Neues altes Wahlrecht in Italien
Jetzt sind die Karten in Rom wieder neu gemischt. Seit diesem Oktober ist der Ausgang der Parlamentswahl im nächsten Frühjahr wieder mehr oder weniger offen. Am 11. Oktober begann in der Abgeordnetenkammer die Debatte über die Pläne einer Reform, mit der die Regierung Silvio Berlusconis das Wahlverfahren ändern will. Vier Tage später, am 14. Oktober, hatte das Vorhaben schon das Votum der Mehrheit. Seitdem ist der Weg frei für eine letzte geschmeidige Passage des Gesetzes durch den Senat, wo Silvio Berlusconis Regierungsbündnis ebenfalls über die Mehrheit der Stimmen verfügt. Danach wird Staatspräsident Ciampi das Gesetz absegnen, vielleicht mit, vielleicht ohne eine letzte kleine Verzögerung.
Es sei ein "Gesetz der Schande" wusste Oppositionsführer Romano Prodi schon am Wochenende davor auf einer Großkundgebung, zu der das oppositionelle Mitte-Links-Bündnis 100.000 Demonstranten zu einem Protest auf Roms Piazza del Popolo zusammen getrommelt hatte. Der Premier "verrate die Institutionen" hieß es da, und er "verfälsche die Wahlnormen auf eine Weise, dass diejenigen mit weniger Stimmen mehr Sitze bekommen". Kurzum, die Rückkehr zu dem alten Wahlrecht sei "ein trauriger Tag für Italien".
Der folgende Sonntag wurde dann zu einem Tag des Triumphs für Romano Prodi, als er erstmals in der Geschichte Italiens in Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild als der unumstrittene Spitzenkandidat der Opposition auf dem Regierungssitz ermittelt wurde. Silvio Berlusconi gratulierte seinem Kontrahenten am späten Sonntagabend Hände reibend als erster zu dessen Triumph - weil dies "der einzige Sieg" sei, an dem er sich auf lange Sicht erfreuen könne. Bei den entscheidenden Parlamentswahlen im Frühjahr werde er im Rennen um das Amt des Regierungschefs gegen ihn gewiss wieder verlieren. "Wir werden die linke Opposition in der nächsten Wahl wegputzen", hatte Romano Prodi sich schon am Donnerstag zuvor von Berlusconi anhören müssen. Da könnte etwas dran sein. Denn rein formal betrachtet, bedeutet die gelungene Wahlrechtsreform ja wirklich nur die Rückkehr zum alten Verhältniswahlrecht, das bis 1993 in Italien gültig war.
Das Wahlrecht war damals durch ein kompliziertes Mischsystem aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht ersetzt worden, weil die alte Regelung bis dahin als eine der vielen Ursachen für die politische Instabilität des Landes mit seinen notorisch knappen Mehrheitsverhältnissen und häufigen Regierungswechseln angesehen worden war. Dieser Analyse mochte das mehrheitliche Regierungslager nun aus verschiedenen Gründen nicht mehr folgen. De facto ist dem Regierungschef - ganz offenkundig - mit dieser Reform als allererstes und kurzfristig ein doppelter Schachzug gelungen: zuerst gegen seine Widersacher innerhalb der Regierungskoalition und zweitens gegen die Opposition des Regierungslagers.
"Jetzt sind wir wieder zur Monarchie zurückgekehrt", seufzte der Vorsitzende der italienischen christdemokratischen UDC Marco Follini, nachdem es Silvio Berlusconi gelungen war, das Regierungslager mit diesem Vorstoß wie mit einer Vertrauensfrage zu seltener Geschlossenheit zu einigen. Danach trat Follini resigniert als UDC-Chef zurück - nachdem er davor von dieser Position aus wiederholt gefordert hatte, die Regierungskoalition müsse sich mit einem neuen Spitzenkandidaten der nächsten Wahl stellen, wenn sie sich nicht schon vorab geschlagen geben wolle. Diese Ansicht ist nun jedoch in dem maßgeblich von Berlusconi errichteten "Haus der Freiheiten" endgültig kein Thema mehr - und auch nicht, wer außer dem derzeitigen Regierungschef aus dem Regierungsbündnis denn für die Wahl auf den Schild gehoben werden solle. "Vorwahlen brauchen wir nicht!", jubelte der Premier deshalb auch gleich nach seinem letzten Winkelzug: "Das beweist dieses Ergebnis."
Für das Mitte-Links-Bündnis um Romano Prodi ist dieses Ergebnis vor allem deshalb ein Desaster, weil die von der ersten Kammer beschlossene Rückkehr zum Verhältniswahlrecht auch die Pläne des Chefstrategen der Opposition durchkreuzt, die Liste als Unabhängiger anführen zu können. Er selbst gehört keiner Partei an. Das lässt das neue Recht nun aber nicht mehr zu. Deshalb muss sich Prodi als Führer vom Bündnis der oppositionellen "Union" nun auch selbst einer Partei anschließen oder rasch noch eine neue Partei gründen - mit der er dann jedoch zunächst einmal gegen die anderen Parteien der Union konkurrieren müsste. Damit hat der Premier seinem Gegenspieler aus der Opposition eine Mühle aufgemacht, aus der es so leicht kein Entrinnen gibt. Denn ob Prodi nun einer alten Partei der Mitte-Links-Union beitritt oder selbst eine neue Liste Prodi gründet: Streit innerhalb der notorisch von vielen Zerwürfnissen bedrohten Opposition ist damit fast programmiert.
Dabei schien das Programm bereits festgeschrieben für den Ausgang der nächsten Wahl. Nur Wochen ist es her, da konnte man dem Land noch lauschen, wie es einer grundlegenden Veränderung entgegen seufzte, zumindest im Mund vieler Kommentatoren. Die große Teuerung, unter der Italien seit Jahren stöhnt, der unpopuläre Krieg im Irak, dessen italienische Beteiligung Prodi bei seinem Wahlsieg sofort zu beenden verspricht, alles schien zu rufen: Basta! Mit der Rückkehr zum alten Verhältniswahlrecht ist es dem begabten Zampano auf Roms Regierungssessel nun jedoch gelungen, plötzlich wieder neu-alte Spielregeln aus dem Zylinder des ehrwürdigen Parlaments zu zaubern, die illegal nur nennen mag, wer parlamentarische Verfahren insgesamt verachtet. Plötzlich ist der Kampf um Rom im nächsten Jahr damit wieder unentschieden.
Denn die Opposition mag hier die Straße beherrschen. Roms Parlament aber wird weiter erfolgreich nur von der Regierung dominiert - zumindest bis zum nächsten April, in einer Zeit, die Berlusconi auch weiter trick- und ideenreich zu nutzen verstehen wird.