Nachdenkliches über das Wesen von Kulturevents
Diese Leute waren Risikonehmer, die ihre Waren und gegebenenfalls das eigene Leben einsetzten, um als Gegenwert Land, Geld oder Beute in Besitz zu nehmen. Der epochale Umbruch trat ein, als sie ihr Risiko versicherten. Das Leben ist im modernen Warenverkehr schon lange nicht mehr in Gefahr - seit die Versicherungen Einzug gehalten haben, ist sie auch für den Kapitalfall gebannt. Ein risikoloser Langmut überzieht unsere moderne Gesellschaft, daher ihre Liebe zum Gegenteil, zum Event.
Kein Museum, das auf sich hält, das neben der Dauerausstellung nicht auch Blockbuster vom Schlage einer Edward-Hopper-Schau präsentierte - auch wenn man vor lauter Menschen keine Bilder mehr sieht. Keine Stadt von Bedeutung, die ebendiese nicht mit Festivals mehren wollte; keine aufstrebende Region wie das Ruhrgebiet, die ihren Strukturwandel von der Industrie- zur Kulturlandschaft nicht mit einer teuren Triennale veredeln würde. Die Oper ist längst globalisiert und braucht internationale Spitzenstars, um ihre Attraktivität bewahren zu können: Die Eventkultur erscheint offenbar notwendig, weil die alltägliche Abonnenmentskultur so routiniert ist wie die rundum versicherte Warenwelt.
Kultur hat ihren Preis. Sie kostet, zum Beispiel Eintrittsgeld oder was ein Bild von Baselitz, eine Reproduktion desselben oder eine CD mit Beethoven-Sonaten oder Coldplay-Songs eben so kosten. Aber Kultur zahlt sich auch aus. Gerade im Zusammenhang mit den Bewerbungen der Städte zur Europäischen Kulturhauptstadt wird gern die ökonomische Karte gespielt: Kultur wird zum Event, wie es heißt, sie lockt Touristen an, hebt Ansehen und Erscheinungsbild einer Stadt, sorgt für gefüllte Kneipen nach dem Kino- oder Konzertbesuch. Kultur macht eine gute Figur als Wirtschaftsfaktor.
Das ist gut, wahr und schön so und hilft der Kultur, über das zweckfrei Gute, Wahre und Schöne hinaus etwas bodenständiger zu wirken und sich im kapitalistischen Grund und Boden zu erden. In seinem Buch "The Twilight Of American Culture" warnt der amerikanische Essayist und Historiker Morris Berman indes eindringlich davor, die Welt bis in den letzten Winkel hinein zu ökonomisieren: Unter der Herrschaft des totalen Konsums würde diese Welt zur "McWorld", so wie Berman sie in den USA bereits heraufgezogen sieht, mit simplifizierender Massenkunst, gesunkenen Bildungsstandards und einer generellen Weigerung, neue Herausforderungen anzunehmen. Berman variierend, gäbe es dann auch eine McCulture.
Generell steht die Eventkultur respektive der Kulturevent in Verdacht, zur McCulture die größten Happen beizusteuern. "Event", das Wort wird von seinen Verfechtern ausgesprochen wie ein Synonym des Wörtchens "Geld", die Dollarzeichen leuchten in den Augen. Wenn seine Verächter hingegen das Wort "Event" überhaupt in den Mund nehmen, dann ist ihnen der saure Beigeschmack, den es verursacht, förmlich anzusehen: Eventkultur gilt ihnen als die konsumierbar zurecht servierte Kultur, als das, was eigentlich die Kulturbanausen anlocken soll, die ansonsten nicht bereit sind, einen ganzen Peymann zu durchleiden, die Neue Musik für eine besonders hässliche Abart von Lärm und Woody Allen für eine Comicfigur halten. Diese Leute gehen gern in den Warner-Themenpark bei Oberhausen und stellen sich vor, sie spielten in einem Hollywoodfilm mit.
Man muss und kann ja gar nicht bestreiten, dass der Trash- und Plastikfaktor bei vielen so genannten Events beträchtlich ist. Jeder Blockbuster im Kino wird im Grunde genommen durch Werbung, Verloseaktionen und Starrummel zum Event hochstilisiert, und sei er noch so abgeschmackt. Aber um zu ergründen, was Events auch sein können, sollte man vielleicht einmal auf die Künste blicken, die nicht so sehr im Mittelpunkt stehen und sich eben deshalb manchmal auch zum Ereignis machen möchten - um mehr Interesse zu erregen, als dies im Alltag möglich ist.
Der Westdeutsche Rundfunk in Köln hat in seinem Angebot das Studio Akustische Kunst, das unter der Redaktion des mittlerweile pensionierten Klaus Schöning ein wahres Kleinod im Grenzbereich zwischen Musik und Hörspiel, bruitistischer Kunst und Performance war. Da diese Stücke im laufenden Programmbetrieb oft untergehen und von den Verantwortlichen auch nicht immer geschätzt werden, ging Schöning vor einigen Jahren, als noch niemand von Eventkultur sprach, in die Offensive und organisierte ein Festival mit Akustischer Kunst - mit den Spielorten WDR und Musikhochschule, aber auch mit dem Spielort Domplatte, auf der Bill Fontana die Passanten verblüffte, indem er den bevölkerten Platz mit Geräuschen aus dem Kölner Zoo, dem Affenhaus und Elefantengehege, beschallte. Ein Ereignis, genauso wie die Performance des Komponisten Mauricio Kagel, der in aller Öffentlichkeit sein Stück "Der Tribun" aufführte und nicht wenige Zuhörer in Zweifel stürzte, ob dieser schwadronierende Diktator nun echt, eine Unverschämtheit oder eine großartige Parodie sei. In jedem Fall war die Randkunst Akustische Kunst mit einem Mal mitten im Leben angekommen.
Jenseits aller moralischen Kategorien, in die man Begriffe wie Eventkultur und Kulturevent zwängen möchte, sollte man sich also fragen, wer was zum Ereignis machen will und wem es nützt. Das Schaulaufen der Stars auf der Berlinale nützt vielleicht dem Festivaldirektor, der seinen Sponsoren Einschaltquoten und Pressespiegel präsentieren kann - dem Film interessierten Publikum nützt es absolut nichts: Hat diese Form der McCulture einen Zweck, dann nur den einen, ein Festival auf die Beine zu bringen, das neben Stars und Sternchen eben auch Qualität bietet. Qualität hingegen zum Event zu machen, dagegen kann ernstlich nichts sprechen. "Delectare et prodesse", so hat der alte Horaz die Aufgabe der Literatur definiert.
Sie soll voranbringen - bilden. Aber sie soll eben auch unterhalten und das Interesse des Publikums erregen, denn was nicht wahrgenommen und goutiert wird, trägt auch nicht zur Bildung bei.
In einer Gesellschaft, die in der versicherten Seelenruhe vor sich hin lebt, die Peter Sloterdijk beschreibt, wird man ohne Events nicht auskommen: Es hat keinen Sinn, sich elitär davor zu verschließen. Wird die Kultur indes an die McCulture ausgeliefert, dann kommt einem gewissen Elitarismus durchaus Bedeutung zu - als Erinnerung daran, dass in die Breite nur gehen kann, was auch in der Vertikale Größe beweist. Das ist in der Bildungspolitik nicht anders und gehört zum Wesen der Demokratie. Man könnte also umkehrt sagen, dass eine demokratische Kultur beides benötigt: das Event und die Routine des Abonnements. Und sei es nur, damit das Event darauf hinweist, das auch Abonnements von Zeit zu Zeit durchaus aus der Routine ausbrechen können.
Der Autor ist stellvertretender Ressortleiter Kultur beim
"Kölner Stadtanzeiger".