REFORM DER ZIVILPROZESSORDNUNG
"Experimentierklausel" bei Berufungsverfahren einführen
(re) Die Regierungskoalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hat am 4. April im Rechtsausschuss ihre Bereitschaft unterstrichen, Korrekturen an der beabsichtigten Reform des Zivilprozesses vorzunehmen. Dem Gremium liegen dazu im Wesentlichen gleich lautende Gesetzentwürfe von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ( 14/3750) sowie der Bundesregierung ( 14/4722) vor. Die Beratungen im Rechtsausschuss sollen am 9. Mai abgeschlossen werden.
Nach dem Willen der Koalition sollen künftig Berufungs- und Beschwerdeverfahren nicht mehr grundsätzlich bei den Oberlandesgerichten (OLG) konzentriert werden. Statt dessen sei den Bundesländern im Rahmen einer so genannten Experimentierklausel zu ermöglichen, eine derartige Regelung nach eigenem Ermessen einzuführen und wissenschaftlich begutachten zu lassen. Diese Erprobungsphase solle bis zum 1. Januar 2008 gelten. Sozialdemokraten und Bündnisgrüne wollen außerdem die Möglichkeit von Videokonferenzen bei zivilgerichtlichen Verhandlungen einführen.
Von der CDU/CSU hieß es dazu, zwar sei die Regierungskoalition in manchen Punkten auf Kritik der Opposition und von Fachverbänden eingegangen, dennoch könne die Initiative auch jetzt nicht überzeugen. Mit der so genannten Experimentierklausel sei nichts anderes als die Hoffnung verbunden, dass ein Vorhaben, das Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) jetzt nicht habe durchsetzen können, später doch realisiert werden solle.
"Reihe von Giftzähnen aus Entwurf herausgenommen"
Es sei darüber hinaus fraglich, ob sich genügend Länder fänden, die an dieser Erprobungsphase teilnehmen wollten. Im Übrigen äußerte die Union die erneut die Befürchtung, auch in der gegenwärtigen Fassung lasse die Reform der Zivilprozessordnung befürchten, dass der Rechtsschutz in der Berufungsinstanz verkürzt werde.
Die F.D.P. würdigte ebenfalls, dass es im parlamentarischen Verfahren gemeinsam gelungen sei, eine "Reihe von Giftzähnen" aus dem Gesetzesvorhaben heraus- und Verbesserungen hereinzunehmen. Die beabsichtigte Stärkung der ersten Instanz werde ebenso begrüßt wie die Möglichkeit zu Videokonferenzen. Nicht mittragen könne man allerdings nach wie vor die weitreichende Verlagerung von Verfahren auf Einzelrichter, sondern halte am Kammerprinzip fest.
Auch die PDS begrüßte manche Veränderungen am Gesetzentwurf, hielt es gleichzeitig aber ebenfalls nicht für ausgeschlossen, dass der Rechtsschutz in der zweiten Instanz künftig nicht mehr voll gewährleistet sei. Zudem werde die Experimentierklausel in solchen Bundesländern, die sich daran nicht beteiligen wollten, dazu führen, dass die Belastungen der Amtsrichter zunähmen.
"Dienstleistungsangebot der Justiz verbessern"
Die SPD erwiderte, an der grundsätzlichen Notwendigkeit, die Zivilprozessordnung zu reformieren, führe kein Weg vorbei. Die Vertreter der Bundesregierung hätten völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass mit dem vorliegenden Entwurf das Dienstleistungsangebot der Justiz verbessert und der Rechtsschutz des Bürgers ausgebaut werde. Gegenteilige Vorwürfe der Opposition seien deshalb nicht stichhaltig.
Die Sozialdemokraten verwiesen zudem darauf, ein nach wie vor im parlamentarischen Verfahren befindlicher Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion ( 14/163) aus dem Dezember 1998 sehe teilweise weit schärfere Instrumente zur Reform des zivilgerichtlichen Verfahrens vor. Insofern sei die Argumentation der Union heute nicht glaubwürdig.
Zur Experimentierklausel führten die Sozialdemokraten aus, anders als von der Opposition behauptet, zeichne sich ab, dass einige Bundesländer, neben Stadtstaaten auch Flächenländer, daran teilnehmen wollten. Wichtig sei, dass der Kritik, die Konzentration der Berufungen bei den OLG sei eine Entscheidung vom "grünen Tisch", der Boden entzogen werde. Die Praxis werde es jetzt zeigen, so die SPD-Fraktion im Rechtsausschuss.