen uns, innerhalb der großen Koalition, unbestritten sein.
Ich will nicht nur vom Guten und vom Schönen reden. Ich weiß, dass die notwendige Anhebung der Mehrwertsteuer, die wir heute mit der Einbringung des Entwurfs eines Haushaltbegleitgesetzes ankündigen, nicht nur Jubel auslösen wird. Ich sage auch ganz offen, dass das nicht mein Traum war. Auch die Kollegen von der Union hätten sich Schöneres vorstellen können; da bin ich ganz sicher. Dass man aber auch unbequeme Wege gehen muss, um die Einnahmen zu stabilisieren, ist bei allem Streit um Einzelheiten sicherlich eindeutig. Auch im Steueränderungsgesetz, das angekündigt ist, werden einige Belastungen enthalten sein, die für den Bundestag, wenn er sie beschließt, nicht bequem sein werden, ebenso wenig wie für viele Bürger, denen wir diese Belastungen zumuten.
Aber es gehört auch zur Ehrlichkeit, dass man nicht nur abstrakt darüber redet, wie man stabilisiert, konsolidiert und eine ökonomisch vernünftige Finanzpolitik betreibt. Der Kollege Dr. Troost hatte das einfache Rezept: Von den USA lernen heißt siegen lernen.
Das ist deswegen so pikant, weil deren Konjunkturprogramm insbesondere in umfangreichen Rüstungsausgaben besteht; aber das müssen wir vielleicht nicht vertiefen.
Bei der FDP - das ist Tradition, das werfe ich Ihnen nicht vor - ist die Hoffnung sehr groß, dass man durch die Rücknahme des Staates sehr viel erreicht.
Ihnen empfehle ich die Lektüre des jüngsten Bundesbankberichts. Es wird ja, was auch verständlich ist, gern aus dem Kurzbericht zitiert, weil er sich leichter lesen lässt. Darin gibt es auch ein paar kritische Anmerkungen zur Koalition, zum Finanzminister und zum Haushaltsgesetzgeber.
Darüber hinaus steht darin aber auch etwas, was für die FDP hoch spannend wäre: eine sehr sorgfältige Analyse der Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben im Gesamtstaat.
Diese Analyse spricht dafür, dass unser Problem im Wesentlichen ein Einnahme-, nicht ein Ausgabeproblem ist.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu einem wichtigen Vorhaben machen, das auch jenseits der Finanzpolitik im engeren Sinne von großer Bedeutung ist, weil es auf die wirtschaftliche Entwicklung ausstrahlt: die Unternehmensteuerreform. Wir haben sie nicht erst im Koalitionsvertrag festgelegt; die Grundidee dazu gab es schon ein Jahr vorher. Bereits im März 2005 gab es die Verabredung, die Unternehmensteuersätze zu senken, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu stärken.
Inzwischen gibt es zusätzliche Ideen, wie man die Reform ausgestalten kann. Die Stiftung Marktwirtschaft, der Sachverständigenrat und auch andere haben sich zu Wort gemeldet. Der Sachverständigenrat ist dazu auch ausdrücklich ermuntert worden. Ich finde alle Vorschläge sehr bedenkenswert, und man wird sie sorgfältig prüfen müssen. Das Ei des Kolumbus jedoch habe ich, offen gestanden, noch nicht entdeckt.
Es gibt insbesondere einen Punkt, den man nicht so schnell beiseite schieben kann. Es wird nicht möglich sein, Steuermindereinnahmen in Höhe von 10 oder 20 Milliarden Euro einfach hinzunehmen, wie uns Sachverständige und Stiftung Marktwirtschaft schmackhaft machen wollen. Irgendjemand muss auch die Miete für den Elfenbeinturm bezahlen. Das Beiseiteschieben wird nicht funktionieren.
Wir werden im vorgegebenen Zeitrahmen eine Unternehmensteuerreform machen, die sich nicht nur an den Zielen Attraktivität des Standortes, weitestgehende Rechtsformneutralität und ausreichende Finanzierung der Gemeinden durch eine wirtschaftskraftbezogene Gemeindesteuer mit Hebesatzrecht - wir wollen das Interesse der Gemeinden am Gewerbe erhalten - orientieren wird. Wir werden darüber hinaus darauf zu achten haben, dass die Einnahmen, die aus der Unternehmensbesteuerung erzielt werden, ein angemessener Preis für die Bereitstellung eines guten Standortes sind. Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss stimmen. Das gilt in beide Richtungen; denn es wäre uns nicht geholfen, wenn wir nur die Einnahmen senkten, nicht aber die Qualität des Standortes aufrechterhalten könnten.
Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit hängt auch davon ab, dass die staatlichen Aufgaben erfüllt werden und die öffentlichen Infrastrukturen in Ordnung sind oder nach Möglichkeit verbessert werden.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jochen-Konrad Fromme.
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die große Koalition hat die Meinungsunterschiede zwar nicht beseitigt - die bleiben -, aber sie zwingt zum Kompromiss. Vor allen Dingen hat sie für den Einzug von Realität gesorgt. Das ist wichtig und das ist, glaube ich, schon der erste Erfolg.
Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf streben wir den Dreiklang von Konsolidieren, Reformieren und Investieren an. Das ist genau der richtige Weg und genau der richtige Einstieg. Ich will verdeutlichen, was Sanieren eigentlich heißt. Sanieren heißt, Einnahmen und Ausgaben in Einklang bringen. Dafür gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten: Ich kann die Ausgaben senken oder die Einnahmen erhöhen. Manch einer will natürlich lieber die Einnahmen erhöhen. Wenn ich Sie auf der linken Seite des Hauses ansehe, sage ich: Sie sind erst bei 100 Prozent Staatsquote zufrieden, weil Sie dann alles verteilen können. Sie scheinen nichts gelernt zu haben. Das hat uns schon einmal in den Abgrund geführt.
Ein Teil unserer Probleme rührt nämlich daher, dass wir für die Folgen von 40 Jahren Kommunismus bezahlen müssen.
Entscheidend ist jedoch nicht die Staatsquote - darüber müssen wir uns im Klaren sein -, sondern die Abgabenquote. Das ist das, was die öffentliche Hand ausgibt. Alles, was die öffentliche Hand ausgibt, muss erst eingenommen werden. Da wir in Deutschland als Land ohne Rohstoffe von dem leben, was wir anderen verkaufen, heißt das: Alle Kosten, die der Staat produziert, müssen auf die Preise aufgeschlagen werden. Dies behindert uns, wenn es zu viel wird. Deswegen muss die Staats- und Abgabenquote sinken. Das muss ein Kern unserer Politik sein. Das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen.
So wie wir in den letzten Jahren, und zwar nicht nur in den letzten sieben - die waren besonders schlimm -, gearbeitet haben, können wir nicht weitermachen, weil wir immer mehr ausgegeben als eingenommen haben. Einnahmen und Ausgaben müssen in Einklang gebracht werden.
So einfach ist das aber nicht. Natürlich hätten auch wir lieber - das sage ich an die Adresse der Grünen und der FDP - schneller konsolidiert und die Schulden heruntergefahren. Man muss sich aber die Blöcke im Haushalt verdeutlichen, um zu sehen, welche Möglichkeiten man hat:
Von Ausgaben in Höhe von circa 250 Milliarden Euro - wenn ich die Durchbuchung eines Mehrwertsteuerpunktes abziehe - entfallen 80 Milliarden Euro auf die Rente, 40 Milliarden Euro auf Zinsen, 24 Milliarden Euro auf die Verteidigung und 8,5 Milliarden Euro auf die Versorgung. Das heißt, es sind bereits circa 150 Milliarden Euro in Blöcken festgelegt, die man nur langfristig verändern kann. Wenn man konsolidieren will und die nicht von vornherein festgelegten Ausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro - das ist die Differenz - um 60 Milliarden Euro verringern will, dann geht das nicht von heute auf morgen, sondern nur durch den Einstieg in ein richtiges System.
Darum geht es: Auf Dauer sind nur gesunde Staatsfinanzen ein gutes Fundament für eine starke Konjunktur. All die Länder, deren Haushalte in Ordnung sind, stehen wirtschaftspolitisch besser da als die anderen. Gesunde Staatsfinanzen müssen unser Ziel sein. Wir werden es aber nur mittelfristig erreichen können.
Klar ist, dass sich jede Veränderung auch auf die Nachfrageseite auswirkt. Deswegen ist Konsolidierung immer ein Spagat: Auf der einen Seite müssen Fortschritte bei der Konsolidierung gemacht und auf der anderen Seite darf die Binnenkonjunktur nicht kaputt gemacht werden. Man muss das richtige Gleichgewicht finden. Dieser Spagat ist kompliziert, aber machbar. Das wissen wir aus eigener Erfahrung. Das haben wir in den Jahren 1982 bis 1989 schon einmal bewiesen, wo wir die Staatsquote gesenkt haben. Wir hatten 1989, vor der Wiedervereinigung, die niedrigste Staatsquote seit vielen Jahrzehnten. Deswegen ging es uns 1989 so gut. Übrigens war das das Fundament, auf dem wir die Wiedervereinigung überhaupt nur verkraften konnten.
Das müssen wir wiederholen. Wir müssen aber scharf darauf achten, wo es langgeht. Diese Haushaltskonsolidierung ist ein Ritt auf der Rasierklinge.
Ich habe gehört, dass wir Mehreinnahmen zu erwarten haben, weil die Wirtschaft besser läuft; darüber freuen wir uns. Wir müssen aber aufpassen, dass nicht die ersten kommen und sagen: „Wir brauchen doch gar nichts zu verändern, das Problem löst sich ja von alleine.“ Das ist nicht so. Das ist nämlich eine konjunkturelle Veränderung; wir brauchen aber eine strukturelle Veränderung.
Deswegen rate ich all denjenigen, die darüber nachdenken, wie man mehr Geld ausgeben kann, sehr zur Vorsicht. Wir müssen zunächst weniger Geld ausgeben.
Ich sage einmal Folgendes an die Populisten gerichtet: Natürlich, wer möchte Kindertagesstätten nicht kostenlos haben? Ich frage mich aber, ob das der richtige Weg ist. Denn bei den Studiengebühren überlegen wir uns gerade den strukturell anderen Weg.
Wir können das Geld doch nur dann ausgeben, wenn wir es haben. Wenn wir jetzt aus populistischen Gründen die Kindertagesstättenbeiträge für die Eltern abschaffen, aber das Geld dafür nicht in den Haushalten haben, dann schadet das der Qualität der Kindertagesstätten. Genau das wollen wir nicht. Denn wir sind uns doch einig, dass die Qualität der Betreuung gerade in den ersten Lebensjahren verbessert werden muss.
Deswegen gibt es zur Konsolidierung und Sanierung des Staatshaushaltes keine Alternative.
Wenn so getan wird, als ob es erst jetzt nach den Landtagswahlen mit den Reformen losgehe, dann kann ich dazu nur sagen: Da muss jemand etwas verschlafen haben. Wir haben jede Menge Gesetze in den Bundestag eingebracht, beraten und beschlossen, die schon Veränderungen bewirkt haben. Natürlich weiß jeder, dass man vor komplizierten Wahlen manche Dinge nicht auf die Tagesordnung setzt. Das heißt aber nicht, dass nichts passiert ist. Es ist viel passiert. Wir haben drei große Gesetzentwürfe eingebracht und einer der nächsten Schritte muss die Unternehmensteuerreform sein. Wir müssen die Bedingungen für das Arbeiten und das Wirtschaften verbessern.
Übrigens reicht der Jobgipfel nicht aus, wenn wir wirklich nachhaltige Verbesserungen erreichen wollen.
Es geht um zwei Dinge. Es geht zum einen um die Struktur der Abgaben und es geht zum anderen um die Menge der Abgaben. Wir können im Augenblick bei der Entlastung nur langsam vorwärts gehen. Das darf uns jedoch überhaupt nicht davon entheben, die Strukturfragen anzupacken und zu lösen. Man muss nur die Stellschrauben anders drehen, sodass man am Ende Aufkommensneutralität oder das gewünschte Entlastungsergebnis bekommt. Man darf nicht nachlassen, über die Strukturveränderungen zu reden und diese auch umzusetzen.
Ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der Steuerreform ist der Bürokratieabbau. Es ist doch ein Wahnsinn, dass wir vonseiten des Staates und der Betriebe in Deutschland 23 Milliarden Euro für die Verwaltung der Steuern ausgeben.
Wenn wir es schaffen würden, diesen Verwaltungsaufwand durch Veränderungen der Strukturen um lediglich 20 Prozent zu verringern, wäre das mehr als eine Senkung der Steuersätze um 3 oder 4 Prozent. Darum müssen wir uns bemühen.
Deswegen sehe ich die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen - ganz anders als mein Kollege Spiller -, als wirklich gute Anregung. Darin kann man vieles finden. Ich fordere alle Beteiligten auf, konstruktiv daran mitzuwirken. Es kann nicht angehen - ich sage das ganz deutlich -, dass wir uns wegen einer Blockade bei den Gemeindesteuern dieses wichtigen Themas nicht annehmen.
Ich sage den Kommunen von dieser Stelle: Das, was im Augenblick auf dem Tisch liegt, hat Qualität; das hat es so noch nicht gegeben. Wir hätten eine viel breitere und bessere Streuung der Bemessungsgrundlagen. Das würde zu einer besseren Verteilung der Steuern und zu viel mehr Stabilität führen und trotzdem würden die Hebesätze beibehalten. Nicht umsonst hat der Sachverständigenrat - er wurde immerhin von der Vorgängerregierung personell maßgeblich bestimmt - gesagt: Das ist richtig. Deswegen lassen Sie uns an diesem Punkt konstruktiv arbeiten. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir da die Strukturen verändern.
So schön für die mittelständischen Betriebe die Verrechnung der Gewerbesteuer ist: Es ist doch ein Wahnsinn, dass wir mit riesigem Aufwand eine Steuer feststellen, die wir dann wieder zurückzahlen.
Zwei Senate beim Bundesfinanzhof beschäftigen sich mit der Abgrenzung von Gewerbe und Nichtgewerbe. Dieses Thema kann man auch anders und mit weniger Bürokratie zum Wohle aller lösen.
Ich freue mich, dass wir jetzt möglicherweise besser dastehen, als wir es geplant haben. Denn wir sind jetzt mit dem, was wir in die Haushaltsentwürfe schreiben, vorsichtig. Es ist doch besser, wenn am Ende etwas übrig bleibt und wir weniger Kredite aufnehmen müssen, als wenn wir uns etwas vorlügen und am Ende schlechter dastehen. Deswegen ist es der richtige Weg, dass hier jetzt Realismus eingetreten ist - der Finanzminister hat es heute Morgen so erklärt - und wir bei der Veranschlagung ganz vorsichtig sind.
Natürlich könnte man noch mehr einsparen, wenn man nachhaltigen Subventionsabbau betreiben könnte. Aber wie hoch sind denn eigentlich die Subventionen? Nach Aussagen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft betragen sie 170 Milliarden Euro, andere sprechen von 50 bis 60 Milliarden Euro. So einfach ist das Thema nicht, dass man sozusagen mit einem Federstrich die Dinge erledigen könnte. Es wäre schön, wenn wir schneller vorwärts kämen. Aber es geht eben nur in kleinen, aber sicheren und sorgfältigen Schritten.
Natürlich gibt es auch Dinge, die man sofort machen könnte. Dafür haben wir aber keine Mehrheit gefunden. Jedem ist zum Beispiel klar, dass es sich bei der Steuerfreiheit der Nacht- und Feiertagszuschläge um eine Subvention handelt. Für ihre Abschaffung hat es aber keine Mehrheit gegeben. Also können wir hier nichts tun. Man sollte sich daher nicht aufplustern und sagen, wir würden nicht alles, was möglich sei, unternehmen. Wir brauchen auch Mehrheiten.
Natürlich kann man fordern, dass Großprojekte gestrichen werden. Aber wenn wir weniger Eurofighter bestellen, müssen wir eine Konventionalstrafe zahlen. Unter dem Strich müssten wir also den gleichen Betrag zahlen. Deswegen ist das alles nicht so einfach.
Wir müssen die Dinge langfristig betrachten. Jede Maßnahme, die wir ergreifen, muss daraufhin überprüft werden, ob sie langfristig für mehr Arbeit und Beschäftigung sorgt. Es darf nicht entscheidend sein, ob sie uns heute einen Liquiditätsvorteil verschafft. Diesen Weg müssen wir gehen. Mit diesem Haushalt beschreiten wir diesen Weg an genau der richtigen Stelle und in kleinen, aber gezielten und sicheren Schritten. Ich lade alle in diesem Hause ein, dabei mitzuwirken. Wir sollten nicht über einzelne Punkte, die uns selbst betreffen, meckern - als Beispiel nenne ich die Regionalisierungsmittel -,
sondern wir müssen aufpassen, dass alles, was wir tun, in ein Gesamtkonzept passt. Dieses Gesamtkonzept muss am Ende dazu führen, dass die Struktur des Haushalts verbessert wird. Das ist der einzige Weg, um auf Dauer mehr Arbeit und Beschäftigung zu schaffen und die Verhältnisse in Deutschland zu verbessern. Ich lade Sie alle herzlich ein, uns auf diesem Weg zu folgen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
In der allgemeinen Finanzdebatte liegen nun keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Interfraktionell wird die Überweisung des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 auf Drucksache 16/752 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 27. Sitzung - wird morgen,
Mittwoch, den 29. März 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]