Rechtsausschuss
Bilanz der Arbeit des Rechtsausschusses in der 15. Wahlperiode
I. Der Rechtsausschuss behandelt federführend im Wesentlichen Vorlagen zum Verfassungsrecht, Zivilrecht, Strafrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Urheberrecht, zur Gerichtsverfassung und Verfahrensrecht, zum Völkerrecht, zur Rechtshilfe und Auslieferungsrecht sowie zu dem Dienst- bzw. Berufsrecht der Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare.
In der 15. Wahlperiode gehörten dem Rechtsausschuss (6. Ausschuss) 33 ordentliche Mitglieder (Mitgliederliste) an. Vorsitzender war Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU), sein Stellvertreter Hermann Bachmaier (SPD). Es wurde wiederum ein Unterausschuss Europarecht eingesetzt, dessen Vorsitz absprachegemäß in der ersten Hälfte der Wahlperiode Axel Schäfer (Bochum) (SPD) und anschließend Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) innehatte.
In der durch die Auflösung des Deutschen Bundestages verkürzten Wahlperiode trat der Rechtsausschuss zu insgesamt 86 Sitzungen (Tagesordnungen) zusammen. 24 Sitzungen des Rechtsausschusses fanden als öffentliche Anhörungen statt (Anhörungen). Im September 2004 wurde eine auswärtige Sitzung des Ausschusses im Rahmen des 65. Deutschen Juristentages in Bonn durchgeführt. Ferner fanden je eine gemeinsame Sitzung mit Mitgliedern des Rechtsausschusses der französischen Assemblée nationale in Berlin und in Paris statt.
Dem Ausschuss wurden insgesamt 1096 Vorlagen zur Beratung überwiesen. Dabei handelte es sich um 670 Bundestagsdrucksachen (davon 331 Gesetzentwürfe, 272 Anträge und 67 sonstige Vorlagen) und 426 EU-Vorlagen. 269 der 1096 Vorlagen wurden dem Rechtsausschuss zur federführenden Beratung und 827 Vorlagen zur Mitberatung überwiesen. Zu den federführend beratenen Vorlagen hat der Rechtsausschuss dem Plenum 92 Beschlussempfehlungen vorgelegt, von denen 7 EU-Vorlagen betrafen. Die dem Rechtsausschuss zur federführenden oder mitberatenden Behandlung überwiesenen EU-Vorlagen wurden grundsätzlich zunächst durch den Unterausschuss Europarecht beraten. Der Unterausschuss, dem neun Abgeordnete (4:3:1:1) angehörten (Mitglieder UA ER), hat die Entscheidungen des Rechtsausschusses zu EU-Vorlagen in seinen 23 Sitzungen (Tagesordnungen UA ER) ausführlich vorbereitet und diesem jeweils die weitere Vorgehensweise gegenüber dem Plenum des Deutschen Bundestages empfohlen.
Weitere Beschlussempfehlungen des Rechtsausschusses betrafen Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dem Rechtsausschuss obliegt die Vorbereitung der Entscheidung, ob der Deutsche Bundestag als Verfassungsorgan in Verfahren, in denen die Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes zu prüfen ist, eine Stellungnahme abgibt, sowie anschließend die Abstimmung dieser Stellungnahme mit den Fraktionen und dem Prozessbevollmächtigten. Das BVerfG hat dem Deutschen Bundestag in der 15. Wahlperiode zu 122 Verfassungsstreitsachen die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. In sechs Verfahren hat der Deutsche Bundestag auf eine Empfehlung des Rechtsausschusses beschlossen, eine Stellungnahme abzugeben und hierfür einen Prozessvertreter zu bestellen. Dies betraf folgende Verfahren: Besetzung der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses (Beschluss-empfehlung auf Drs. 15/69), Finanzierung kleiner Parteien (Beschluss-empfehlung auf Drs. 15/479), Entschädigung der Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Landtages (Beschlussempfehlung auf Drs. 15/2348), Einschränkung von Steuererleichterungen auf der Grundlage eines Vorschlages des Vermittlungsausschusses, der nicht zuvor Teil des Gesetzgebungsverfahrens war (Beschlussempfehlung auf Drs. 15/3341 und 15/4944) sowie das Luftsicherheitsaufgabengesetz (Beschlussempfehlung auf Drs. 15/5113). In den Fällen, in denen der Rechtsausschuss keine Stellungnahme des Bundestages empfahl, hat der Ausschuss diese zusammengefasst in 11 Übersichten beraten und mit einer entsprechenden Empfehlung an das Plenum überwiesen.(Streitsachen mit Stellungnahmen)
Mit dem Bundesverfassungsgericht befasst sich auch der Wahlausschuss gem. § 6 Abs. 2 BVerfGG, der dem Sekretariat des Rechtsausschusses organisatorisch zugeordnet ist. Er wählt die vom Deutschen Bundestag neu zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts. Unter dem Vorsitz von Erika Simm (SPD) tagte er in der 15. Wahlperiode einmal und wählte Dr. Michael Gerhardt als Nachfolger von Bertold Sommer zum Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Mit der Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung und der entsprechenden Neufassung des Art. 13 GG vom 26. März 1998 wurde in dessen Absatz 6 eine regelmäßige Unterrichtungspflicht des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung über den Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung festgeschrieben. Der Bundestag hat hierfür ein Gremium (ebenfalls organisatorisch dem Sekretariat des Rechtsausschusses angegliedert) eingerichtet, das unter dem Vorsitz des Abgeordneten Norbert Geis (CDU/CSU) in der 15. Wahlperiode insgesamt sechsmal tagte. Dem Gremium gehörten weitere acht ordentliche Mitglieder (Gremium) an.
II. Hinsichtlich der gesetzgeberischen Tätigkeit des Rechtsausschusses in der 15. Wahlperiode lassen sich drei Schwerpunkte ausmachen: Modernisierung des Rechtsstaats, Stärkung der Verbraucherrechte und des Wirtschaftsstandorts Deutschland sowie Verbrechensbekämpfung, -vorbeu-gung und Ausbau des Opferschutzes.
Im Folgenden werden einige Gesetze aus diesen Bereichen von grundlegender rechtspolitischer Bedeutung genannt.
1. Modernisierung der Justiz
Aus diesem Bereich sind insbesondere folgende, federführend im Rechtsausschuss beratene Gesetze hervorzuheben, die einstimmig beschlossen wurden:
Der Rechtsausschuss hat auf Basis von zwei Gesetzentwürfen der Bundesregierung und der Fraktion der CDU/CSU einstimmig beschlossen, dem Plenum die Annahme des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (Erstes Justizmodernisierungsgesetz) zu empfehlen. Die Ergebnisse einer vorangegangenen öffentlichen Anhörung des Ausschusses flossen in die Beratung ein (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/3482).
Durch dieses am 1. September 2004 in Kraft getretene Gesetz (BGBl. I 2004 S. 2198) wurden die Normen im Strafverfahren überschaubarer und lesbarer sowie die Abläufe einfacher und effizienter. Das neue Recht trägt einem wichtigen Anliegen der Praxis Rechnung, indem es u. a. die Unterbrechungsregelungen für die Hauptverhandlung umgestaltete und neue Fristenregelungen einführte. Verständlicher und weiter gefasst wurden auch die Vorschriften über die Verlesung von Schriftstücken. Die Vereidigungsregelungen wurden inhaltlich der praktizierten Realität in den Gerichten angepasst und insgesamt neu und übersichtlicher gestaltet. Im beschleunigten Verfahren nach § 417 StPO gibt es nunmehr einen Übergang ins Strafbefehlsverfahren. Im Zivilverfahren wurden u. a. folgende Neuregelungen eingeführt: Fakultative Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Protokollaufnahme, Verlängerung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag und für die Nachholung der versäumten Prozesshandlung von zwei auf vier Wochen, Möglichkeit der Verwertung von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten aus anderen Prozessen (z. B. Strafprozessen) Ferner erfolgten durch das Justizmodernisierungs-gesetz Änderungen im Rechtspflegergesetz. Die Aufgabenverteilung zwischen Richtern und Staatsanwälten auf der einen und Rechtspflegern auf der anderen Seite wurde in einigen Bereichen neu geordnet wurde. Die Länder haben nun die Möglichkeit, weitere bisher den Richtern vorbehaltene Aufgaben auf die Rechtspfleger zu übertragen. Dies betrifft insbesondere die Führung des Handelsregisters und Aufgaben der Nachlassgerichte.
Mit dem Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz - JKomG) vom 22. März 2005, BGBl. I 2005 S. 837, in Kraft seit 1. April 2005, wurden ergänzend zu den schon vorhandenen rechtlichen Grundlagen für die elektronische Kommunikation zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten die rechtlichen Voraussetzungen für die elektronische Aktenbearbeitung bei Gericht geschaffen. Der Zivilprozess, der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozess und das Ordnungswidrigkeiten-verfahren wurden umfassend für den elektronischen Rechtsverkehr geöffnet. Die Verfahrensbeteiligten haben dadurch in diesen Bereichen die Möglichkeit, elektronische Kommunikationsformen gleichberechtigt neben der papiergebundenen Schriftform oder der mündlichen Form rechtswirksam verwenden zu können. Hierdurch können Abläufe vereinfacht und beschleunigt werden. Das von der Papierform ausgehende Prozessrecht wurde deshalb so umgestaltet, dass es für die neuen Techniken offen ist. Der Gesetzentwurf enthält daher Regelungen, die konkrete Anforderungen an elektronische Dokumente festschreiben (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/4952).
Das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz), in Kraft getreten am 1. Januar 2005 (BGBl. I 2004 S. 3220), vervollständigt die Möglichkeiten, richterliche Verstöße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör - unterhalb des Verfassungsbeschwerdeverfahrens - im fachgerichtlichen Verfahren zu rügen. Dafür wurden die Vorschriften über vorhandene Rechtsbehelfe, soweit erforderlich, ergänzt; für die Fälle, in denen Rechtsmittel nicht (mehr) zur Verfügung stehen, wird die Anhörungsrüge als eigenständiger Rechtsbehelf ausdrücklich im Gesetz verankert (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/4061).
Ferner sind im Bereich Modernisierung der Justiz u.a. folgende Gesetze im Rechtsausschuss beraten und - allerdings nicht einstimmig - angenommen worden: Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), in Kraft getreten am 8. Juli 2004 (BGBl. I 2004 S. 1414), liberalisierte das bisherige Wettbewerbs-recht und setzte die mit der Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung begonnene Modernisierung der wirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen fort. Kernbereich der Liberalisierung ist die Aufhebung des Sonderveranstaltungsverbots. Die bisherigen Vorschriften über Schluss- und Jubiläumsverkäufe sind weggefallen, Rabattaktionen sind in einem weiteren Umfang als früher erlaubt. Ferner ist eine Telefonwerbung im privaten Bereich nur noch dann zulässig, wenn der Adressat zuvor eingewilligt hat (Bericht und Beschlussempfehlung auf BT-Drs. 15/2795).
Das bisher geltende Gesetz betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen (Geschmacksmustergesetz) stammte aus dem Jahr 1876. Mit der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 98/71/EG in das nationale Recht wurde dieses Gesetz durch das Gesetz zur Reform des Geschmacksmusterrechts (Geschmacksmusterreformgesetz) abgelöst. Dieses Gesetz ist seit dem 1. Juni 2004 in Kraft (BGBl. I 2004, S. 390; Bericht und Beschlussempfehlung auf BT-Drs. 15/2191).
2. Wirtschaftsstandort Deutschland und Verbraucherrechte
Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt des Rechtsausschusses war die Anpassung des Wirtschaftsrechts an die Herausforderungen der Internationalisierung des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs. In diesem Bereich ist zunächst auf die in den letzten Sitzungswochen der 15. Wahlperiode verabschiedeten Gesetze über die Offenlegung der Vorstands-vergütungen (VorstOG), über Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) sowie zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungs-rechts (UMAG) hinzuweisen. Das VorstOG (Bericht und Beschluss-empfehlung des Ausschusses auf Drs. 15/5860, BGBl. I S. 2267) soll die Rechte der Anleger stärken, indem die individuellen Vorstandsbezüge im Anhang zum Jahres- bzw. Konzernabschluss oder alternativ in einem besonderen Vergütungsbericht als Teil des Lageberichts veröffentlicht werden und so deren Angemessenheit zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens überprüft werden kann. Von dieser gesetzlichen Pflicht kann die Hauptversammlung der börsennotierten Aktiengesellschaft mit einer qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals für jeweils höchstens fünf Jahre absehen. Das VorstOG ist am 11. August 2005 in Kraft getreten und erstmals anwendbar auf Jahres- und Konzernabschlüsse für Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2006. Das nach einigen Änderungen im Ausschuss einstimmig angenommene KapMuG (BGBl. I 2005 S. 2437, in Kraft seit dem 1. November 2005) sieht für die Bündelung gleichgerichteter Ansprüche geschädigter Kapitalanleger die Einführung eines Kapitalanleger-Musterverfahrens mit einem Musterentscheid vor dem Oberlandesgericht vor. Voraussetzung hierfür sind zehn gleichgerichtete Klagen vor dem Ausgangsgericht, das über die Zulässigkeit dieses Verfahrens entscheidet (Bericht des Ausschusses auf Drs. 15/5695). Erster Anwendungsfall wird voraussichtlich die Fortführung des Schadensersatzprozesses gegen die Telekom im November 2005 sein. Ebenfalls im Juni hat der Ausschuss nach einigen Änderungen das UMAG (BGBl. I 2005 S. 2802, in Kraft seit dem 1. November 2005) einstimmig angenommen, das die Klage einer Minderheit der Hauptversammlung gegen Vorstände und Aufsichtsräte wegen schwerer Sorgfaltspflichtverletzungen gegenüber der Gesellschaft erleichtern soll. Auch das Anfechtungsrecht gegen Hauptversammlungsbeschlüsse wurde neu geregelt und das Fragerecht in den Versammlungen ausgeweitet. Die Präsenz der Aktionäre in den Hauptversammlungen sowie die Attraktivität deutscher Aktien auch für ausländische Investoren sollen durch ein neues Verfahren zur Anmeldung und Legitimation zur Hauptversammlung unter Berücksichtigung moderner elektronischer Verfahren erhöht werden (Bericht des Ausschusses auf Drs. 15/5693).
Bereits im Oktober 2004 befasste sich der Ausschuss mit dem Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz - BilKoG) sowie mit dem Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz - BilReG), die ebenfalls nach Änderungen einstimmig angenommen wurden. Nach dem BilKoG (BGBl. I 2004 S. 3408) wird ein von staatlicher Seite beauftragtes privatrechtliches Gremium - neben Abschlussprüfer und Aufsichtsrat - mit der stichprobenartigen Prüfung der Rechnungslegung kapitalmarktorientierter Unternehmen betraut. Bei Konflikten wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) eingeschaltet. Sie erhält die Befugnis, die Prüfung gegebenenfalls mit hoheitlichen Mitteln durchzusetzen und das Unternehmen zur Veröffentlichung festgestellter Rechnungslegungsfehler zu verpflichten (Bericht des Ausschusses auf Drs. 15/4055). Ebenfalls zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes wurden durch das BilReG (BGBl. I 2004 S. 3166) Änderungen im HGB eingeführt, die das deutsche Recht an europäische Vorgaben und internationale Standards angleicht. Das Vertrauen in die Aussagekraft von Unternehmensabschlüssen und in das Testat des Abschlussprüfers soll u. a. durch den Ausbau seiner Unabhängigkeit und Objektivität gestärkt werden. So werden Bilanzprüfer von der Abschlussprüfung ausgeschlossen, wenn die Besorgnis der Befangenheit bspw. aus einer Vorbefassung oder aus einer langfristigen Verbundenheit mit dem zu prüfenden Unternehmen gegeben ist (Bericht des Ausschusses auf Drs. 15/4054). In der gleichen Sitzung empfahl der Ausschuss nach einer Anhörung mehrheitlich den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) dem Plenum zur Annahme, das auf Rechtsakte der Europäischen Union von 2001 zurückgeht. Es schafft die Voraussetzungen für die Gründung von Europäischen Gesellschaften (SE) mit einem Mindeststammkapital von 120.000 Euro, die durch Umwandlung, Verschmelzung oder durch Gründung einer Holding- oder Tochtergesellschaft entstehen können. Das Gesetz ist auf Gründungsgesellschaften anwendbar, die ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben oder über eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat verfügen. Hierbei können europaweit tätige Unternehmen grenzüberschreitend zur Form der SE verschmelzen (Bericht des Ausschusses auf Drs 15/4053). Das Gesetz (BGBl. I 2004 S. 3675, in Kraft seit dem 29. Dezember 2004) erleichtert die Sitzverlegung und macht Vorgaben für betriebliche Mitbestimmung in grenzüberschreitenden Unternehmen.
Neben den bereits erwähnten Änderungen im UWG wurden einstimmig die Verbraucherrechte bei Finanzdienstleistungen (z. B. Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung, Geldanlage), die insbesondere per Telefon, Fax oder Internet vermittelt wurden, durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen gestärkt (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/3483). So steht den Verbrauchern in Umsetzung einer EU-Richtlinie EU-weit ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu; die Informationspflichten des Anbieters wurden ausgebaut. Ferner kann bei Streitigkeiten eine Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank angerufen werden. Allerdings können den Verbrauchern im Falle des Widerrufs des Geschäftes bis zu einem Warenwert von 40 ¤ die Kosten für die Rücksendung der Ware vertraglich auferlegt werden (BGBl. I 2004 S. 3102, in Kraft seit dem 8. Dezember 2004).
3. Verbrechensbekämpfung, -vorbeugung und Opferschutz
Auch in der 15. Wahlperiode befasste sich der Rechtsausschuss mit Änderungen im Straf- und Strafprozessrecht, die der wirkungsvolleren Bekämpfung des Terrorismus im weitesten Sinne dienen. So passte der Rechtsausschuss nach einer Anhörung u. a. den Anwendungsbereich und die Strafdrohung des § 129 a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) einem Rahmenbeschluss der Europäischen Union zur Terrorismus-bekämpfung an (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/1730; BGBl. I 2003 S. 2836; seit 28. Dezember 2003 in Kraft). Mit der Zustimmung zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/1863) unterstützte der Bundestag die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus und insb. seiner Finanzierung (BGBl. II 2003 S. 1923; seit 25. Dezember 2003 in Kraft).
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 musste sich der Rechtsausschuss erneut mit der akustischen Wohnraumüberwachung befassen. Der nach einer Anhörung angenommene Gesetzentwurf berücksichtigt die Forderungen nach dem Schutz des absolut geschützten Kernbereichs der privaten Lebenssphäre, schränkt den Katalog der Anlasstaten ein, weitet den Richtervorbehalt sowie nachträgliche Unterrichtungspflichten aus und hebt die besondere Bedeutung dieses schwerwiegenden Grundrechtseingriffs durch eigenständige Rechtsvor-schriften in der StPO hervor (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/5486). Ferner wurden die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaft gegenüber ihren Länderregierungen erhöht und damit letztlich die Kontrollrechte des Deutschen Bundestages ausgeweitet. Das Gesetz vom 24. Juni trat am 1. Juli 2005 in Kraft (BGBl. I 2005 S. 1841).
Auf Beschlüsse der Europäischen Union gingen sowohl das Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz - EJG, Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/2484; BGBl. I 2004 S. 902; seit 18. Mai 2004 in Kraft), einer Einrichtung der EU zur optimalen Koordinierung der Ermittlungsverfahren und Strafverfolgungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten, als auch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlgesetz - EuHbG, Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/2677; BGBl. I 2004 S. 1748; seit 23. August 2004 in Kraft) zurück. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz in seinem vielbeachteten Urteil vom 18. Juli 2005 wegen eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Auslieferungsfreiheit sowie wegen Verstoßes gegen die Rechtsweggarantie für nichtig erklärt. Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses unter Berücksichtigung der Vorgaben dieses Urteils wird eine Aufgabe für die kommende Legislaturperiode sein.
Die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen zur Straftatenverhütung im Außenwirtschaftsverkehr wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt (NTPG) neu ausgestaltet und damit den vom Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss dargelegten Anforderungen Rechnung getragen. Gleichzeitig wurden die Regelungen vom Außenwirtschaftsgesetz in das die besonderen Befugnisse des Zollkriminalamts enthaltende Zollfahndungsdienst-gesetz verlagert. Dieses Gesetz trat in seinen überwiegenden Teilen am 28. Dezember 2004 in Kraft (BGBl. I 2004 S. 3603; Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/4416).
Ein weiterer Schwerpunkt der Gesetzgebungsarbeit des Rechtsausschusses, der auf breites öffentliches Interesse stieß, war der bessere Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern. So reagierte der Bundestag mit einer Verschärfung der Strafvorschriften gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und widerstandsunfähigen Personen (§§ 176, 176a, 179 und 182 StGB) sowie gegen die Verbreitung von Kinder-pornographie (§ 184 StGB) (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/1311) auf einige spektakuläre Fälle dieser Art im In- und Ausland. Das letztlich angenommene Gesetz (zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003, BGBl. I 2003 S. 3007, seit 1. April 2004 in Kraft) erhöht den Strafrahmen für entsprechende Sexualstraftaten, dehnt die Strafbarkeit auch auf den sexuellen Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt aus und belegt auch Taten im Bereich der Kinderpornographie mit höheren Strafen. Ferner wurde durch eine Änderung der Strafprozessordnung der Anwendungsbereich der DNA-Analyse auf Fälle ausgedehnt, in denen die Anlassstraftat zwar nur von geringer Bedeutung ist, die negative Prognose des Täters aber von einer Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung in der Zukunft ausgeht. Das Verfahren der DNA-Analyse und insbesondere sog. DNA-Reihentests hat der Rechtsausschuss im Juni 2005 erneut beraten und sich auf eine Vereinfachung geeinigt (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/5857). Das Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse vom 12. August 2005 (BGBl. I 2005 S. 2360) beseitigte bspw. den Richtervorbehalt bei anonymen Spuren sowie bei Einwilligung des Betroffenen.
Einstimmig vom Rechtsausschuss angenommen wurde ferner eine Erweiterung der Strafbarkeit des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft (§§ 180b, 181 StGB) und eine Erhöhung des Strafrahmens für die besonders schweren Fälle, deren Opfer Kinder sind oder deren Opfer besonders schwer misshandelt wurden (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/4048). In das Gesetz vom 1. September 2005 (BGBl. I 2005 S. 239; seit 19. Februar 2005 in Kraft) flossen auch die Ergebnisse einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses ein.
Insbesondere im Zusammenhang mit dem Schutz vor Sexualstraftätern und anderen schweren Gewaltverbrechen wurde die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung diskutiert, mit der sich der Rechtsausschuss im Juni 2004 zunächst im Rahmen einer Anhörung befasst hat (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/3346). Während die vorbehaltliche Sicherungsverwahrung bereits im Jahre 2002 eingeführt worden war, war die Möglichkeit der richterlichen Anordnung von Sicherheitsverwahrung erst nach der Verurteilung oder während der Haftzeit aufgrund der dann festgestellten besonderen Gefährlichkeit des Täters lediglich auf landesgesetzlicher Ebene geregelt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht zwei dieser Landesgesetze wegen Verstoßes gegen die Kompetenzordnung für verfassungswidrig erklärt hatte, jedoch Einigkeit über die Notwendigkeit der Regelung in schweren Ausnahmefällen bestand, ermöglicht das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 2004 S. 1838; seit 29. Juli 2004 in Kraft) jetzt die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung gegen Täter, die bereits wegen einer besonders gefährlichen Straftat zu einer erheblichen Freiheitsstrafe verurteilt worden waren. Auch Heranwachsende können nunmehr nachträglich zur Sicherungsverwahrung verurteilt werden.
Die Rechte der Opfer im Strafverfahren wurden durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren vom 24. Juni 2004 (BGBl. 2004 I S. 1354) gestärkt, zu dessen Vorbereitung der Rechtsausschuss ebenfalls eine Anhörung durchgeführt hat (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/2609). Es gewährt den Opfern mehr Mitwirkungsrechte im Strafverfahren und soll sie zugleich vor einer unnötigen Belastung durch Mehrfachvernehmungen u. ä. schützen.
In den Bereich des allgemeinen Strafrechts mit erheblicher Öffentlichkeitswirksamkeit fällt die Änderung der Strafvorschriften gegen Sachbeschädigung durch "Graffiti" (Beschlussempfehlung und Bericht auf Drs. 15/5702). Nachdem eine Änderung in der vergangenen Wahlperiode gescheitert war, einigte sich der Rechtsausschuss ebenfalls nach einer Anhörung mehrheitlich auf die Ergänzung der Vorschriften der §§ 303 und 304 StGB jeweils um eine weitere Tathandlung, die auf die "unbefugte nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung des Erscheinungsbildes einer Sache" abstellt. Hierdurch sollen bei Strafprozessen teure Sachverständigengutachten vermieden werden (BGBl. I 2005 S. 2674).
Während ein Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der Privatsphäre gegen unbefugte Bildaufnahmen (§ 201 a) nach einer Anhörung bereits im April 2004 einstimmig angenommen wurde (Bericht des Rechtsausschusses auf Drs. 15/2995, BGBl. 2004 I S. 2012), gelang es dem Rechtsausschuss aufgrund der verkürzten Wahlperiode nicht mehr, sich abschließend mit dem Problem der Nachstellung (sog. Stalking, Gesetzentwurf auf Drs. 15/5410) zu befassen. Dies wird eine weitere Aufgabe für die kommende Wahlperiode sein.
4. Sonstige Schwerpunkte
Ein weiteres wichtiges Gesetz, dem zwei öffentliche Anhörungen vorangingen, ist das am 1. Juli 2005 in Kraft getretene Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz, dessen Annahme im Ausschuss einstimmig beschlossen wurde. (BGBl. I 2005 S. 1073; Bericht und Beschlussempfehlung auf Drs. 15/4874).
Das Gesetz berücksichtigt die Forderungen der Länder, durch eine Pauschalierung der Vergütung und des Auslagenersatzes für Berufsbetreuer den enormen Anstieg der Betreuungskosten seit 1992 in den Griff zu bekommen. Vormundschaftsgerichte und Berufsbetreuerinnen und -betreuer müssen sich nicht mehr wie bisher mit der Erfassung und Kontrolle der vergütungsfähigen Minuten oder der einzelnen gefahrenen Kilometer aufhalten. Stattdessen sorgen künftig Inklusivstundensätze, die Vergütung, Auslagenersatz und Umsatzsteuer enthalten, für Entbürokratisierung und Verfahrensbeschleunigung. Die Anzahl der zu vergütenden Stunden wird pauschaliert und hängt davon ab, ob die Betreuten zuhause oder im Heim leben.
Die Länder erhalten zudem die Möglichkeit, die Auswahl der Person der Betreuerin oder des Betreuers den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern zu übertragen.
Schließlich stärkt das neue Recht die Vorsorgevollmacht, indem die Beratungskompetenz der Betreuungsvereine und Betreuungsbehörden erweitert wird und Betreuungsbehörden künftig Vorsorgevollmachten beglaubigen können. Mit einer Vorsorgevollmacht können Bürgerinnen und Bürger eine andere Person bevollmächtigen, ihre Angelegenheiten zu besorgen, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt dazu selbst nicht mehr in der Lage sein sollten.
Das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts, in Kraft getreten am 1. Januar 2005, (BGBl. I 2004 S. 3396) hat weitgehende Angleichungen des Rechts der Lebenspartnerschaft an das Recht der Ehe vorgenommen. Es wurden u. a. die Vorschriften des Unterhaltsrechts, des ehelichen Güterrechts, des Versorgungsausgleichs und die Einbeziehung der Lebenspartner in die Hinterbliebenenversorgung angeglichen. Ferner wurde die Zulassung der Stiefkindadoption durch Lebenspartner geregelt. (Bericht des Ausschusses auf Drs. 15/4052). Zu diesen, im Ausschuss kontrovers diskutierten Neuregelungen fand ebenfalls eine öffentliche Anhörung statt.