Künstler, Pädagogen und Schüler erschließen neue Wege
Freudig lernen - angesichts mancher schulischen Realität mutet das an wie ein Bild aus fernen Zeiten. In der Verbundschule der hohenlohischen Gemeinde Schrozberg läuft seit drei Jahren ein Pilotprojekt mit dem Ziel, freudiges Lernen in unseren Tagen Wirklichkeit werden zu lassen. Künstler, Pädagogen und Schüler sind dort der vertrauensbildenden Wirkung auf der Spur, die freies Gestalten auf die Lernatmosphäre und auf jeden Einzelnen ausübt. Das Kultusministerium Baden-Württemberg, die Robert Bosch Stiftung und die gemeinnützige Akademie für Information und Management unterstützen das Projekt. Jetzt soll es auf andere Schulen ausgeweitet und in die Lehrerfortbildung einbezogen werden.
"In den Sommerferien gehe ich zehn Tage lang in die Schule - zu einem Workshop." Vanessa König besucht die neunte Klasse Hauptschule der Verbundschule in Schrozberg. Und wenn sie zehn Tage ihrer Sommerferien in der Schule verbringt, dann ist das für sie alles andere als ein Opfer. Ebenso wenig wie für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, die dabei sind.
Seit drei Jahren ist Vanessas Schule Schauplatz eines viel versprechenden Experiments im Spannungsfeld zwischen Kunst und Bildung. Dessen Ziel, so der Initiator Kurt Bubeck, Musiker, Komponist und früher selbst Musiklehrer: "Es geht darum, Verständnis für den hohen Wert freien Gestaltens zu wecken und dies sozial robust in Schule und Gesellschaft zu verankern. Denn aus freiem Gestalten erwächst freies Denken und Handeln, erwachsen kommunikative Offenheit, soziale Kompetenz und das Gefühl für die Kraft eigener Initiative." Das alles, ist Bubeck überzeugt, sind wesentliche Elemente einer friedlichen, sozialen Gesellschaft, die ihre Probleme kreativ und mit Sinn fürs Gemeinwohl löst.
Rund zwanzig Künstler - vom Musiker und Komponisten über Filmemacher, Maler und Schriftsteller bis hin zum Regisseur und Choreographen - arbeiten in Schrozberg unter dem Titel "the ART of learning" mit Lehrern und Schülern zusammen. Sie bemalen einen bislang ungenutzten Raum, entwickeln gemeinsam Theaterstücke und führen sie auf, komponieren eigene Lieder, trommeln in Percussions-Workshops oder lernen, mit freiem Gesang auf eine Situation zu antworten. Vardan Bubeck, in der Künstlergruppe zuständig für den Bereich Theater: "Kreativität braucht zuerst Freiwilligkeit und ein angstfreies Sich-Einlassen auf die Situation. Wir öffnen Räume, in denen die Jugendlichen spüren und umsetzen können, was sie wirklich wollen. Das macht neugierig und hilft ihnen ihr schöpferisches Potenzial zu erschließen. Die Kinder entdecken plötzlich, wie viel Spaß es macht, kreativ zu sein."
Eine Einschätzung, die Dorothea Conrad, Musiklehrerin in Schrozberg, bestätigt: "Als wir mit unserer Zehnerklasse die Idee hatten, eigene Abschluss-Songs zu komponieren, entwickelte sich daraus ziemlich schnell ein erstaunlich lebendiger kreativer Prozess." Das begann damit, dass die Schüler sich entgegen der ursprünglichen Vorgaben ihrer Lehrerin selbst zu Gruppen zusammenfanden. In diesen Gruppen entstanden fünf sehr unterschiedliche musikalische Lösungen zum gemeinsamen Thema. "Die Schüler erlebten als sehr positiv, dass sie hier einen Freiraum hatten, in dem sie nicht gegängelt wurden. Und sie waren selbst erstaunt, welche Talente in ihnen schlummern."
Dass mit den Aktionen von "the ART of learing" gleich die ganze Schule im positiven Sinne umgekrempelt wird, "ist natürlich nicht der Fall", dämpft Brigitte Löchner, Klassenlehrerin einer dritten Grundschulklasse in Schrozberg, allzu hohe Erwartungen. "Aber die Künstlergruppe setzt offene, kreative Impulse in den vielfach formalistischen und hierarchischen Strukturen des Schulalltags."
Impulse, die nicht sofort "in abprüfbare Ergebnisse münden", aber dennoch für die Entwicklung junger Menschen sinnvoll und wichtig seien. Sie jedenfalls habe beobachtet, dass die Aktionen und Workshops nicht wenige Schüler "sensibilisiert haben für Mitarbeit. Sie fühlen sich verantwortlich und als wichtigen Teil der kreativen Prozesse". Unter anderem sei damit ein guter Nährboden für die Arbeit an einer Schulcharta geschaffen worden, "in der wir gemeinsam ein Fundament für das Selbstverständnis unserer Schule definieren wollen", erklärt Brigitte Löchner. Und sie verweist auf die neuen Bildungspläne, "die erklärtermaßen die Sozialkompetenz der Schüler fördern und sie in Entscheidungsprozesse einbinden wollen. Im Grunde tun wir genau das in diesem Projekt."
Die Robert Bosch Stiftung hat das dreijährige Modell von Schrozberg im Rahmen ihres Programms "Kreation Schule" mit 90.000 Euro gefördert. "Unser Ziel ist, die musische Kompetenz bei Schülern zu stärken", schildert Frank Albers, Projektleiter Kunst und Kultur bei der Robert Bosch Stiftung, das Anliegen der Stiftung. "Hier haben die Akteure mit relativ geringen Mitteln Großartiges bewirkt - übrigens auch was die Profilbildung für die Schule angeht. Wir werden Schrozberg ganz sicher anderen Schulen als Modell präsentieren."
Inzwischen haben die beteiligten Künstler und Pädagogen aus ihren Ideen und Aktionen eine Vielzahl konkreter Unterrichtsprojekte entwickelt. Sie sollen jetzt über Schrozberg und das bisherige Schulmodell hinaus zum Einsatz kommen. Mit im Boot ist dabei die gemeinnützige Akademie für Information und Management Heilbronn-Franken (AIM). Sie will Angebote der Künstlergruppe in ihre Bildungsarbeit für Schüler und Lehrer integrieren. AIM-Geschäftsführer Harald Augenstein: "Wir sehen darin eine Bereicherung unserer Bildungsangebote und eine Hilfe, um Schulen bei ihrer Weiterentwicklung und der Weiterentwicklung ihres Schulklimas zu unterstützen."
Der Autor ist freier Journalist und lebt in Pliezhausen.