UMSATZSTEUERBETRUG IN DER EU
Einnahmenverluste liegen häufig im dreistelligen Millionenbereich
(fi) Die dramatische Entwicklung des Umsatzsteuerbetrugs im europäischen Binnenmarkt haben Berichte des Bundesrechnungshofs sowie von Vertretern von Landesfinanzministerien am 30. Mai im Finanzausschuss deutlich gemacht. Seit der Öffnung der Binnengrenzen in der EU 1993 seien zunehmend Steuerbetrugsmodelle bekannt geworden, die nach dem Muster so genannter "Karussellgeschäfte" Umsatzsteuer in bisher ungeahnter Höhe in die Hände organisierter, krimineller Personen spielten, heißt es in einem Bericht des Rechnungshofs.
Der letzte große Vorfall habe einen Steuerschaden von rund 500 Millionen DM zur Folge gehabt. Die Betrügereien liefen nach dem Muster ab, dass ein inländischer Unternehmer steuerfrei innerhalb der EU an einen Ausländer liefert, bei dem keine Umsatzsteuer anfällt. Dieser liefert weiter steuerfrei an ein inländisches Scheinunternehmen. Der Scheinunternehmer liefert wiederum an den erstgenannten Unternehmer mit Rechnung und Umsatzsteuerausweis. Seinen Einkaufspreis behandelt er jedoch als Bruttowert und rechnet die Umsatzsteuer mit 13,8 Prozent heraus. Damit werde die Ware gegenüber der ehrlichen Konkurrenz auf Kosten des Fiskus billiger.
Der Scheinunternehmer begnügt sich nach Darstellung der Rechnungsprüfer häufig mit einer kleinen Provision. Der inländische Unternehmer zieht die Vorsteuer ab, der Scheinunternehmer zahlt die fällige Umsatzsteuer nicht, sondern verschwindet vom Markt, bevor die Finanzverwaltung den Sachverhalt aufdecken kann. Die Steuerverwaltung könne die Verbindung zwischen Unternehmer und Scheinunternehmer meist schon dann nicht mehr nachweisen, wenn ein Zwischenhändler auftrete.
Der Rechnungshof hat nach eigenen Angaben 70 Fallkomplexe untersucht und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass Lieferungen schwierig zu ermitteln sind, der Schaden häufig im dreistelligen Millionenbereich liegt und das Geld endgültig weg ist. In Deutschland sei dieses Verfahren besonders einfach, weil hier die Vorsteuer auch erstattet werde, wenn sie gar nicht gezahlt worden sei. Eine Rechnung genüge.
Zwar sei eine zentrale Datenbank "Umsatzsteuerbetrug" zur bundesweiten Sammlung von Betrugsfällen Ende letzten Jahres beim Bundesamt für Finanzen eingerichtet worden, so der Rechnungshof, doch gebe es keinen Online-Anschluss aller Länderfinanzämter an diese Datenbank. Auch sei die personelle Besetzung noch nicht abgeschlossen. In der EU gebe es die Koordinierungsstelle für Betrugsbekämpfung ("OLAF"), an die Deutschland allerdings wegen des Steuergeheimnisses keine Daten liefere. Der Rechnungshof plädierte dafür, dem Bundesamt für Finanzen eine zentrale Funktion bei der Ermittlung, Koordinierung und Aufdeckung solcher Fälle zuzuweisen. Die Regierung erklärte, sie habe den Rechnungshofbericht zum Anlass genommen, gesetzgeberisch vorzugehen.
Die SPD plädierte dafür, nach der Sommerpause "Nägel mit Köpfen" zu machen. So befasse sich die Finanzministerkonferenz mit einer Vorlage des Bundesfinanzministeriums und der Oberfinanzdirektionen. Bündnis 90/Die Grünen traten dafür ein, interfraktionell eine Arbeitsgruppe zu bilden, die diese Vorlage bewerten soll. Ziel sei es, im Oktober ein Gesetz zu verabschieden, das 2002 in Kraft treten könnte. Die Unionsfraktion zeigte sich im Ziel einig, wollte aber zunächst den Beschluss der Finanzministerkonferenz abwarten. Der Ausschuss will am 20. Juni einen "Fahrplan" zu dem Thema festlegen.