Barroso: Erwartungen realistisch einschätzen
v.l.:
Bundestagspräsident Lammert, CDU/CSU, José Manuel
Barroso, Vorsitzender Wissmann, CDU/CSU © DBT |
Im Rahmen einer öffentlichen Sondersitzung am Donnerstag, dem 30. November 2006, diskutierte der Präsident der Europäischen Kommission, Dr. José Manuel Durao Barroso, mit den Mitgliedern des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Vier Wochen vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat Barroso die Hoffnung ausgedrückt, dass mit dem deutschen Vorsitz in der EU wichtige Fortschritte erzielt würden. Als Beispiele nannte er den Verfassungsvertrag, ein verstärktes Wachstum im Rahmen der Lissabon-Strategie und Fortschritte beim Klimaschutz. Gleichzeitig kündigte er verstärkte Anstrengungen für eine gemeinsame Energiepolitik und einen entsprechenden Aktionsplan an. Bei seinem ersten Besuch im Europaausschuss des Bundestages zeigt er sich davon überzeugt, dass Deutschland dabei mit "Ambition und Pragmatismus" vorgehen werde. Barroso, der den Abgeordneten die Schwerpunkte der kommenden sechs Monate vorstellte, warnte aber auch vor zu hohen Erwartungen: "Es wäre nicht fair, alles auf die Schultern der deutschen Präsidentschaft zu legen, wir müssen das als Team machen", sagte der Kommissionspräsident.
Barroso warnt vor Extrempositionen bei Türkei-Beitritt
Bezüglich der Fragen nach einem Beitritt der Türkei warnte Barroso vor Extrempositionen. Beide Seiten müssten ihre Verpflichtungen erfüllen. Dabei verteidigte er die gestrige Entscheidung der Kommission, zu empfehlen, einen Teil der Verhandlungen mit der Türkei auszusetzen, weil das Land weiterhin seine Häfen nicht für Schiffe aus Zypern öffnen will. "Es ist vernünftig, rational und so kann man vorwärts gehen bei diesem schwierigen Thema", sagte er. Gleichzeitig machte er aber auch Bedenken der Kommission deutlich: "In den letzten Monaten sind wir gar nicht glücklich mit dem, was wir gesehen haben". Dies gelte nicht nur für die Nichteinhaltung des Ankara-Protokolls, sondern auch für die Verlangsamung bei den Reformanstrengungen.
Bürger sehen EU zunehmend kritischer
Ein Vertreter der CDU/CSU Fraktion erklärte, dass man sich in der Türkeifrage ein klareres Signal wie zum Beispiel die Aussetzung bestimmter Kapitel der Beitrittsverhandlungen gewünscht hätte. "Der Ball liegt im Spielfeld der Türkei." Die SPD hingegen erklärte, sie teile die Position der EU-Kommission. Die Fraktion begrüße das Programm der deutschen Ratspräsidentschaft, forderte aber, dass dabei auf soziale Belange geachtet werden müsse: "Die Bürger sind zunehmend in Sorge, ob die Union die Vorteile bringt, die sie brauchen."
Nationale Parlamente nicht offiziell an "Berliner Erklärung" beteiligt
Die FDP begrüßte ebenfalls die Entscheidung der Kommission bei der Beitrittsfrage. Die Agenda für die kommende Ratspräsidentschaft bezeichnete ihr Vertreter hingegen als "zu unambitioniert". "Wir wünschen uns less-regulation", sagte er. Die Linksfraktion kritisierte in der Aussprache eine einseitige Parteinahme gegen die Türkei. Es könne nur eine Konsensfindung geben, wenn die EU beide Seiten zur Pflicht rufe. Für die anstehende deutsche Ratspräsidentschaft bekräftigte die Linke ihre Position, dass es einen Neustart beim Verfassungsvertrag geben müsse, in den auch die Zivilgesellschaft einbezogen werden müsse. Bündnis 90/Die Grünen dankten Barroso für die klare Entscheidung, die Verhandlungen mit der Türkei fortzusetzen. Gleichzeitig sagten sie der Bundesregierung ihre Unterstützung beim Fortgang des Verfassungsprozesses zu. "Die EU-Verfassung muss so schnell wie möglich verwirklicht werden." Kritisch wurde dabei jedoch angemerkt, dass die nationalen Parlamente an der so genannten Berliner Erklärung, die zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge in der Bundeshauptstadt im März 2007 verabschiedet werden sollte, nicht offiziell beteiligt würden.