West-Baden-Württemberger und Ost-Baden-Württemberger sind sich durch eine innige Rivalität verbunden
Ob man das Wort "Bahnhof" mit hellem oder dunklem Nasal spricht, mehr mit offenem a oder dumpfem o, das kann nun wirklich keinen existentiellen Unterschied begründen. Zwischen Ravensburg und Geislingen an der Steige oder Großbottwar gibt es gewichtigere, innerschwäbische Sprachdifferenzen. Doch die Badenser, die sich selbst als Badener bezeichnen, sind eine Art Nachbar in der eigenen Wohnung. Solche Leute muss man zwangsläufig als Feind betrachten.
Die Badenser sind das einzige Volk der Welt, das die Bezeichnung "Badenser" für ein Schimpfwort hält. Schwaben benutzen es nur deshalb so gerne, weil die Badenser sich darüber zuverlässig ärgern. Das muss mit badischem Selbsthass zu tun haben. Dass auch Goethe, ein unverdächtiger Hesse, in "Dichtung und Wahrheit" von Badensern spricht, ignorieren sie. Dass die vergleichbaren Wortbildungen "Hallenser" oder "Jenenser" keinerlei Beleidigungspotential entfalten, ficht sie nicht an. Dabei ist der "Badenser" ganz schlicht aus dem Lateinischen "Badensis" abgeleitet. Das Lexikon verzeichnet Badener und Badenser wertfrei nebeneinander. Die terminologische Schwierigkeit ist Ausdruck dessen, dass es Badener, Badische, Badenser oder wie auch immer sie heißen, eigentlich gar nicht gibt. Sie sind, historisch betrachtet, nur eine Sonderform des Schwaben oder des Alemannen, was ursprünglich einerlei war. Das alte Herzogtum Schwaben, das bis ins Jahr 746 im Gebiet der Alemannen bestand, umfasste jenseits des heutigen Baden-Württembergs auch Schweizer Landstriche, das Elsass, das bayrische Schwaben und Vorarlberg. In ähnlichen Grenzen bestand ein Herzogtum Schwaben zwischen 916 und 1268. Vom 16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in diesen Abmessungen einen "Reichskreis Schwaben" als einen von zehn Verwaltungsbezirken, die unter Kaiser Maximilian I. eingeführt wurden.
Und Baden? Nichts als Kleinstaaterei. Die Markgrafschaften Baden-Baden und Baden-Durlach waren nun wirklich nicht der Rede wert. Das Großherzogtum Baden entstand erst 1806. Es profitierte ebenso wie Württemberg von der napoleonischen Neuordnung Europas. Beide hatten sich rechtzeitig auf die richtige Seite geschlagen und wurden deshalb mit üppigen Gebietszugewinnen belohnt. Auszubaden hatten es die Söhne des Landes, die als Söldner für fremde Truppen in den Krieg ziehen mussten. Vielleicht wanderten deshalb so viele Schwaben im 19. Jahrhundert nach Amerika, im 20. nach West-Berlin aus. Sprichwörtlich ist weltweit der Ruf: "Ist kein Böblinger da?"
Einen Badenser aber will der Schwabe auch im Ausland nicht treffen. Schlimm genug, wenn Restaurants, die sich an Maultaschen versuchen, diese als "badische Spezialität" offerieren. Maultaschen sind neben der Suppenvorliebe und der Butterbrezel das Schwäbische schlechthin. Metaphysische Spekulationen, wonach auch die Seele eines Schwaben die Form einer Maultasche besitzt, sind nicht so leicht zu widerlegen.
Es gibt Badische und Unsymbadische, sagen die Badenser. Der Schwabe ahnt, dass sich das gegen ihn richtet. Er spricht deshalb, wenn er Leute aus der fragwürdigen Hälfte seines Bundeslandes meint, von "Gelbfüßlern", auch wenn er nicht weiß, was das zu bedeuten hat. Manche behaupten, es habe damit zu tun, dass die Badenser so dumm sind, in einem Korb mit Eiern herumzustampfen, um mehr unterzubringen. Nach anderer Version entstand der Name, weil Badenser immer gegen den Wind pinkeln. Glaubwürdigere Experten wollen sich an badische Truppen im 19. Jahrhundert erinnern, die gelbe Strümpfe oder Gamaschen trugen.
Eigentlich leben Badenser und Schwaben durchaus friedlich zusammen, seit sie 1952 gegen den Widerstand des rebellischen Südbadens zu einem Bundesland zusammengefügt wurden. In Südbaden gab es einmal republikanischen Geist und revolutionären Aufbruch, als Friedrich Hecker mit seinen Truppen
loszog, um eine freie Republik zu erkämpfen. Die Enkel fechten's besser aus! Heute wird die politische Rivalität in sublimierter Form auf dem Fußballplatz ausgetragen. Elf Badenser sollt ihr sein. SC Freiburg gegen VfB Stuttgart, das ist Naturenergie gegen DaimlerChrysler, Landproletariat gegen Großindustrie, Abstiegskampf gegen Championsleague-Sehnsucht. Doch seltsamerweise verteidigen dann Herr Coulibaly aus Mali oder der Georgier Iaschwili die badische Ehre gegen tapfere Schwaben wie Zvonimir Soldo oder Jurica Vranjes. Der interne ethnische Konflikt läßt sich derart nicht wirklich glaubhaft austragen. Und doch erklingt von den Rängen des Dreisam-Stadions das Badener Lied: "Drum grüß ich dich, mein Badner Land / Du edle Perl in deutschem Land. / Frisch auf, frisch auf, mein Badner Land."
Fußballspieler sind die Söldner der Moderne. Zogen einst junge Schwaben für Napoleon oder andere Kriegsherren in die Schlacht, so sammeln sich heute internationale Truppen auf dem Fußballplatz. Doch die schwäbisch-badische Grenze erweist sich als globalisierungsresistent. Gerhard Mayer-Vorfelder scheiterte als VfB-Präsident ja nicht etwa daran, den Verein fast in den Ruin geführt zu haben. Schlimmer noch war sein Versuch, den weißblonden Badenser Winnie Schäfer vom Karlsruher SC zu holen und zum VfB-Trainer zu machen. Das konnte nur schiefgehen. Schäfer wurde anschließend Nationaltrainer in Kamerun. Ottmar Hitzfeld aus Lörrach hat es in Stuttgart immerhin zum Rechtsaußen gebracht und in zwei Jahren in der zweiten Liga zahlreiche Tore geschossen. Für die Bundesliga war er dem VfB dann nicht mehr gut genug. Aber das ist ein anderes Thema.
Aber wo genau verläuft nun die alles entscheidende Grenze? Wo wohnen noch Schwaben, wo schon Badenser? Woher soll man wissen, mit wem man es zu tun hat, wenn man sich zum Beispiel in Unterreichenbach befindet? Auf dem Weg von Stuttgart nach Karlsruhe überquert man irgendwo die Demarkationslinie, ohne es zu registrieren. Kein Zöllner macht sich bemerkbar, kein Schlagbaum öffnet sich. Der genaue Verlauf der Grenze ist wie die Berliner Mauer in tiefere Regionen der Geschichte abgesunken und ruht nun irgendwo auf dem Grund des schwäbisch-badischen Bewusstseins. Die Zeit, in der sauber getrennte Herzogtümer passgenau aneinander grenzten, liegt lange zurück und bleibt die historische Ausnahmesituation.
Vielleicht bezeichnet die Grenze weniger eine geographische, als eine mentale Scheidelinie. Vielleicht läuft diese Grenze in Wirklichkeit mitten durch jeden Schwaben hindurch. Sie trennt Erfindungsreichtum und Faulheit, Geiz und Geilheit, Cleverness und Stumpfsinn, progressives Denken und konservatives Gefühl. Nur weil diese Elemente so schwer auseinanderzuhalten sind und niemals in Reinform vorkommen, spricht man der Einfachheit halber von Schwaben und Badensern. An der charakterlichen Vereindeutigung arbeiten auch die Witze, die man über einander erzählt: Warum tragen schwäbische Frauen keine String-Tangas? Weil man später daraus keinen Putzlappen machen kann!
In die andere Schmährichtung zielt die Geschichte vom Schwaben, der zusammen mit einem Badenser, einem jungen Mädchen und dessen Mutter im Zugabteil sitzt. Als der Zug durch einen Tunnel fährt, hört man ein schmatzendes Geräusch und kurz darauf eine schallende Ohrfeige. Wieder im Hellen hat der Badenser eine knallrote Wange. Die Mutter denkt: Braves Mädel, hat sich die Zudringlichkeit dieses Typen nicht gefallen lassen. Die Tochter: Wieso hat er es bei meiner Mutter versucht und nicht bei mir? Der Badenser: Verfluchter Schwabe! Er küsst das Mädchen und ich kriege die Ohrfeige. Der Schwabe: Hat ja prima geklappt. Im nächsten Tunnel schmatz ich wieder und hau dem Gelbfüßler noch eine runter.
Die Schwaben arbeiten mit solchen Anekdoten die historische Schmach ab, die ihnen seit Grimms Märchen von den "sieben Schwaben" aufgeladen ist. Tumber als diese sieben, die einen Hasen für ein Ungeheuer hielten und schließlich ersoffen, als sie versuchten, die Mosel zu überqueren, kann man nicht sein. Tumbheit ist die historische Kehrseite der geschäftigen Häuslebauercleverness. Vielleicht ist der legendäre schwäbische Fleiß sowieso nichts anderes als ein kompensierter Minderwertigkeitskomplex. Mildernd kann allein die Tatsache wirken, dass die sieben Schwaben Namen wie Veitli, Jergli oder Marli trugen, die vermuten lassen, dass es sich in Wirklichkeit um schweizerische Alemannen handelte.
Jörg Magenau, geboren 1961 im württembergischen Ludwigsburg, lebt als freier Autor in
Berlin.