Titelthema
Der Bundestag und die Gentechnik
Debatte über das Bild des Menschen
Drei Buchstaben und drei Silben beherrschen die öffentliche Debatte in einer vorher kaum gekannten Leidenschaft: PID und Stammzellen. Die Gegensätze könnten krasser kaum sein. Hier die Hoffnung auf gesunde Kinder, die Ausschaltung unnötiger Komplikationen, die mögliche Erfüllung lang ersehnter Heilungschancen. Dort die Warnung vor einer grausamen Selektion behinderter oder ungewünschter Menschen, die Befürchtung, ein Einfallstor aufzustoßen, durch das apokalyptische Horrorvorstellungen von geklonten Menschen, genmanipulierten Kindermaschinen und lebenden Menschen- Organismen mit nachwachsenden "Ersatzteilen" Wirklichkeit werden könnten. Welche Vorarbeit zur Identifizierung von Chancen und Gefahren hat die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" auf diesem Gebiet geleistet? Wie kann sie zur aktuellen Aufklärung beitragen? Wo liegen die Konfliktlinien? Welche Lösungen sind in Sicht? Und hat die Einsetzung des Nationalen Ethikrates die Bedeutung der Enquete-Kommission geschmälert? Heikle Fragen. Blickpunkt Bundestag gibt mit Hilfe der Vorsitzenden der Enquete-Kommission Antworten.
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Drei Tage altes menschliches Embryo auf der Spitze einer Nadel. |
Margot von Renesse sitzt in ihrem Büro an der Friedrichstraße, blättert in einem leicht angegilbten Buch und schüttelt staunend den Kopf. Die ehemalige Familienrichterin, SPD-Abgeordnete und Vorsitzende der Medizinethik-Enquete hat den Berichtsband über einen rechtspolitischen Kongress ihrer Partei in Essen entdeckt. "1986 – dieselben Fragen wie heute", stellt sie fest. Reduziere man sie, komme ein Wort heraus: "Menschenwürde". Niemand wolle sie antasten. Aber wo beginne sie? Schon damals habe man eher als Nebenaspekt erkannt, dass in der In-vitro-Fertilisation, der künstlichen Befruchtung im Reagenzglas, zwei Möglichkeiten steckten, die sich zu Herausforderungen entwickeln könnten. Wirksame ärztliche Hilfe auf der einen Seite, Gefährdungen für das Lebensrecht des Ungeborenen auf der anderen Seite.
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Margot von Renesse (SPD) und Hubert Hüppe (CDU). |
Und schon damals, so liest es von Renesse mit Interesse nach, gab es zwei Gremien, die die Hintergründe ausloteten, eines für das Parlament, eines für die Regierung. Sie hat deshalb keine Probleme mit der Berufung des Nationalen Ethikrates durch den Bundeskanzler. Verfassungsrechtlich schon gar nicht. Der Bundestag habe kein Monopol auf Beratung, natürlich dürfe, könne und solle auch die Regierung den Rat der Experten suchen. "Unser Auftrag als Enquete-Kommission war es doch auch, eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Gentechnik anzustoßen. Da können wir uns jetzt nicht ärgern, wenn das auch woanders diskutiert wird", gibt Renesse zu bedenken.
Das sieht Hubert Hüppe (CDU/CSU), Stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission, ein wenig anders. "Das war der klare Versuch, die Bedeutung der Enquete-Kommission zu verringern." Der Zeitpunkt der Berufung des Ethikrates – eine Woche bevor die Enquete-Kommission einen ersten (sehr kritischen) Zwischenbericht zur Biopatent-Richtlinie vorlegte – sei wohl kein Zufall gewesen. Hüppe stört auch die Bezeichnung "Nationaler Ethikrat". Ein von "einer Person handverlesenes Gremium" könne wohl kaum nationale Legitimation haben. Hüppe: "Wir haben die Legitimation. Punktum. Und wir werden uns das nicht nehmen lassen."
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Unter dem Elektronen-Mikroskop: Menschliches Embryo im Achtzellenstadium. |
Das unterstreicht auch von Renesse. An der klaren Zuständigkeit des Parlamentes und seiner Ausschüsse und Kommissionen für die Gesetzesbeschlüsse und deren Vorbereitung könne die Berufung eines Beratungsgremiums nichts ändern. In der bisherigen Entwicklung der Ereignisse habe der Ethikrat eine überwiegend schlechte Presse bekommen – somit sei in der Folge das Ansehen der Enquete-Kommission sogar gestiegen.
Die Emotionen kochten zwar hoch im Vorfeld der ersten tief greifenden Bundestagsdebatte Ende Mai über die künftigen gesetzlichen Möglichkeiten der Gentechnik in Deutschland. Doch werde man sich nun einige Monate Zeit nehmen, um zur PID einen Zwischenbericht zu verfassen, kündigt Hüppe an. Auch über die Stammzellenforschung binnen zwei Monaten entscheiden zu wollen, sei der Problematik in keiner Weise angemessen. "Unser künftiges Bild vom Menschen wird davon nachhaltig beeinflusst, das können wir nicht übers Knie brechen", warnt Hüppe.
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Genforschung: Chromosomenbild eines Mannes auf einer Folie. |
Die Diskussion um Stammzellen wird von dem Ergebnis neuer Forschungen beeinflusst, wonach auch so genannte adulte Zellen zur therapeutischen Erforschung sehr geeignet sind. Diese können sich zwar nicht mehr beliebig vermehren und völlig beliebig verwandeln. Aber auch sie können "umprogrammiert" werden und rufen auch keine Abstoßungsprozesse hervor, da sie nicht zu einem anderen Menschen gehören, sondern dem zu behandelnden Patienten direkt entnommen werden können.
Die Vorstellung, aus Stammzellen die gerade gewünschten menschlichen Organe entstehen zu lassen, ruft größte ethische Bedenken hervor. Aus Sicht der Kritiker könnten Ei und Samenzelle eines Tages nicht mehr nur zusammengeführt werden, damit menschliches Leben entsteht. Künstliche Befruchtung könnte dazu dienen, aus Embryos lebende Ersatzteillager menschlicher Organe zu machen. Befürworter der Stammzellenforschung weisen darauf hin, dass derartige Befürchtungen unbegründet seien, weil das Wachstum der Zellen auf künstliche Weise derzeit weder gesteuert noch gestoppt werden könne. Es gehe einzig darum, im Rahmen der Grundlagenforschung komplexe Prozesse zu verstehen, damit Menschen künftig von Krankheiten wie Epilepsie, Multiple Sklerose oder gar Krebs geheilt werden könnten. Kritiker verweisen hingegen auf die dynamisch wachsenden Fähigkeiten der Gentechnik und wollen deshalb heute schon im Ansatz verhindern, dass morgen massiv in die Keimbahn, die genetischen Voraussetzungen menschlicher Eigenschaften, eingegriffen wird.
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Befruchtung einer Eizelle mit Hilfe einer Mikropipette. |
Von Renesse rechnet unter diesen Umständen nicht mehr damit, dass noch in dieser Wahlperiode über PID oder Stammzellenforschung entschieden wird. "In diesen Fragen reicht eine knappe Mehrheitsentscheidung nicht aus." Während Hüppe davon ausgeht, dass es auch nach den Wahlen im nächsten Jahre wieder eine Bundestags-Enquete zur medizinischen Ethik geben muss, weil so viele Fragen noch nicht geklärt seien, kann sich von Renesse auch einen anderen Weg vorstellen: Der Bundestag sollte doch, so ihre Überlegung, per Gesetz einen Nationalen Ethikrat beschreiben und selbst festlegen, wen dieser beraten solle und aus welchen Feldern seine Mitglieder zu berufen seien. Dies solle dann der Bundespräsident mit Zustimmung des Bundestags- und Bundesratspräsidenten vornehmen. So bleibe der Einfluss des Parlamentes gewahrt.
Wie das Prozedere letztlich auch gestaltet wird, allen ist klar, dass es in diesem Grenzbereich menschlicher Existenz vermutlich keine Entscheidungslinien streng entlang der Fraktionslinien geben wird. In diesen Fragen nach Leben und Tod ist das Gewissen jedes einzelnen Abgeordneten gefragt. Er wird sich daran orientieren, was moralisch verantwortbar ist und was mit den Mitteln des Rechtes geregelt werden kann.
Zwei Positionen stehen sich hier gegenüber: die klare Entscheidung für das Recht auf Leben, das nicht irgendwann, sondern mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle entstehe und deshalb von Anfang an geschützt werden müsse. Und die Zweifel, wie weit menschliches Verhalten mit den Mitteln des Strafrechtes gesteuert werden kann.
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Befruchtung: Spermien auf der Oberfläche eines Eies. |
Hüppe sieht ein "Ethik-Dumping" mit unabsehbaren Folgen voraus, wenn etwa aus wirtschaftlichen Gründen die Restriktionen gelockert werden. Von Renesse glaubt hingegen nicht, "dass man das Strafrecht anwenden kann, um Menschen zu Helden zu machen". Damit meint sie die Paare, die erblich vorbelastet seien und befürchten müssten, durch die Pflege eines schwerstbehinderten Kindes überfordert zu sein. Die Kommissionsvorsitzende schätzt, dass als möglicher Kompromiss nicht etwa das Embryonenschutzgesetz gelockert werde, sondern dass im Gegenteil die vorgeburtliche Untersuchung (Pränataldiagnostik – PND) unter Einschluss der PID verschärft werde. Denn das gegenwärtige lebhafte öffentliche Interesse an den Embryonen-Checks vor der Einpflanzung in die Gebärmutter übersehe die gängige Praxis des Embryonen- und Föten-Checks vor der Geburt. Untersuchungen per Ultraschall, Blut- oder Fruchtwasseranalysen würden "in Hülle und Fülle" vorgenommen, ohne dass die werdenden Mütter davon wüssten, geschweige denn, dass sie ihr Einverständnis dazu gegeben hätten.
Nach den Erfahrungen von Renesses setzten Ärzte immer wieder mit leisesten Verdachtsmomenten bei Schwangeren Schockwellen in Gang, an deren Ende viel zu oft eine Abtreibung stehe, ohne dass die werdenden Eltern über das Ausmaß der möglichen Behinderung ihres Kindes Klarheit gewonnen hätten oder über das Gelingen eines Lebens mit Behinderten informiert worden wären. Deshalb müssten PID und PND zusammen betrachtet und beide auf wenige Ausnahmefälle beschränkt werden. Die Juristin spricht sich auf diesem Feld für eine Regelung nach dem Beispiel des Paragrafen 218 aus. PND und PID sollten generell verboten, bei einzelnen Paaren mit großen Risiken aber ausnahmsweise straffrei gestellt werden.
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Arbeit im Labor: Entschlüsselung der menschlichen Gene. |
Sie weiß allerdings, dass selbst diese Ausnahmen vielen anderen Kommissionsmitgliedern viel zu weit gehen. In der Enquete-Kommission gebe es eine eindeutige Mehrheit gegen die PID: "Das ist heiß umstritten." Anders sehe es beim dritten Komplex aus, auf dem die Enquete in diesen Monaten Beratungsgrundlagen für die parlamentarische Entscheidung lege. Bei der Genom-Analyse, also der Feststellung des menschlichen genetischen Bauplanes, sei man nicht weit von einer Einigung entfernt. Dürfen Arbeitgeber, Krankenkassen, Lebensversicherungen einen Gentest verlangen, bevor sie einen Menschen beschäftigen oder versichern? Die Kommission ist sich hier weitgehend einig, dass es sowohl ein Recht auf Wissen als auch auf Nichtwissen gebe. Das heißt, wenn der Einzelne seine Erbsubstanz nicht erfahren wolle, dürfe ihn auch keiner zur Untersuchung zwingen. Der Zugang Dritter zu solchen brisanten Daten kollidiere zudem mit dem Datenschutz.
Beim Genom ist also eine Lösung in Sicht. PID und
Stammzellen werden jedoch weiter aufwühlen. Das ganze Volk
– und die gesamte Volksvertretung.
Gregor Mayntz
PID
Die PID, die Präimplantationsdiagnostik, ist die Untersuchung der künstlich befruchteten Eizelle vor ihrer Einpflanzung in die weibliche Gebärmutter. Der Embryo besteht in dieser Phase aus wenigen, meist acht Zellen, von denen ein oder zwei "abgezwackt" und in ihrer Genstruktur auf Defekte überprüft werden, die auf das Vorliegen einer Erbkrankheit schließen lassen. Die PID ist in Deutschland verboten. Erst durch Fruchtwasseruntersuchungen dürfen Ärzte bei den Embryos oder Föten mögliche Behinderungen feststellen, die eine eugenische Abtreibung ermöglichen. Eine Einpflanzung und anschließende Abtreibung mit allen psychischen Folgen könne man den Betroffenen ersparen, wenn eine PID vorgeschaltet werden dürfe, sagen Befürworter der PID. Kritiker halten dagegen, dass das Lebensrecht Behinderter dann massiv beschränkt werde und irgendwann auch das Tor zu "Designerbabys" offen stehe, indem alle im Reagenzglas gezeugten Kinder mittels PID vernichtet werden, wenn sie nicht den Wünschen nach Geschlecht, Haar- oder Augenfarbe entsprechen.
Stammzellen
Stammzellen haben die Eigenschaft, nahezu unendlich teilbar zu sein. Deshalb stammen sämtliche auf der ganzen Welt zu Forschungszwecken verwendeten Stammzellen von nur acht Embryos, die bei der künstlichen Befruchtung entstanden, als "Reserve" aber nicht mehr eingepflanzt und somit "überflüssig" wurden. Ihnen werden bei Bedarf neue, durch weitere Teilungen entstandene Stammzellen entnommen. Diese Zellen sind noch nicht auf ein bestimmtes Wachstumsziel festgelegt. Aus ihnen können Haar- oder Herzzellen, Gallen- oder Gehirnzellen, Hand-, Fuß- oder Zungenzellen werden. Das macht sie für die Grundlagenforschung so herausragend interessant. In der aktuellen Diskussion geht es darum, ob und unter welchen Umständen sie auch in Deutschland zu Forschungszwecken gewonnen, ob nicht benötigte Embryonen dazu "verbraucht" oder gar gezielt "gezüchtet" werden dürfen oder ob mit im Ausland gekauften Stammzellen geforscht werden darf.