Sonntag im Münchner Kunstareal, Museumswetter: Einheimische und Touristen schlendern zwischen den drei Pinakotheken, rasten im Museumscafé, strömen zu einer Ausstellung. Um elf Uhr findet eine Führung statt. Am Nachmittag treffen sich zwölf angemeldete Teilnehmer zum "Picknick". Die Gruppe erarbeitet sich in einem Kunstgespräch Bilder der Natur in der Neuen Pinakothek. Begleitet wird der Spaziergang von literarischen Texten, die nach fast zwei Stunden zu Brot und Käse unter Kastanien vor dem Museum führen. In der Alten Pinakothek sprach am Tag vorher ein Kunsthistoriker mit einem Botaniker über Blumenbilder.
Wie dieser Ausschnitt aus dem Programm eines Wochenendes zeigt, sind die Möglichkeiten und Angebote vielfältig. Museen bewahren und vermitteln kulturelle Werte. Sie sind öffentliche Orte, an denen man Kunst und Kultur begegnen kann: allein, mit Freunden und der Familie oder in organisierten Gruppen. Kunst und Kultur sollen für Menschen jeden Alters und jeder Herkunft erlebbar sein. Die Pinakotheken bieten ihren Besuchern daher ein ausführliches Angebot öffentlicher thematischer Führungen, Kunstgespräche und Workshops, in denen verschiedene Formen der Kunstvermittlung für unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen einen Einstieg in die Welt der Kunst ermöglichen und in die Tiefe gehen.
Das Museum für das Publikum zu erschließen beginnt aber schon vorher: mit der Erreichbarkeit, mit besucherorientierten Öffnungszeiten, zum Beispiel Abendöffnungen für Berufstätige und erschwinglichen Preisen. Der Eintritt in die Pinakotheken kostet sonntags nur einen Euro. Viele Münchnerinnen und Münchner nutzen dieses Angebot. Sie kommen regelmäßig, lernen die Museen nach und nach kennen, verfolgen wechselnde Sammlungspräsentationen und Ausstellungen. Ein erster Blick bei einem Museumsspaziergang am Sonntag kann Fragen aufwerfen, Diskussionen anzetteln, "Lust auf mehr" machen.
Auch an den Wochentagen sind die Pinakotheken gut besucht. Für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr und Schulklassen ist der Eintritt in die bayerischen staatlichen Museen frei. Viele Lehrerinnen und Lehrer nutzen mit ihren Klassen das Museum als Ergänzung zum Unterricht in der Schule. Betreut vom museumspädagogischen Zentrum oder selbstständig entdecken junge Menschen Kunst im Original.
Freizeitangebote für Kinder ab fünf Jahren bieten die Pinakotheken am Freitag Nachmittag: exemplarisch, sinnlich und aktiv sind die Expeditionen in die Sammlungen, bei denen wir genau hinschauen, Worte finden und Gesehenes mit eigenen Erfahrungen verknüpfen. Die Möglichkeiten und Zugangsweisen sind unendlich. Wir konzentrieren uns auf relevante Themen, authentische Begegnungen und kindgerechte Methoden. Im Programm zu einer Ausstellung über den Historienmaler Carl Theodor von Piloty, den nun wirklich nicht jedes Kind kennen muss, nahmen wir uns zum Beispiel die Geografie vor. Ein überlebensgroßes Bildnis von Christoph Kolumbus mit Navigationsinstrumenten an Deck seines Schiffes war der Einstieg. Die Kinder lernten einen Kompass kennen, beschäftigten sich mit Hilfe von Globus und Weltkarte - beides Montessorimaterialien - mit den Kontinenten und zeichneten zum Abschluss eine Seekarte.
In längerfristigen Projekten und Partnerschaften experimentieren wir mit neuen Medien und Methoden. Eine Internetseite zur Pinakothek der Moderne von Jugendlichen für Jugendliche erstellten 19 Schülerinnen und Schüler eines Münchner Gymnasiums. Über ein Jahr verfolgten sie in ihrem Leistungskurs Kunst die Aktivitäten des Museums. Sie nahmen an Vernissagen und Veranstaltungen teil, trafen Künstler und Museumsleute. Mit dem Konservator für die Kunst der Gegenwart diskutierten sie über aktuelle Ankäufe und bekamen Einblick in den Aufbau einer Ausstellung. Im Atelier des Designrestaurators diskutierten sie über Grundfragen der Museumsarbeit. Warum wird ein originaler Plastikstuhl aus den 70-Jahren aufwendig untersucht und restauriert, wenn man das gleiche Modell für knapp 200 Euro im Designshop kaufen kann? In der Schule arbeitete die Gruppe mit ihrer Lehrerin gestalterisch zu Kunstwerken aus dem Museum. Ein Schüler verwandelte das Eltern-Sprechstundenzimmer in eine surrealistische Installation, Facharbeiten entstanden zu Museumsthemen und alle gemeinsam programmierten und gestalteten die Internetseite "www.klassenfahrt.de".
Im Bereich der Erwachsenenbildung bieten die Pinakotheken ebenfalls ein vielfältiges und ausführliches Angebot. Jeden Tag finden Führungen und Kunstgespräche statt: ein Bild für eine halbe Stunde zum Mittag, Streifzüge und Rundgänge zu übergreifenden Themen. Führungsreihen setzen Schwerpunkte und greifen aktuelle Themen auf. Anlässlich der Bundesgartenschau nahmen wir uns zum Beispiel die Blumen in den Pinakotheken vor - von den Alten Meistern bis zur zeitgenössischen Kunst. Workshops mit verschiedenen Experten finden einmal im Quartal statt. Zur Ausstellung von Frei Otto, dem Erfinder und Konstrukteur der Zeltdächer des Münchner Olympiaparks, arbeiten die Teilnehmer einen halben Tag mit einer Kunsthistorikerin und einem Architekten. An den Stationen der Ausstellung und mit praktischen Experimenten lernen sie die Gestaltung und die aus natürlichen Gesetzmäßigkeiten entwickelte Technik kennen.
Die Vielzahl der Angebote der Pinakotheken zeigt, dass Kunstvermittlung, die Arbeit mit dem Publikum, in diesen Häusern einen hohen Stellenwert genießt. Wie in allen anderen Bereichen des Museums sind die Haushaltsmittel jedoch beschränkt. Glücklicherweise engagieren sich Fördervereine und Wirtschaftsunternehmen aber auch für die Bildungsarbeit. Die Philip Morris GmbH, langjähriger Förderer der Pinakothek der Moderne, initiierte 2002 das Projekt PINK und finanziert es nun im dritten Jahr. Ziel ist es, für Jugendliche aus sozialen Brennpunkten, Blinde und Sehbehinderte, Gruppen aus Senioreneinrichtungen, sowie Frauenhäusern und anderen Hilfsnetzwerken einen Zugang zu Kunst zu eröffnen. Ein Team von Kunsthistorikerinnen, Künstlerinnen und Pädagoginnen entwickelte acht zielgruppenspezifische Angebote mit unterschiedlichen inhaltlichen und thematischen Schwerpunkten. Interessen und Fragen von Jugendlichen werden aufgegriffen, zum Beispiel bei "Tempo, Tempo", einem Programm, das von den Autos in der Designabteilung zu Kunstwerken führt, in denen Geschwindigkeit visualisiert wird. "Sehen und gesehen werden" behandelt das Thema der Selbstdarstellung. Für Blinde und Sehbehinderte wird Komposition und die Darstellung von dreidimensionalen Objekten auf einer Bildfläche mit Hilfe eines Holzpuzzles in Originalgröße von einem Stilleben Picassos umgesetzt. Die Stärke von PINK liegt in der engen Zusammenarbeit mit den sozialen Einrichtungen. Entscheidend sind die Professionalität, Sorgfalt, Zeit und Zuwendung, die für die Konzeption der Programme, die Betreuung der Gruppen und die Reflexion der Arbeit aufgewendet werden.
Mit PINK spricht die Pinakothek der Moderne Menschen an, die Kunst und Kultur noch nicht als Bereicherung für ihr Leben entdecken konnten. Wie in der Arbeit mit allen anderen Besuchern wollen wir niemanden plump belehren, nicht einfach Daten und Fakten abladen, sondern das Potential der Kunst nutzen: authentische Erfahrungen und ebensolche Begegnungen ermöglichen. Bildungsprozesse im Museum sind vielschichtig. Kunstwerke sind uneindeutig. Sie fordern das aktive Zutun des Betrachters, gedankliche Auseinandersetzung und Kommunikation. Kunst ist ein Feld der Auseinandersetzung mit Fragen des Lebens, der Welt und der Gesellschaft. Das betrifft alle Besucherkreise. Kulturelle Bildung muss neben der sehr zweckorientierten Berufsausbildung ihren Platz haben als ganzheitliche und lebenslange Aufgabe, die lohnt und Freude macht. Museen sind hervorragende Orte dafür.
Die Autorin leitet den Bereich Besucherdienst/ Kunstvermittlung der
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen/Pinakothek der Moderne in
München.