Eine chinesische Familie
Es ist ein großes, endloses Abenteuer, auf diesem Weg in eine fremde Kultur einzutauchen. Fremd ist sie nur von außen betrachtet, wenn man sich nicht auf sie einlässt." So lautet das Fazit von Petra Häring-Kuan. Sie lebt heute in zwei Welten, im europäischen und im asiatischen Kulturkreis. Denn sie hat sich auf China eingelassen, seit sie 1970 Yu-Chien Kuan kennen und lieben lernte:
Aus der Perspektive einer "China-Schwiegertochter" ist ihr ein lebhaftes und einfühlsames Kaleidoskop von Porträts vieler Familienmitglieder gelungen und zugleich eine facettenreiche Schilderung der sozialen und politischen Entwicklung Chinas. In atemlosem Präsens lässt die Autorin die Leser teilhaben an der ersten Begegnung mit Yu-Chien Kuan und den immer tiefer werdenden Beziehungen zur Familie, die sie zunächst allein und später gemeinsam mit ihrem Mann besucht.
Aus einem intellektuellen und politisch engagierten Hause stammend, musste Kuan 1968 China verlassen und gelangte über Ägypten schließlich nach Deutschland. Ein Jahr später, 1969, fand er in der Bundesrepublik Deutschland eine zweite Heimat; er unterrichtete an der Universität Hamburg und zählt heute zu den bekanntesten Vermittlern chinesischer Kultur. Kuan war viele Jahre lang politisch verfolgt; seine Familie hat er erst im Jahre 1981 wiedergesehen.
Petra Häring-Kuan ist Sinologin und Übersetzerin. Sie erzählt ihre eigene Geschichte; es ist ein Lebensweg, der sie aus dem behüteten Elternhaus in einer kleinen Stadt in Norddeutschland bis nach Shanghai und Beijing führte. Ursprünglich wollte sie Medizin studieren, dann aber wechselte sie zur Sinologie; zunächst waren chinesische Geschichte und Literatur ihre Themen, inzwischen sind es vor allem Sprache und traditionelle chinesische Medizin.
Mit burschikoser Offenheit und mit Humor schildert sie Alltagserfahrungen in China: Kochen und Körper-Hygiene, das allmähliche Begreifen und Akzeptieren der Hierarchie innerhalb der Familie, das "Ein-üben" in Nähe und Distanz, das Erleben von Höflichkeit und Herzenswärme.
Bewundernd beobachtet sie den Aufstieg der neuen Verwandten von der bedrückenden wirtschaftlichen und politischen Enge der 1970er-Jahre bis hin zum Wohlstand, den die mittlerweile in verschiedenen Erdteilen tätigen Mitglieder der weitverzweigten Familie heute genießen können.
Petra Häring-Kuan führt die Leser ohne erhobenen Zeigefinger, aber auch ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, zu einem tiefen Verständnis für China und Chinesen. Barbara von der Lühe
Petra Häring-Kuan
Meine chinesische Familie.
Dreißig Jahre Wandel in China.
Scherz Verlag, Frankfurt/M. 2004; 384 S., 19,90 Euro