Vom "Störfaktor" Kinder zum Generationen-Miteinander
Ihre Pflichtaufgaben hat die Stadt erfüllt. "Ich habe einen Kindergartenplatz für meine Jüngste, die beiden Älteren können einen attraktiven Spielplatz und eine tolle Stadtbücherei gleich vor der Haustür nutzen und die schulische Versorgung ist o.k.", sagt eine Kölner Mutter von drei Kindern. "Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, in einer kinderfreundlichen Stadt zu leben, und das ist eine echte Belastung." Der Beitrag von Familien zur Gesellschaft werde nicht genügend anerkannt, sondern im Gegenteil Kinder als "Störfaktoren" wahrgenommen, beklagten zahlreiche Familien vor drei Jahren bei einer großen repräsentativen Umfrage, bei der sich im Rahmen einer bundesweiten Studie fast 14.000 Menschen in Köln zu familienfreundlichen Angeboten der Stadt und zu ihren eigenen Wünschen äußerten.
Richtig gute Noten für Familienfreundlichkeit verteilte dabei nur ein Drittel der Befragten. Vor allem Eltern mit drei oder mehr Kindern waren unzufrieden. Gerade in Stadtteilen, wo die Verkehrsplanung deutlich eher Autofahrer- als Kinderinteressen berücksichtigt hat, und in sozialen Brennpunkten fordern Eltern mehr Schutz, mehr Platz, mehr Rücksicht. Das sei nicht durch Nachbesserungen zu erreichen, sondern das Familieninteresse müsse ganz früh und bei allen Verwaltungsentscheidungen zum Kriterium werden.
Dieses Manko in der planerischen Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bürgern ist beileibe nicht auf Köln begrenzt, wie die Familienfreundlichkeitsstudie in zehn großen und kleinen Kommunen zwischen Brunsbüttel und Karlsruhe, Frechen und Naumburg an der Saale zeigte. "In manchen Stadtverwaltungen findet sich - immer noch - die Grundhaltung, dass die beste Bürgerbeteiligung die wäre, wenn keiner kommt", schildert Heiderose Kilper vom Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover die in Umfragen häufig beklagte Situation. Wenn dann die Betroffenen - oft ziemlich spät - doch noch beteiligt werden wollten und Kritik äußerten, führe dies in den Verwaltungen zu Unzufriedenheit und unnötigen Mehrkosten, weil bereits laufende Entwicklungen korrigiert werden müssten. Viel klüger sei - wie im Modellprojekt über die gesetzlichen Vorgaben hinaus entwickelt - eine frühzeitige Familienbeteiligung.
Damit hat beispielsweise die Verwaltung in Brunsbüttel bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. Statt negative Kritik zu schon vorgedachten Planungen für ein neues Wohngebiet abzuwarten, wurden die Bürger ganz zu Beginn der Überlegungen eingeladen, ihre Interessen vorzubringen und Gestaltungsanregungen zu geben. Aus Gesprächen, an denen auch Jugendliche und Kinder beteiligt waren, gewannen die Bürger den Eindruck, mit ihren Wünschen ernst genommen zu werden und politische Entscheidungen nicht nur passiv zu erleben, sondern aktiv mitzugestalten.
Die Stadtverwaltung zog ein so positives Resümee, dass der Rat beschlossen hat, Familien- und Kinderfreundlichkeit in Brunsbüttel ämter-übergreifend zum Entscheidungskriterium zu bestimmen. Das werde "die Zukunftsfähigkeit der Kommune stärken", ist die Stadt Brunsbüttel überzeugt. Denn das Modellprojekt hat bei den beteiligten Kommunen die Erkenntnis geweckt, dass eine Stärkung des "Netzwerks Familie" dem ganzen Gemeinwesen nützt.
Diese Überzeugung "klimatisch" in allen städtischen Dienststellen und eben nicht nur bei den Ämtern für Kinder, Jugend und Familie zu verankern, ist ein Hauptanliegen des Modellprojekts, dessen Erfahrungen die beteiligten Städte nicht nur selbst nutzen, sondern auch weiter vermitteln wollen. Denn im Wettbewerb um Einwohner, Finanzen und Wirtschaftsstrukturen spielen Familien eine wesentliche Rolle, sie üben weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung der Kommune aus. "Ob sich junge Menschen für Kinder entscheiden und wie sie ihr Familienleben gestalten, ob Kinder und Jugendliche Chancen zur Partizipation und Raum zur Entwicklung erhalten und ob sie bereit sind, in Zukunft Verantwortung für das Gemeinwesen mit zu übernehmen, hängt wesentlich von ihrem unmittelbaren lebensräumlichen Umfeld ab", zeigte sich die frühere Familienministerin Christine Bergmann beim Berliner Kongress zur Kinder- und Familienfreundlichkeit in den Kommunen im September 2002 überzeugt und forderte eine Bereitschaft zur Veränderung in Stadt- und Gemeindeverwaltungen.
Ein Schritt in diese Richtung wäre nach einmütiger Einschätzung der Modellgemeinden der Abschied von einem zu eng gefassten Familienbegriff. Die Universität Hannover kam in Gesprächen mit durchaus an Familienförderung interessierten Entscheidungsträgern in den Städten zur verblüffenden Erkenntnis, dass kinderlose Amtsleiter sich schwer damit taten, Familienfreundlichkeit in ihrem Wirkungsbereich zu propagieren. Sie betrachten "Familienfreundlichkeit" isoliert, bezogen den Handlungsbedarf vorwiegend auf Eltern mit kleineren Kindern. "Sobald aber deutlich wurde, dass von ‚Familie' als einem generationenübergreifenden Netzwerk gesprochen wurde, in dem auch ältere Generationen - sprich: die eigenen Eltern - eine Rolle spielen, veränderten sich die Blickwinkel und Problemsichten", beschreibt Heiderose Kilper in der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts den neuen Ansatz.
Ein "Netzwerk Familie", das vielfältige Verbindungen sowohl generationen- als auch haushaltsübergreifend darstellt, ermögliche interessante Verknüpfungen von Jugendhilfe- und Altenhilfeplanung mit Familienförderung im Sinne einer "sozialen Strukturpolitik". Auch hier seien Kommunen aufgerufen, Familien nicht vorwiegend als Leistungsempfänger zu sehen, sondern ihren Beitrag zu einer nachhaltigen sozialen Entwicklung zu würdigen und ihre Kompetenz zu nutzen.
Die ämterübergreifenden Zusammenhänge zwischen Familien- und Kinderfreundlichkeit einerseits und Wirtschaftsförderung, Stadtentwicklung, Beschäftigungspolitik, Bildungs- und Gesundheitsförderung wollen die am Modellprojekt beteiligten Kommunen transparent machen. Vorstellbar wäre ein Konzept zur Zertifizierung der Kinder- und Familienfreundlichkeit in der Kommune. Mit einem solchen Prädikat lässt sich gut werben, wie die Initiative "Familienfreundliche Kommune" in Baden-Württemberg beweist. In einem landesweiten Netzwerk kann jede Kommune von den Erfahrungen anderer Städte und Gemeinden mit familienfreundlichen Neuerungen profitieren. Die Ausstattung nicht nur mit kinderfreundlichen Einrichtungen, sondern auch mit Bauförderung für Familien, mit integrativen Angeboten vom Kindergartenalter an und mit konkreten Mitsprachemöglichkeiten in der Kommune betrachtet die familienwissenschaftliche Forschungsstelle als Entscheidungshilfe für Familien bei der Wohnortwahl.
In Köln hat - wie in den anderen Kommunen - der veränderte familienpolitische Ansatz infolge des Modellprojekts schon kleine und große Früchte getragen. Die Kritik an wenig kinderfreundlichen Behörden ist bei den Mitarbeitern etlicher Ämter angekommen und hat dazu geführt, dass Spielecken in den Wartezonen für Entspannung sorgen. In der Leitbild-Debatte, mit der die Stadt Handlungskonzepte bis ins Jahr 2020 einleitet, spielen Kinder und Familien nicht nur eine Statistenrolle an der Seite anderer stadtplanerischer Kriterien, sondern sind ein zentrales Thema.
Von "erheblichen Verbesserungen" bei wohnungspolitischen Entscheidungen durch die intensiven neuen Kontakte mit Familien spricht die Stadt Frechen nach ersten Erfahrungen mit dem veränderten Arbeitsansatz. Fast alle Städte haben für jede ihrer Dienststellen vom Tiefbauamt bis zum Referat für Arbeitsmarktpolitik einen Kriterienkatalog für Kinderfreundlichkeit festgelegt und ermuntern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur selbstverständlichen und gleichrangigen Beachtung von Kinderinteressen.
Hilfreich für Kommunen, die dem Beispiel folgen und sich einen raschen Eindruck von der eigenen Kinder- und Familienfreundlichkeit verschaffen wollen, ist ein "Kurztest", den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Erfahrungsbericht zum Projekt veröffentlicht. Kommt eine Gemeinde im Test zur Erkenntnis, dass Familieninteressen beispielsweise bei der Mitarbeiterschulung, in Strategien sozialer Strukturverbesserung, bei den Öffnungszeiten städtischer Dienststellen, bei Straßenverkehrsangelegenheiten oder so Profanem wie der Müllabfuhr bisher zu kurz gekommen sind, kann sie das praxiserprobte Rahmenkonzept zum Umdenken nutzen.
Die Autorin ist Redakteurin beim Kölner Stadtanzeiger.