Die Kultur-Enquete - Nicht nur ein Gremium
Enquete-Kommissionen sind nicht irgendwelche Gremien in der zugegebenermaßen ausgeuferten "Kommissionitis" in der Bundespolitik. Enquete-Kommissionen verbinden parlamentarische, wissenschaftliche und praktische Erfahrungen. Das Besondere ist eben, dass Abgeordnete und Sachverständige in dieser Kommission als gleichberechtigte Mitglieder zusammenarbeiten. Ihr Auftrag lautet, über "umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe" Entscheidungen vorzubereiten. So gibt es der Paragraf 56 der Bundestagsgeschäftsordnung vor. Bei der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" standen drei Schwerpunkte im Mittelpunkt: die öffentliche und private Förderung von Kunst und Kultur und ihr Strukturwandel, die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler und die Kulturlandschaft und der Kulturstandort Deutschland mit der Auseinandersetzung über kulturelle Grundversorgung.
Enquete-Kommissionen wie die zur "Kultur in Deutschland" müssen einen Bericht erstellen und so rechtzeitig vorlegen, dass das Plenum noch vor dem Ende der Wahlperiode darüber entscheiden kann. Das konnte die Enquete "Kultur in Deutschland" nicht leisten, weil bekanntlich der Deutsche Bundestag vorzeitig aufgelöst worden ist und im September Neuwahlen angesetzt wurden. Allerdings hat das Gremium Ende Mai einen 20-seitigen Zwischenbericht vorgelegt und sich darin nur auf das Thema "Kultur als Staatsziel" konzentriert (s. dazu auch das Pro und Contra auf Seite 4 sowie das Interview mit der Enquete-Kommissionsvorsitzenden Gitta Connemann auf dieser Seite).
Das Gremium hat jedoch nicht nur die Aufgabe, so genannte Handlungsempfehlungen für die parlamentarische Gesetzesarbeit zu erarbeiten, es wirkt auch in die Öffentlichkeit hinein und will Debatten anstoßen. Dafür nutzen die Abgeordneten und Wissenschaftler Instrumente wie öffentliche Anhörungen, Pressekonferenzen und Berichte. Diesen Kontakt mit Interessierten, Journalisten und Journalistinnen und Kulturschaffenden stellte das Gremium beispielsweise mit Anhörungen zur Musikquote, zur kulturellen Bildung oder zu den rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen des Betriebs von Bibliotheken her. Dann sitzen neben den Kommissionsmitgliedern Experten aus der Praxis mit am Tisch wie beispielsweise eine Theaterregisseurin, ein Kammertänzer oder ein Chorleiter.
Der Begriff "Enquete" hat seinen Ursprung im Lateinischen. "Inquirere" bedeutet nachforschen, prüfen, untersuchen. Das heißt, die Enquete-Kommission wird für ihre Bestandsaufnahme zum Rechercheur, hält Sitzungen an verschiedenen Orten der Republik ab und unternimmt Delegationsreisen, um sich unter anderem über Lösungen von europäischen Nachbarn zu informieren oder in diversen Bundesländern zu recherchieren. Die thematische Bandbreite, die sich die Enquete auf ihre Fahnen geschrieben hat, ist beachtlich. Es ist ein fast überambitioniertes Programm, denn natürlich wollten sich Parlamentarier und Parlamentarierinnen und Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht dem Vorwurf aussetzen, wichtige kulturelle Felder vernachlässigt zu haben. Diese organisationsintensive Arbeit kann nur mit Unterstützung eines agilen Enquete-Kommissionssekretariates geleistet werden. Auf der Agenda standen Themen wie das Urhebervertragsrecht und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der künstlerischen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutschland, das Sächsische Kulturraumgesetz, das Leistungsprofil und die Leistungsdefizite der Kulturstatistik wie auch das Bundesvertriebenengesetz oder das Konzept des "Public-Private-Partnership".
Es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass eine Enquete "Kultur in Deutschland" überfällig war. Mit den Stimmen aller vier Fraktionen wurde sie 2003 eingesetzt, also über ein Vierteljahrhundert nach dem "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)" 1975. Wenn nicht zuviel von der geleisteten Arbeit aller Beteiligten verloren gehen soll, müsste der neu gewählte Deutschen Bundestag erneut eine Enquete "Kultur" einsetzen, die natürlich keine zwei Jahre mehr bräuchte, um einen Abschlussbericht zu erarbeiten, der dann auch politische Konsequenzen hat. Verschiedene hochrangige Politiker und Politikerinnen haben sich bereits dafür ausgesprochen. Die Kulturschaffenden in Deutschland haben das sicher aufmerksam registriert.
Die Autorin ist freie Journalistin, Bonn.