Andreas Voll ist Rosenheims jüngster Stadtrat: Er sieht sich als Teamplayer, der Weichen stellt
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker und Aktivisten vor:
Erst wischt er mit der linken Hand energisch zur Seite, was ihm nicht in den Kram passt. Dann teilt er mit der Rechten eine imaginäre Linie auf dem Tisch in gleichmäßige Abstände: Erst muss dies getan werden, dann steht jenes an und schließlich das. Andreas Voll ist viel beschäftigt. Erst vor kurzem hat er seine Diplomarbeit abgegeben, kommt gerade nur übers Wochenende nach Rosenheim vom Praktikum in Frankfurt/Main angereist. Den Stress der letzten Wochen, in denen der 23-Jährige zwischen Frankfurt, der Uni in München, Familie und Rathaus in Rosenheim gependelt ist, merkt man dem schmalen, fast hageren Jungpolitiker dennoch kaum an. Rosenheims jüngster Stadtrat spricht fast druckreif. Seine politischen Überzeugung formuliert er prägnant.
Wer so viele Pläne für die Zukunft hat, braucht einen langen Atem. Den musste der angehende Volkswirt bislang weniger unter Beweis stellen, ging es doch in seiner politischen Laufbahn Schlag auf Schlag. Noch vor dem Abitur im oberbayerischen Rosenheim wurde der damalige Schüler zum Kreisgeschäftsführer der Jungen Union gewählt, wenig später übernahm er den Vorsitz. Unter ihm stieg die JU zur mitgliederstärksten Jugendfraktion seit langem auf.
"Der Andi", stets korrekt gekleidet, macht nicht nur äußerlich das Bild des jungen, aufstrebenden Politikernachwuchses perfekt. Er kann gut reden, wirkt bescheiden und gleichzeitig bestimmt. Er drängt sich nicht nach Ellenbogenmanier in den Vordergrund, lässt sich aber auch von anderen nicht weg drängen. Die Nähe zu denjenigen, für die er politisch aktiv ist, ist ihm schon immer das Wichtigste: "Am Abend zusammen zu sitzen und ratschen, nebenbei über die Belange der Stadt zu diskutieren", beschreibt Andreas in bayerisch gefärbtem Hochdeutsch die Art zu arbeiten.
Der Sitz im Stadtrat war für den damaligen Abiturienten kein Zufall, sondern ein Ziel. Er wollte was erreichen, die Regionalpolitik mitgestalten. "Für den Wahlkampf haben wir alles gegeben", sagt der Jungpolitiker, der öfter mal "wir" sagt, wenn er die Junge Union meint. Und erzählt, wie er und seine Truppe "in der ganzen Stadt Türhänger verteilt haben, um für die JU-Kandidaten zu werben". Noch heute schüttelt er ungläubig, aber stolz den Kopf darüber, wenn er erzählt, wie er nachts durch Rosenheim fuhr und an jeder Tür die Schildchen baumelten; wie er sich an die Stammtische setzte, um sich nicht nur der jüngeren Generation zu präsentieren, sondern ein offenes Ohr für alle zu haben. Oder wie er 1.600 Haushalte "abgeklingelt" hat und sich als Bewerber für den Stadtratssitz vorstellte: "Da stehst du wie ein Versicherungsvertreter mit deiner Broschüre in der Hand vor wildfremden Leuten. Die einen laden dich zum Kuchen ein, die anderen jagen dir den Hund nach."
Frisch ins Rathaus eingezogen, will sich der ambitionierte Jungpolitiker nicht mit Kultur- und Sozialthemen zufrieden geben. Er will in den Haupt- und Verkehrsausschuss. Will dort sein, wo sich was bewegen lässt. Eine erste Niederlage muss er dabei wegstecken: Für den Hauptausschuss hält den damals 20-Jährigen die alteingesessene Ägide noch für zu unerfahren. Beim Verkehr dagegen kann er sich profilieren. Er setzt sich für familienfreundlichen Stadtverkehr ein, ist an der Planung eines großen Straßenbauprojekts beteiligt. Sein Amt stärkt das Gespür für Diplomatie, ein Wort, das öfter fällt. "Die Politik im Stadtrat ist gelebte Diplomatie", sagt er zum Beispiel. Manchmal klingt Andreas Voll wie ein alteingesessener Politprofi. Aber man nimmt ihm ab, dass er das nicht nur so dahin sagt. "Auch in einer einheitlichen Fraktion tritt jeder für seine Partikularinteressen ein. Man muss allen gerecht werden, darf aber dabei nicht aus den Augen lassen, dass es um die Stadtbewohner geht", resümiert er.
Die Kompromissfindung nach einer hitzigen Debatte ist für ihn der spannendste Teil an der Politik. Selbst für Spannungen zu sorgen, lässt ihn aber eher kalt. Ob er sich für mehr Freizeitmöglichkeiten für 17- bis 25-Jährige einsetzt oder die Privatisierung städtischer Dienste fordert - nicht immer tut er dies im Sinne der Großpartei. Er sagt über sich, dass er sich nicht beeinflussen lässt, sich selbst treu bleiben will.
Die bisherigen drei Jahre als Stadtrat haben den Noch-Studenten geprägt. Als Mitglied im Aufsichtsrat eines regionalen Technologieunternehmens sammelte er praktische Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. "Wenn man von einem keine Ahnung hat, kann man nicht das andere machen", ist er überzeugt. Im Allgemeinen beschäftigt ihn die Wirtschaftspolitik, im Besonderen die Ökonomie im Betrieb. "Ich will sehen, wie eine Unternehmensberatung oder eine Bank arbeiten", sagt Voll, der sich auf sein zukünftiges Berufsleben freut und sein politisches Amt weiterhin ausfüllen möchte. "Als Vorsitzender oder als Stadtrat bist du nicht irgendwie dort hingekommen. Du bist ein Teamplayer, der motivieren kann, auf der anderen Seite ein Weichensteller, der den Überblick behält."
Den braucht der Netzwerker, der seine Schritte ins Arbeitsleben nicht unabhängig vom Alltag in der Politik machen will. Er sammelt auf beiden Feldern Informationen, knüpft Kontakte. Er glaubt, dass das nicht nur zum eigenen Vorteil ist, und jetzt schon, so sagt er, dankt man es ihm, dem Jüngsten im Rathaus, mit Rückendeckung - auch wenn es manchmal noch mehr Verständnis für seine momentane Rolle als Examenskandidat, Praktikant und Regionalpolitiker geben könnte. Schließlich zähle, seufzt Voll, die Präsenz bisweilen mehr als die Kompetenz. In Zukunft will er mit beidem glänzen.