Neue Zeiten beim Bürgerschaftlichen Engagement
Derzeit ist eine publizistische und politische Wiederentdeckung des Ehrenamtes beziehungsweise des Bürgerschaftlichen Engagements in vielen Bereichen der Gesellschaft zu beobachten. Der Begriff der Wiederentdeckung deutet schon auf die lange Tradition des Ehrenamtes - insbesondere im Kulturbereich - hin. Die vielgestaltige kulturelle Landschaft von heute basiert zu einem nicht unerheblichen Teil auf dem unentgeltlichen, Bürgerschaftlichen Engagement von früher.
Beispielhaft kann diese Entwicklung anhand der Aktivitäten der "Hamburger Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlicher Zwecke" nachgezeichnet werden. Sie wurde 1765 als eine der ersten vom (Bildungs-) Bürgertum getragenen Gesellschaften gegründet. Die Mitglieder verstanden ihre Aufgabe darin, im Erziehungs- und Bildungswesen, im kulturellen Bereich, in der sozialen Fürsorge und Vorsorge, im Gesundheitswesen und in der Wirtschaftsförderung Verbesserungen anzustoßen und aktiv durchzusetzen. Dieser Vereinigung, die noch heute unter dem Namen "Patriotische Gesellschaft von 1765 e.V." existiert, verdankt die Hansestadt die Gründung vieler Einrichtungen, beispielsweise die erste Gewerbeschule, die erste Sparkasse und insbesondere die ersten öffentlichen Bücherhallen. So wie diese wurden viele kulturelle Einrichtungen und kulturell künstlerische Angebote erst später von der öffentlichen Hand unterstützt oder von ihr übernommen.
Auch das 1767 eröffnete "Nationaltheater Hamburg", für das ein Konsortium von zwölf Kaufleuten die finanzielle Trägerschaft übernahm und für die künstlerische Leitung Gotthold Ephraim Lessing gewann, zeigt ein frühes bürgerschaftliches Interesse an der Gestaltung des kulturellen Lebens. Bei der heutigen "Entdeckung" des Bürgerschaftlichen Engagements stellt dieser Rückblick auf die lange Tradition eher eine Ausnahme dar. Es gibt neue Anlässe und Diskurse: die Finanznot der öffentlichen Haushalte, die Krise der Erwerbsarbeit, die Verwaltungsreform, der gesellschaftliche Wertewandel oder die Wohlfahrtsstaatdiskussion.
Je nach Kontext, in dem das Bürgerschaftliche Engagement thematisiert ist, werden ihm verschiedene Bedeutungen beigemessen. Dazu zählen: Das Bürgerschaftliche Engagement wird als Möglichkeit gesehen, Menschen aktiv und verantwortungsvoll am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Es kann für die Menschen, die nicht (beziehungsweise nicht mehr) an der Erwerbsarbeit beteiligt sind, als Bindeglied zur Gesellschaft fungieren und für sie zugleich zu einem sinnstiftenden Moment werden. Bürgerschaftliches Engagement wird auch als Ressource betrachtet, um Aufgaben im Kulturbereich bürgernah, unbürokratisch und kostengünstig zu bearbeiten.
Wie diese Aufgaben beziehungsweise Funktionen in der Praxis miteinander verwoben sind, zeigt sich beispielsweise im "Museum der Arbeit" in Hamburg: Bereits die Entstehung des Museums fußt auf Bürgerschaftlichem Engagement: Ohne den Einsatz des Vereins "Freunde des Museums der Arbeit" wäre die 1998 erfolgte Eröffnung des Museums, das die Entwicklung der Arbeitswelt in der Industriestadt Hamburg und die Veränderung der Lebensbedingungen dokumentiert, nicht denkbar gewesen. Auch heute ist der insgesamt 850 Mitglieder umfassende Freundeskreis Zentrum und Koordinator des Bürgerschaftlichen Engagements in der Einrichtung. Der eingetragene gemeinnützige Verein mit integriertem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb organisiert unter anderem einen Museumsladen, gibt die Zeitschrift "Mitarbeit" heraus, beteiligt sich an der Außenwerbung des Museums und betreibt eine offene Werkstatt im Druckgewerbe. Diese offene Werkstatt wird von Mitgliedern des Freundeskreises - der Branchengruppe des grafischen Gewerbes - geführt. In der Branchengruppe haben sich Menschen zusammengefunden, die bis dahin in diesem Bereich beruflich tätig gewesen sind. Die ehemaligen Schriftgießer, Schriftsetzer oder Buchdrucker führen nun unter anderem Museumsbesucher in die Geheimnisse der "Schwarzen Kunst" ein. Sie bieten Interessierten an, erste Werke im Buchdruck oder Steindruck herzustellen. Inzwischen gibt es eine große Zahl von "Buchkünstlern", die regelmäßig mit den im Museum befindlichen Maschinen und Techniken arbeiten und deren Werke dann im Museumsladen wiederum von ehrenamtlich Tätigen verkauft werden.
Dieses Beispiel deutet bereits an, dass auch bei der Frage nach dem "Warum?" des Bürgerschaftlichen Engagements, also den Motiven der sich Engagierenden eine Vermischung stattgefunden hat. Dabei werden sich scheinbar widersprechende Motivationen in dem Engagement durchaus miteinander verbunden. Es sind sowohl individuelle Interessen wie die nach Selbstverwirklichung, Qualifikation oder Kontakten als auch gemeinwohlorientierte, die wiederum die Spannbreite vom Altruismus bis zur aktiven Gestaltung der Gemeinschaft aufweisen.
Bürgerschaftliches Engagement bietet nicht nur Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten für die sich Engagierenden, sondern auch für die Einrichtungen, in denen Menschen ehrenamtlich tätig sind. Bürgerschaftlich Engagierte können die Identität, die Kultur und das Image der Einrichtung verändern. Sie verknüpfen die Einrichtung mit ihrem näheren und weiteren gesellschaftlichen Umfeld, sie wirken sozusagen als "vital link" (Annette Zimmer). Sie tragen als Grenzgänger zwischen verschiedenen Sphären - Familie, Arbeitsplatz, persönliches Netzwerk - zum Transfer von Ideen und auch materiellen Ressourcen bei. Und sie bringen Talente, Kompetenzen, Berufs- und Lebenserfahrung in die Einrichtung ein.
Auch die Stadtbibliothek in Mönchengladbach nutzt beispielsweise das Bürgerschaftliche Engagement, um in Kontakt mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor Ort zu treten.
Ergebnis einer Bestandsaufnahme in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre war, dass der Medienbestand den Bedürfnissen der Jugendlichen nicht angepasst war und infolgedessen die Jugendlichen mit den Angeboten der Bibliothek nicht erreicht wurden. Als Fazit dieser Entwicklung führt die Bibliothek daher seit 1998 mit dem Projekt "Medien-Corner" verstärkt eine eigenständige Jugendbibliotheksarbeit durch, die auf das Bürgerschaftliche Engagement von Jugendlichen aufbaut. Innerhalb der Einrichtung wurde ein Medienkompetenzzentrum mit Internetarbeitsplätzen, einer Ausleihstation für Neue Medien und einem Kommunikationsraum eingerichtet. Die Jugendlichen waren in die Veränderungsprozesse eingebunden: Sie gestalteten gemeinsam mit einer Grafik-Designerin die Räume, sie konzipierten und realisierten die Graffitti-Kunstwerke eigenverantwortlich. Sie haben die Internet-Präsenz entwickelt, waren auf Sponsorensuche und haben die Werbematerialien entworfen. Sie reden ein Wörtchen mit bei der Auswahl und Anschaffung der Medien. Und sie betreuen als Tutorengruppe gemeinsam mit dem hauptamtlichen Personal die Internetarbeitsplätze und stehen den anderen Nutzern bei Fragen hilfreich zur Seite.
Damit die win-win-Situation in diesem Beispiel für die Engagierten und die Einrichtung entstehen kann, braucht Bürgerschaftliches Engagement erste einmal die Gelegenheit, möglich zu werden, daneben Anerkennung, Qualifizierung, Infrastruktur, Vernetzung, Information und Öffentlichkeit. Dafür bedarf es des Einsatzes nicht nur der Bürgerschaftlich Engagierten und der kulturellen Einrichtungen, sondern vieler gesellschaftlicher Akteure aus Politik, Unternehmen, Verwaltung - und von uns selbst.
Internet: www.kupoge.de/ifk/ehrenamt
Die Autorin ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet beim Institut
für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. in
Bonn.