SOS-Kinderdörfer
Armut hat viele Gesichter: Meist meinen wir mit Armut einen Mangel an Wasser und Lebensmitteln, an Kleidung, Wohnraum oder Bildung. Doch viele Kinder, übrigens nicht nur in den Staaten der Dritten Welt, leiden unter einem Mangel an Liebe und Geborgenheit - weil sie keine Eltern mehr haben. Kinder verlieren ihre Eltern aus unterschiedlichen Gründen: Krieg und Bürgerkrieg, Naturkatastrophen, Inhaftierung und politische Verfolgung oder Krankheiten und Seuchen wie AIDS.
Seit 55 Jahren kümmern sich die SOS-Kinderdörfer um diese Kinder, zunächst in Europa, seit 1963 in Asien und Südamerika und seit 1970 auch in Afrika. Kindern Liebe und Geborgenheit in einer Familie zu schenken ist das Ziel - oder mit den Worten von Hermann Gmeiner, dem Gründer der Organisation: "Es muss einen Weg geben, diese Kinder wieder hereinzuholen in die Gesellschaft. Dieses Kind zu einem der unsrigen zu machen. Dem Kind wieder eine Mutter geben, Geschwister zu geben, ein Daheim, dass dieses Kind wieder einen Alltag erleben darf wie jedes andere Kind dieser Welt."
In den 422 SOS-Kinderdörfern in 132 Staaten weltweit wachsen elternlose Kinder mit bis zu sieben anderen Kindern und einer neuen Mutter in einem neuen Zuhause auf. Elternlose Geschwister können so zusammenbleiben und werden nicht auseinander gerissen. Das Konzept hat vier Eckpfeiler: die Mutter, die Geschwister (leibliche und "neue"), das Haus und das Dorf. Zu den Mitarbeitern der SOS-Kinderdörfer - ausschließlich Einheimische aus den jeweiligen Ländern - zählen die SOS-Kinderdorfmütter, professionelle Pädagogen und Dorfleiter. Sie bemühen sich um den Aufbau verlässlicher und tragfähiger Beziehungsstrukturen. Dabei geht es nicht um den Aufbau familiärer Idylle in einer von Not und Elend geprägten Umwelt. Männer, die die wichtige Vaterrolle in den SOS-Kinderdorffamilien übernehmen sind übrigens selten. In der Praxis zeigen sie sich der Belastung durch die anspruchsvolle Erziehungsarbeit häufig nicht gewachsen.
Die Kindersoldaten in Uganda sind von körperlichen und seelischen Wunden gezeichnet. Straßenkinder, die in einer gesetzlosen Welt voll Drogen und Gewalt überleben mussten, müssen Vertrauen und soziales Miteinander mühevoll erlernen. Hilfe ist hier nur mit Geduld, harter pädagogischer Arbeit und viel Liebe möglich. Neben den Kinderdörfern unterhält SOS 1.181 Zusatzeinrichtungen weltweit.
Nicht High-Tech-Medizin oder modernster Ausstattungsstand sind die Zielsetzung der SOS-medizinischen Zentren, sondern Basis- und Notversorgung, Aufklärungsarbeit hinsichtlich Hygiene, Ernährung und Krankheitsprävention sowie Impfprogramme und Geburtshilfe. Die SOS-Sozialzentren bieten Hilfe in unterschiedlichster Form an: sie vermitteln lebenswichtige Kenntnisse, bieten Lehrgänge, Beratung, Supervision und spezielle Therapien an. Die Organisation hat 230 Kindergärten gebaut, in denen 17.000 Kinder spielen und auf die Schule vorbereitet werden. Die Hermann-Gmeiner-Schulen sind wichtige Bausteine beim Aufbau einer flächendeckenden Schulversorgung in vielen Ländern. Sie stehen auch den Kindern aus der Nachbarschaft der SOS-Kinderdörfer offen.
Die SOS-Berufsbildungszentren eröffnen den Jugendlichen aus den SOS-Kinderdörfern und jungen Menschen aus der Nachbarschaft realistische Zukunftschancen, indem sie berufliche Qualifikationen vermitteln. Jugendeinrichtungen des betreuten Wohnens begleiten junge Menschen - oft parallel zu den Berufsbildungszentren - beim Übergang aus den Kinderdörfern zur Selbständigkeit.
Der Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V. ist der wichtigste Finanzier der SOS-Kinderdörfer und der sonstigen Einrichtungen in den so genannten Entwicklungsländern. Diese befinden sich unter dem Dach von SOS-International, an deren Spitze seit 1985 Helmut Kutin steht. Der in Bozen geborene Kutin kam 1953 selbst mit zwölf Jahren in ein SOS-Kinderdorf. Rund sechs Millionen Menschen tragen als Freunde und Gönner zur Finanzierung der Arbeit des privaten Sozialwerkes bei. Magnus Jung
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Nonnweiler/Saarland.