Aufgaben und Arbeit
"Das Fachgebiet ist schwierig, das Medieninteresse entsprechend gering. Und doch hat der Europaausschuss des Bundestags Geschichte gemacht - dank eines verbrieften Sonderrechts. Als einziger Parlamentsausschuss darf er Stellungnahmen verabschieden, die für die Bundesregierung genauso verbindlich sind wie die Beschlüsse des Bundestags. Mit diesem Privileg hat der Europaausschuss schon jetzt wesentlich zur Weiterentwicklung der Europäischen Union beigetragen." (Der Spiegel, 9.2.2002)
Der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union, kurz auch EU-Ausschuss genannt, ist der vierte in der Verfassung ausdrücklich genannte Ausschuss. Artikel 45 Grundgesetz schreibt seine Einsetzung für jede Legislaturperiode zwingend vor.
Mit der Einrichtung des mit besonderen Rechten ausgestatteten EU-Ausschusses wurden für das Parlament auch die organisatorischen und parlamentsrechtlichen Folgerungen aus der nach Artikel 23 Grundgesetz verfassungsrechtlich gebotenen gemeinsamen Verantwortlichkeit von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten gezogen.
Im Deutschen Bundestag sind zwar grundsätzlich alle Ausschüsse im Rahmen ihrer jeweiligen sachlichen Zuständigkeit für die Beratung europäischer Angelegenheiten zuständig. Dennoch ist der EU-Ausschuss der zentrale Ort des europapolitischen Entscheidungsprozesses.
In seiner Funktion als Integrationsausschuss ist er zuständig für Grundsatzfragen der europäischen Integration, wie die institutionelle Reform der EU und andere Änderungen der Gemeinschaftsverträge, die Erweiterung der EU sowie die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten der anderen Mitgliedstaaten.
Neben seiner Rolle als Integrationsausschuss ist der Europaausschuss innerhalb des Ausschusssystems des Deutschen Bundestages auch Querschnittsausschuss. Das heißt, er wird insbesondere tätig, wo ein europäisches Vorhaben mehrere ganz unterschiedlich geartete Politikfelder vereint, ohne dass ein sachspezifischer Schwerpunkt der Vorlage identifiziert werden könnte.
In dieser Funktion befasste sich der EU-Ausschuss in der 14. Wahlperiode u.a. federführend mit der parlamentarischen Umsetzung der sog. "Agenda 2000", dem Vertrag von Nizza, den Erweiterungsverhandlungen der EU mit zehn Ländern Mittel- und Osteuropas, Malta und Zypern sowie dem Prozess zur Zukunft der EU und dem auf dem Europäischen Rat Laeken beschlossenen Europäischen Konvent |.
Weitere wichtige Themen der Ausschussarbeit der 14. Legislaturperiode waren und sind:
- Grundrechte-Charta der EU,
- die Balkanpolitik der EU, insbesondere der Stabilitätspakt für Südost-Europa,
- die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU,
- die Handelsbeziehungen der EU, insbesondere zu den USA.
Schließlich wirkt der EU-Ausschuss neben den federführenden zuständigen Fachausschüssen bei der Beratung von Entwürfen von EU-Rechtsakten mit, soweit die Vorlagen besondere integrationspolitische Bedeutung haben.
Um eine breite Beratungsgrundlage zu haben, führt der EU-Ausschuss auch Anhörungen von Experten durch, so z.B. in dieser Legislaturperiode zu Fragen im Zusammenhang mit der Schaffung eines Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) oder zu den Hilfeleistungen internationaler Finanzinstitutionen in Mittel- und Osteuropa.
Kennzeichnend für die Arbeit des EU-Ausschusses ist die ausführliche Unterrichtungspraxis zu allen integrationspolitischen Vorhaben auf deutscher und europäischer Ebene. So berichtet die Bundesregierung vor und nach den Verhandlungen in den Ministerräten in Brüssel dem Ausschuss über den jeweiligen Stand der Beratungen. Der EU-Ausschuss teilt mit, welche Punkte aus Parlamentssicht zwingend bei den kommenden Verhandlungen zu berücksichtigen sind.
Die Bundesregierung hat umfassend und zum frühestmöglichen Termin darüber zu berichten, inwieweit die Stellungnahmen des Bundestages von der Bundesregierung bei den Beratungen der Ministerräte berücksichtigt wurden. Durch diese umfangreichen Berichtspflichten ist der gebührende Einfluss des Bundestages auf die Politik in der Europäischen Union gewährleistet.
Vor den halbjährlich stattfindenden Tagungen des Europäischen Rats steht regelmäßig der Bundeskanzler dem EU-Ausschuss Rede und Antwort über die Agenda des Gipfels sowie über den Stand der Europäischen Integration.
Der EU-Ausschuss befasst sich dagegen nicht mit der Umsetzung von im Ministerrat und Europäischen Parlament bereits verabschiedeten Richtlinien. Diese Aufgabe, bei der es sich aus Sicht der Europapolitik nicht so sehr um Mitgestaltung als vielmehr um Vollziehung europäischer Vorgaben handelt, ist den FachAusschüssen des Bundestages vorbehalten.
Neben den 36 Mitgliedern des Bundestages gehören dem EU-Ausschuss 14 Mitglieder des Europäischen Parlamentes an. Diese werden vom Präsidenten des Bundestages auf Antrag der Fraktionen berufen.
Die Europaabgeordneten sind zwar im Bundestagsausschuss nicht stimmberechtigt. Sie schaffen aber eine notwendige Querverbindung zum Europäischen Parlament und tragen zum direkten Informationsaustausch zwischen den Parlamenten bei.
Der EU-Ausschuss hat - im Gegensatz zu anderen Ausschüssen des Deutschen Bundestages - eine Reihe besonderer Handlungsmöglichkeiten:
So kann er unter bestimmten Voraussetzungen nach Verständigung mit den beteiligten Fachausschüssen unmittelbar, d.h. ohne Aussprache im Plenum, verbindliche Stellungnahmen an die Bundesregierung abgeben. Er kann weiter Änderungsanträge zu Beschlussempfehlungen der federführenden Fachausschüsse in das Plenum des Bundestages einbringen. Schließlich ist er berechtigt, außerhalb der Sitzungswochen Ausschusssitzungen einzuberufen, wenn dazu ein akuter Handlungsbedarf besteht.
Die Zusammenarbeit des EU-Ausschusses mit den anderen ständigen Ausschüssen des Bundestages ist bedingt durch das weite Tätigkeitsfeld des EU-Ausschusses eng.
Breiten Raum in den Aktivitäten des EU-Ausschusses nehmen Unterrichtungen durch die Mitglieder der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments ein.
Der EU-Ausschuss pflegt weiter enge Kontakte zu den mit Europafragen befassten Ausschüssen anderer nationaler Parlamente der Mitgliedstaaten, der Beitrittskandidaten sowie mit dem Institutionellen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Eine gewisse Institutionalisierung findet diese Kooperation in den halbjährlich, im Land der jeweiligen Ratspräsidentschaft stattfindenden Treffen der sog. COSAC, bei der Vertreter der EuropaAusschüsse der nationalen Parlamente und des Institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments zusammenkommen.
Die COSAC | bietet seit ihrer Gründung im November 1989 ein wertvolles Forum für informellen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedern der EuropaAusschüsse der Parlamente. Die Stellungnahmen der COSAC haben, da sie kein repräsentativ zusammengesetztes Gremium ist, jedoch nur informellen, die einzelnen Parlamente nicht bindenden Charakter. Der EU-Ausschuss war im ersten Halbjahr 1999 während der deutschen Ratspräsidentschaft innehat, Gastgeber der XX. COSAC.