Zwölftes Sozialgesetzbuch
Arbeit und Soziales. Gut 16 Jahre nach der deutschen Einheit sollen Sozialhilfeempfänger in Ost und West dieselbe Leistung erhalten. Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Zwölften Sozialgesetzbuches ( 16/2711), der am 28. September in den Bundestag eingebracht wurde, steigt der monatliche Regelsatz zum 1. Januar 2007 in Ostdeutschland von 331 auf 345 Euro. "Wir vollziehen die deutsche Einheit jetzt auch in der Sozialhilfe nach", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundessozialministerium, Franz Thönnes (SPD), in der Debatte. Zum 1. April dieses Jahres war bereits eine analoge Ost-West-Angleichung für das Arbeitslosengeld II umgesetzt worden. Der Satz von 345 Euro geht zurück auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2003. Der FDP-Abgeordnete Jörg Rohde bezeichnete die Angleichung als "Abkopplung von der Realität". Es gebe noch deutliche Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten in Ost und West.
Bereits einen Tag nach der ersten Lesung im Bundestag befasste sich der zuständige Ausschuss für Arbeit und Soziales mit dem Gesetzentwurf sowie mit den ebenfalls an ihn überwiesenen Anträgen der Fraktion Die Linke ( 16/2743) und von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/2750 und 16/2751). Die Abgeordneten vereinbarten für den 6. November eine Expertenanhörung, in der es unter anderem um die vorgesehene Umstellung vom so genannten Brutto- auf Nettoprinzip bei der Sozialhilfe für in Heimen wohnende Behinderte gehen soll. Die Regierung erläuterte in der Sitzung, dass diese Änderung auf Wunsch der Länder aufgenommen worden sei, die sich Einsparungen bei den Verwaltungskosten erhofften. Die Grünen vermuteten indes als zentrales Motiv der Länder, dass weniger Behinderte überhaupt einen Antrag auf entsprechendende Leistungen stellen könnten. Sie forderten, beim bewährten Verfahren zu bleiben.
Bislang gehen die Sozialhilfeträger bei der stationären Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in Vorleistung (Bruttoprinzip), die benötigten Leistungen werden in vollem Umfang finanziert und den Einrichtungen als Vergütung ausgezahlt. Die Kostenbeteiligung der Behinderten wird im Nachhinein ermittelt. Mit der Einführung des Nettoprinzips müssten Behinderte ihren Anteil an den Kosten der Eingliederungshilfe selbst ermitteln und vorfinanzieren, indem sie beispielsweise dem Wohnheim, in dem sie betreut werden, entsprechende Geldbeträge überweisen. Die Bundesregierung und Vertreter der Koalitionsfraktionen wiesen darauf hin, für die Einführung des Nettoprinzips spreche vor allem die steigende Kostentransparenz.
In der Plenardebatte monierte die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katja Kipping, der Sozialhilferegelsatz sei auf der Grundlage alter Daten berechnet worden, während die Ausgaben etwa für Energie und Gesundheit immer weiter steigen. "Damit wird Armut nicht bekämpft, damit wird Armut zementiert", sagte Kipping. Entsprechend verlangt die Fraktion in ihrem Antrag auch, das auf der EVS beruhende System der Bedarfsermittlung zu reformieren. Der Grundbedarf dürfe nicht allein am Verbrauchsverhalten der unteren Einkommensgruppen orientiert werden, sondern müsse die Bedarfsdeckung und die Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe ins Zentrum rücken, heißt es in dem Antrag. Die Abgeordneten machen sich zudem dafür stark, "zeitnah" den Regelsatz für Sozialhilfe sowie für Arbeitslosengeld II auf 420 Euro pro Monat zu erhöhen.
Auch die Grünen verlangen, die Berechnungsgrundlage der Regelsätze grundlegend zu prüfen. Zudem müssten die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 berücksichtigt werden, heißt es in einem ihrer Anträge. Für Kinder und Jugendliche sollen aus Sicht der Bündnisgrünen Sofortmaßnahmen beschlossen werden. So seien etwa Lernmittel im Notfall als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Auch Mahlzeiten im Rahmen der Ganztagsbetreuung in Kindertagesstätten und Schulen soll Empfängern von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II bezahlt werden, so die Grünen.