Von arabischem Umgang mit Minderheiten im Sudan
Im Sudan, dem größten, undurchschaubaren Land Afrikas, herrschen nicht erst seit der Unabhängigkeit (1956) Zustände, die an asiatische Despotie, zumindest an die alte arabische Sklavenhalter-Manier erinnern, in der man "die eigenen Neger" einfing und verkaufte. Andere freilich rümpfen die Nase ob der Aussichtslosigkeit solcher Failed States wie des Sudans - als brauche man über den "verlorenen Kontinent" im Grunde nicht mehr zu berichten.
Ausgerechnet dort bricht sich ein neues Muster der Weltpolitik Bahn. Kriegsverbrecher und Völkermörder, manche einst mächtige Staatschefs, werden zunehmend zur Rechenschaft gezogen, selbst wenn die USA sich gegen den Internationalen Gerichtshof sträuben. Den Haag hat Anfang Juni bekannt gegeben, dass nun wegen der Verbrechen in der sudanesischen Westprovinz Darfur ermittelt wird. Nach Chiles Folter- und Argentiniens Putschgenerälen, nach den Massenschlächtern von Ruanda - gegen die in Lateinamerika bzw. im tansanischen Arusha ermittelt wird - und nach dem im Haag bereits einsitzenden Herrn Milosevic soll ausgerechnet in diesem geschundenen Land Recht und Gerechtigkeit auf die Sprünge geholfen werden. Es ist das erste Mal, dass das von den USA nicht anerkannte Gericht auf Betreiben des Sicherheitsrates ermittelt. Nach bisherigen Vorwürfen der UN gegen 51 Verdächtige haben regierungstreue Truppen in Darfur gemordet und gefoltert. Es ist ein Gebiet so groß wie Frankreich, wo rund zwei Millionen Vertriebene auf Hilfe warten und mittlerweile einige wenige tausend Soldaten der Afrikanischen Union stationiert sind. Darfur ist seit zwei Jahren ein neues Beispiel für die Hilflosigkeit der Vereinten Nationen, auch dafür, wie rassistisch manch arabisch-islamischer Staat bis heute mit Minderheiten umgeht.
Rassismus und sklavereiähnliche Ausbeutungsverhältnisse wurden in vergangenen Jahren - vor allem von christlichen Organisationen - auch im Jemen, Mauretanien, Saudi Arabien oder bei den Rebellen aus Uganda angeprangert, die im Südsudan Kinder entführen und als Soldaten rekrutieren. Bekanntestes Beispiel aus dem Sudan ist Mende Nazer, die 2002 aus Großbritannien abgeschoben werden sollte und darüber einen Bestseller ("Sklavin") schrieb. Die damals 22-Jährige war nach eigenen Angaben mit 13 Jahren von arabischen Milizen aus den Nuba-Bergen verschleppt und verkauft worden, zunächst an wohlhabende Nordsudanesen, dann an einen sudanesischen Diplomaten, der sie mit falschen Papieren nach London brachte und ausbeutete.
Im Mittelpunkt unserer europäischen Selbstkritik stehen neben den für ihre Zeit noch als "natürlich" erachteten Feudalverhältnissen bei Römern und Griechen der Antike meist die seit der Neuzeit von Spaniern, Portugiesen, Holländern, Engländern und Franzosen in ihre amerikanischen Kolonien transportierten Schwarzen. Deren Unterjochung indes besorgten zunächst afrikanische und arabische Sklavenjäger. Und heute? Eine UN-Kommission schätzte 1999 die Zahl der Menschen, die in sklavereiähnlichen Verhältnissen leben, auf rund 20 Millionen. Im Jahr 2001 hat die französische Nationalversammlung Sklaverei zum Verbrechen wider die Menschlichkeit erklärt. Ähnlich sehen dies Israel, Kuba oder der Senegal. Andere auch, aber man hält sich mit Blick auf - bereits erhobene - ungeahnte Regressansprüche zurück.
Wie viele Menschen im 33 Millionen zählenden Sudan seit Jahrzehnten außerdem durch die periodischen Sintfluten und Hungersnöte bedroht und umgekommen sind, ist ebenso ungewiss wie die derzeitige Lage im Kongo, die ähnlich katastrophale Zahlen kennt. Auf annähernd vier Millionen schätzt die in Washington ansässige Nichtregierungsorganisation "Coalition for International Justice" die Opfer allein jüngster Jahre im Kongo, auf 800.000 die in Ruanda, auf etwa 400.000 in nur zwei Jahren die in Darfur. Während der frühere US-Außenminister Colin Powell von einem Völkermord in Darfur sprach, meidet die jetzige Administration diesen Terminus und stuft den Konflikt etwas zurück. Washington, das sich neben den Deutschen durchaus um Druck auf Khartum bemühte, sitzt hier in einer selbst geschaffenen Zwick-mühle, da man Den Haag nicht anerkennen will und sich so bei Abstimmungen in der UNO in dieser Frage neben China, Russland und auch Großbritannien als Blockierer wiederfindet. Kämen UNO und (die meisten) Europäer mit dem Haager Gericht durch, so fände sich früher oder später dort Moskau angeprangert wegen Tschetscheniens, China wegen Tibets - und die Vereinigten Staaten möglicherweise auch.
Das noch junge Friedensabkommen für den Südsudan soll mit Hilfe einer UN-Schutztruppe von 10.700 Mann umgesetzt werden, auch unter deutscher Beteiligung. Es bezieht sich nicht freilich auf Darfur. Dort kämpfen zwei schwarzafrikanische Rebellengruppen seit Anfang 2003 gegen die Regierung, unterstützt von den gefürchteten arabisch-stämmigen Reitermilizen. "Dämonen zu Pferde" wurden sie genannt. Der UN-Generalsekretär sprach von der "Hölle auf Erden". Laut Amnestie International setzen die Milizen und Regierungstruppen systematisch auch Vergewaltigungen - von Acht- bis 80-Jährigen, und das vor den Augen der Familien und Dorfgemeinschaften - als Kriegswaffe ein. Unlängst beschrieb die "New York Times" die Gräueltaten dieser "Janjaweed" genannten Reitermilizen: "Darfurs Tote wurden auf den Grund der Brunnen gestoßen, in Massengräber gekippt, begraben auf sandigen Friedhöfen und notdürftig verbrannt. Kinder wurden aus den Armen ihrer Mütter gezerrt und ins Feuer geschmissen, Dorfbewohner mit um den Hals gewundenen Seilen von Pferden und Kamelen auf dem Boden hinterher geschleift." Wenn es nur Bilder gäbe.
Seit diesem Sommer scheint sich eine dritte Bürgerkriegsfront im Osten aufzutun. Auch hier geht es um eine gerechtere Verteilung der Ressourcen, zumal des Erdöls, an dem vor allem China und Russland interessiert sind. Dort sehen sich Beja-Rebellen wie zuvor andere im Süden und in Darfur von Khartum diskriminiert und unterdrückt. "In unserer Region fehlt es an Krankenhäusern, Schulen, einer Wasserversorgung, Transportsystemen es fehlt an allem", sagte Musa Mohamed Ahmed, Präsident der "Ostfront", der BBC.
Weder im Süden, wo die Opfer der (mit Unterbre-chungen) Jahrzehnte währenden Kämpfe auf bis zu drei Millionen geschätzt werden, noch im Westen ist endgültiger Friede angesagt. Der Friedensprozess zwischen Khartum und dem Süden unter Führung der nicht unumstrittenen Befreiungsorganisation SPLA wurde Anfang August durch den angeblichen Unfalltod der zentralen Figur - SPLA-Chef John Garang - erneut bedroht, möglicherweise gar beendet. Der Absturz des kurz zuvor als Vize-Präsident in die Zentralregierung eingebundenen legendären Rebellen vom Volk der Dinki sorgte selbst im sonst friedhofsruhigen Khartum für Ausschreitungen.
Es gibt Gründe, den Sudan international mit höchster Priorität zu behandeln. Denn in Afrika könnte nach dem Desaster von Somalia und den andauernden Wirren im Kongo ein dritter Flächenstaat im Brand aufgehen. Es bleibt atemberaubend, wie Konflikte solchen Ausmaßes von der Weltgemeinschaft hingenommen werden. Dabei ist die Methode der Janjaweed - Überfälle und Plünderung nach Art apokalyptischer Reiter, Vergewaltigung und Menschenraub an Frauen und Kindern, Niederbrennen der Hütten und Töten der Männer - ob mit oder ohne Duldung Khartums seit langem bekannt: aus dem amerikanischen Wilden Westen ebenso wie vom vergleichbaren Terror Khartums gegen die Stämme der Nuba in den gleichnamigen Bergen.