In der DDR wurde das Schicksal der Vertriebenen von der Partei und den Kirchen tabuisiert
Die Erfahrungen der ostbrandenburgischen Vertriebenen waren kein Einzelfall. Zwölf bis 15 Millionen Deutsche mussten während und nach dem Zweiten Weltkrieg ihre osteuropäische Heimat verlassen. Sie zogen in langen Trecks einer ungewissen Zukunft entgegen. Etwa acht Millionen kamen in die spätere Bundesrepublik, 4,1 Millionen in die SBZ. Die nachhaltige Veränderung der Bevölkerung in der DDR, die Neuankömmlinge machten einen Bevölkerungsanteil von 24 Prozent aus, provozierte erhebliche soziale Spannungen. Sie wurden bisher in der Öffentlichkeit und den Geschichtswissenschaften kaum thematisiert. Die Flüchtlinge wurden zunächst in ländlichen Gebieten angesiedelt, in denen ihnen die Bevölkerung eher ablehnend gegenüberstand. Die fehlende nationale Solidarität enttäuschte die Vertriebenen. Viele wanderten in die Städte ab. Entgegen dem offiziellen DDR-Mythos der schnellen Eingliederung sprach deshalb Michael Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte Berlin/München bei der Tagung "Flucht, Vertreibung und Integration in konfessioneller Perspektive" des Arbeitskreises Protestantismusforschung in der Evangelischen Akademie Neudietendorf von einer "Integration durch heftige Konflikte".
Dafür sorgte auch die Vertriebenenpolitik der DDR, die Entgegenkommen mit Assimilationszwang verband. Der Arbeiter- und Bauernstaat beschloss einerseits schon 1950 ein Gesetz zur Verbesserung der Situation der "Umsiedler" und verteilte 400 Millionen Ostmark Wohnungsbeihilfen an 700.000 Flüchtlinge. Andererseits anerkannte die DDR - anders als die Bundesrepublik - schon früh mit Rücksichtnahme auf die sozialistischen Bruderstaaten die Oder-Neiße-Grenze an. Die Betroffenen wurden dabei nicht gefragt. Die DDR-Vertriebenenpolitik wurde letztlich, wie Schwartz darlegte, vom Ost-West-Konflikt überlagert. Ein "Recht auf Heimat" - wie von der Bundesrepublik gefordert - lehnte die DDR als Ausdruck "revanchistischen Denkens" ab. Heimat war für die DDR keine geographische Größe, sondern ein politisches Projekt, so Schwartz. In der DDR-Diktion gab es deshalb auch keine "Vertriebenen", sondern nur "Umsiedler".
Für die Neuankömmlinge in der DDR gab es folglich nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie assimilierten sich oder sie zogen - auch schockiert von der Klassenkampfpolitik - weiter in die Bundesrepublik. Allein bis 1949 verließ etwa eine Million Vertriebene die DDR .
Die Zwangsassimilation hatte zur Folge, dass das Schicksal der Vertriebenen in der DDR tabuisiert wurde. Die traumatisierenden Erfahrungen des Heimatverlustes, der Gewaltexzesse der Roten Armee, die massenhaften Vergewaltigungen der flüchtenden Frauen - über das alles, so Clemens Vollnhals vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden, konnten und durften die Betroffenen nie öffentlich sprechen. Nur im privaten Umfeld und auch in den Kirchen gab es begrenzte Möglichkeiten, eine Kultur der Erinnerung zu entwickeln. Diese Erfahrung führte zu Abgrenzungserscheinungen, weshalb es der SED als "Partei der Russenfreunde" bis zum Mauerbau 1961 nie breitere Bevölkerungskreise für sich gewinnen konnte. Für viele Menschen passte das humanitäre Pathos der SED und das gleichzeitige Verbot von Vertriebenenorganisationen nicht zusammen.
Der Wunsch nach Erinnerung suchte andere Wege. Die katholischen "Umsiedler", die im fast ausschließlich protestantisch geprägten Mitteldeutschland nach 1945 ein Drittel der Bevölkerung stellten, trafen sich etwa zu Wallfahrten, um ihre heimatlichen religiösen Traditionen weiterzuführen. Die SED-Regierung stand den katholischen Pilgern recht hilflos gegenüber. Selbst Massenverhaftungen bei Vertriebenentreffen zeigten wenig Wirkung. Die SED setzte deshalb auf die langfristige Umerziehung der Jugend.
Auch die evangelischen Landeskirchen nahmen sich zwar karitativ und seelsorgerlich der Vertriebenen an. Mit der Integration taten sich die protestantischen Gemeinden aber schwer. Auf der Insel Rügen, so der Historiker und Pfarrer Martin Holz (Schaprode), waren die dort angesiedelten, pietistisch geprägten Ostpreußen von der in ihren Augen "toten" Volkskirchlichkeit der Einheimischen enttäuscht. Die Pfarrer freuten sich zunächst über die rege Beteiligung der Flüchtlinge am Gemeindeleben. Allerdings entstand nach kurzer Zeit ein erhebliches Problem: Mit ihrem starken Engagement prägten die Ostpreußen manche Gemeinden derart um, dass sich in ihnen fast nur noch Vertriebene, aber kaum mehr Insulaner einfanden - ein großes Hindernis für eine reibungslose Integration.
Das lutherische Sachsen sah sich seit 1945 mit der Ankunft katholischer Sudetendeutscher und evangelischer Schlesier konfrontiert. Als Geste ökumenischer Solidarität stellten evangelische Gemeinden - wie im gesamten Gebiet der DDR - den Katholiken ihre Kirchen für Gottesdienste zur Verfügung. Doch die aus Schlesien geflüchteten evangelischen Theologen wurden trotz erheblichen Pfarrermangels zunächst nicht übernommen. Die Kirchenleitung wollte offene Pfarrstellen für die aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden sächsischen Geistlichen frei halten. Zudem meinte die Kirchenleitung, dass die schlesischen Pfarrer mit ihren anderen theologischen Traditionen, die Calvinismus und Luthertum miteinander verbanden, nicht in die rein lutherische Landeskirche passten.
Unmissverständlich lehnte die sächsische Landeskirche auch eigene Vertriebenengemeinden und die seit 1945 abgehaltenen Heimatgottesdienste ab, so Markus Wurstmann, Doktorand an der Universität Leipzig. Parallelstrukturen waren unerwünscht, entstanden aber doch hier und da, weil den "Umsiedlern" die strenge lutherische Liturgie fremd blieb. Die Landeskirche erwartete jedoch, dass sich ihre neuen Mitglieder vollständig in die sächsischen Gemeinden, ihre Liturgie und ihr Kirchenrecht einpassten.
Das empfanden viele Flüchtlinge als Korsett und kehrten ihr wieder den Rücken zu. Zu der von den Kirchen erhofften Intensivierung des kirchlichen Lebens durch die Vertrieben kam es in der DDR also nicht.