streitgespräch
Dialog
Streitgespräch zum genetischen
Fingerabdruck
Ein Schritt in den Überwachungsstaat?
Sexualmorde an Kindern, wie der an der 12-jährigen Ulrike in Brandenburg, gehören zu den verabscheuungswürdigsten Verbrechen. Parlament und Bürger zeigen sich erschüttert und debattieren zu Recht darüber, wie wehrloses Leben besser geschützt und Täter effektiver ermittelt werden können. Emotionen rütteln dabei an bisherigen Schranken. So wurde in der CDU/CSU der Ruf laut nach einer Gendatei für die gesamte männliche Bevölkerung in Deutschland. Richtige, wenn auch problematische Notwehrmaßnahme oder absurde Orwellsche Überwachungsfantasie? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem rechtspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Norbert Geis und der F.D.P.-Abgeordneten und früheren Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
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Norbert Geis: "In der Praxis wohl sehr schwierig". |
Bevor wir zur rechtsstaatlichen Problematik kommen, eine ganz praktische Frage: Ist, Herr Geis, der genetische Fingerabdruck von 35 Millionen Männern überhaupt realistisch?
Geis: Leider muss ich einräumen, dass es in der Praxis wohl sehr schwierig sein wird, 35 Millionen Menschen zum Gentest zu bekommen. Dafür haben wir wohl – leider – keine wirkliche Chance.
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: "Voluminös, gigantisch, technisch überperfektionistisch". |
Könnten Sie sich, Frau Leutheusser, mit einer solchen Datei anfreunden, durch die ja die Ermittlung von Sexualtätern erheblich erleichtert würde?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich erschrecke bei der Vorstellung, den genetischen Fingerabdruck von 35 Millionen Männern in Deutschland in einer zentralen Datei zu haben. Das ist voluminös, das ist gigantisch, das ist technisch überperfektionistisch. Im Übrigen würde das Jahre dauern. Deshalb glaube ich, dass das in der Form gar nicht realisierbar ist.
Geis: Man muss aber sehen, dass wir ja schon jetzt stark registriert sind in der Bundesrepublik. Wir werden vom Tag der Geburt an registriert beim Standesbeamten, wir haben alle einen Ausweis oder Pass mit einer Kennziffer, unsere Steuernummer ist vorhanden. Eigentlich sind alle wichtigen Schritte unseres Lebens registriert. So gesehen halte ich es technisch für machbar, auch die Gendaten von allen Deutschen registrieren zu lassen, wenn es wohl auch noch Zukunftsmusik ist.
Stünden die Kosten in einem vernünftigen Verhältnis? Ein Gentest kostet heute 2.000 bis 8.000 Mark. Selbst bei nur 1.000 Mark würde der Zwangsspeicheltest für alle Männer 35 Milliarden Mark verschlingen? Diskutieren wir über ein Hirngespinst?
Leutheusser-Schnarrenberger: Für mich ist das Kostenargument nicht das entscheidende bei der Beantwortung der Grundsatzfrage. Ich habe ganz andere Bedenken gegen ein solches Projekt. Aber es ist richtig: Die Milliarden-Beträge würden alle Dimensionen sprengen, mit denen wir uns heute im Polizeirecht und bei der Strafverfolgung bewegen.
Das Rechtsstaatsprinzip setzt immer einen Anfangsverdacht für Zwangstests wie etwa Fingerabdrücke oder Gentests voraus. Ist das eine unüberwindbare Hürde für eine Massendatei?
Geis: Zweifellos. Nach der Rechtslage ist das eindeutig so. Allerdings sage ich, dass ich in Anbetracht der furchtbaren Verbrechen, die geschehen sind und leider wieder geschehen können, bereit bin, alles auszuloten, um eine bessere Bekämpfung solcher Verbrechen zu ermöglichen, und ich sehe in der Anlegung einer allumfassenden Gendatei eine solche Möglichkeit.
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Im Gespräch: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.) und ... |
Einverstanden, Frau Leutheusser?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Es ist schlicht verfassungsrechtlich nicht realisierbar, dass alle Männer Deutschlands zwangsverpflichtet werden, einen genetischen Fingerabdruck abzugeben. Darüber hinaus habe ich grundsätzliche rechtsstaatliche Bedenken. Denn mit einer zwangsweisen Gendatei wird ein Pauschalverdacht gegen alle Männer in Deutschland ausgesprochen. Nicht, dass man sie im Moment für den Sexualtäter hält, aber sie stehen indirekt unter dem Verdacht, möglicherweise einer sein zu können, weil man ja aus dem millionenfach gespeicherten genetischen Material erhofft, den einen oder anderen Täter herauszufischen. Man verlagert also den Verdachtsmoment und den Zugriff des Staates auf den Einzelnen sehr weit nach vorne. Das ist in meinen Augen rechtsstaatlich nicht nur bedenklich, sondern klar abzulehnen.
Geis: Ich finde die Argumentation von Frau Leutheusser nachvollziehbar, sehe die Dinge aber dennoch anders. Ich bin der Auffassung, dass man den genetischen Fingerabdruck als eine Möglichkeit sehen sollte, Individuen genauer und schneller identifizieren zu können. So wie ich jemanden anhand des Ausweises oder der Steuernummer identifiziere, kann ich auch, nur viel genauer, ihn anhand eines genetischen Fingerabdrucks erkennen. Wenn ich diese technische Möglichkeit habe, sollte man sie auch nutzen. Ich empfinde das nicht als eine pauschale Verdächtigung von Unschuldigen.
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... Norbert Geis (CDU/CSU). |
Gibt es bei einer allumfassenden Gendatei die Gefahr des Missbrauchs? Kommen wir dem gläsernen Menschen nicht sehr nahe?
Leutheusser-Schnarrenberger: Diese Gefahr besteht durchaus, auch wenn sie für mich persönlich nicht im Vordergrund meiner Bedenken steht. Klar ist, dass eine sehr strikte Zweckbestimmung die Grundlage einer weit gefassten Gendatei sein müsste, das heißt, dass nur für die Ermittlung ganz bestimmter und genau genannter Taten die Angaben verwandt werden dürfen. Ohne diese Einschränkung ist das Projekt sicher selbst für seine Befürworter gar nicht denkbar.
Geis: Wir sollten erst einmal klarstellen, was beim genetischen Fingerabdruck überhaupt gespeichert wird: Es wird ja nicht der ganze Mensch mit seinen Veranlagungen und seinen Erbanlagen gespeichert, sondern nur sein Identifikationsmuster, also nur das Notwendige, um ein Individuum zweifelssicher identifizieren zu können. Danach muss Schluss sein.
Müssen Datenschutz-Bedenken nicht zurückstehen, wenn die Aufklärungschance gegenüber solch scheußlichen Verbrechen erheblich verbessert wird?
Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich muss der Staat ständig überlegen, wie er seine Bürger, die jungen zumal, vor Gefahren besser schützen kann. Und das nicht erst nach der Tat, sondern schon im Vorfeld. Zu der Abwägung gehören aber immer auch Datenschutz-Aspekte, denn wir müssen mit Verdächtigungen sehr sorgfältig umgehen. Auch das sind wir unseren Bürgern schuldig.
Verändert ein Staat, der jeden Bürger mit seinen intimsten Daten speichert, seinen Charakter?
Geis: Wenn er die intimen Daten speichern würde, verlöre er tatsächlich seinen Charakter. Wenn er aber, wie beim genetischen Fingerabdruck, lediglich ein Mittel speichert, um seine Bürger besser identifizieren zu können, verändert er sein Wesen – noch – nicht. Denn man muss ja auch das Positive sehen: Mit diesem Mittel würde die Verbrechensbekämpfung wesentlich verbessert.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich sehe es anders. Wenn der Staat solche Daten von der Hälfte seiner Bürger speichert, später vielleicht auch noch von 40 Millionen Frauen, dann verändert er sehr wohl seinen Charakter. Er wird zu einem Staat, der in erster Linie ein Sicherheitsstaat ist, der seinen Bürgern mit einem Misstrauen begegnet, indem er sie unter einen abstrakten Generalverdacht stellt. Dadurch würde sich auch das Verhalten der Bürger gegenüber diesem Staat langfristig verändern. Das wäre keine gute Entwicklung.
Sollte die jetzige, rund 90.000 Täter umfassende Gendatei beim Bundeskriminalamt um Voyeure und Exhibitionisten erweitert werden?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich will das nicht von vorneherein ablehnen, aber das müsste sehr sorgfältig bedacht sein. Denn bei der Speicherung sollte es immer um ein strafrechtlich relevantes Verhalten gehen. Nicht jeder Spanner, Voyeur, Exhibitionist aber ist auch ein Täter, der sexuellen Missbrauch begeht.
Geis: Trotzdem: Ich würde Menschen, die in dieser Weise auffällig geworden sind, in die Gendatei mit aufnehmen. Weil es um den Schutz unserer Kinder und die Verhütung von maximalen Verbrechen geht. Da bin ich bereit, alles auszuloten, was der Rechtsstaat zulässt.
Was halten Sie von freiwilligen Gentests?
Geis: Ich bin sehr dafür. Denn die Freiwilligkeit überwindet die Hemmung, die die Verfassung uns auflegt. Wenn die Datei umfassend erweitert wird, werden die, die nicht zu einem Gentest gehen, im Falle eines Verbrechens leichter feststellbar sein. Damit würden Ermittlungen schneller zum Ziel kommen, was den Abschreckungsprozess erhöht.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte auch das für problematisch, denn daraus entwickelt sich ein Druck, ein zwanghaftes Verhalten, sich dem Gentest zu unterziehen. Weil der, der sich nicht beteiligt, verdächtig wird. Deshalb würde ich mit dem Instrument des freiwilligen genetischen Fingerabdrucks sehr sorgfältig umgehen.