Interview mit Michael Hoffmann, Besitzer und Koch des Margaux in Berlin
Das Parlament: Haben Sie schon mal gehungert?
Michael Hoffmann: Ja, mit Hunger koche ich am besten. Wenn ich gesättigt bin, kann ich nicht so kreativ sein. Hungern hat aber auch etwas mit Selbstdisziplin zu tun, mit der Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen. Oft lege ich einen Fastentag ein. Aber richtig gehungert, aus Not, das musste ich Gott sei Dank noch nie. Und das ist natürlich ein Unterschied, ob Sie freiwillig fasten oder aus Not hungern.
Das Parlament: Wenn Sie essen, wie essen Sie dann?
Michael Hoffmann: Wenn ich wirklich esse, esse ich alleine. Ich kann mich dann mit dem Essen ganz anders auseinandersetzen, als wenn ich mich mit jemandem unterhalte. Ich mache das sehr gerne.
Das Parlament: Was heißt, Sie setzen sich mit dem Essen auseinander?
Michael Hoffmann: Ich esse ja oft nur eine Stulle, ein Risotto oder einen Wildkräutersalat. Aber gerade bei einfachem Essen komme ich auf kreative Variationen. Oft geht es mir um das pure Produkt. Wenn ich Risotto esse, versuche ich die Aromen zu analysieren, die Konsistenzen, die Temperatur. Wenn es kalt ist, ist der Geschmack nicht so ausgebreitet. Beim Risotto ist es ganz wichtig, wie die Konsistenz des Reiskorns ist. Muss ich es beißen? Ist es zu weich gekocht oder kann ich es mit der Zunge zerdrücken? Verbinden sich die einzelnen Aromen? Ich gehe dabei nur nach meinem Empfinden. Wenn ich während des Essens ein neues Gericht kreiere, mache ich das im Kopf. Erst wenn es fertig gedacht ist, koche ich es.
Das Parlament: Wie ein Komponist, der vorher die Melodie im Kopf hat und sich dann an den Flügel setzt?
Michael Hoffmann: Ja. Das kann ich aber erst heute. Ein junger Koch kann das nicht. Ich beherrsche die Basis und kenne die Produkte. Im Sommer verarbeiten wir allein 50 verschiedene Wildkräuter. 60 Prozent meiner Arbeit entscheidet das Produkt, 35 Prozent sind Handwerk und fünf Prozent sind Kreativität.
Das Parlament: Was macht ein gutes Produkt aus?
Michael Hoffmann: Ein frischer Fisch darf nicht nach Fisch riechen. Er muss nach Meer duften. Ein gutes Produkt analysiere ich durch Tasten, durch die Nase und nach dem Geschmack. Ich esse viele Produkte im Rohzustand, egal ob Fisch, Gemüse oder Fleisch. Wenn wir einen Produkttest machen, wird das Produkt gebraten, gedünstet - wie auch immer. Aber es wird nicht gewürzt. Wir probieren es immer pur.
Das Parlament: Schmecken wir Durchschnittskonsumenten denn normalerweise überhaupt noch, was wir essen, oder haben wir durch Industrieprodukte einen Einheitsgeschmack?
Michael Hoffmann: Leider. Der Geschmack, die Fähigkeit zu schmecken, wird beim normalen Konsumenten durch Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe kaputt gemacht. Damit arbeiten wir im Margaux natürlich nicht. Wir sind eine Geschmackswerkstatt. Wir würzen nur mit Gemüsen und Kräutern. Die einzigen Gewürze im üblichen Sinn, die wir benutzen, sind Meersalz und Pfeffer. Ein Stück Fleisch garen wir nur mit Gemüse und Kräutern und stellen es dann in den Ofen. Alles ist sehr stark reduziert. Sie schmecken dann die einzelnen Gewürze und Gemüse.
Das Parlament: Welche Bedeutung hat Essen für die Menschen, die zu Ihnen kommen?
Michael Hoffmann: Es kommen sehr unterschiedliche Menschen zu uns. Bei den Geschäftsleu- ten steht das Gespräch im Vordergrund. Da könnten wir kochen, was wir wollten. Die würden es nicht wirklich merken. Aber manchmal unterbrechen Gäste auch ihr Gespräch und sagen: "Mensch, das ist unglaublich, wie das schmeckt." Der Wunsch eines Kochs ist, dass der Gast sich auf einen Besuch in seinem Restaurant genauso vorbereitet wie auf einen Opernbesuch. Und das zu vermitteln, dafür bedarf es in Deutschland noch eines langen Weges.
Das Parlament: Sind wir eine übersättigte Gesellschaft, die kaum etwas wirklich schätzt?
Michael Hoffmann: Ich versuche den Gast bisweilen zu "erziehen". Hier, in meinen kleinen Räumen, habe ich dazu die Möglichkeit. Die Gäste fangen an darüber nachzudenken, dass es nun mal nicht jedes Produkt zu jeder Jahreszeit gibt - außer natürlich im Supermarkt. Gerade junge Menschen haben zu den Jahreszeiten wenig Bezug. Sie denken, Essen wächst im Kühlschrank. Ich kümmere mich sehr stark um den Nachwuchs. Ich habe den Beruf von der Pieke auf lernen können und habe mit sehr vielen Köchen gearbeitet.
Das Parlament: Wie stellen Sie sicher, dass Sie gute Produkte bekommen?
Michael Hoffmann: Ich gehe zu den Lieferanten, bin mit dem Kutter auf den Atlantik hinaus gefahren. Ich habe in der Käserei gearbeitet und eine Olivenernte mitgemacht. Ich habe selbst geschlachtet. Ich wollte immer wissen: Was steckt dahinter? Ich habe große Ehrfurcht und großen Respekt vor der Arbeit, dem Können der Menschen. Wenn wir einen Käse haben und der Koch fasst ihn nicht richtig an, werde ich schon mal nervös. Denn da hat eine Bäuerin auf der Alm den Käse ein halbes Jahr lang affiniert und gepflegt und dann sollten wir auch sorgsam damit umgehen. Wir versuchen, Produkte zu verwenden, die im Einklang mit der Natur stehen. Es ist nicht immer leicht, solche Produkte zu finden und die Herstellung dann auch zu kontrollieren.
Das Parlament: Wie geben Sie Wissen weiter?
Michael Hoffmann: Ich bilde natürlich aus. Zusätzlich mache ich seit zwei Jahren Kochkurse und Kochseminare für Hobbyköche. Einfach für Menschen, die interessiert sind an Essen und Trinken. Ganz viele Auszubildende aus der Gastronomie haben sich hier schon eingeschlichen und sich später geoutet und dann erzählt, dass sie Koch in bestimmten Hotels lernen, wo nicht so speziell gearbeitet wird wie hier. Mein Ziel ist es nicht, ein zweites und drittes Restaurant zu eröffnen, sondern ich möchte gerne eine Akademie gründen, wo man alle Informationen über Essen und Trinken bekommt und gute Produkte einkaufen kann. Dort soll aber auch Kulinarik, Sie können es auch Lebensmittelkunde nennen, gelehrt werden. An sich gehört das in jeden Lehrplan einer Schule.
Das Parlament: Ist Essen in Deutschland Luxus?
Michael Hoffmann: Gut zu essen, ja. In Deutschland werden die Prioritäten ganz anders gesetzt als in Frankreich. Hier ist das Auto oder der Urlaub wichtiger. In Frankreich ist Essen Kommunikation und miteinander leben. Und das ist wunderschön.
Das Parlament: Feiern die Menschen in ihrem Restaurant oder herrscht hier mehr eine Atmosphäre des gediegenen Flüsterns?
Michael Hoffmann: Nein, nein, hier feiern die Menschen. Die Zeit der Gourmetrestaurants, als man sich nicht traute laut zu flüstern und mit dem Besteck zu klappern, sind vorbei. Ich möchte gerne das Restaurant des 21. Jahrhunderts in Berlin kreieren. Wir versuchen hier ehrlich zu arbeiten. Und wenn Sie die Tür aufmachen und kommen hinein, und der Restaurantchef sagt: "Schön, dass Sie da sind", dann meint er es so. Das ist nicht aufgesetzt. Das wird hier gelebt. Die wenigen Mitarbeiter, die hier tätig sind, sind alles Idealisten. Sonst ginge das nicht.
Das Parlament: Jeder von uns ist schon an der Frittenbude gelandet, und oft genug kaufen wir uns alle im Vorübergehen einen Döner. Wenn Sie in fremden Städten sind und Hunger haben, wo essen Sie dann? Nicht überall gibt es Spitzengastronomie und nicht immer hat man Zeit.
Michael Hoffmann: Dann esse ich nichts. Aber wenn ich die Möglichkeit hätte, bei der französischen oder deutschen Hausfrau zu Hause zu essen, dann würde ich immer dahin gehen. Ich suche das Authentische. Wenn ich abends nach Hause fahre, habe ich manchmal noch Hunger. Am Anfang meiner Berliner Zeit bin ich dann noch mal hier und da zu den verschiedenen Ständen gegangen, zumal ich in Kreuzberg wohne und es dort ein großes Angebot gibt. Das mache ich aber nicht mehr. Wenn ich etwas zu mir nehme, möchte ich wissen, was es ist. Meistens esse ich zu Hause eine Scheibe Brot.
Das Parlament: Ist das anders, als wenn ein normaler Konsument eine Scheibe Brot isst?
Michael Hoffmann: Das weiß ich nicht genau. (lacht) Ich ernähre mich mit sehr viel Öl. Wenn ich morgens aufstehe, nehme ich erst mal einen Esslöffel Olivenöl. Das cremt meinen Magen ein und ist sehr gesund und beschützt mich vor Magengeschwüren. Wenn ich abends Hunger habe, nehme ich eine Schale Olivenöl und ein Bauernbrot, das extra für uns in einem alten Holzofen in der Uckermark gebacken wird. Und da tunke ich dieses Brot hinein, streue etwas Salz drauf. Fertig. Dann bin ich der glücklichste Mensch.
Das Parlament: Was hat Essen in unserer Gesellschaft für ein Image?
Michael Hoffmann: Essen wird mit Kommunikation verbunden, mit sehen und gesehen werden. Essen ist einfach chic. Man zeigt sich, man geht ins teuerste Restaurant der Stadt und signalisiert, wie gut es einem geht.
Das Parlament: Vor dem Zusammenbruch der New Economy haben die Leute viel Geld ausgegeben...
Michael Hoffmann: Ja. Aber das war nicht normal. Die Gäste haben mit Geld regelrecht um sich geschmissen. Das war ja Wahnsinn. Es war unglaublich. Jeden Tag war es hier ausgebucht, und alle möglichen Leute kamen. Aber das war auch sehr oberflächlich, weil die Menschen ja gar nicht wirklich schätzten, was wir hier machten. Sie hatten Geld und ihnen war nichts wert, was sie damit kaufen konnten. Die Gäste haben das Geld auf die Tonne gehauen und Party gemacht. Die Umsätze von damals kann ich heute zu den Akten legen und sagen: Das ist reine Märchenwelt. Jetzt ist die Goldgräberstimmung in der Stadt vorbei, und jetzt gilt es zu bestehen.
Das Parlament: Und der Luxus von damals, hat der für die Gegenwart etwas verändert?
Michael Hoffmann: Ja. Die Menschen haben damals Dinge kennen gelernt, von denen sie vorher gar nicht wussten, dass es sie gibt. Eben Luxusprodukte. Aber nicht alle ausgefallenen Produkte sind teuer. Nehmen wir Salz. Da gibt es ganz unterschiedliche Sorten. Und damals wurden die Leute für so etwa sensibilisiert. Bis dahin kannten die meisten nur Küchensalz und kein Meersalz. Aber sicher, man kann das auch alles übertreiben. Es geht bei allem auch immer darum, Maß zu halten. Das ist wichtig. Sonst können Sie nichts schätzen und die schönsten Dinge, das beste Essen, der verführerischte Geruch werden banal. Genuss ist kein Zustand, den man täglich 24 Stunden erleben kann. Und Glück müssen Sie immer wieder aufs Neue suchen. Sie müssen es sich erarbeiten wie in Bergsteiger, der auf den Gipfel klettert. Gerade zum Essen gehört auch Askese.
Das Parlament: Gehen Sie hier in Berlin zu Kollegen essen?
Michael Hoffmann: Eher selten, denn wenn es die Zeit erlaubt, fahre ich gezielt nach Paris, London oder New York. Ich möchte mich global inspirieren lassen. Außerdem koche ich selber viel zu Hause. Das ist für mich Entspannung. Kochen ist eigentlich eine einfache Sache.
Das Parlament: Wenn sie an Deutschland denken: Was ist für Sie ein typisch deutscher Geruch?
Michael Hoffmann: Auf jeden Fall der Geruch nach Kohl. Dann natürlich Imbissbuden, dieses Fett, das alles überlagert, durchdringt, die Kleidung, die Poren. Und der Biergeruch. Fast jede kleine Stadt hat eine Brauerei.
Das Parlament: Wie riecht es bei Ihnen?
Michael Hoffmann: Hier? Wie empfinden Sie es denn?
Das Parlament: Neutral. Frisch.
Michael Hoffmann: Genau. Jetzt ja. Aber manchmal passieren hier auch Geruchsexplosionen. Neulich hatten wir eine Runde hier, die alle Lamm bestellten, und das wird mit viel Minze aromatisiert. Da hat der ganze Raum nach Minze gerochen. Das ist wunderbar.
Das Parlament: Die Deutschen sind ein Land ohne besonderes Vertrauen in ihre Nation. Letztlich drückt sich das sogar im Essen aus. In Szenekreisen kocht kaum einer deutsche Roulade, sondern lieber Panasiatisch, Italienisch oder Indisch. Ist deutsche Roulade schlecht?
Michael Hoffmann: Das ist sehr schade, dass weder Roulade noch Eisbein gekocht werden. Und es ist auch sehr schade, dass kaum noch ein Koch sagt: Ich mache jetzt eine deutsche, klassische Küche. Das mag nämlich eigentlich jeder. Das Problem an der Sache ist, dass die deutsche Küche aufwendig ist. Sie finden ja kaum noch einen Landgasthof, wo sonntagsmittags der Braten aus dem Ofen kommt. Das macht Arbeit und abgesehen davon, viele können das gar nicht mehr.
Das Parlament: Warum schauen wir in die ganze Welt, aber nicht zu uns selbst?
Michael Hoffmann: Weil wir nicht selbstbewusst genug sind. Die Franzosen haben einen anderen Nationalstolz. Bisweilen ist er überzogen, oft ist es aber einfach nur schön, wie in Frankreich oder Österreich und der Schweiz Traditionen gepflegt werden. Die Traditionen zu pflegen, ist uns nun mal als Folge des Nationalsozialismus abhanden gekommen. Ich selbst habe auch keinen Nationalstolz. Irgendwann möchte ich lieber in Frankreich leben, wo die Menschen auch mal den Tag genießen können. Aber selbst in Süddeutschland ist es schon besser als im Norden Deutschlands. Im Süden geben sich die Leute dem Essen und Trinken mehr hin, sie haben ein ganz anderes Gefühl dafür. Die gehen mit Produkten, mit den Rohstoffen auch ganz anders um. Die Spitze der Kochkunst ist nach wie vor in Frankreich. In Frankreich hat ein guter Koch ein wahnsinniges Ansehen in der Gesellschaft. Wenn ein Koch einen Stern gewonnen oder verloren hat, steht es auf Seite eins der Zeitung.
Das Parlament: Können die Deutschen genießen?
Michael Hoffmann: Sie lernen es.
Das Parlament: Genießen lernen, widerspricht sich selbst.
Michael Hoffmann: Mmh, das stimmt. Bei den meisten ist Genießen nicht originär. Die meisten nehmen sich ja nicht mal Zeit zum Essen oder schauen sich die Bilder auf den Tellern an, die wir zaubern. Aber man könnte mit der deutschen Küche viel machen, die muss nicht immer schwer sein.
Das Parlament: Sind die Deutschen toleranter und internationaler als in der Politik?
Michael Hoffmann: Ja, viel toleranter und offener. Wir essen globaler als wir denken.
Das Parlament: Wie werden die meisten Menschen in 20 Jahren essen?
Michael Hoffmann: Im Gehen. Wenn sie Glück haben im Stehen. Sie essen Fast-Food. Es wird alles immer schneller. Die Menschen stehen jetzt schon an der Ampel, beißen irgendwo rein, und daneben brummt der Bus. Deswegen werden die Menschen ja auch alle krank.
Das Parlament: Und was wird in einem Restaurant wie Ihrem anders sein?
Michael Hoffmann: Wenn wir hier einen Fisch filieren, einen geangelten Wolfsbarsch aus dem Atlantik, dann sage ich immer zu meinen Auszubildenden: Denkt daran, wenn ihr in zehn, fünfzehn Jahren auch ausbildet, dann werdet ihr erzählen können: Damals, als ich in der Lehre war, da gab es diesen Fisch noch wild. Das wird irgendwann unbezahlbar werden. Wir werden auf Fische aus Aquakulturen zurückgreifen.
Das Parlament: Werden wir vor allem Konvenienzprodukte, Halbfertig- und Fertigprodukte essen?
Michael Hoffmann: Ja, sehr viele. Aber vielleicht wird sich die Gesellschaft auch teilen, in Menschen, die bewusst essen, und andere, die einfach nur Kalorien aufnehmen. Es gibt immer mehr Aufklärung, und immer mehr Menschen sind daran interessiert. Aber trotzdem können wir die Fast-Food Geschichte nicht aufhalten. Das beste Beispiel ist Brot. Ein elementares Produkt. Immer mehr wird mit Aromen gespielt, es riecht gut, aber am nächsten Tag ist es schon steinhart. Das Brot, dass ich habe, kann ich liegen lassen. Da ist der Teig noch nicht mal mit der Maschine geknetet.
Das Parlament: Verstehen Frauen oder Männer mehr vom Essen?
Michael Hoffmann: Männer sind belesener, kaufen Kochbücher, interessieren sich. Männer nehmen Kochen als Entspannung, als Hobby. Aber Frauen sind viel sensibler. Frauen haben einen viel stärkeren Bezug zu den Produkten. Die gehen ganz anders damit um. Vielleicht liegt das am Mutterinstinkt. Das ist sehr schön zu sehen, wie Frauen kochen.
Das Parlament: Was ist für Sie Genuss?
Michael Hoffmann: Zeit. Zeit, um sich auf etwas einzulassen.
Das Interview führte Annette Rollmann.