Interview mit dem DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer
Das Parlament: Das Kapital ist hoch mobil. Arbeitnehmer sind das mit der Ausnahme weniger sehr gut ausgebildeter Spezialisten in der Regel nicht. Sind die Arbeitnehmer damit nicht notwendig Verlierer der Globalisierung?
Heinz Putzhammer: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Auf der einen Seite gibt es natürlich die Verlagerung von Arbeitsplätzen. Auf der anderen Seite ist gerade Deutschland ein Beispiel dafür, dass die Zahl der Arbeitsplätze, die erhalten und neu geschaffen werden, von der wirtschaftlichen Entwick-lung insgesamt abhängt, die in Deutschland sehr stark an den Export gekoppelt ist. Die Exportwirtschaft kann nur dann gedeihen, wenn in Deutschland Wettbewerbsbedingungen herrschen, die auch für die internationalen Konkurrenten der deutschen Firmen akzeptabel sind. Es ist verständlich, dass Betriebsräte der einzelnen Unternehmen mit Zähnen und Klauen jeden einzelnen Arbeitsplatz verteidigen. Unter dem Strich werden in Deutschland aber durch die internationale Arbeitsteilung mehr Arbeitsplätze geschaffen.
Das Parlament: Würden niedrigere Löhne Arbeitsplätze in Deutschland sichern?
Heinz Putzhammer: Nein, das wäre keine Lösung für die Herausforderung der Globalisierung. Man kann entweder die eigene Wirtschaft und Innovationskraft immer weiter entwickeln oder aber im Wettbewerb zurückfallen, den Standort Deutschland aufgeben und langfristig verarmen. Das wäre die Folge, wenn wir in einen Wettbewerb um die niedrigsten Löhne eintreten würden.
Das Parlament: Was ist der Beitrag der Gewerkschaften zur Wettbewerbsfähigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung?
Heinz Putzhammer: Die Vorwürfe, die Gewerkschaften seien unbeweglich und müssten noch unendlich viel lernen und leisten, sind unberechtigt. Wir haben Möglichkeiten zur Abweichung von Tarifverträgen geschaffen. Die wichtigen Gewerkschaften haben längst erkannt, dass man ein ausgewogenes System zwischen der Gültigkeit von Tarifverträgen und von Spielräumen in Betrieben entwickeln muss.
Das Parlament: Erleben die Gewerkschaften nicht gerade, dass zum Beispiel Firmen wie Siemens mit Hinweis auf niedrigere Löhne in Tschechien ihren Arbeitnehmern in Deutschland ein Zugeständniss nach dem anderen abringen?
Heinz Putzhammer: Natürlich wird die internationale Konkurrenz in der Globalisierung von Unternehmensführungen oft in erpresserischer Weise ausgenutzt, um Lohnzurückhaltung zu erzwingen und den Gewerkschaften Zugeständnisse abzupressen. Darauf müssen die Gewerkschaften mit einer Strategie antworten, die auf der einen Seite die relativ hohen Löhne in Deutschland verteidigt, die auf der anderen Seite durch die Tarifverträge betriebsbezogene Lösungen zulässt, um auf die Konkurrenzsituation in einzelnen Branchen und Betrieben einzugehen und so Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten. Der Versuch, jeden Export von Unternehmensteilen oder Zulieferbetrieben strikt zu vermeiden, wäre zum Scheitern verurteilt. Wir wollen die Gesetze der Ökonomie nicht aushebeln, das geht auch gar nicht. Auf der anderen Seite müssen wir Gewerkschaften das Pokerspiel mancher Unternehmer durchschauen und Erpressungsversuchen widerstehen.
Das Parlament: Brauchen die Gewerkschaften für diese Strategie nicht Verbündete in jenen Ländern, in die die Unternehmen deutsche Arbeitsplätze verlagern wollen? Gibt es Beispiele einer grenzübergreifenden Zusammenarbeit von Betriebsräten gegen Drohungen von Unternehmensführungen, etwa das Vorgehen bei Opel im vergangenen Jahr?
Heinz Putzhammer: Opel war ein Sonderfall. Es ging dabei weniger um die Folgen der Globalisierung als vielmehr um ein grottenschlechtes Management der amerikanischen Zentrale und unternehmerische Fehlentwicklungen, die zu Entlassungen führen. Die Gewerkschaften in Deutschland und Schweden aber haben im Fall Opel durch Zusammenarbeit vermieden, dass sie gegeneinander ausgespielt werden konnten.
Das Parlament: Schweden und Deutschland sind Länder mit ähnlichen Lebens- und Lohnstandards. Wie sieht es aus, wenn diese zwischen den Konkurrenten größer sind?
Heinz Putzhammer: Wir vertreten die Interessen deutscher Arbeitnehmer. Auf der anderen Seite ist auch vollkommen klar, dass die Gewerkschaften in Ländern mit niedrigeren Löhnen wie Tschechien und Polen nicht bereit sein können, ihren letzten komparativen Vorteil gegenüber der Konkurrenz aus Deutschland aufzugeben. Deshalb haben dort auch die Gewerkschaften kein Interesse daran, die Löhne so schnell wie möglich an das deutsche Niveau anzupassen, denn damit würden sie sich nur selbst schaden. Mittelfristig werden sich die Löhne aufeinander zu bewegen.
Das Parlament: Wie wirksam sind internationale Gremien und Zusammenschlüsse der Gewerkschaften bei dem Versuch, Regulierungen für die Globalisierung zu schaffen?
Heinz Putzhammer: Das ist unterschiedlich. Bei einigen würden wir uns wünschen, dass sie mächtiger wären und mehr Einfluss entwickeln würden. Allerdings können die internationalen Branchenzusammenschlüsse von Gewerkschaften eine Reihe von Erfolgen vorweisen. So haben die Metallgewerkschaften in Südafrika und andere Gewerkschaften in Brasilien mit ihrem Einfluss erreicht, dass Arbeitsbedingungen festgeschrieben wurden, die den Arbeitnehmern dort nutzten und denen in den entwickelten Ländern auch nicht schadeten.
Das Parlament: Haben Sie auch Partner in den beiden Ländern, die als die wichtigsten zukünftigen Märkte und Produktionsstandorte gelten, nämlich in China und Indien?
Heinz Putzhammer: Der Stand der Entwicklung in China oder in Indien ist noch nicht so weit, dass man damit mit gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen hätte reagieren können. Auch die Zusammenarbeit zum Beispiel mit Akteuren der Zivilgesellschaft in diesen Ländern ist noch nicht so entwickelt, dass sie ein Faktor in den internationalen Verhandlungen etwa auf WTO-Ebene sein könnten. China ist nach wie vor ein kommunistisch regiertes Land. Die WTO ist eine Regierungsorganisation. Die KP Chinas nimmt für sich in Anspruch, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, das lässt keinen Raum für freie Gewerkschaften.
Das Parlament: Die Globalisierung lässt sich in Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Finanzen trennen. In welchem Bereich sehen Sie den größten Handlungsbedarf, wenn es um eine internationale Regulierung geht?
Heinz Putzhammer: Eindeutig im Bereich der Finanzen. Nur fünf Prozent der internationalen Finanzströme beziehen sich auf den Austausch von Gütern oder Dienstleistungen, der Rest wandert in rein spekulativer Absicht um den Erdball. Die ungehinderte Möglichkeit des Finanzkapitals, weltweit zu agieren, ist eine Bedrohung der Weltwirtschaft. Deshalb ist es dringend erforderlich, hier zu Regulierungen zu kommen.
Das Parlament: Ist die Europäische Union aus Sicht der Gewerkschaften ein Akteur, der sich um Regulierungen für die Globalisierung bemüht und dabei Erfolg haben kann?
Heinz Putzhammer: Wir hatten sehr gute Beziehungen zum früheren EU-Handelskommissar Pascal Lamy und stimmten in vielen Fragen auch mit ihm überein. Das ist leider mit seinem britischen Nachfolger Peter Mandelson anders.
Das Parlament: Es gibt internationale Versuche, die Unternehmen zur Selbstverpflichtung auf soziale Standards zu bewegen. Verspricht dieser Vorstoß mehr Erfolg als der Versuch, zwischenstaatliche Abkommen auszuhandeln?
Heinz Putzhammer: Wir sehen keine Alternative zu einer durch Verträge verankerten Regulierung. Viele deutsche Unternehmen haben kein Interesse, dem Pakt beizutreten. Auf der anderen Seite sehen wir etwa in den OECD-"Guidelines" einen sehr sinnvollen Versuch, ein internationales Streitbeilegungsverfahren zu etablieren. Auch die EU beschäftigt sich gegenwärtig mit "Corporate social responsibility", will also mit einer Kampagne kleine und mittlere Unternehmen stärker für ihre soziale Verantwortung sensibilisieren. Viel besser wäre es, wenn die WTO sich dazu durchringen würde, in ihrem Bereich Arbeitsstandards zuzulassen. Aber genau das will sie nicht.
Das Parlament: In der Geschichte der Arbeitnehmerorganisationen spielt der Wert der Gerechtigkeit eine große Rolle. Ist es nicht gerecht, wenn Arbeitnehmer in heute weniger entwickelten Ländern ihren Wohlstand auch auf Kosten von Arbeitsplätzen in entwickelten Ländern mehren?
Heinz Putzhammer: Ich akzeptiere den Zusammenhang nicht, der dieser Frage zugrunde liegt. Es ist nicht notwendigerweise so, dass der Fortschritt von heute weniger entwickelten Ländern auf Kosten von Arbeitnehmern in den Industriestaaten geht. Es geht vielmehr darum, im internationalen Wettbewerb dafür zu sorgen, dass keine Schmutzkonkurrenz stattfindet und der Wettbewerb nicht mit Mitteln geführt wird, die die Interessen der Arbeitnehmer außer acht lassen.
Das Parlament: Vor einem Wettbewerb unter fairen Bedingungen hat der DGB also keine Angst?
Heinz Putzhammer: Überhaupt nicht. Die deutschen Arbeitnehmer brauchen einen solchen Wettbewerb nicht zu fürchten. Wenn man überall auf der Welt präsent ist, es aber in Deutschland keine Industrie mehr gibt, haben auch die Unternehmen langfristig nichts davon.
Das Gespräch führte Hans Monath. Er ist Redakteur im
Parlamentsbüro des Berliner "Tagesspiegel".