Das Scheitern der Kulturhauptstadt-Bewerbung blieb in Bremen nicht ohne Folgen
Rund 60 Millionen Euro wollte der Stadtstaat Bremen verteilt auf zehn Jahre für seine Bewerbung um den Titel Europas Kulturhauptsstadt 2010 aufbringen - dem Haushaltsnotstand zum Trotz. Mit dem Scheitern der Bewerbung aber entbrannte eine neue Diskussion um die alte Frage, inwiefern es sich bei Ausgaben für die Kultur um Subventionen, inwiefern um Investitionen handle. Erst Ende Juli gab Jörg Kastendiek (CDU), Senator für Wirtschaft, Häfen und Kultur, schließlich für ein schlankes Folgekonzept der Kulturhauptstadt-Bewerbung grünes Licht, für die "Stadtwerkstatt". Die Details sollen im Herbst erörtert werden, man kann jedoch schon jetzt davon ausgehen, dass das Investitionsvolumen bei rund sieben Millionen Euro liegen wird.
Nicht Bremen, sondern Essen oder Görlitz wird Kulturhauptstadt Europas 2010 - diese Nachricht traf das Bremer Kulturhauptstadtbüro am 11. März dieses Jahres vollkommen unvermittelt. Schließlich hatte man die Wahrscheinlichkeit, dass die Kultusministerkonferenz allein Bremen als Deutschlands Kandidaten für den Titel Europas Kulturhauptstadt 2010 benennen würde, auf 80 Prozent taxiert - eine Einschätzung, die nicht etwa übersteigertem Selbstwertgefühl entsprang, sondern die sich mit der vorherrschenden Meinung unter Insidern und den Feuilletons deckte. Dass die Hansestadt nun trotzdem sang- und klanglos ausschied, empfanden die Initiatoren der Bremer Bewerbung als Tiefschlag.
Man fühlte sich in der Hansestadt benachteiligt. So sprach Martin Heller, Intendant des Bremer Bewerbungsteams, von einer "politischen Entscheidung" der Jury - sprich: von einer Entscheidung, die weniger mit den kulturellen Profilen Bremens und seiner Konkurrenz zu tun habe, als mit externen Interessen und Konstellationen, wie etwa der Zusammensetzung der Jury oder den späteren Siegeschancen auf internationalem Parkett.
Kaum einer in Bremen widersprach der unterschwelligen Verschwörungstheorie Hellers - und das, obwohl sich der Intendant im Laufe der Jahre nicht nur Freunde geschaffen hatte. Selbst innerhalb der Kulturszene war Heller mit seinen hartnäckigen Plädoyers pro gezielter Projektförderung zulasten institutioneller Zuwendungen keinesfalls unumstritten. Die Versuchung, ihn nun unter dem Eindruck der Niederlage öffentlich als schlechten Verlierer anzuprangern, war also zweifellos gegeben. Dass derlei jedoch ausblieb, lag offensichtlich daran, dass man ihm weithin in seiner verbitterten Analyse beipflichtete: Bremen war wohl tatsächlich aufgrund einer "politischen Entscheidung" durchs Sieb gefallen. "Diese Jury hat einfach die Extreme gewählt (riesig, winzig, West, Ost und so weiter) und hätte dies fast auch ohne Rundfahrt tun können..." kommentierte exemplarisch Christoph Köster (Radio Bremen) in der Fernsehsendung "Buten un Binnen".
Für die Bremer Landesregierung um Senatspräsident Henning Scherf (SPD) und Bürgermeister Peter Gloystein (CDU) konnte es nur einen Rückschluss geben: ein Folgekonzept musste her, ein neues Projekt im Geiste des alten. Widerstand hatte Bremens große Koalition effektiv nicht zu erwarten, da sich doch schon das originale Kulturhauptstadt-Bewerbungskonzept durch eine sehr gut vermittelbare Besonderheit von sämtlichen anderen Bewerbungskonzepten unterschieden hatte: Es handelte sich um ein auf zehn Jahre angelegtes Förderprogramm, das darauf zielte, kulturelle Entwicklungsprozesse einzuleiten und zu unterstützen, statt auf den Punkt (also auf das Jahr 2010) ein paar medienträchtige Events zu finanzieren.
Bremens Bewerbung behandelte die Kultur als Investitionsgut und war somit von vornherein so angelegt, dass die Stadt auch im Falle eines Scheiterns der Bewerbung von den Aufbauarbeiten des Kulturhauptstadtbüros profitieren würden - der Bewerbungsprozess als Bewerbungskonzept. Oder, wie Klaus Sondergeld von der Bremer Marketing Gesellschaft es einst formuliert hatte: Wenn es Bremen schon nicht gelänge, Europas Kulturhauptstadt zu werden, so wolle man doch wenigstens als "Kulturstadt" angesehen werden. Die Akzeptanz dieses Ansatzes in der Bevölkerung war groß.
Der Sinn des Folgekonzepts nach dem Scheitern der Bewerbung konnte daher nur darin liegen, an den Grundideen festzuhalten und "lediglich" das Investitionsvolumen zu verkleinern. Noch am 11. März, also bereits einen Tag nach Bekanntwerden der Bremer Niederlage, beauftragte der Bremer Senat Martin Heller damit, ein entsprechendes neues Konzept zu erarbeiten. Die Euphorie, mit welcher selbst Leute, die mit Kultur an sich nichts am Hut haben, die Kulturhauptstadt-Bewerbung getragen hatten, sollte sich nun allerdings, da kein Titel mehr in Aussicht war, schlagartig verflüchtigen - "Kulturstadt Bremen" hin oder her. Auch leistete sich das Kulturhauptstadtbüro ausgerechnet jetzt einen folgenschweren Fehler, wie der Theaterdramaturg Ulrich Fuchs, Projektleiter in Bremens Bewerbungsteams und rechte Hand Hellers, einräumt: Es wählte für sein neues Konzept (Volumen: 27 Millionen Euro bis einschließlich 2011) den durch die Eventkultur vorbelasteten Begriff "Stadtbiennale".
Alle zwei Jahre, so die Idee, sollte sich die Bremer Kulturszene anhand vorgegebener Themen im Rahmen kleinerer Festivals der eigenen Bevölkerung präsentieren. Der primäre Sinn dieser Festivals sollte darin liegen, der Bevölkerung zu veranschaulichen, wie sich die städtische Kultur entwickelt habe. Doch dieser hintergründige Gedanke konnte sich in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gegen die Plakativität des Begriffs "Stadtbiennale" durchsetzen, so dass dem Projekt von Anfang an viel Misstrauen entgegen schlug.
Trotzdem, sagt zumindest Ulrich Fuchs, sei das Projekt "Stadtbiennale" letztlich aus einem anderen Grund gescheitert: Bremens damaliger Kultursenator Peter Gloystein (CDU), offenbar eingeschüchtert durch das übliche Gezerre der politischen Ressorts um Haushaltsmittel, stoppte die Stadtbiennale, noch ehe das dazugehörige Konzept überhaupt vollständig vorlag: Es lasse sich nicht finanzieren. Einem erfahreneren Politiker, der Routine in Haushaltsdebatten und politischen Muskelspielchen hat, wäre so etwas nie passiert, glaubt Fuchs - und steht mit seiner Meinung nicht allein da. Nicht wenige Bremer Regionalpolitiker aller Parteien schlugen nach Gloysteins "Rückruf" die Hände über dem Kopf zusammen. Und kurz darauf, im Zuge der so genannten "Sekt-Affäre", ließ Bremens CDU um den Vorsitzenden Bernd Neumann Gloystein fallen. Nach nicht einmal einem halben Jahr im Amt musste der gelernte Banker aus Frankfurt wieder gehen. Unterdessen erteilt der Bremer Senat Martin Heller einen neuen Auftrag: Den, ein weiteres, schlankeres Folgeprogramm aus der gescheiterten Kulturhauptstadt-Bewerbung aufzulegen, allerdings begrenzt bis zum Jahr 2007 - dem Ende der Legislaturperiode.
Innerhalb von knapp drei Wochen entsteht die sieben Millionen Euro schwere "Stadtwerkstatt", im Wesentlichen eine Projektion des gescheiterten Bewerbungskonzepts auf eine kleinere Spielwiese: Die Stadtwerkstatt sucht nicht den internationalen Vergleich, sondern versteht sich als regionales Programm. Dass es umgesetzt werden wird, darf inzwischen als sicher gelten, zumal Kultursenator Jörg Kastendiek es bereits ausdrücklich gelobt hat. Gleichwohl soll Martin Heller, der an der Spitze der Stadtwerkstatt stehen wird, das Konzept bis Oktober "konkretisieren". Mit erheblichem politischen Widerstand gegen die Stadtwerkstatt ist indes nicht zu rechnen: Eine durchsichtige Kampagne der Bremer Tageszeitungen AG gegen das Projekt konnte die Stadtwerkstatt nicht nur nicht zu Fall bringen, sondern bescherte dem Verlag darüber hinaus viel Spott und Kritik in der Bremer Öffentlichkeit. Und die Opposition - das sind in Bremen allein die Grünen - hat seit dem Jahr 2000 den gesamten Prozess der Bremer Kulturhauptstadt-Bewerbung überhaupt erst eingeläutet. Die Idee dazu hatte übrigens die heutige grüne Europa-Abgeordnete Helga Trüpel, während der Bremer Ampel-Koalition (bis 1995) Kultursenatorin in der Hansestadt.
Der Autor ist freier Journalist, Bremen.