Damals ...vor 25 Jahren am 23. August: Bund und Länder einigen sich über Notwendigkeit für Atommüll-Zwischenlager
Wer die Geschichte der "friedlichen Nutzung der Kernenergie" in Deutschland betrachtet, stellt etwas Auffälliges fest: Selbst jene, die sich als Befürworter von Atomkraftwerken bezeichnen, haben es eigentlich lieber, wenn die Energieprotze nicht in ihrer Nähe arbeiten. Ähnlich verhält es sich mit den Zwischen- oder Endlagern für die strahlenden Reste: "Leider notwendig, aber bitte woanders."
Als im Februar 1977 Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg zum Standort für ein "nukleares Entsorgungszentrum" (NEZ) erklärt, glaubt man, in dieser Hinsicht eine gute Wahl getroffen zu haben. Dünn besiedelt, mit hoher Arbeitslosigkeit und von mehreren Seiten durch die Grenze zur DDR eingefasst, gilt der Landkreis als Region, in der sich kaum Widerstand gegen die Pläne organisieren ließe, Endlagerung und Wiederaufbereitung von Atommüll an einem einzigen Ort zu bündeln.
Es kommt anders. Keine zwei Jahre später, nach zahlreichen Großdemonstrationen und auch aufgrund einer SPD-Landtagsfraktion in Hannover, die gegen den Willen der sozial-liberalen Bundesregierung die Unterstützung dieses Projekts verweigert, bezeichnet Albrecht das NEZ als "derzeit politisch nicht durchsetzbar". Damit stecken alle, die an der friedlichen Nutzung der Kernenergie festhalten wollten, in der Klemme. Laut Atomgesetz muss die Beseitigung des anfallenden Atommülls sichergestellt sein. Anderenfalls gibt es keine Bau- und Betriebsgenehmigung. Die Bundesregierung muss handeln, und sie muss einen Kompromiss mit den Ländern finden.
Am 23. August treffen sich die zuständigen Staatssekretäre aus Bund und Ländern zur wohl entscheidenden Sitzung. Die Stimmung ist schlecht: Bayern und Baden-Württemberg lehnen den Bau von Zwischenlagern kategorisch ab, erst recht auf ihrem Territorium; sie fürchten, dass jene angesichts fehlender Konzepte und Orte für eine dauerhafte Entsorgung faktisch zu Endlagern würden. Vielmehr solle Atommüll über längere Zeit auf dem Kraftwerksgelände aufbewahrt und später wieder aufbereitet werden. Diese Position wird von den meisten Unions-regierten Ländern unterstützt.
Die akute Gefahr einer Kraftwerksstilllegung durch gerichtliche Klagen ist aber so groß, dass man sich einigt, und zwar immerhin auf den Grundsatz, dass "Zwischenlagerbedarf" bestehe. Laut den damaligen Berechnungen würden bis zum Jahr 2000 insgesamt 3.800 Tonnen nuklearen Abfalls zu entsorgen sein; drei Lagerstätten - die erste bereits im Jahr 1986 - seien dafür notwendig. Gleichzeitig soll auf Zeit gespielt werden, eine bewährte Taktik in Fragen der Kernenergie. Zum einen soll weiterhin so getan werden, als ob das NEZ gebaut würde, wenn auch mit einer Verzögerung von zehn Jahren. Planungen und Probebohrungen sollten andauern wie bisher.
Zum anderen soll nach Möglichkeiten geforscht werden, wie Atommüll so bearbeitet werden kann, dass er ohne Wiederaufbereitung und ohne ewige Halbwertszeiten dauerhaft lagerbar wird. Darüber hinaus würden auch andere Orte für den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage in Erwägung gezogen. Gorleben, so die Zusicherung von Ministerpräsident Albrecht, sollte aber zumindest zu einem Endlager ausgebaut werden, abhängig von erfolgreichen Probebohrungen. Mit diesem Konzept, so die überwiegende Meinung, sieht man die vom Gesetz geforderte sichergestellte Entsorgung als erfüllt an.
Der Kompromiss wird am 28. September bei einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und den Ministerpräsidenten der Länder besiegelt. So richtig überzeugt war davon aber niemand. "Bonn wurstelt sich durch die Entsorgungsfrage", schreibt etwa der Zürcher "Tagesanzeiger". Der FDP-Vorsitzende, Außenminister Hans-Dietrich Genscher, äußert die Hoffnung, jetzt das Thema Atomenergie immerhin aus dem anstehenden Bundestagswahlkampf heraushalten zu können.
Ein gutes Jahr später erklärt der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) vor dem Landtag die Bereitschaft der bayerischen Staatsregierung, zu prüfen, ob ein geeigneter Standort für eine Wiederaufarbeitungsanlage in Bayern vorhanden sei. Die Prüfung verläuft positiv: Das oberpfälzische Wackersdorf wird schließlich ausgewählt, der Bau der Anlage 1985 genehmigt, nach massiven Protesten aber bereits 1989 eingestellt. Bert Schulz