BERLINER ABGEORDNETE
In der Hauptstadt zu Hause
Der CDU-Abgeordnete Günter Nooke hat im neuen
Verwaltungsgebäude des Bundestages Unter den Linden nur ein
kleines Büro. Und doch ist er wohl einer der zufriedensten
Parlamentarier in Berlin. "Ich bin schon ein bisschen
privilegiert", meint er lachend. "Ich kann zu Fuß von meiner
Wohnung in mein Büro gehen." Keiner seiner 669 Kollegen hat
einen so kurzen Weg zu seinem Arbeitsplatz. Der Wahlkreis, in dem
Nooke kandidiert hat, umfasst die Berliner Bezirke Mitte und
Prenzlauer Berg. Der 40-jährige Politiker, der aus der
Bürgerrechtsbewegung der DDR kommt, wohnt in der
Friedrichstraße – nur wenige hundert Meter von seinem
Büro entfernt. Kein Wunder, dass Nooke zu denen gehört,
die sich über den Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin am
meisten freuen.
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Berliner Szene: Die Oranienburger Straße im Bezirk
Mitte |
Insgesamt 25 Abgeordnete des Bundestages sind im Herbst 1998 in
Berlin gewählt worden. Haben sie jetzt mehr Einfluss als
früher in Bonn? Nein, meint der frühere
Wirtschaftsminister Günter Rexrodt. "Mein Landesverband ist in
Berlin genauso groß wie in Bonn", sagt der Freidemokrat und
lächelt. "Mein Stellenwert ist nicht gesunken oder gestiegen,
nur weil das Parlament jetzt in Berlin tagt", sagt er. Der Einfluss
eines Abgeordneten hänge nicht unbedingt davon ab, wo er
seinen Hauptwohnsitz hat. Wichtiger sei immer noch, ob ein
Parlamentarier eine Führungsaufgabe in seiner Fraktion hat
oder ob er in einem wichtigen Parlamentsausschuss mitarbeitet.
Das sieht auch Jörg-Otto Spiller so. Wichtiger, nur weil er
seinen Wahlkreis in Berlin hat? Nein, Spillers Einfluss ist
gestiegen, weil er seit Mai finanzpolitischer Sprecher seiner
Fraktion ist. "Dadurch hat sich mein Alltag mehr verändert als
durch den Umzug nach Berlin", berichtet Spiller. Aber der Wechsel
an die Spree macht dem Sozialdemokraten seine Arbeit auch leichter.
Als finanzpolitischer Sprecher muss Spiller öfter auch in der
sitzungsfreien Zeit präsent sein. "Da ist es schon schön,
dass man nicht extra nach Bonn fliegen muss", sagt er. "Ich habe
einfach mehr Zeit gewonnen." Es ist eben schön, wenn man in
den eigenen vier Wänden morgens noch mit der Familie
frühstücken und sich dann mit der S-Bahn auf den Weg zum
Bundestag machen kann.
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Günter Nooke |
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Jörg-Otto Spiller |
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F. Eichstädt-Bohlig |
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Günter Rexrodt |
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Petra Pau |
Spiller hat bei der Bundestagswahl den Berliner Wahlkreis
Tiergarten gewonnen. In ihm liegt auch das Reichstagsgebäude.
Der Zufall wollte es, dass er nach dem Umzug die erste
"Arbeitsrede" im Plenum hielt. "Kein Wunder, der hat ja hier
Hausrecht", spöttelte ein Kollege. "Reiner Zufall", sagt
Spiller, aber er freut sich doch, erster Redner gewesen zu
sein.
Eine Berliner Abgeordnete, die sich in den vergangenen Jahren
besonders engagiert für den Umzug des Parlaments eingesetzt
hat, ist Franziska Eichstädt-Bohlig von der Fraktion
Bündnis90/Die Grünen. In ihrem geräumigen
Altbaubüro im Gebäude der ehemaligen
DDR-Generalstaatsanwaltschaft in der Louisenstraße erinnern
die Ordner in den Regalen noch an diese Zeit. "Umzug Berlin",
"Berlin allgemein", "Berlin Wohnungspolitik" steht auf den Ordnern
der Bauexpertin ihrer Fraktion.
Natürlich genießt auch sie in erster Linie, dass sie
mehr Zeit für ihr Privatleben gewonnen hat. "Ich versuche,
morgens mit meinem Mann zu frühstücken, bevor ich in den
Bundestag fahre", erzählt sie. "Es ist einfach familiärer
als das Apartmentleben in Bonn." Trotzdem ist auch für die
Berliner Abgeordneten der Terminplan während der
Sitzungswochen so gefüllt, dass kurze Zwischenbesuche in der
heimatlichen Wohnung kaum möglich sind. "Mein Terminkalender
ist genauso voll wie früher, als ich noch Wirtschaftsminister
war", berichtet Günter Rexrodt. Für Petra Pau, die im
Wahlkreis Berlin-Mitte direkt gewählte PDS-Politikerin, hat
der Umzug sogar mehr Arbeit gebracht. "Ich habe ja gedacht, ich
hätte vielleicht ein bisschen mehr Zeit", sagt sei. Doch die
ständige Verfügbarkeit der Berliner Abgeordneten
führt eher dazu, dass die Anfragen wachsen, die eine oder
andere Aufgabe zusätzlich zu übernehmen.
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Berliner Szene: Wochenmarkt auf dem Winterfeldtplatz im
Bezirk Schöneberg |
CDU-Mann Nooke berichtet Ähnliches. "Wenn keiner Zeit hat
für die letzte Besuchergruppe an einem Tag, dann heißt
es: Mach du doch das, du wohnst doch gleich um die Ecke." Der
verheiratete Vater von drei Töchtern berichtet, viele
Abgeordnete hätten sich in Berlin auch größere
Wohnungen genommen, statt wie in Bonn in kleinen
Ein-Raum-Appartements zu logieren. "Es passiert hier viel
häufiger, dass man Kollegen trifft, die einem ihre Kinder oder
Ehepartner vorstellen. Nach Bonn sind die nicht gekommen, nach
Berlin schon", bestätigt auch Jörg-Otto Spiller diese
Beobachtung Nookes.
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Berliner Szene: Café am Gendarmenmarkt |
Als Fremdenführer werden die Berliner Abgeordneten
mittlerweile aber kaum noch von ihren Kollegen in Anspruch
genommen. "Die meisten wissen schon, wo gute Restaurants sind oder
wo man abends mal schön ausgehen kann", berichtet Franziska
Eichstädt-Bohlig. Anfangs sah das anders aus. Da wurden die
Berliner immer wieder gefragt, wo die schönsten Wohngegenden
der Hauptstadt seien oder mit welchen Verkehrsmitteln man sich am
besten fortbewegt.
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Berliner Szene: Die Hackeschen Höfe im Bezirk
Mitte |
Die meisten fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln –
auch weil es schneller geht. Eichstädt-Bohlig zum Beispiel
bestellte sich kürzlich einmal einen Wagen der
Fahrbereitschaft des Bundestages, um von einer Sitzung schnell zum
Reichstagsgebäude zu kommen. Stau am Brandenburger Tor. "Da
bin ich schnell rausgesprungen und zu Fuß weiter", sagt sie.
Von ihrer Charlottenburger Wohnung fährt sie mit dem Fahrrad
ins Büro. Rexrodt, der in der Nähe des
Ludwigskirchplatzes, der tiefsten "West-Berliner Szene", in einem
Penthaus wohnt, nimmt die S- oder die U-Bahn. "Die Menschen
sprechen einen da schon an", berichtet er – und sagt, dass er
sich über diesen Kontakt auch freut.
Petra Pau, die Berliner PDS-Landesvorsitzende, war als
"Umzugsbeauftragte" ihrer Fraktion lange mit allen Fragen befasst,
die mit dem Wechsel vom Rhein an die Spree zusammenhingen. "Da war
unser Sachverstand natürlich gefragt." Dass deswegen der
politische Einfluss der Berliner gestiegen sei, sieht sie aber wie
ihre Kollegen aus den anderen Fraktionen nicht.
Die Berliner waren in der Vergangenheit auch nie besonders
einflussreich. Das lag vielleicht auch daran, dass sie erst seit
1990 volles Stimmrecht im Parlament haben. Vorher wurden die
West-Berliner Abgeordneten durch das Berliner Abgeordnetenhaus
benannt, und zwar nach der Stärke der dort vertretenen
Fraktionen. Wegen des Vier-Mächte-Status für Berlin
durften sie nicht direkt gewählt werden. "Es war schon eine
merkwürdige Situation, dass ein Politiker wie der frühere
SPD-Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel kein volles Stimmrecht
hatte, wenn es bei Abstimmungen drauf ankam", erinnert sich
Spiller.
Carsten Germis