Innovation, Elite: Forschung im Visier ökonomischer Verwertbarkeit
Nanotechnologie? Schon mal gehört? Für die meisten Bürger dürfte dieser Begriff ein seltsames Fremdwort sein. Unter einer Forschung, die sich mit Strukturen und Prozessen in einzelnen Atomen befasst, kann man sich auch kaum etwas Handfestes vorstellen. Unversehens aber kommt dieser Wissenschaftszweig ganz groß heraus: Der Nanotechnologie ist nichts weniger als die Aufgabe zugedacht, Deutschland innovativ und vor allem auch wirtschaftlich in Schwung zu bringen. Im Umfeld solcher Forschungszentren sollen Firmen und "Start-Ups" entstehen, die wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umsetzen. Kühne Visionäre erhoffen sich von der Nanotechnologie Durchbrüche in Heilkunde und Medizintechnik etwa zur Krebsbekämpfung, Batterien und Solarzellen sollen miniaturisiert und leistungsfähiger gemacht werden, Material- und Biowissenschaften sollen von Impulsen profitieren. Kanzler Gerhard Schröder verweist auf die Nanoforschung, Journalisten berichten aus Labors, der Bundestag lässt einen Bericht erstellen. Auch andere Wissenschaften werden von der Politik hofiert - wie die Mikro-, Bio-, Gen-, Informations- oder Brennstoffzellentechnologie, erneuerbare Energien fehlen ebenfalls nicht.
Die Forschung als Flaggschiff, das den wirtschaftlich dahindümpelnden Dampferkonvoi Bundesrepublik wieder auf Wachstumskurs setzt: Ganz plötzlich steht die Wissenschaft als gesellschaftlicher Hoffnungsträger grell im Scheinwerferlicht. Wenn Deutschland inzwischen mehr Hochtechnologie importiert statt exportiert, dann ist wohl Eile geboten. So schnell kann es manchmal gehen. Da werden als griffige PR-Vokabeln ein I-Wort, die Innovation, und ein E-Wort, die Elite, ausgerufen, und schon scheint die Bundesrepublik vor der nächsten Zäsur zu stehen.
Nun mutmaßen so manche Zeitungskommentatoren und Uni-Rektoren, diese Debatte werde sich wohl bald wieder verflüchtigen - da diese Diskussion vorrangig auf die Hoheit in Schlagzeilen und Umfragekurven ziele. Doch man täusche sich nicht: Die neuen Signale weisen den Weg zu einem tiefgreifenden Wandel des Hochschulwesens, der prinzipielle und bisher keineswegs gründlich erörterte Fragen aufwirft: Wie wird Forschung künftig an Universitäten verortet? Welche Funktion ist der Wissenschaft in der Gesellschaft zugedacht? Soll die ökonomische Verwertbarkeit bei der Forschung den Takt vorgeben? Schlittert die Hochschullandschaft in ein Zwei-Klassen-System - mit einer exklusiven Community von Top-Wissenschaftlern oben und einer breiten Masse unten? Die Studenten haben mit ihren spontanen Protesten gegen die "Eliteuniversität" instinktiv die Tragweite der Weichenstellungen begriffen: Elite hat nicht nur etwas mit Leistung, sondern auch etwas mit Auslese zu tun.
Forschung und Lehre sind zwei verschiedene Dinge, und doch bilden sie seit Humboldt eine Einheit. Dieses Wissenschafts- und Bildungsmodell steht nun auf dem Spiel. Zwar muss sich erst einmal erweisen, was genau aus der noch recht unausgegorenen Idee der "Eliteuniversität" einmal wird: Sollen es zwei, fünf, zehn oder 20 solche Unis werden, soll alles ein "Netzwerk" von Spitzenfakultäten an diversen Hochschulen sein? Welches sind die Kriterien für die Erhebung in einen solchen Rang? Wer finanziert das alles, der Staat, die Wirtschaft (das von Unternehmen gesponserte Prestigeprojekt einer privaten Management-School in Berlin kommt nur mühsam vom Fleck)?
Doch die Richtung ist klar: Die Mehrzahl der Studenten wird künftig Kurzzeit-Studiengänge auf besserem Fachhochschul-Niveau mit starker Berufsorientierung absolvieren - und diesen Charakter werden auch die meisten Universitäten bekommen. Die Forschung, jedenfalls die Spitzenforschung mit der entsprechenden Ausbildung wird hingegen einer Minderheit vorbehalten bleiben - eben an "Elite-Unis". Prinzipiell werden diese weiterhin jedermann offen stehen, faktisch aber nicht: Dafür werden schon die saftigen Studiengebühren sorgen, auch wenn sie hie und da mit Stipendien gelindert werden sollten. Und diejenigen, die Stipendien gewähren, legen natürlich die Kriterien für deren Vergabe fest.
Die Kanalisierung der Studentenströme ist das eine, die Frage nach dem künftigen Charakter von Wissenschaft das andere. Dabei dreht es sich nicht nur um die Organisation der diversen Forschungsstätten an Hochschulen sowie an Max-Planck- oder Fraunhofer-Instituten. Es geht in einem weitreichenden Sinne um die Zielsetzung von Wissenschaft: Kann, soll, darf, muss Forschung noch zweckfrei stattfinden, orientiert an nichts anderem als einfach am Erkenntnisinteresse? Der Kanzler und mit ihm die Politik schlechthin haben eine präzise Vorstellung: Die Wissenschaft soll "innovativ" sein, soll Nützliches und ökonomisch Verwertbares hervorbringen - auf dass Deutschland besser im Globalisierungswettbewerb bestehen kann. Nun freuen sich alle über neue Produkte wie schadstoffärmere Autos, leistungsfähigere Handys oder wirkungsvollere medizinische Geräte bei der Krankheitsbekämpfung - und noch besser ist es, wenn damit auch Gelder verdient und Arbeitsplätze geschaffen werden. Da sind zielgerichtet eingesetzte Fördermittel gut angelegt.
Indes ist eine Gefahr nicht von der Hand zu weisen: dass bei der Mittelzuweisung in wachsendem Maße jene Forschungszweige bedacht und bevorzugt werden, die "anwendungsnah" sind, die rasch Marktfähiges versprechen - und dass "wertlose" Wissenschaft zusehends in den Hintergrund gedrängt wird. Solche Befürchtungen wurzeln auch in der Einsicht, dass Spitzenforschung in Zukunft mehr noch als bisher von der Wirtschaft finanziert werden dürfte; auch teure "Elite-Universitäten" setzen da ein deutliches Zeichen.
Wenn die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung von jetzt 2,5 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden sollen, so handelt es sich dabei um die gewaltige Summe von über zehn Milliarden Euro. In Zeiten, wo trotz des weiter steigenden gesellschaftlichen Reichtums die öffentlichen Kassen immer leerer werden, kann der Staat Ausgaben in diesem Ausmaß nur schwer stemmen. Den Löwenanteil soll denn auch die Wirtschaft beisteuern. Unternehmenslenker wollen aber nun mal einen Nutzen sehen.
Wird da noch viel Raum bleiben für "zweckfreie" Forschung, für Wissenschaft "an sich", für experimentelles Suchen aus Neugier? Das Wesen von Wissenschaft ist es nun mal, dass sie ihr Ergebnis eigentlich nie im voraus kennen kann, allenfalls existiert eine gewisse Wahrscheinlichkeit. In besonderem Maße gilt dies für die Grundlagenforschung.
Wenig ist beim "Innovationsdiskurs" die Rede von Geistes- und Sozialwissenschaften. Dabei ist die kritische Reflexion über den wissenschaftlichen Fortschritt eigentlich nötiger denn je. Noch nie traten Positives und Negatives so offen zutage wie heute. Ein Beispiel ist die Stammzellforschung, die medizinisch Verheißungsvolles verspricht, aber ihrerseits in existentielle Bereiche der menschlichen Existenz eingreift. Die atemberaubenden Erkenntnisse der Informatiker revolutionieren die Kommunikations- und Informationsflüsse, doch diese neuen Techniken machen in einem totalitär anmutenden Sinne den Menschen auch gläsern und damit zum Objekt, das wie noch nie in der Geschichte umfassend überwacht werden kann.
Die Forschung braucht Freiräume, um über die Gesellschaft und über das eigene Tun kritisch und unabhängig zu räsonieren. Das kostet Zeit und Geld. Eine solche Wissenschaft schlägt sich nicht in Prozentpunkten des Bruttosozialprodukts und Exportquoten nieder. Aber ein demokratisches Gemeinwesen benötigt solche Impulse. Gefordert sind auch Forscher, die in die Öffentlichkeit gehen und mit Bürgern wie Politik über ihre Arbeit und deren Folgen für die Gesellschaft diskutieren. Das ist ebenfalls ein Stück Innovation.