Die Reformen machen die Künstlersozialversicherung zukunftssicherer
Ende der 70er-Jahre schickte sich die sozialliberale Regierung an, etwas gegen das Dauerproblem der sozialen Not selbständiger Künstler zu tun. Absicherung war damals nur durch private Kranken- und Altersversicherungen möglich, doch die niedrigen Honorare sorgten dafür, dass viele Künstler Sozialfälle wurden - besonders im Alter. Im "Künstlerbericht der Bundesregierung" von 1975 wurde die Diskussion angestoßen, inwieweit die Kreativen selbständige Unternehmer sind und ob die arbeitnehmerähnlichen Merkmale nicht doch überwiegen. Denn für die Vermarktung der Bilder, Texte und Töne sind sie in der Regel von Verwerterfirmen abhängig. Diese Idee ist Grundlage für ein umstrittenes Gesetz, dass 1976 die Regierung Schmidt vorlegte: das Künstlersozialversicherungsgesetz. Selbständige Künstler und Publizisten sollten fortan in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung pflichtversichert werden. Die Beiträge dazu müssen sich Kreative und ihre Vermarkter seitdem teilen.
Doch der Entwurf wird erst nach Jahren heftiger Debatten mehrheitsfähig, als der Bund sich in die Finanzierung einklinkt: Die Hälfte des Beitrags bezahlt der Versicherte, den "Arbeitgeberanteil" teilen sich der Bund und die Verwerter. Der Bundeszuschuss von einem Drittel entlastet die Kulturwirtschaft von den Kosten für den Anteil der Künstler, die sich selber vermarkten. So tritt das Gesetz am 1. Januar 1983 in Kraft. Ein Meilenstein für die soziale Absicherung der freien Künstler.
Die Durchsetzung hat viele Tücken: Die Verwaltung der Künstlersozialkasse (KSK) ist durch die große Versichertenzahl überfordert. Probleme bereitet, dass die Versichertenbeiträge erst im Nachhinein festgelegt werden - und durch die Neuberechnungen, Rückzahlungen und Nachforderungen ein hoher Verwaltungsaufwand entsteht. Außerdem weigern sich die Verwerter hartnäckig zu zahlen. Sie rufen 1987 das Bundesverfassungsgericht an. Doch die Richter halten das Gesetz im Wesentlichen für verfassungskonform. 1988 bekommt es seinen bis heute gültigen Rahmen: Die Künstlersozialkasse, die den Status der Versicherten feststellt und die Beiträge einzieht und weiterleitet, wird an die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen angegliedert. Der monatliche Versicherten-Beitrag wird nach einer Jahresschätzung der Einkommen im Voraus festgelegt, verbindliche jährliche Mindestbeiträge eingeführt. In der Folge sorgen vor allem die Höhe des Bundeszuschusses und der Abgabesatz für die Vermarkter für Streit. 1999 wird der Bundeszuschuss von 25 auf 20 Prozent gesenkt, der Verwerteranteil steigt auf 30 Prozent.
In den vergangenen Jahren wuchs die Sorge, wie lange das in Europa einmalige soziale Netz für die Künstler bestehen bleibt. Die öffentlichen Kassen sind leer und die Kulturwirtschaft steckt in der Krise. Sie klagt über die steigenden Belastungen durch die Künstlersozialabgabe. Wie sehr die Angst unterschwellig brodelt, zeigte sich im November 2004 als eine Bemerkung der Bundestagsabgeordneten Gitta Connemann (CDU) stürmische Reaktionen auslöste. "Soll die KSK erhalten werden, kann sie überhaupt erhalten werden?" hatte die Vorsitzende der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" in einer Pressemeldung vor der Öffentlichen Anhörung zur wirtschaftlichen und sozialen Absicherungen für Künstlerinnen und Künstler geschrieben. Massenhafte energische Proteste der Versicherten und ihrer Interessenverbände prasselten auf die Enquetekommissions-Mitglieder nieder. Das Ende der Künstlersozialversicherung schien besiegelt. Ein Missverständnis: "Es ist nicht unsere Absicht, die Künstlersozialversicherung abzuschaffen", beschwichtigte Connemann. Doch die Bestandsaufnahme in der Anhörung zeigte, dass Reformen in die Wege geleitet werden müssen, um die KSK-Finanzierung zu sichern.
Nur: Woher soll das Geld kommen? Von den Versicherten selber, betonten die Verwerter und die CDU. Der tatsächliche Künstlerstatus der Versicherten und die Angaben über ihr voraussichtliches Einkommen würden zu lasch geprüft. Dem widerspricht der Leiter der KSK, Harro Bruns. Das Prüfungsamt des Bundes habe bestätigt, dass die Prüfungen korrekt verliefen. Die Ablehnungsquote neuer Bewerber für die KSK läge bei 27 Prozent. Auch die Praxis der nachträglich eingereichten Einkommensnachweise hält er wegen des hohen Verwaltungsaufwandes für nicht durchführbar.
Man sollte die "schwarzen Schafe" unter den Verwertern zur Kasse bitten, verlangen die KSK und der Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft. Zu viele würden sich ihrer Abgabepflicht entziehen. Zur Überprüfung brauche die Künstlersozialkasse mehr Personal. Wenn mehr Verwerter die Last gemeinsam trügen, könne der Abgabesatz spürbar gesenkt werden.
Der Bund muss mehr bezahlen, fordert die CDU. Der durch Rot-Grün gesenkte Bundeszuschuss (zurzeit 100 Millionen Euro pro Jahr) solle im Falle eines Wahlsieges der CDU/CSU wieder auf 25 Prozent aufgestockt werden, kündigte der Kulturpolitiker Norbert Lammert (CDU) in der "Berliner Zeitung" an.
Auch nach dem Wirbel um die Anhörung bleibt die KSK auf der politischen Agenda: Im März 2005 forderten die Regierungsfraktionen im Bundestag mit einem Antrag für die "Stärkung der Künstlersozialversicherung" mehr Personal für die KSK und eine bessere Prüfung der Zugehörigkeit der Versicherten zur KSK. Im April konstituierte sich ein Runder Tisch vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung und Deutschem Kulturrat, der die KSK "zukunftssicher" machen soll.
Eine Aufstockung des KSK-Mitarbeiterstabs zeigte schon im Juni Erfolg: 4.257 neue abgabepflichtige Unternehmen wurden entdeckt. Folge: Ab 2006 kann der Abgabesatz für die Kulturwirtschaft von 5,8 auf 5,5 Prozent sinken.
Die Angst, dass die Künstlersozialversicherung fällt und die Zeiten des "Armen Poeten" wiederkehren, ist vom Tisch, die Reformen in vollem Gange. Und doch bleibt alles beim Alten bei der KSK, denn ihr ständiger Wandel ist eben die Regel.
Internet: www.kuenstlersozialkasse.de
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Köln.