Streitgespräch
Dialog
Auf dem Weg in den Überwachungsstaat?
Die Bundesregierung möchte den Fingerabdruck in verschlüsselter Form, möglicherweise auch Daten über Handflächen-, Gesichts- und Irisprofile in die Ausweispapiere der Bürger aufnehmen. Ist das, wofür vor allem Bundesinnenminister Otto Schily plädiert, zur Terrorismus-Bekämpfung notwendig und sinnvoll oder führt es in den Überwachungsstaat? Nicht nur in den Regierungsparteien, sondern auch im Oppositionslager herrscht darüber Uneinigkeit. BLICKPUNKT BUNDESTAG führte ein Streitgespräch zu diesem Thema mit dem innenpolitischen Experten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Thomas Strobl und dem innenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Max Stadler.
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Max Stadler, FDP ...
Blickpunkt Bundestag: Was wäre schlimm an einem Fingerabdruck im Pass, Herr Stadler?
Max Stadler: Am Fingerabdruck selber ist nicht so viel auszusetzen, wenn es dabei bleibt, dass er als zusätzliches Identifizierungsmerkmal in Ausweispapieren eingeführt wird. Aber es muss völlig klar sein, dass es nicht zu einer zentralen Datensammlung kommt. Denn da ist die Gefahr des Missbrauchs mit Händen zu greifen. Wir wollen nicht den gläsernen Bürger.
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und Thomas Strobl, CDU/CSU.
Blickpunkt: Sie schauen skeptisch, Herr Strobl?
Thomas Strobl: Mit der Einschränkung von Freiheitsrechten hat der Fingerabdruck überhaupt nichts zu tun. Es geht um die zweifelsfreie Feststellung der Identität einer Person; das ist der Zweck von Ausweispapieren, die leider immer leichter gefälscht werden können. Terroristen – beispielsweise der New Yorker Attentäter Atta – haben häufig mehrere Pässe. Hier muss man also ansetzen. Dabei muss der Gesetzgeber klar definieren, was möglich ist und was nicht. Wenn dies geschieht, sehe ich weder aus datenschutzrechtlichen Gründen noch aus Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten irgendwelche Probleme.
Blickpunkt: Liegt die Gefahr des allgemeinen Fingerabdrucks nicht in der Möglichkeit seiner zentralen Speicherung, das heißt, jeder Bürger wäre in einer schnell abfragbaren Speicherbank?
Stadler: So ist es, zumal es die Möglichkeit gibt, digitalisierte Fingerabdrücke auch von transportablen Geräten zu vergleichen, eine zentrale Datei technisch also gar nicht erforderlich ist. Die FDP will diese zentrale Datei auf keinen Fall. Man muss der Gefahr widerstehen, das technisch Machbare politisch durchzusetzen.
Blickpunkt: Der Bürger unter Generalverdacht? Ist das eine reale Gefahr?
Strobl: Nein, überhaupt nicht. Der Fingerabdruck im Pass ist substanziell ja nichts Neues, sondern die zeitgemäße technische Weiterentwicklung des Lichtbildes. Insofern hat er die gleiche Funktion wie das Lichtbild und wie die Angaben von Größe und Augenfarbe im Pass.
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Im Gespräch: Max Stadler, FDP ...
Stadler: Aber von der Psychologie her ist es schon ein Unterschied, ob man ein Lichtbild im Ausweispapier abgibt oder einen Fingerabdruck, mit dem leicht die Assoziation verbunden ist, dass es sich um eine Art erkennungsdienstliche Behandlung handelt. Für viele Bürger gibt es daher eine Sperre, den Fingerabdruck abzuliefern.
Strobl: Mit erkennungsdienstlichen Maßnahmen hat das wirklich nichts zu tun. Ich finde auch, wir Politiker haben die Aufgabe, den Bürgern zu vermitteln, dass wir ihnen bei neuen Bedrohungslagen auch neue Dinge zumuten müssen – zu ihrer eigenen Sicherheit. Dann gibt es auch die Bereitschaft, solche Maßnahmen zu akzeptieren, die in Wahrheit ja nicht belasten oder einschränken, sondern ausschließlich der Fälschungssicherheit von Ausweispapieren dienen.
Blickpunkt: Gilt das Unbehagen nur dem Fingerabdruck oder auch den anderen biometrischen Daten? Gibt es da einen qualitativen Unterschied?
Strobl: Nein, das ist im Wesentlichen eine technische Frage, die vor allem unter dem Gesichtspunkt der Machbarkeit, der Effektivität und der Kosten zu sehen ist. Da liegen sicher noch nicht alle Fakten auf dem Tisch. Nach meinem derzeitigen Eindruck hat der Fingerabdruck zur Zeit die Nase vorn.
Stadler: Ein schönes Bild, dass der Fingerabdruck die Nase vorne hat, und ich hoffe auch, dass dies so bleibt. Denn die Industrie bedient sich in ihren Sicherheitsbereichen zur Personenidentifizierung häufig bereits der Iris-Vermessung. Und da kommen wir schnell zum qualitativen Unterschied: Wenn es so ist, wie Fachleute sagen, dass man bei der Iris-Kennung auch auf weitere Merkmale einer Person Rückschlüsse ziehen kann, geht das deutlich über das hinaus, was wir für akzeptabel halten: ausschließlich die bessere Identifizierung einer Person.
Blickpunkt: Ist der Fingerabdruck im Pass nicht ein Einfallstor zum Überwachungsstaat? Könnte ihm bald nicht auch der genetische Fingerabdruck – also die Speicherung intimster Daten – folgen?
Strobl: Ich fürchte, es wird bisweilen bewusst mit Sorgen und Ängsten jongliert. Wenn etwa von den Grünen gesagt wird, schon mit dem Fingerabdruck sei es möglich, Rückschlüsse auf genetische Dispositionen zu ziehen und aus diesem Grund der Fingerabdruck im Pass abgelehnt wird, ist das barer Unsinn und verantwortungslos. Im Übrigen: Niemand von uns will den genetischen Fingerabdruck für alle.
Stadler: Die Gefahr, dass auf einen Schritt ein weiterer erfolgt, dass, wer A sagt, B nicht verweigern kann, ist leider latent vorhanden. Gerade weil bei den Bürgern viel Verunsicherung herrscht, besteht die FDP auf der klaren Beschränkung auf den Fingerabdruck. Und auf ein zwar zügiges, aber auch sehr sorgfältiges Gesetzgebungsverfahren, zu dem auch eine Sachverständigenanhörung gehören muss. Wir wollen Offenheit und Transparenz. Deshalb wäre für uns auch der bloße Verordnungsweg völlig unakzeptabel gewesen.
Strobl: Einverstanden. Aber wichtig bleibt auch, dass wir bald zu einem Abschluss der Beratungen kommen. Ich hätte kein Verständnis dafür, wenn aus ideologischen Gründen etwas verzögert wird.
Stadler: Niemand will etwas verzögern. Aber wenn der Umstellungszeitraum für Pässe und Ausweise zehn Jahre sein wird, muss doch Platz und Zeit sein für eine seriöse Beratung.
Strobl: Wie kommen Sie auf zehn Jahre? Die Bundesdruckerei sagt, sie könne an neuen Ausweisen mit Barcode – also Fingerabdruck oder andere biometrische Merkmale – pro Jahr 36 Millionen Exemplare drucken. Das heißt, innerhalb von zwei Jahren könnte fast jeder Deutsche mit einem neuen Ausweispapier versorgt sein.
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... und Thomas Strobl, CDU/CSU.
Blickpunkt: Steht der Aufwand – auch die Kosten gehören dazu – im Verhältnis zum erhofften Erfolg?
Strobl: Ich finde, hier wird vieles übertrieben. Beim Ausweis selbst werden die Mehrkosten zunächst einmal nur bei maximal fünf Pfennig pro Ausweis liegen. Das ist ja wohl hinnehmbar. Natürlich kommen dann noch für Scanner, Hard- und Software an den Kontrollstellen Kosten in Höhe von mehreren Milliarden Mark dazu. Aber hier habe ich eine klare Meinung: Das muss uns die innere Sicherheit und Fälschungssicherheit der Ausweise wert sein.
Stadler: Bei der Kostenfrage gebe ich Herrn Strobl Recht. Das darf nicht das entscheidende Argument sein, zumal wir ohnehin die teuren Kontrollgeräte brauchen, weil wir ja übereinstimmen, dass die Identifizierungsmöglichkeiten für diejenigen verbessert werden müssen, die aus dem Ausland zu uns kommen. Insofern sind die Kosten nicht allein auf den Fingerabdruck zu beziehen.
Blickpunkt: Ist der Fingerabdruck überhaupt zielgerichtet? Immerhin besitzen die meisten ausländischen Terroristen vermutlich keinen deutschen Pass.
Strobl: Es gibt durchaus ausländische Terroristen, die bewusst unter dem Deckmantel der deutschen Staatsangehörigkeit ihre Aktivitäten entfalten. Im Übrigen: Würden wir den Fingerabdruck nur für Ausländer einführen, hätten wir sehr schnell eine Diskussion, ob wir hier nicht eine Diskriminierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe vornehmen. Das wäre nicht gut.
Blickpunkt: In Großbritannien gibt es überhaupt keine Ausweise. Ist es deshalb ein unsicheres Land?
Stadler: Sicherlich nicht. Umgekehrt gibt es in Spanien den Fingerabdruck im Ausweis und zugleich fürchterliche Anschläge der ETA. Deshalb muss uns allen klar sein: Auch bessere Identifikationspapiere bieten keinen hundertprozentigen Schutz.
Strobl: Einverstanden. Der Fingerabdruck im Ausweis ist sicher kein Patentrezept. Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen. Nur in der Gesamtheit wird ein vernünftiger Schuh daraus, mit dem wir ordentlich marschieren können, um die innere Sicherheit zu verbessern.