Versorgung mit Wasser ist lebensnotwendig
Heute, das ist 2004. Der Wind weht Staubfahnen von den Kuppen der verkarsteten Hügel rund um das Dorf Mendhwan in indischen Bundesstaat Maharashtra. Von dem Wald, der dem Ort einst seinen Namen (Mendhwan - Schaf-Wald) gab, ist nur wenig übrig geblieben. Mit den Bäumen verschwand nicht nur die dünne Schicht guter Erde, sonder auch das Wasser: Weil der Regen nicht mehr im Boden versickerte, sondern ungebremst über die ausgetrocknete Oberfläche schoss, sank der Grundwasserspiegel. Mendhwan schien der Dürre ausgeliefert, ein Dorf, zum langsamen Sterben verurteilt. Doch auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass hier etwas in Bewegung gekommen ist. Ein Hauch von Grün überzieht die Berge, Gräser erobern sich die Hügel zurück. Hunderte von kleinen Erdwällen gliedern das Gelände, unzählige junge Bäume lassen erahnen wie es hier früher einmal ausgesehen hat.
Die Menschen von Mendhwan haben den Kampf ums Wasser aufgenommen und gewonnen. Das Konzept war einfach: Der Regen durfte nicht ungehindert abfließen, sondern sollte die natürlichen Grundwasserspeicher wieder auffüllen. Also packten alle mit an: An den Hügeln wurden unzählige Erdwälle aufgeworfen und kleine Wannen ausgehoben - "Wasserfallen", in denen sich das kostbare Nass sammeln und dann versickern kann. Mehrere große Brunnen, kleine Dämme, Teiche wurden angelegt, Bäume gepflanzt. Bereits nach zwei Jahren sind erste Erfolge sichtbar, zehn Jahre nach Beginn des Projektes sind die Ergebnisse überwältigend. Die Gemüseproduktion ist um das zwanzigfache gestiegen, die dauerhaft bewässerte Fläche hat sich mehr als verzehnfacht, die Milchproduktion wuchs um mehr als 600 Prozent. Steinhäuser haben viele Hütten ersetzt, mehr als 50 neue Fernsehgeräte und 14 Traktoren zeugen von neuem Wohlstand.
Das "Wunder von Mendhwan", es ist einer jener "Leuchttürme" der Entwicklungszusammenarbeit, von denen die Ministerin Heidmarie Wieczorek-Zeul so gern spricht. Der Initiator und Motor des Projektes war bezeichnenderweise kein professioneller Entwicklungshelfer, sondern der Jesuitenpater Hermann Bacher. Sein Erfolgsrezept ist die konsequente Verfolgung des Selbsthilfeprinzips: Die Menschen im Ort müssen sich eigenständig zu dem Projekt entschließen, sie müssen sich organisieren, alle müssen mitmachen. Staatliche Hilfen, ohne die es nicht geht, müssen über Nichtregierungsorganisationen an die Bevölkerung herangetragen werden.
Längst hat das Beispiel Mendhwan Schule gemacht. Seit 1993 dient die unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) finanzierte Nichtregierungsorganisation WOTR (Water-shed Organization Trust), an deren Spitze Bacher steht, als Koordinationsstelle, heute betreut sie mit mehr 137 lokalen Nichtregierungsorganisationen (NRO) über 200 Projekte wie Mendhwan, so genannte Wassereinzugsgebiete. Der WOTR sorgt auch für die Qualifizierung der NRO - Voraussetzung dafür, dass die Projekte von der Bundesregierung über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) unterstützt werden.
Solche Beispiele illustrieren, dass die Entwicklungszusammenarbeit besser ist, als ihr Ruf in der deutschen Öffentlichkeit. Dort gilt sie bei vielen nach wie vor als Fass ohne Boden, als Verschwendung, verweist man immer wieder gerne auf die berühmten "weißen Elefanten" - jene entwicklungspolitischen Großprojekte längst vergangener Jahre, von denen heute nur noch Ruinen stehen. An ihnen haben viele profitiert, nur nicht die Menschen, denen sie dienen sollten.
Seit zehn Jahren legt die GTZ regelmäßig eine Querschnittsanalyse über Erfolg und Misserfolg ihrer Arbeit vor. 52 Prozent aller untersuchten Projekte hätten gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt, lautete 1994 das Fazit der ersten Studie. Als völliger Fehlschlag wurde damals ein Prozent verbucht - so etwa ein Rinderzuchtprojekt in Myanmar, das zehn Jahre gefördert wurde, bevor es eingestellt wurde, weil der Projektpartner die Armee belieferte, statt den Bauern Zuchtrinder zur Verfügung zu stellen.
Die achte Querschnittsanalyse (Dezember 2003) bewertet immerhin zwei Drittel aller untersuchten Projekte als "erfolgreich" bis "sehr erfolgreich" und acht Prozent als Fehlschlag. Erstaunlich ist, dass es immer noch zu häufig "Defizite bei der Zielgruppenorientierung" (GTZ-Geschäftsführer Bernd Eisenblätter) gebe. Oft sei die Teilhabe der Frauen am erzielten Nutzen nicht zufrieden stellend. "Ebenso gelingt es hin und wieder nicht, die Partner in erwartetem Umfang zu eigenmotivierter und eigenverantwortlicher Mitarbeit zu bewegen."
"Ownership", also die Identifikation mit einem Vorhaben sowie die Eigenverantwortung dafür, zu fordern, ist eben oft einfacher, als Ownership herzustellen. Und Licht und Schatten liegen oft dicht beieinander. Beispiel Tansania: Dort schwärmt der Manager eines KfW-Projektes zur Wasserversorgung am Kilimandscharo von seinem Vorhaben, das beste Chancen habe, auch ohne deutsche Hilfe zu überleben.
Einer der Gründe: Von Anfang an war die Bevölkerung eingebunden - bei der Planung, bei der Organisation, bei dem Bau der Rohrleitungen. "Hier haben die Leute wirklich geschwitzt, um an ihr Wasser zu kommen", erklärt er. "Sie können sich mit diesem Projekt identifizieren." Nur ein paar Kilometer weiter, bei einem ähnlichen Projekt der GTZ, ist man davon noch weit entfernt. Zu viele Verbraucher zahlen einfach ihre Wasserrechnung nicht. Hier gab es früher schon Wasserleitungen, bezahlt wurde nie. Wasser gilt als Geschenk des Himmels, das Ansinnen, dafür Gebühren zu erheben, als Zumutung. "Da muss die Versorgungsgesellschaft noch viel Überzeugungsarbeit leisten", sagt der Projektmanager.
Es sind nicht nur eigene Fehler, die der Erfolgsbilanz der Entwicklungszusammenarbeit einen Strich durch die Rechnung zu machen drohen. Was nützt es, wenn die Entwicklungspolitiker gegen Umweltzerstörung kämpfen und Wiederaufforstungsprojekte starten, während gleichzeitig - wie in den 90er-Jahren - mit deutschen Kredit- und Exportgarantien unterstützt in Indonesien die Zellstoff-Industrie gefördert wird, die zu einem Großteil für den Kahlschlag der Regenwälder und massive Umweltvergiftung verantwortlich ist? Was für einen Sinn macht es, wenn in Indien mit Entwicklungsgeldern der Europäischen Union über Jahre hinweg eine kleinbäuerliche Milchwirtschaft aufgebaut wird, und dann die EU diesen Erfolg durch den Export von Milchpulver zu Dumping-Preisen gefährdet? Mangelnde Kohärenz, sagen die Fachleute dazu, es fehlt an der Abstimmung der einzelnen Politikbereiche aufeinander. Und in der Konkurrenz zur Handels- oder Exportförderungspolitik zieht die Entwicklungspolitik nach wie vor meist den kürzeren. Ihrer Glaubwürdigkeit schadet dies vermutlich mehr als das eine oder andere fehlgeschlagene Projekt. Der Autor ist Redakteur beim "General-Anzeiger" in Bonn.