Gespräch mit den Obleuten der Fraktionen in der Enquete-Kommission
Das Parlament: Hat die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" die beabsichtigte Signalwirkung für die Kultur erreicht?
Siegmund Ehrmann, SPD: Die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" hat aus zweierlei Gründen eine starke Signalwirkung zu verzeichnen. Bis 1998 führte die Kultur in der Bundespolitik ein Schattendasein. Die letzte Enquete-Kommission, die sich für die Kultur eingesetzt hatte, liegt knapp dreißig Jahre zurück! Erst mit dem Regierungswechsel 1998 hat sich der Stellenwert der Kultur auf Bundesebene grundlegend geändert, und schließlich ist auch die Einsetzung der Enquete-Kommission eine Forderung aus dem Koalitionsvertrag von 2002. Die Einsetzung selbst war ein deutliches Signal, dass der Bund kulturpolitische Verantwortung übernimmt. Die zweite Signalwirkung liegt in der Auswahl der Themen begründet, mit der sich die Enquete-Kommission befasst hat. Die öffentliche und private Kulturförderung, die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler und die kulturelle Bildung waren die Schwerpunkte unserer Arbeit. Im Dialog mit der Kulturszene wurde mir immer wieder bestätigt, dass wir die kulturpolitisch relevanten Themen aufgegriffen und ohne die sprichwörtliche "Schere im Kopf" mit den entscheidenden Fragen an die Sache herangegangen sind. Als erstes Ergebnis in unserem Zwischenbericht empfehlen wir dem Deutschen Bundestag die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz aufzunehmen. Ich denke, die grundgesetzliche Verankerung ist ein sehr deutliches Signal für die Kultur und für das Selbstverständnis unseres Staates.
Günter Nooke, CDU/CSU: Die Signalwirkung bestand eher im Reden über Kultur. Das ist nicht wenig, aber erst handfeste Arbeit und ein allgemeiner Bewusstseinswandel werden zeigen, wie weit wir wirklich gekommen sind. Die Enquete-Kommission hat im Einsetzungsbeschluss einen definierten Auftrag erhalten: Zunächst geht es um eine genaue Bestandsaufnahme der Situation und um eine scharfe Problemanalyse im Zusammenhang mit dem Kulturstandort Deutschland. Ob es uns aber gelingt, Deutschland als europäisch gewachsene Kulturnation darzustellen, ohne nationales Pathos, aber mit herausgehobener Bedeutung der Kultur für die nationale Identität, muss sich noch erweisen. Dabei sind alle nichtstaatlichen und staatlichen Ebenen gefordert, vor allem natürlich auch die Bundesebene. Gerade die Union sollte diesen für das nationale Bewusstsein wichtigen, Sinn und Orientierung stiftenden Aspekt von Kunst und Kultur nicht föderalem Provinzialismus opfern.
Ursula Sowa, Grüne: Bei bestimmten Themen hat die Enquete-Kommission deutliche Signale ausgesendet, die von Seiten der Kultur und der Medien auch wahrgenommen und anerkannt wurden. Nehmen wir das Beispiel der Künstlersozialversicherung. Hier haben sich die Mitglieder der Kommission nach intensiven Debatten parteiübergreifend dafür ausgesprochen, das Versicherungssystem zu erhalten und durch punktuelle Verbesserungen zu stabilisieren. Die Forderung nach einer Aufnahme des Staatsziels "Schutz und Förderung der Kultur" zeigt, dass die Kommission deutliche Zeichen für die Stärkung der Kultur in Deutschland setzt. Auch die Debatten um dringend anstehende Reformen an den öffentlichen Bühnen haben vielfache Beachtung gefunden. Das Interesse der Öffentlichkeit scheint mir sehr groß zu sein, was sich darin zeigt, dass die Signale der Kommission in Form von Reformvorschlägen wahrgenommen und kritisch diskutiert werden.
Hans-Joachim Otto, FDP: Allein die Tatsache, dass der Deutsche Bundestag sich überhaupt mit diesem Thema beschäftigt hat, war und ist ein positives Signal - nach außen, für alle Bereiche der Kultur, aber auch innerhalb des Parlamentes. Ich hätte mir manchmal ein größeres Interesse der Öffentlichkeit und mehr Reaktionen gewünscht. Dass dies nicht immer der Fall war, hängt auch mit der Arbeitsweise der Enquete-Kommission zusammen, die zunächst eine Bestandsaufnahme der Kultur in Deutschland erarbeitet hat. Ich bin aber überzeugt, dass in allen Bereichen der Kultur die Arbeit der Enquete-Kommission mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde. Durch eine Vielzahl von öffentlichen Anhörungen und auch bei einigen Delegationsreisen der Enquete-Kommission gab es einen intensiven Kontakt mit vielen Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Kultur, die ihre Erfahrungen eingebracht haben und die Ergebnisse der Diskussionen sicherlich auch weiter getragen haben. Neben der Einsetzung und der Arbeit der Kultur-Enquete wäre natürlich vor allem dem Abschlussbericht eine erhebliche Signalwirkung zugekommen. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Abschlußbericht in der 16. Wahlperiode noch erstellen können.
Das Parlament: Die Enquete-Kommission musste - wie andere auch - ihre Arbeit früher einstellen als erwartet. Wie kann der Gefahr begegnet werden, dass die politischen Konsequenzen zu kurz kommen oder gar ausbleiben?
Siegmund Ehrmann, SPD: Die Sorge über ausbleibende Handlungsempfehlungen nach der Auflösung des Bundestages hat natürlich alle Mitglieder der Enquete-Kommission beschäftigt. Die Bestandsaufnahme, die als Grundlage für unsere Handlungsempfehlungen dient, ist weitestgehend abgeschlossen. Diese geleistete Arbeit, das sind Gutachten, Anhörungen, Expertengespräche, Exkursionen usw. ist in einer solchen Zusammenstellung bisher einmalig und enthält sehr wichtige, weit reichende Einsichten. Um den Bestand der bisherigen Arbeit zu sichern, haben wir uns interfraktionell auf einen so genannten Tätigkeitsbericht geeinigt, der Ende des Jahres veröffentlicht werden soll. Dieser Tätigkeitsbericht dokumentiert in einer sehr strukturierten Form, den Arbeitsstand der Enquete-Kommission und ermöglicht eine schnelle und gezielte Wiederaufnahme der Arbeit, die von allen Fraktionen befürwortet wird. So gewährleisten wir, dass die Erkenntnisse erhalten bleiben und als Grundlage für eine zukünftige Enquete-Kommission dienen können.
Günter Nooke, CDU/CSU: Die Gefahr sehe ich nicht, da sich hoffentlich viele Abgeordnete im nächsten Deutschen Bundestag der Bedeutung von Kunst und Kultur bewusst sein werden. Im Übrigen ist es bei fast allen Enquete-Kommissionen bisher so gewesen, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt wurden, sondern - in je unterschiedlichem Maße - erst in den darauf Folgenden. Und bei allem darf nicht vergessen werden: Kultur ist in erster Linie immer noch Sache der Länder. Die politische Handlungsfähigkeit ist also zu keiner Zeit gefährdet.
Ursula Sowa, Grüne: Durch die Neuwahlentscheidung des Bundeskanzlers kann die Arbeit der Enquete-Kommission in der laufenden Legislaturperiode nicht beendet werden. Eine Reihe kontroverser Themenfelder wie beispielsweise die Würdigung kultureller Leistungen von Migranten- und Migrantinnengruppen konnte bisher nicht debattiert werden. Wenn es, wie alle Parteien fordern, zu einer Neuauflage kommt, sehe ich der Auseinandersetzung bei Themen mit deutlichen parteipolitischen Unterschieden gespannt entgegen. Bei einer Neuauflage würde es lediglich zu einer zeitlichen Verzögerung beim Erstellen von politischen Handlungsempfehlungen kommen. Das wäre nicht weiter dramatisch. Was die politischen Konsequenzen aus unseren Empfehlungen betrifft, bin ich sicher, dass alle Bundestagsfraktionen intensiv verfolgen werden, ob die Bundesländer, die in Deutschland über die Kulturhoheit verfügen, die dringend geboten Gesetzgebungsprozesse einleiten. Wesentliche Konsequenzen aus den Empfehlungen müssen aber die Akteure vor Ort ziehen - in den kommunalen Gremien, an den Theatern und Museen, bei den soziokulturellen Zentren oder in der freien Szene.
Hans-Joachim Otto, FDP: Die Arbeit der Enquete-Kommission wurde in einer Phase unterbrochen, als die allermeisten Daten und Informationen bereits auf dem Tisch lagen und wir dabei waren, die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen zu diskutieren und zu formulieren. Ohne einen Abschlussbericht, der alle Handlungsempfehlungen der Kommission auflistet, würden die politischen Konsequenzen wahrscheinlich ausbleiben. Daher kann dieser Gefahr allein durch eine erneute Einsetzung der Enquete-Kommission begegnet werden.
Das Parlament: Ihre Themenpalette war umfangreich. Wo sehen Sie denn den dringlichsten politischen Handlungsbedarf für die Kultur?
Siegmund Ehrmann, SPD: Wir haben bei der Bestandsaufnahme immer wieder festgestellt, dass gerade der Kulturbereich oftmals als Einsparungspotential für knappe Haushaltskassen herhalten muss. Sicherlich ist die finanzielle Entwicklung der öffentlichen Haushalte in den letzten Jahrzehnten, gerade im kommunalen Umfeld, nicht einfach. Umso wichtiger ist es, die vorhanden finanziellen Ressourcen im Kulturbereich optimal zu nutzen. Hier muss im Sinne der Kultur entschieden werden und neue Wege wie die Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren oder die pragmatische Strukturierung der einzelnen Einrichtungen beschritten werden können. In dubio pro cultu! Sollte sich dieser Gedanke nicht durchsetzen, wird die ohnehin schon schwierige Situation für Künstlerinnen und Künstler noch dramatischer. Die wirtschaftliche und soziale Situation hängt direkt mit den Einsparungen bei Kultureinrichtungen zusammen. Künstlerinnen und Künstler leben Durchschnittlich von ca. 11.000 Euro im Jahr, oftmals als Selbständige, ohne eine ausreichende finanzielle Absicherung für das Alter. Kunst lebt von Künstlern, und ich betrachte es als eine der Prioritäten dieser Enquete-Kommission im Künstlerumfeld für ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit einzutreten.
Günter Nooke, CDU/CSU: Gute Kulturpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass man Künstler Kunst machen lässt. Mir ist wichtig, dass Politik Künstler nicht für ideologische Ziele und volkspädagogische Konzepte einsetzt. Es wäre auch falsch, mit Kunst und Kultur die Defizite von Politik an anderer Stelle reparieren zu wollen. Schlechte Erziehung im Elternhaus und in der Schule kann nicht durch kulturelle Bildung beseitigt werden. Das sagt aber gerade nichts aus über die für mich extrem hohe Bedeutung kultureller Bildung vom frühen Kindesalter über die Schulzeit bis ins hohe Alter hinein. Wenn sich Kinder und Jugendliche nicht mehr für das Theater, die Oper, für Konzerte oder Museen interessieren, weil sie nichts darüber wissen, wie soll dann aus ihnen einmal das Publikum werden, welches mit seinem Besuch diese Einrichtungen legitimiert? Denn eines sollte uns allen schon klar sein, ganz ohne Nachfrage wird keiner das in Deutschland einmalige Angebot im Kulturbereich aufrechterhalten können. Womit wir dann doch beim Geld und beim Schutz sowie der Erhaltung kultureller Einrichtungen angelangt sind. Damit das gelingt, muss sich vieles vom Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht, über das Sozial-, Arbeits- und Tarifrecht bis hin zum Steuer- und Stiftungsrecht ändern. Es wäre auch wichtig, Kulturpolitik in der Bundeshauptstadt und mit Hilfe der "Bühne Berlin" als echte Gemeinschaftaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden zu verstehen, um so die Außenwirkung für Deutschland zu erhöhen und besser zu fokussieren. Einen weiteren wichtigen Punkt sehe ich in der Rolle der Medien. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kultur und Kulturnachrichten gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine größere Bedeutung bekommen sollten. Es reicht nicht aus, wenn auf Theater-, History- und andere Spartenkanäle hingewiesen wird. Gleichzeitig spielt das, was sich kommerziell rechnet, nämlich Sport, alles andere an die Wand.
Ursula Sowa, Grüne: Der Kulturstaat Deutschland gibt für Kunst und Kultur im Jahr über acht Milliarden Euro aus. Diese Mittel müssen öffentlich transparent vergeben, effizient eingesetzt und fortlaufend auf Erfolg oder auch Fehleinsatz hin überprüft werden. Davon verspreche ich mir einen Mentalitätswandel hin zu der Einsicht, dass die Kultur in Deutschland in ihrer Vielfalt von hoher Qualität ist und sich die Investitionen für die Gesellschaft lohnen. Sehr wichtig ist mir die Verstärkung der kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche. Die Grünen wollen Künstler und Künstlerinnen in Schulprojekten beschäftigen und damit kindliche Kreativität fördern, die für alle Lern- und Entwicklungsprozesse von Bedeutung ist.
Hans-Joachim Otto, FDP: Zum einen muss der Staat ein verlässlicher Partner für die Kultur sein. Das heißt, dass er den Kulturinstitutionen, für die er Verantwortung trägt, Planungssicherheit gibt und mit ihnen klare Vereinbarungen über die zu erreichenden Ziele schließt. Die Verlässlichkeit des Staates in diesem Bereich ist die Voraussetzung dafür, dass sich Private als Partner für die weitergehende Förderung von Kultur gewinnen lassen. Zum anderen sehe ich Handlungsbedarf in den Bereichen, in denen der Staat für die Schaffung von Rahmenbedingungen verantwortlich ist. In der Enquete-Kommission haben wir uns intensiv mit den rechtlichen Rahmenbedingungen von Theatern und Orchestern, aber auch anderer Kulturinstitutionen beschäftigt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, denn gerade Theater sind in bürokratischen Hemmnissen gefangen, von denen sie dringend befreit werden müssen. Ein Beispiel hierfür ist die Fehlbetragsfinanzierung, die jeglichen Anreiz zunichte machen, zusätzliche Mittel einzuwerben. Hier müssen wir grundsätzlich zu einer Festbetragsfinanzierung übergehen, die das Engagement beim Einwerben von zusätzlichen Mitteln belohnt. Auch im Bereich des Tarifrechts gibt es zahlreiche abwegige Vorschriften, die nicht nur im wörtlichen Sinne aus dem letzten Jahrhundert kommen. Einen konkreten Handlungsbedarf gibt es beispielsweise auch bei der Künstlersozialversicherung, deren Finanzierungsgrundlage in der jüngsten Zeit in eine Schieflage geraten ist. Hier müssen wir zu einem fairen Ausgleich der Interessen von Versicherten und Verwertern kommen.